Der schwarze Kanal
Foto: Susanne Krauss
12 FOCUS 42/
E
in Mann trifft einen Politiker. Der Mann
steht einer Kulturorganisation vor, die
staatliche Gelder an Künstler verteilt. Der
Politiker ist Vorsitzender der größten Oppo-
sitionspartei des Landes. Die beiden sind in
einem italienischen Restaurant verabredet,
sie essen zu Mittag. Kurz darauf veröffent-
licht der Politiker ein Foto des Treffens auf seiner Insta-
gram-Seite. „Sehr angeregter und konstruktiver politischer
Gedankenaustausch heute“, schreibt er dazu.
Kaum ist das Bild in der Welt, setzen Verdächtigungen
ein. Eine Reihe von Künstlern, die der Regierung zugetan
sind, äußert ihr Missfallen. Sie sagen, dass sie nicht länger
mit dem Kulturmanager zusammenarbeiten könnten, weil
er durch das Mittagessen kompromittiert sei.
Man sammelt Unterschriften. Es gehen Petitionen he-
raus, die eine Entlassung fordern.
Die Ministerin für Wissenschaft und
Kunst beruft eine Krisensitzung ein.
Erst heißt es, man müsse die Lage
prüfen. Dann steht in den Zeitungen,
dass der Mann seinen Posten ver-
loren habe. An seine Stelle soll eine
Person rücken, die das Vertrauen der
Kunstschaffenden genieße. Von dem
Entlassenen hört man nichts mehr.
Die Geschichte liest sich, als würde
sie in einem fernen Staat im Osten
spielen, einer dieser Autokratien, in
denen die Bürger gut beraten sind,
bei allem, was sie sagen oder tun,
vorsichtig zu sein. Aber ist keine
Geschichte aus der Ferne. Es ist eine
deutsche Geschichte.
Der Mann, der seinen Job verlor,
heißt Hans Joachim Mendig. Er war
drei Jahre lang Geschäftsführer der hessischen Filmförde-
rung – bis er sich auf einen Lunch mit dem AfD-Vorsitzen-
den Jörg Meuthen traf. Vor zwei Wochen wurde er seines
Amtes enthoben. Man habe den Imageschaden begrenzen
müssen, der durch das Treffen entstanden sei, erklärte die
Kulturministerin Angela Dorn, die dem Aufsichtsrat der
hessischen Filmförderung vorsteht und für die Grünen in
der Landesregierung sitzt.
Ich beschreibe den Fall hier so ausführlich, weil ich
ihn für außergewöhnlich halte, auch für außergewöhn-
lich hinterhältig. Es kommt nicht oft vor, dass Menschen
ihren Job verlieren, weil sie mit den falschen Leuten zu
Mittag gegessen haben. Ich kann mich, ehrlich gesagt,
an keinen vergleichbaren Fall in den letzten 30 Jahren
erinnern. Ich hätte deshalb erwartet, dass er größere
Beachtung findet. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
hat berichtet, etwas ausführlicher die „Welt“. Aber in der
Regel blieb der Fall eine Randnotiz im Feuilleton, eine
dieser Personalien, über die man beim Lesen schnell hin-
wegliest.
W
as ist da los? 600 Leute aus der deutschen
Filmszene unterschreiben eine Erklärung, in
der sie androhen, nicht mehr mit der Hessen-
Film zusammenarbeiten zu wollen, wenn
deren Geschäftsführer weiter im Amt bleibe. Ein Sub-
ventionsannahmeboykott als Druckmittel, das ist ori-
ginell. Andererseits: Niemand ist gezwungen, Förder-
mittel entgegenzunehmen. Es gibt sogar Menschen,
die meinen, dass der deutsche Film in einer deutlich
besseren Verfassung wäre, wenn es keine staatliche
Filmförderung gebe. Als förder-
würdig gelten in Deutschland vor
allem Filme, die viel Kunstwillen,
aber wenig Aussicht auf Publikum
haben. So sagt es natürlich keiner,
aber das ist die Praxis.
Die Kultur ist ein eigenes Milieu,
mit eigenen Gesetzen und Regeln.
Es ist schon schwer, in der Medien-
welt jemanden zu finden, dessen Herz
nicht für die linke Sache pocht. In der
Kulturwelt ist dies nahezu unmöglich.
Was wäre das deutsche Petitionswe-
sen ohne die „Filmschaffenden“, wie
sie sich bei der Gelegenheit gern
nennen. Keine Unterschriftenliste, auf
der sich nicht der Name von Schau-
spielern, Bühnenbildnern oder Regis-
seuren findet, die im hohen Maße
empört oder besorgt sind.
JAN FLEISCHHAUER
Wenn sich Klein-
geister groß fühlen
Was muss man sich zuschulden kommen
lassen, um seinen Job zu verlieren?
Wenn man in der deutschen Film- und
Theaterwelt arbeitet: ein Mittagessen mit
dem falschen Politiker. Das reicht dort
»
Es gibt keine
Unterschriftenliste,
auf der sich nicht
der Name von Schau-
spielern, Bühnenbild-
nern oder Regisseuren
findet, die empört
oder besorgt sind
«