KOLUMNE
FOCUS 42/2019 13
Den Autor dieser Kolumne erreichen Sie unter:
[email protected], Twitter: @janfleischhauer
Alle gegen einen
Illustration von
JAN FLEISCHHAUER Michael Szyszka
Mit der Bereitschaft zur Empörung korrespondiert ein aus-
geprägtes Kuschelbedürfnis, das in interessantem Wider-
spruch zum Widerstandsgestus steht. Früher war man stolz
darauf, die Bürger aus der Fassung gebracht zu haben.
Wenn es im Parkett zum Aufstand kam, galt das als Güte-
siegel. Heute lassen sich deutsche Bühnen beraten, wie sie
mit Unmutsbekundungen und Störungen umgehen sollen.
„Viele Theater fühlen sich auf solche Anfeindungen nicht
hinreichend vorbereitet“, berichtete die Geschäftsführerin
der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus neulich in
einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie schwer sich
Menschen, die ansonsten bei jeder Gelegenheit
betonen, wie bereichernd das Fremde sei, in dem
Moment tun, in dem sie tatsächlich mit dem Frem-
den konfrontiert sind. Die Künstler, denen man
in der Theater- und Filmwelt begegnet, glei-
chen einander auf verblüffende Weise. Sie
sehen vielleicht unterschiedlich aus, sie mögen
aus exotischen Gegenden kommen oder
fremd klingende Namen tragen: Aber was
die Überzeugungen und Wertvorstellungen
angeht, könnten sie nicht homogener sein.
I
n Wahrheit ist der im Kulturbetrieb
vorherrschende Fremdheitsbegriff
sehr oberflächlich, ja man könnte
sagen: kolonialistisch. Er macht
sich allein am Aussehen fest, also an Hautfarbe,
Geschlecht oder ethnischer Herkunft. Der wahre
Fremde hingegen wäre jemand, der radikal anders denkt.
In dem Sinne ist ein Meuthen tausendmal fremder als
jeder senegalesische Regisseur, der auf Festivals herum-
gereicht wird.
Regelmäßige Leser meiner Kolumne wissen, wie wenig
ich mit der AfD am Hut habe. Ich käme im Leben nicht auf
die Idee, diese Partei zu wählen. Aber es stört mich, wenn
sich alle gegen einen zusammenrotten. Auf einer
Unterschriftenliste gegen jemanden Stimmung zu
machen ist für mich kein Zeichen von Mut, sondern
eher ein Ausdruck von Niedertracht.
Mich erinnert das Ganze an die unselige Zeit in
den siebziger Jahren, als man sich daranmachte,
Leute auszuheben, die angeblich mit der RAF und
ihren Zielen sympathisierten. Wobei man sagen
muss: Bei der RAF handelte es sich immerhin um eine
Terrororganisation. Die AfD hingehen mag man verachten,
aber sie ist weder verfassungsfeindlich noch kriminell.
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Schon jetzt
sitzen die ersten AfD-Vertreter in den Rundfunkräten.
Demnächst werden sie in die Kulturförderung und in die
Aufsichtsgremien staatlicher Kulturinstitutionen einzie-
hen. Will man dann im Ernst nach jedem verfänglichen
Mittagessen, bei dem sich ein Kulturfunktionär erwischen
lässt, mit Boykott drohen? Wer weiß, vielleicht werden die
Kulturetats in Deutschland schon bald nicht mehr aus-
geschöpft, weil niemand das Geld haben will. Das wäre
dann allerdings eine wirklich radikale Entwicklung.n