Focus - 12.10.2019

(Ron) #1
Ursache identifiziert. Sowie mangelnde
Cleverness in Krisensituationen.
„Wir hatten den Eindruck, dass wir
in Drucksituationen besser verteidigen
könnten. Das war gepaart mit dem Wis-
sen um Mats’ Persönlichkeit, seine Erfah-
rung, die er bei uns einbringen kann.“
So sagt es Zorc. Er hält Hummels für den
„besten deutschen Innenverteidiger“ und
glaubt, dass er noch stärker ins Rollen
kommt. Hummels müsse in die Saison
reinkommen und werde dann immer
besser.
Die Frage ist, ob gleichzeitig andere
schlechter werden. Eine dominante Füh-
rungsfigur greift als Neuzugang immer
ins soziale Gefüge ein. Hummels verän-
derte dessen Statik. In der Nationalmann-
schaft war er von Bundestrainer Joachim
Löw unabhängig von der Leistungsfähig-
keit ausgemustert worden, damit junge
Talente mehr Raum zur Entfaltung bekä-
men. Die Entwicklung von Serge Gnabry
und dessen Bayern-Kamerad
Joshua Kimmich gibt Löw in
diesem Punkt Recht.
In München galt Hummels in
der Innenverteidigung als
langsam, wurde von Tei-
len der Mannschaft als
„Schlaumeier“ abge-
stempelt, der Mitspie-
ler zu laut belehre.
Und als Kritiker des
Trainers stand er im
Verdacht, für Unruhe
zu sorgen. Und in Dort-
mund? Man kann sagen, dass
er gegen den FC Barcelona (0 : 0)
in der Champions League per-
sönlich geglänzt hat. Aber die
Mannschaft hat er mit seiner
Präsenz noch nicht auf eine höhe-
re Stufe geführt. „Wir haben oft was
zu klären“, sagt Torwart Bürki über
sein Verhältnis zur Ordnungsmacht

N


eulich im Heimspiel gegen
Bayer Leverkusen – Dort-
mund führte 2 : 0, und der
Ball lag im Aus – hielt Mats
Hummels aus dem Straf-
raum heraus einen panto-
mimischen Vortrag. Mit den
Armen schob er einen unsichtbaren
Schrank vor sich her, offenbar ein schwe-
res Gerät. Marco Reus, gut 20 Meter ent-
fernt, nickte müde. Vielleicht sollte weiter
vorn mehr gepresst werden. Jedenfalls
gewann Dortmund am Ende mit 4 : 0.
Im Spiel bei Eintracht Frankfurt, das 2 : 2
ausging – Hummels hatte früh Gelb gese-
hen und musste später verletzt raus –, gab
es eine Diskussion mit Torwart Roman
Bürki. Als der gerade einen Abstoß vor-
nehmen wollte, fuchtelte Hummels mit
den Armen, als wollte er sagen: Hatten
wir nicht vor, das Spiel mit Kombinatio-
nen zu eröffnen?
Keine Frage, Hummels, der neue alte
Dortmunder Abwehrchef, nach 2008 zum
zweiten Mal von Bayern München zur
Borussia gewechselt, ist als Wortführer
akzeptiert und als Zampano geduldet.
Er hoffe doch, sagt Sportdirektor Michael
Zorc belustigt, dass der Club die Persön-
lichkeit des Zugangs für die 30 Millionen
Euro Ablöse mitgekauft habe. Dies sei
schließlich „part of the deal“ gewesen,
als im Sommer der Vertrag ausgehandelt
wurde, berichtete der polyglotte Welt-
meister selbst: nämlich dass er die junge
Mannschaft mit anführen solle und dürfe.
Diese Chefrolle einzunehmen, das „war
für mich der größte Anreiz“.
Mit einem Königstransfer gleich zwei
Schwächen zu beseitigen, das war Dort-
munds Plan gewesen. Der BVB hatte in der
Vorsaison unter Trainer Lucien Favre oft
herausragend gekickt, bemerkenswerte
76 Punkte geholt, aber am Ende die Meis-
terschaft verspielt. Fehler im Abwehrver-
halten, vor allem bei Eckbällen, wurden als

Hummels, und es klingt wie: Er hat häu-
fig was zu meckern. „Wir sprechen oft mit-
einander.“
Doch die alten Defizite – in Standard-
situationen, bei Auftritten gegen nominell
Schwächere, im Verteidigen einer Füh-
rung bei vermeintlicher Überlegenheit


  • wurden durch den 30-jährigen Rück-
    kehrer noch nicht behoben. Zuletzt gab
    es dreimal ein unbefriedigendes 2 : 2 in
    der Liga. Ein seltsames Reizklima herrscht
    im Verein. Diskussionen um „Mentali-
    tät“ und „Männlichkeit“, über den Trainer
    und auch über die Führungsstruktur der
    Mannschaft erzeugten Unruhe.


Hummels macht sich Platz
Unter dem Strich ist der Effekt dieser
Rückkehr noch dürftig. Michael Zorc lässt
das Fenster seines Büros wegen des Bau-
stellenlärms schließen, bevor er sagt: „Es
ist viel zu früh, ein abschließendes Fazit
abzugeben.“ Alles ist offen, auch der
Titelkampf in der Bundesliga. Thema ist
in Zorcs Büro eigentlich Marco Reus, aber
auch das hat mit Hummels zu tun.
„Was macht Sie so herausragend?“,
fragte der Fernsehmoderator bei
Sky etwas unterwürfig den Ab-
wehrmann nach der Partie ge-
gen Barcelona. Vielleicht die
Fähigkeit, andere kleinzu-
halten. Oder an den Rand
zu drängen. Auffällig bleibt
jedenfalls: Je dominanter
Hummels ist, desto mehr
verschwindet Kapitän Reus.
Hummels’ Integration ist die
Anwendung des archimedischen
Prinzips auf den Fußball: Um schwim-
men zu können, also Auftrieb zu be-
kommen wie ein Schiff, muss er in
seinem Medium eine bestimmte
Masse mit seiner Gewichtskraft
verdrängen. Hummels’ Medi-
um ist die Mannschaft.

SPORT

Fotos:


Malte Krudewig/Sport BILD, dpa


FOCUS 42/2019 131

Im Sommer kehrte Mats Hummels vom FC Bayern München zurück nach


Dortmund. Doch auch mit dem Weltmeister kommt Titelkandidat Borussia nicht vom


Fleck. Hat der Eingriff in die Team-Hierarchie weniger genutzt als geschadet?


Mats ab!


TEXT VON JÖRG KRAMER

Rot Von 2016 bis 2019 spielte Hummels für Bayern
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