POLITIK DEUTSCHLAND
Fotos: snapshot-photography, Pierre Adenis/laif, Christophe Gateau/dpa
36 FOCUS 42/2019
D
ie neuen Grünen haben
sich erst einmal gemüt-
lich eingerichtet. Mitten
in Berlin, am Potsdamer
Platz, haben sie ein klei-
nes Wohnzimmer aufge-
baut, Sofa, Sessel, Tep-
pich, Pflanzen – alles da.
Und jetzt sitzen sie da, ganz friedlich,
kein Auto kommt mehr durch. Eine
der wichtigsten Kreuzungen der
Hauptstadt ist lahmgelegt. Polizisten
leiten den Verkehr um. Musik statt
Motorengeheul. Die Protestler besin-
gen und betanzen ihren ersten großen
PR-Erfolg.
Sie nennen sich „Extinction Rebel-
lion“ (XR), was so viel heißt wie „Rebelli-
on gegen das Aussterben“. Ihre Metho-
de ist der zivile Ungehorsam. Ihr Ziel
ist die Weltrettung.
Die Mittel der Demokratie sind ihnen
zu zäh, weil sie glauben, dass der Par-
lamentarismus versagt. Etwas Neues
muss her. Etwas Radikales. Eine fried-
liche Rebellion. Ein Umsturz. Ihr Argu-
ment funktioniert nach der Mechanik
der Notwehr: Wir müssen das machen,
sonst ist der Planet am Ende.
Die Partei verliert das Diskurs-Monopol
Das linksalternative Milieu hat eine neue
politische Kraft. Und was für eine. Die
Rebellen besetzen Straßen, Brücken. Sie
stören. Sie nerven. Sie meinen es ernst.
Richtig ernst.
Das trifft vor allem die alten Grü-
nen. Die bekommen nun wirkmächti-
ge Konkurrenz aus der eigenen Ecke
und verlieren das Diskurs-Monopol
in der Klimadebatte. Die Hälfte der
Deutschen, zeigt eine Emnid-Um-
frage für FOCUS, findet die guerilla-
artigen Attacken der Bewegung gut.
Über Erderwärmung und deren politi-
sche Folgen reden plötzlich andere.
Für eine Partei, die besonders von
Stimmungen und Einstellungen der
Menschen lebt, ist das hochgefährlich.
Ein Rollenwechsel zeichnet sich ab.
Die Grünen waren bisher die ökologi-
sche Avantgarde. Sie haben angeklagt,
gefordert, kritisiert. Jetzt sitzen sie wahr-
scheinlich bald in elf Landesregierun-
gen, sie stellen einen Ministerpräsiden-
ten, sie sind in Umfragen zweitstärkste
Kraft im Land, sie schielen aufs Kanzler-
amt. Die Grünen sind Teil des politischen
Establishments. Und dieses trägt für die
Rebellen eine Mitschuld am Desaster.
Strategisch steht die Öko-Partei vor
einem Dilemma. Umarmen die Grünen die
Rebellen, verschrecken sie ihr inzwischen
sehr bürgerliches Publikum, das jegliche
Form der Radikalität ablehnt. Bekämpfen
sie die Rebellen, wirkt das unsouverän und
wie die eigene Entwurzelung.
Die grüne Stärke war – jedenfalls seit
Annalena Baerbock und Robert Habeck
seit Anfang 2018 den Vorsitz inneha-
ben – die erstaunliche Geschlossenheit
der Partei. Keine Flügelkämpfe, keine
Streitereien, alles sortiert sich brav ein.
Die Menschen mögen keinen Streit, das
haben die Grünen verstanden.
Doch die XR-Bewegung zerstört die
grüne Harmonie. Die Grünen täuschen
größtmögliche Gelassenheit vor, nur eini-
ge wenige greifen die XR-Aktivisten an.
Die meisten wollen gar nichts sagen. Fal-
scher Zeitpunkt, falsches Thema, solche
Sachen entgegnen sie. Aber hinter ver-
schlossenen Türen streiten sich die Par-
teifreunde durchaus über den richtigen
Umgang mit den Rebellen.
Sven Giegold etwa, der wichtige Euro-
papolitiker, ist einer der wenigen, der die
Öko-Konkurrenz öffentlich angeht: „In
keiner Demokratie darf man Veränderung
durch Protest erzwingen – bei Drohnen
am Flughafen gehen Proteste zu weit.“
Ein grünes Landesvorstandsmitglied aus
dem Norden empfindet schon das Ver-
hältnis zu den Aktivisten von „Fridays for
Future“ als angespannt. „Extinction Rebel-
lion“ sei da noch „’ne Nummer härter“. Er
sagt: „Damit habe ich große Probleme.“
Was sind das für Leute, die sich bei
„Extinction Rebellion“ engagieren? Sind
sie wirklich radikal? Und haben sie eine
Zukunftsperspektive?
Berlin. Großer Stern, vergangenen Mon-
tag. Der Kreisverkehr rund um die Sieges-
säule ist zum Wochenstart fast verwaist.
Die fünf Zufahrtsstraßen sind von der
Polizei schon Hunderte Meter entfernt
abgesperrt worden.
Einige Aktivisten nageln eine Arche
aus Holzbrettern zusammen. Darauf soll
die berühmte Kapitänin Carola Rackete
um fünf Minuten nach zwölf die Bun-
desregierung anklagen. Einstweilen aber
bemerken die restlichen Protestierer, dass
sie mit wenigen Leuten sehr viel Fläche
zu bespielen haben. Mehrere Versuche,
eine Menschenkette um die Siegessäule
herum zu bilden, scheitern. Dann gelingt
es doch – und die Bilder von lachenden
und tanzenden Demonstranten schaffen
es in die Abendnachrichten.
Gastauftritt
Luisa Neubauer, Organisatorin bei
„Fridays for Future“, redet auf dem
blockierten Potsdamer Platz in Berlin
Campen bei der Kanzlerin
Die Protestler von „Extinction
Rebellion“ haben ihr Nachtlager vor
dem Kanzleramt errichtet
Klima ahoi!
Die Aktivistin Carola Rackete, sonst
eher auf Schiffen zu finden, hat sich den
Rebellen an Land angeschlossen
Dieser Text
zeigt evtl. Pro-
bleme beim
Text an
werde-einer-von-uns.de
Werde Betriebstechniker (m/w/d) in unserem Team und genieße die
Vorteile einer sicheren und unbefristeten Vollzeitanstellung:
Interessantes, breit gefächertes technisches Aufgabengebiet
Zahlreiche interne und externe Fortbildungsmöglichkeiten
Intensive Einarbeitung von erfahrenen Kollegen
Auszahlung von Überstunden
Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten
Attraktive Sozialleistungen eines Großkonzerns
Jetzt bewerben unter werde-einer-von-uns.de oder per
Telefon: 0800 8010333*
* (kostenfrei aus dem deutschen Fest- und Mobilfunknetz)
Mike,
einer von uns.
DP_MIKE_BetrTechn_Focus_210x267_PSR_SC_PLUS_V2_PT.indd 1 09.08.19 15:13