POLITIK DEUTSCHLAND
Fotos: mauritius images
38 FOCUS 42/2019
Es ist eine bunte Truppe, die sich an
diesem Montagmorgen am Großen Stern
und später am Potsdamer Platz trifft. Da
ist zum Beispiel Alex Volk, 26, aus Köln.
Er joggt mit einer Fahne der Bewegung
Runde um Runde um die Säule. Es ist sei-
ne erste Aktion mit „Extinction Rebellion“.
Der Umweltaktivist ist auch bei „Fridays
for Future“ und den Grünen aktiv, auf
Instragram nennt er sich gutmensch_alex.
Oder Pascal Molinario, 49, aus dem
Rheinland. Er hat eine Trommel dabei, die
besonders dumpf klingt und lang nach-
hallt. Alle paar Sekunden haut er drauf.
„Die tiefe Vibration“, sagt er, „schafft
eine Verbindung zu den indigenen Völ-
kern, die den Kampf ums Überleben ja
schon viel länger führen.“
Und da ist Sibylle Killinger, 50, die
ihr gesundheitliches Schicksal mit dem
Klimawandel verbindet. Die Juristin aus
Rosenheim hat Asthma, deshalb hält sie
sich für besonders gefährdet, und deshalb
kann es ihrer Meinung nach nicht schnell
genug gehen mit dem Kampf gegen das
Kohlendioxid. „Für mich“, sagt sie, „geht
es wirklich um das blanke Überleben.“
Wie ein Pazifist klingt der Gründer nicht
Killinger trägt einen Pullover mit einem
Sticker, der eine stilisierte Sanduhr zeigt.
Es ist das Symbol der Bewegung. Die Zeit
läuft, die meisten Protestler rechnen mit
einer nahenden Klimakatastrophe. Killin-
ger befürchtet gar, dass sie wegen ihrer
Asthma-Erkrankung und der drohenden
Erwärmung nur noch drei oder vier Jahre
zu leben hat.
Die Angst vor dem Weltuntergang ge-
hört zur DNA dieser Bewegung. Schwar-
ze Esoterik. Das Düstere geht zurück auf
den XR-Mitbegründer, den walisischen
Biobauern Roger Hallam. Er hat in einem
Manifest mit dem Titel „Gesunder Men-
schenverstand für das 21. Jahrhundert“
ein Gedankengebäude errichtet, in dem
alles am Ende vom Kohlendioxid abhängt
und in dem der übergesetzliche Notstand
postuliert wird. In Vorträgen ruft er zu
Studenten: „Ihr werdet sterben, wenn
ihr nicht bald aufbegehrt.“ Und mahnt:
„Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch
handelt, wird Demokratie irrelevant.“
Zwar betonen Hallam und seine Leute
das Prinzip der Gewaltlosigkeit, gleich-
zeitig stellt der Übervater der Bewegung
genau das infrage. Im Februar gab Hal-
lam bei einer Veranstaltung von Amnesty
International in London Einblicke in sei-
ne Gedankenwelt. Pazifistisch klang er
ken und Methoden. Am King’s College
in London forschte er als Doktorand zu
zivilem Ungehorsam. Offenbar hat sich
das gelohnt, denn die Umweltkrieger sind
weltweit in mehr als 60 Ländern aktiv.
Ökokratie statt Parlamentarismus.
Mit der Bewegung sei ein neuer Gipfel
in der Klimadebatte erreicht, sagt Wolf-
gang Merkel, Demokratieforscher und
Direktor am Wissenschaftszentrum Ber-
lin für Sozialforschung: „Für mich ist das
politische Theologie, irgendwo zwischen
Endzeitstimmung und Zeugen Jehovas.“
Politologe Merkel: „Hier hat jemand
nicht verstanden, dass Demokratie ein
Mechanismus zur Lösung von Problemen
ist, hier maßt sich jemand an, zu entschei-
den, was wichtiger als Demokratie ist.
Das ist höchst problematisch.“
Gedeiht da also eine neue fundamen-
talistische Kraft? Eine grüne AfD? „Wir
haben es hier mit einer Art radikalem
Protest-Start-up zu tun“, sagt der Berli-
ner Protestforscher Dieter Rucht, 73. Die
Aktivisten organisieren sich dezentral in
Ortsgruppen und mobilisieren vor allem
über das Internet. So konnte in kurzer
Zeit eine weltweite Bewegung entste-
hen. Ein Großteil der Demonstranten hat
nach Ansicht des Soziologen keine Pro-
testerfahrung. Rucht sagt: „Anderen ist
es bei ,Fridays for Future‘ vielleicht zu
langweilig geworden.“
Die Bedeutung der Medien ist für
„Extinction Rebellion“ dabei enorm.
„Eines der wichtigsten Ziele der Aktivis-
ten ist es, die öffentliche Meinung über
die Medien zu beeinflussen“, sagt Sozio-
loge Rucht. „Die Angst wird teilweise
regelrecht inszeniert, um möglichst viel
Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Bot-
schaft: Es geht um Leben und Tod. Das
lockt Kameras und Mikrofone an.“
Im Kern aber ist das, was „Extinction
Rebellion“ protestkulturell mitbringt, ein
Frontalangriff auf die Methode Habeck.
Der Grünen-Chef ist ein Meister des
Ungefähren und deshalb so erfolgreich,
weil er mit schönen Worten ein politisches
Lebensgefühl beschreiben kann.
Jetzt drehen sich die Dinge. Erst schei-
terte Medienprofi Habeck in einem Fern-
sehinterview bei dem Versuch, eine kli-
magerechte Reform der Pendlerpauschale
zu erklären. Jetzt drängen auch noch die
Amateure auf den politisch lukrativen
Markt der Erdrettung.n
ANDREAS GROSSE HALBUER / JAN-PHILIPP
HEIN / REINHARD KECK / MARCEL WOLLSCHEID
Immer Ärger mit der Polizei
Roger Hallam, Mitgründer der Bewegung
„Extinction Rebellion“, bei einer seiner
Festnahmen in London
»
›Extinction Rebellion‹
ist für mich irgendwo
zwischen Endzeitstim-
mung und den Zeugen
Jehovas
«
Wolfgang Merkel, Politologe
nicht: „Wir werden die Regierungen zum
Handeln zwingen. Und wenn sie nicht
handeln, dann werden wir sie stürzen und
eine Demokratie erschaffen, die taugli-
cher für den Zweck ist. Und ja, manche
könnten in diesem Prozess sterben.“
Vorerst ist der Staat dem sicheren Tod
entronnen. Im September wurde Hallam
vorübergehend festgenommen, als er den
Flughafen Heathrow mit Drohnen lahm-
legen wollte. Er kam zwar schnell wieder
frei, ließ sich aber kurz darauf erneut in
Heathrow blicken. Nächste Woche soll er
vor Gericht erscheinen.
Wächst da eine grüne AfD heran?
Seiner Bewegung gab Hallam nicht nur
ein finsteres und pessimistisches Welt-
bild an die Hand, sondern auch Takti-
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