Neue Zürcher Zeitung - 25.10.2019

(vip2019) #1

Freitag, 25. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 27


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Die Schweizer wohnen wieder auf grösserem Fuss


Die beanspruchte Wohnflächehat deutlichzugenommen– auchwegen der regen Bautätigkeit


Das Überangebot an


Mietwohnungenhat zusammen


mit dergutenWirtschaftslage


zueinem höherenWohnflächen­


konsumgeführt.Dennoch dürfte


dieZahl derleerenWohnungen


weiter steigen.


ANDREA MARTEL


In der Schweiz hat sich über die letz­
ten Jahre ein beträchtliches Überange­
bot an Mietwohnungen aufgebaut.Fast
63 000 dieser Wohnungen stehen laut
dem Bundesamt für Statistik (BfS) der­
zeit landesweit leer, neben gut 12 000
unbewohnten Eigentumswohnungen
undEinfamilienhäusern.DasTempodes
Anstiegshatsichimmerhinjüngstetwas
verlangsamt.Sokamenindenvergange­
nenzwölfMonaten«nur»rund 3000zu­
sätzlicheleere Mietwohnungendazu.In
dendreivorangegangenenJahrenwaren
es jeweils rund 7000gewesen.Das lässt
dieHoffnungzu,dasssichAngebotund
Nachfrage langsam wieder annähern
und in derFolge das Überangebot all­
mählich abnimmt.
Warum genau der Leerstand im ver­
gangenenJahr weniger stark gestiegen
ist als vorher,ist jedoch auf den ers­
ten Blickein Rätsel.Weder hat sich die
Wohnbautätigkeit deutlich verringert,
noch wächst die Bevölkerung wieder
rascher. Die Baugesuche im Mehrfami­
lienhausbereich deuten auf eine prak­
tischgleichweiterlaufendeNeubautätig­
keit hin, und die Zunahme der ständi­
genWohnbevölkerung der Schweiz war
2018miteinemPlusvon60400Einwoh­
nernsoniedrigwieseit2006nichtmehr.


Immer mehrSingle-Haushalte


Gemäss einerAnalyse des Immobilien­
BeratungsunternehmensWüest Partner
(WP)warenandereFaktorenausschlag­
gebend.SoseieszueinemgutenTeildie
bereitsansässigeBevölkerung,dieih ren
Wohnflächenkonsum ausgeweitet habe,
wassichunteranderemanderZahlder
Single­Haushaltezeige,dieüberpropor­
tional zugenommen habe.
Dass die Anzahl der Einpersonen­
haushalte deutlich stärker zunimmt als
jene anderer Haushaltsgrössen,ist zwar
kein neues Phänomen. Die Entwick­


lung hat sich in den letztenJahren aber
akzentuiert,wieWPimneusten«Immo­
Monitoring» schreibt. Mehr als jeder
zweite neu gebildete Haushalt (51%)
ist mittlerweile ein Single­Haushalt.
Der erhöhteWohnflächenkonsum
hat unter anderem mit der bis vor kur­
zem herrschendenguten Konjunktur
zu tun. Eine hohe Arbeitsplatzsicher­
heit in Kombination mit leicht steigen­
den Realeinkommen senkt die Hemm­
schwelle, eine Wohnung anzumieten.
Aber auch das grosseWohnungsange­
bot wirkt stimulierend. In den Kanto­
nen, in denen viele zusätzliche Haus­
halte gebildet wurden, erklären die
höheren Leerstände laut WP denstei­
genden Anteil der Einpersonenhaus­
halte immerhin zu 23%.
Auch Zweitwohnsitze, sei es in den
Bergen oder in der Stadt, etwa in der
Nähe des Arbeitsplatzes, hatten in
jüngsterZeitHochkonjunktur.Diedies­

jährige Leerstandszählung zeigt, dass
die Zahl der leeren Mietwohnungen in
vielen touristischenRegionen zurück­
gegangen ist.Verantwortlich dafür ist
lautWPnichtzuletzteinesteigendeAn­
zahl vonDauermietern, die eineWoh­
nungalsZweitdomizilnutzen.Mehrals
10% allerMietwohnungenind en tou­
ristischen Gemeinden werden zur Nut­
zung alsFeriendomizil ausgeschrieben.
Zwar werden diese Objekte teilweise
nur während derWintermonate gemie­
tet. Doch wie WP schreibt, zählen sie
nichtalsleer,wennsieimSommernicht
ausgeschrieben sind.

Vermehrt Ersatzneubauten


AuchaufderAngebotsseitegibtesspe­
zielle Gründe, weshalb trotz anhaltend
starkerNeubautätigkeitdieLeerstands­
quotenichtmehrsos tarksteigt.Soent­
stehen Wohnungen immer seltener auf

der grünenWiese (derzeit noc h rund
40%), dafür zunehmend aufBauland,
au f dem bereits davorWohngebäude
standen,wasausraumplanerischerSicht
sin nvoll ist.
Die allermeistenWohnersatzneu­
bauten verfügen zwar über mehrWoh­
nungen als ihreVorgängergebäude.
Aber wenn die alten Objekte abge­
brochen werden, geht natürlich immer
auch – oftmals günstiger –Wohnraum
verlo ren. Der Nettozuwachs an neuen
Wohnungen ist somit tiefer, als allein
aufgrund der Anzahl neu erstellter
Wohnungenzuerwartenwäre.LautWP
zeigen neuste Schätzungen, dass rund
36% aller Neubauten imWohnbereich
Ersatzneubauten sind.
Vor diesem Hintergrund ist laut WP
damit zurechnen, dass die Leerstände
imkommendenJahrweitersteigenwer­
den. DieBaugesuche lassen nach wie
vornichtaufeinenRückgangderWohn­

bautätigkeitschliessen, und auch wenn
viele Neubauprojekte weiterhin Ersatz­
neubauten betreffen, dürfte der Netto­
zuwachs anWohnungen immer noch
höherausfallenalsdiezusätzlicheNach­
frage. Dies vor allem deshalb, weil sich
diezusätzlicheNachfragederbestehen­
den Bevölkerung angesichts der etwas
eingetrübtenkonjunkturellenAussich­
teneher wiederabschwächendürfteund
bei der Zuwanderung kurzfristig auch
kein neuer Schub zu erwarten ist.
Dieses Überangebot wird weiterhin
auf die Preise drücken.WP geht davon
aus, dass die Marktmieten 2020 weiter
sinkenwerden,undzwarumrund0,9%.
Über die vergangenen vierJahre – von
Mitte 2 015 bis Mitte 20 19 – haben die
Mieten bei den inseriertenWohnungen
im Durchschnit tbereits um 5,8% abge­
nommen, wobei dieRückgänge in den
KantonenWaadt, Schwyz,Wallis,Genf
und Obwalden mit mehr als 10% am
stärksten waren.

Referenzzinsdürftesinken


AbernichtnurdieMarktmietendürften
sinken.Erstmals seit Mitte 2017 könnte
es im kommendenJahr sein, dass auch
Mieter in bestehenden Mietverhältnis­
sen in den Genuss tieferer Mietpreise
kommen bzw. eine Senkung verlangen
dürfen. Laut WP ist davon auszugehen,
dass der dafür massgeblicheReferenz­
zinssatz, der vom Bundesamt fürWoh­
nungswesen vierteljährlich erhoben
wird,2020 von 1,5% auf 1,25% sinkt.
Damit es zu einer weiteren Senkung
kommt,muss derDurchschnittszinssatz
derausstehendenHypothekennochum
0,04Prozentpunkte(4Basispunkte)sin­
ken,vonderzeit1,41%aufunter1,38%.
Ein Rückgang desReferenzzinses um
einenViertelprozentpunkt hätte einen
Senkungsanspruch bei den Mieten von
2,91% zurFolge.

Aufgrunddes Baubooms der vergangenenJahre gibt es in der Schweiz vielPlatz zumWohnen. DOMINIC STEINMANN / NZZ

Die Mühen der Schweizer Politiker


mit der Marktwirtschaft


Gemäss den Smartvote-Fragebogen sinddie grünen Nationalräte amskeptischsten –dochauchin der SVP gibt esZweifler


HANSUELI SCHÖCHLI


Wahlen können für die Bürger noch
schwieriger sein als Abstimmungen. Es
gehtnichtumUrteileübereineeinzelne
Vorlage, sondernüber Kandidaten und
Parteien,die man in derRegel nicht ge­
nauerkennt.UndwiesolleineBürgerin
wissen,mit welcherPartei und welchen
KandidatinnensieüberdieVielzahlvon
Politikbe reichen, in denen in denkom­
menden vierJahren Entscheide anste­
hen,insgesamtdiegrössteÜbereinstim­
mung hat? Entscheidungshilfe liefert
dieOnline­PlattformSmartvote,dievon
einem nicht gewinnorientiertenVerein
betrieben und vor allem durchKosten­
beiträge vonParteien, Kandidaten und
Medienpartnern sowie von Spendern
finanziert wird.


Der Blick auf den Kompass


Die Basis der Plattform ist der von den
meistenKandidatenausgefüllteKatalog
mit75 Fragen. DarausentstehenProfile,
und Wähler können mit der Beantwor­
tung einesFragenkatalogs ermitteln,
mit welchen Kandidaten sie die grösste
Übereinstimmung haben. Bei den dies­
jährigenParlamentswahlen hat Smart­


vote lau teigenenAngaben 2,1 Mio.sol­
cherAbgleiche(Wahlempfehlungen)er­
stellt. Bei den Parlamentswahlen 20 15
hatten rund 20% derWähler Smartvote
als Entscheidungshilfe benutzt.
Der Fragenkatalog für die Kandida­
ten umfasst vielekonkrete Themen in
den verschiedenstenPolitikbereichen,
enthält aber auch einige grundsätzliche
Fragen, die Einblick in dieWerthaltun­
gen derPolitiker gebensollen. Das gibt
demWählereineVorstellungvomKom­
pass der Kandidaten,den diese bei den
vielen künftigen und zumTeil noc hgar
nicht absehbarenThemen konsultieren
würden.Aus wirtschaftlicher Sicht ist
in der Kategorie«Werthaltungen» eine
Smartvote­Frage von besonderem Inte­
resse:«WiebeurteilenSiedieseAussage:
‹VoneinerfreienMarktwirtschaftprofi­
tie ren langfristig alle.›»
DieFrageistunscharf;welchenGrad
derFreiheitmansichbeimBegriff«freie
Marktwirtschaft»vorstellt, ist jedem
Einzelnen überlassen.Klar ist, dass es
eine 100% freie Marktwirtschaft nicht
gibt, und in der Schweiz zum Beispiel
dieAbschaffung derAHV,derArbeits­
losenversicherung, der Sozialhilfe, der
Einkommenssteuern oder des Kartell­
gesetzeskein Thema ist. Klar ist aber

auch, dass die Mittel zurFinanzierung
desSozialstaatsnichteinfachvomHim­
mel fallen, sondern zuerst erwirtschaf­
tetwerdenmüssen.TrotzallenUnschär­
fenzieltdieFrageauf denKompassder
Kandidaten nach dem Motto«Wie hal­
ten Sie es mit der Marktwirtschaft?».
Die Skala der möglichen Antworten
erlaubte genügend Schattierungen; sie
reichtevonminus3(zuübersetzenetwa
mit «überhaupt nicht einverstanden»)
bisplus3(volleinverstanden).Aucheine
mittler ePosition (rechnerisch hier:null)
liesssichausdrücken.GemässeinerAus­
wertungderAntwortendurchSmartvote
istdieSkepsisgegenüberderMarktwirt­
schaf t im neuen Nationalrat verbreitet.
Fast40%der Gewähltengaben eine ne­
gative Antwort, und der Gesamtdurch­
schnitt war mi t 0,5 nur leicht im Plus.

SP von Grünen linksüber holt


In der Betrachtung nachParteien zei­
gen sich zumTeil die erwartetenUnter­
schiede.DassdieLinkengegenüberder
Marktwirtschaft viel skeptischer sind
als die Bürgerlichen, gehört per Defi­
nition zumKern der Differenzen zwi­
schen «links» und «bürgerlich». Für ge­
wisseWähler überraschend mag die Er­

kenntnis sein, dass gemäss dieserAus­
wertung die Grünen im Mittel sogar
noch ein Stück «linker» sind als die SP.
AlleGrünengabennegativeAntworten,
und derrechnerischeDurchschnitt der
Partei zeigt mit minus2,5 eine äusserst
starke Skepsis gegenüber einer freien
Marktwirtschaft.Auch die SP (minus
2,2) hat mit demKonzept grosse Mühe.
Anders sieht das Bild erst aus,wenn es
umdas VerteilenderFrüchtegeht;dann
sinddieLinksparteiensozusagendefini­
tionsgemässan vordersterFront.
Auch im bürgerlichenLager sind
längst nicht alle Nationalräte Markt­
wirtschafts­Enthusiasten.Gut ein Fünf­
tel der SVP­Nationalräte zeigtesich
nur sehr beschränkt überzeugt oder gar
skeptisch. In der CVP (+1,3) mag man
die Sache als notwendiges Übel be­
trachten.Ampositivsten äusserten sich
dieFDP­Vertreter(+2,7),vordenGrün­
liberalen (+2,1).
Die Sache ist angesichts der Un­
schärfen in derFragestellung mit einem
Augenzwinkern zu betrachten. Doch
beim nächstenRegulierungsschub aus
BundesbernmagdieErinnerunganden
hier o ffengelegtenKompass derPoliti­
ker als Erklärungshilfe dienen.
«Reflexe», Seite 38

Mieten sinken,Preise für
Einfamilienhäuser steigen
Preisentwicklung auf dem SchweizerWohnungsmarkt
20191 20202
Angebotsmieten –0,6% –0,9%
Eigentumswohnungen –1,5% 0,2%
Einfamilienhäuser 0,2% 1,2%
1 Pre isentwicklung im ersten Halbjahr 2019;2 Prognose
QUELLEN: WÜESTPARTNER / NZZ, AM

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