Freitag, 25. Oktober 2019 INTERNATIONAL 3
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Alliierter auf Abwegen
Das Verhältnis zwischender Türkei und den anderen Nato-Staatenist seit Jahrenbelastet
Ein einfacherVerbündeter war
die Türkei noch nie. SeitJahren
aber wächst in der Nato die
Ungeduld gegenüber demLand,
das sich von den übrigen Bündnis
partnern immer weiter entfernt.
EinenAustrittkönnte Ankara
aber nur selbst beschliessen.
DANIELSTEINVORTH, BRÜSSEL
Noch wehen die Flaggen aller 29 Mit
glie dstaaten vor dem imposanten Nato
Hauptquartierim Brüsseler Stadtteil
Evere.Auchjene mit Halbmond und
Stern ist zu sehen – und daran dürfte
sich vorerst auch nichts ändern. Ob
wohl es imVerhältnis zwischen derTür
kei und den übrigen Mitgliedern des
westlichen Militärbündnisses seitJah
ren kriselt, beschwören Diplomaten
undFunktionäreroutiniert den strate
gischenWert, den das Brückenland zwi
schen Europa, Asien und dem Nahen
Osten seit seinem Eintritt1952 für die
Nato besitze. Das einzige muslimische
Mitgliedsland, so ist immer wieder zu
hören, sei wegen seiner kulturellen Be
deutung, seiner geografischenLage und
seiner militärischen Kapazitäten für die
Allianz unersetzlich.
Abwendung vomWesten
Dies ändert freilich nichts daran, dass
seit Jahren ebenso routiniert west
lichePolitiker denRauswurf derTür
kei aus der Nato fordern. Diekontinu
ierliche politische Abwendung Ankaras
vomWesten unter Präsident Erdogan
und dieTransformation desLandes in
einen immer autoritäreren Staat haben
zu einer gegenseitigen Entfremdung ge
führt. So witterte der türkische Staats
chef bereits hinter den GeziProtesten
2013 eine westlicheVerschwörung.Im
selbenJahr erlebte er, wie sein Muslim
bruderfreund Mursi in Ägypten gestürzt
wurde und die USA dies nicht verhin
derten. Der gescheiterte Putschversuch
im Sommer 2016 überzeugte Erdogan
erstrecht davon, dass vomWesten nichts
Gutes zu erwarten sei–schliesslich wei
gerte sichWashington beharrlich, den
angeblichen Drahtzieher des Putsches,
denexilierten PredigerFethullah Gülen,
auszuliefern.
Erdogan verärgerte, dass auch nach
Europa geflohene Soldaten und Diplo
maten seiner Gewalt entkamen, und so
nahm er sich dasRecht zur Inhaftie
rung westlicher Staatsbürger heraus.
Der Streit schaukelte sich hoch: Deut
schen Abgeordneten wurde verwehrt,
Bundeswehrsoldaten auf der Luftwaf
fenbasis Incirlik zu besuchen, türki
schePolitiker erhieltenAuftrittsverbote
in Europa, der Präsidenterhob Nazi
Vorwürfegegen Deutschland und die
Niederlande. Am meistenaber missfiel
Erdogan – und nicht nur ihm –, dass
man imWesten die türkischen Ängste
vo r einer kurdischen Eigenstaatlich
keit nicht verstand. Nicht überraschend
schaute man sich in Ankara ab 20 15
verstärkt nach neuen aussenpolitischen
Partnern um, zu einem Zeitpunkt also,
als die USA in Nordsyrien damit be
gannen, dieKurdenmiliz YPG zu be
waffnen.Dass Amerika ausgerechnet
den syrischen Ableger der in derTür
kei verhassten PKK unterstützte, sorgte
für tiefen Groll.
So passierte, was zu Zeiten des Kal
ten Krieges, als Ankara nochein treuer
PartnerWashingtons war, unvorstell
bar gewesen wäre: Die türkischeRegie
rung kündigte an,sich ausgerechnet vom
NatoGegnerRussland aufrüsten zu las
sen.Die Bestellung desRaketenabwehr
systemsS400war indes auch eineFolge
militärischenVersagens: Nachdem 20 15
ein russischer Kampfjet von derTürkei
im syrischen Grenzgebiet abgeschossen
worden war, galt es den russischen Prä
sidenten Putin nicht zuletzt mit einem
Waffengeschäft zu besänftigen. Die ers
tenTeile desWaffensystems wurden
mittlerweile in dieTürkei geliefert, und
so blieb den USA nichts anderes übrig,
als ihrem altenVerbündeten amerika
nisches Kriegsgerät zu verwehren.Vom
Kauf amerikanischer F35Kampfjets
und vom dazugehörigen Schulungs
programm werde Ankara ausgeschlos
sen, hiess es imJuli ausWashington. Zu
gross sei das Risiko, dassüberden Daten
austausch zwischen Flugzeug und Flie
gerabwehr geheime Informationen in
die Hände des Kremls gelangen würden.
Ausschluss nicht möglich
Dass mit ErdogansTürkei zum ersten
Malein NatoMitgliedsstaat im Begriff
ist,moderne russischeWaffen in Dienst
zu stellen, ist eine Premiere für die
Allianz.Fast noch heftiger aberreagier
tenwestliche Diplomaten, als türki
scheTruppen am 9. Oktober in Nord
syrien einmarschierten und damit das
Sicherheitsdispositiv der Nato vollends
auf denKopf stellten. Denn tatsäch
licherwies sich die Besorgnis über ein
Wiedererstarken derTerrorgruppe IS
undeinen MachtgewinnPutins und des
AsadRegimesrasch als begründet. Ein
mal mehr zweifelnPolitiker seither laut
den Sinn eines türkischenVerbleibens
im transatlantischen Militärbündnis an.
Wie einRauswurf möglich sein sollte,
verraten sie nicht. Er ist in den Nato
Statuten nicht vorgesehen; dieTürkei
müsste sich von sich aus für einenAus
tritt entscheiden.Warum sich Erdogan,
der damit einen wichtigen aussenpoliti
schenHebel,Macht und Mitsprachever
lieren würde, darauf einlassen sollte, ist
Ein F-16-Kampfjetnachdem Start auf der US-Luftwaffenbasis Incirlik. T. TINAZAY / EPA nicht ersichtlich.
Pence listet Chinas
Sündenregister auf
US-Vizepräsident bereitet Boden für Einigungmit Peking
mla. SanFrancisco·Im Handelskonflikt
mit China spielt deramerikanischeVize
präsident MikePence häufig dieRolle
des «Bad Cop», derPeking öffentlich
kritisiert. Umgekehrt mimt Präsident
DonaldTrump den «Dealmaker». In
einer lange erwartetenRede vor der
DenkfabrikWilson Center inWashing
ton hatPence am Donnerstag erneut
zumRundumschlag gegen China ausge
holt: In der knapp einstündigenRede lis
tete er vor allem Chinas Sündenregister
auf, von den Aggressionen im Südchine
sischen Meer über die Cyberangriffe
gegen die USA bis hin zu seinerRolle
als Überwachungsstaat, der «alles über
trifft, was dieWelt bisher gesehen hat».
Auch die Unterdrückung von Christen
und Uiguren kritisiertePence, der selbst
streng katholisch ist.
Wie schon bei früherenAuftritten
sympathisiertePence mit den Demons
tranten in Hongkong. DeutlicheWorte
fand derVizepräsidentdabei für ameri
kanischeFirmen wie Nike, die «in China
ihr Gewissen an derTür abgeben», und
die BasketballProfiliga NBA, die «sich
zu einer Zweigstelle des chinesischen
Regimes» entwickelt habe. Er bezog
sich damit auf eineKontroverse, die ein
NBAManager mit einem Hongkong
freundlichenTweet ausgelöst hat.
DieRede vonPence ist im Licht des
Handelskonflikts zu sehen, der seit fünf
zehn Monaten zwischenWashington und
Peking schwelt.Wiederholt hat derVize
präsident gegenüberPeking öffentlich
Druck aufgebaut, zuletzt mit einer ähn
lichenRede vor genau einemJahr.Ver
handlungen zwischen den beidenLän
dern standen angeblich mehrmals kurz
vor einer Einigung, platzten aber in letz
ter Minute. Eigentlich hättePence seine
Rede schon imJuni halten sollen, doch
sie wurde abgesagt aus Angst,Peking
vor der nächstenVerhandlungsrunde zu
verärgern.In den vergangenenWochen
ist der Handelskrieg eskaliert, neben
Importzöllen haben die USA Sanktio
nen gegen 28 chinesischeFirmen und
VisaRestriktionen gegenRegierungs
beamte verhängt.
Nun scheint ein Abkommen erneut
greifbar: PräsidentTrump hatte vor zwei
Wochen die erste Phase eines «substan
ziellen Deals» mitPeking angekündigt.
In den BereichenLandwirtschaft,Wäh
rungen und Schutz geistigen Eigentums
soll man sich angenähert haben. Beson
ders der amerikanische Agrarsektor lei
det unter dem Handelskonflikt, gleich
zeitig sind vieleLandwirte treue Anhän
ger Trumps.EndeWoche sollen dieVer
handlungen fortgeführt werden.
Gleichzeitig versuchtePence auch
mit seiner jüngsten Kritik, demKon
gress denWind aus den Segeln zu neh
men: Dort signalisieren Abgeordnete
wie MarcoRubio Skepsisgegenüber
dem erreichten Abkommen mitPeking.
Sie fordern eine harte Haltung gegen
über Chinas Menschenrechtsverletzun
gen und ein Gesetz, das den Sonder
status Hongkongs schützen solle.
Pence endeteseineRede mit versöhn
lichenTönen.«Wir strebenkeine Kon
frontation mit China an, wir wollen auch
nicht Chinas Entwicklung aufhalten»,
sagte er. Er verwies auf denWirtschafts
gipfel in Chile nächsten Monat und be
tonte, dass dasAbkommen dann hoffent
lich unterzeichnet würde. «Die USA stre
cken China die Hand aus.Wir hoffen,dass
Peking diesmal das Gleiche tun wird.»
Gebeine Francos umgebettet
Der frühere spanische Diktator ist neben seiner Gattin in ElPardo beigese tzt worden
UTE MÜLLER, MADRID
Am Donnerstag wurde ein neues Ka
pitel in der Geschichte Spaniens auf
geschlagen, was Millionen von Bürgern
live imFernsehen verfolgten. Unter
strengen Sicherheitsvorkehrungen und
unterAusschluss der Öffentlichkeit wur
dendie sterblichen Überreste des Dikta
torsFranciscoFranco nach 44Jahren aus
seiner monumentalen Grabstätte«Valle
de los Caídos» geholt und in dasFami
liengrab derFamilie in ElPardo vor den
Toren Madrids übergeführt. Die Exhu
mierung dauerte rund zwei Stunden, nur
mit schwerem Gerätkonnte die 1,5Ton
nen schwere Grabplatte gehoben wer
den. Anschliessend trugen mehrere von
Francos Enkeln und Urenkeln den Sarg
aus demMausoleum. Es wurde streng
darauf geachtet, dasskeine Fotos des
Leichnams gemacht wurden, der seiner
zeit einbalsamiert worden war.
Transport per Helikopter
VomTal der Gefallenen erfolgte derWei
tertransport des Leichnams per Heliko
pter zum schlichten, etwa 50 Kilometer
entfernten Dorffriedhof in ElPardo.Aus
Respekt gegenüber den Nachfahren der
vielen Opfer des Diktators hatte die spa
nischeRegierung darauf geachtet, dass
die Exhumierung vonkeinerlei militäri
schem Zeremoniell begleitet wurde. Zu
sammen mitFranco sind in derBasilika
die Reste von 33 800Opfern des Bürger
kriegs(1936–1939) beider Seiten bestat
tet. Republikanische Gefangene mussten
seinerzeit dieBasilika und das155 Meter
hohe Betonkreuz unter unmenschlichen
Bedingungen errichten.
Mit Dutzenden von Klagen hatte sich
die FrancoFamilie bis zuletzt mit aller
Macht gegen die Exhumierung gewehrt
und sogar gefordert, dassFranco in der
Madrider AlmudenaKathedrale bestat
tet werde. Doch die sozialistischeRegie
rungvonPedroSánchez wolltevermei
den, dass die Kirche im Herzen der spa
nischen Hauptstadt zu einer neuenWall
fahrtsstätte fürFranquisten mutiert. Nun
liegtFrancoinder Familiengruft neben
seinerFrau CarmenPolo, die 1988 ver
starb. Der Dorffriedhof von ElPardo
liegt hinter dem gleichnamigen Ort an
einer Stichstrasse und ist für die Sicher
heitskräfte leicht zukontrollieren. Zum
Empfang des Diktators an seiner letz
tenRuhestätte waren denn auch nur
rund 500 Ewiggestrige erschienen, unter
ihnenauch der frühere Oberstleutnant
AntonioTejero, mittlerweile 87 Jahre alt.
Tejero hatte am 23.Februar1981 einen
Staatsstreich gegen die junge Demokra
tie angezettelt.
Francos Anhänger wollten es sich
am Donnerstag nicht nehmen lassen,
die faschistische «Caradel Sol»Hymne
zu singen, und zögerten auch nicht, ei
nige derJournalisten vor Ort tätlich an
zugreifen. Doch nicht nur dieFalangis
ten, auch dieVertreter der Opposition
griffen dieRegierung wegen der Um
bettung an. Sie monierten vor allem
den Zeitpunkt und warfen dem amtie
renden MinisterpräsidentenPedro Sán
chez wahltaktisches Kalkül vor, denn
Spanien wählt in zweiWochen ein neues
Parlament. DieRegierung solle sich lie
ber um die Probleme des heutigen Spa
nien kümmern, sagte derkonservative
OppositionsführerPablo Casado. Sán
chez hingegen unterstrich, dass die Um
be ttung ein grosser Sieg für die spani
sche Demokratie sei.Bei seinem Amts
antritt imJuni 2018 hatte er verspro
chen,Franco baldmöglichst exhumieren
zu lassen. InKürze soll auch Antonio
Primo de Rivera, Gründer der faschisti
schenFalangePartei, seinen privilegier
ten Platz im Mausoleumräumen und
umgebettet werden.
Nur einerster Schritt
Für die Nachfahren derFrancoOpfer
war die Exhumierung des Diktators nur
ein erster Schritt. Sie fordern, dass die
Gebeine ihrer Nachfahren, die noch im
Tal der Gefallenen liegen, identifiziert
und denFamilien zurückgegeben wür
den.Laut Expertenkönnte dies acht bis
zehnJahre dauern.
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