Neue Zürcher Zeitung - 25.10.2019

(vip2019) #1

Freitag, 25. Oktober 2019 FEUILLETON 43


«Der Bursche ist eine Katastrophe»


Im amerikanischen Exil wurde Thomas Mann zum po litischen Schriftsteller – zunächst gefeiert, dann verfemt


THOMAS RIBI


«MerkwürdigerTag»,notierteThomas
Mann am 23.Juni 1944 in seinTagebuch.
Kurz nach sieben war er aufgestanden
und gleich nach demFrühstück nach Los
Angeles gefahren, ins NewFederal Buil-
ding. Zusammen mit seinerFrau Katia
natürlich, aber das erwähnt er nicht ein-
mal. Dort nahm das Prozedere seinen
Gang, auf das er lange gewartet hatte.
«Nach einigen Umständlichkeiten» frei-
lich, wie Mann bemerkt, und man glaubt
aus den Notizen die leichte Nervosität
zu spüren, die den bald Siebzigjährigen
dabei erfasste. Das Wesentliche schildert
er nur in Stichworten: «Eintritt in den
vollbesetzten Saal. Anweisungen durch
Beamte erteilt, Ansprache desJudge.
Eidesleistung. Unterzeichnung der Ein-
bürgerungspapiere.»
«So denn also amerikanische Bür-
ger», resümiert er auf derTagebuchseite,
einem der zentralen Exponate derAus-
stellung«Thomas Mann in Amerika», die
zurzeitim Museum Strauhof in Zürich
zu sehen ist. Das Ereignis bewegte nicht
nur ihn.Unmittelbar nach der Einbür-
gerung wurde Mann um Interviews ge-
beten, die Presse veröffentlichte Bilder
des Schriftstellers, der zum Mittelpunkt
der deutschsprachigen Exilanten und
Sprachrohr des geistigenWiderstands
gegen das Hitlerregime gewordenwar.
Seine Stimme war denAmerikanern
vertraut, und sie hatte Gewicht. Schon
vor seiner Übersiedlung,im Frühling
1938, hatteThomas Mann eineVortrags-
tournee durch dasLand gemacht. «Vom
zukünftigen Sieg der Demokratie» hatte
er gesprochen und den nationalsozialis-
tischen Unrechtsstaat in scharfenWor-
ten kritisiert.Rund 40000 Menschen
dürften dieseRede gehört haben.
Thomas Mann, der Nobelpreisträger,
Autor der «Buddenbrooks»,des «Zau-
berbergs» und des bereits zur stattlichen
Trilogie herangewachsenen «Joseph»-
Romans, war zum politischen Schrifts tel-
ler geworden. EineRolle, die er nicht ge-
sucht hatte und die ihm auch nicht ganz
behagte, trotz den öffentlichen Ehren,
die damit verbunden waren. «InsPoli-
tische bin ich einzig und allein durch
die Umstände getrieben worden, sehr
gegen meine Natur und meinenWillen»,
schrieb er vor der grossen Amerikareise.
Und das war sicher nicht falsch. Noch
während der Arbeit am Essay über den
Sieg der Demokratieheisst es in einem
Brief anRené Schickele: «Finden Sie
nicht, dass diese ästhetischen Probleme
im Grundeviel interessanter sind und
uns natürlicher als allePolitik?»


Eine Rolle, die manspielt


Aber nun verlange man von ihm halt
politische Philosophie, fuhr er fort. Dem
könne und wolle er sich nicht verschlies-
sen. Natürlich schwingt in dieser Bemer-
kung dieKokett erie eines Menschen
mit, für dessen Selbstwertgefühl es es-
senziell ist, umworben zu werden, und
der es geniesst,Aufgaben, die man an
ihn stellt, virtuos zu meistern. Er glaube,
sagt er mit affektierter Bescheidenheit,
er mache seine Sache «ziemlich richtig».
Freilich, eskomme «eine Art von politi-
scher Sonntagspredigt zustande» – und
es wäre ihm wohler, wenn er diese auf
eineRomanfigur übertragenkönnte,
statt sie in eigenerPerson zu halten.
Nicht deshalb, weil ersich hätte
verstellen müssen, um den National-
sozialismus bedingungslos zu verurtei-
len.Thomas Manns Urteil über Hitler
stand fest: «Der Bursche ist eine Kata-
strophe», heisst es im1938 erschiene-
nen Essay «Bruder Hitler» – ein Satz,
den seinVerleger BermannFischer lie-
ber getilgt hätte, um sich Schwierigkei-
ten zu ersparen. Und schon1936 hatte
Mann in einer öffentlichen Stellung-
nahme auf die Schande derKonzentra-
tionslager aufmerksam gemacht. Nur,
der demokratische Idealismus, der die
politischen Schriften durchzieht – er war
seinemAutor irgendwie suspekt.
«Glaube ich denn daran?», fragte
sichThomas Mann in einem Brief an
René Schickele selber, um darauf eine
Antwort zu geben, die das Problem ge-


danklich vertieft, aber nicht löst:«Weit-
gehend!», schreibt er: «Aber doch wohl
nicht so, dass ich sie ganz im eigenen
Namen halten dürfte. Unter uns gesagt:
Es ist eineRolle – mit der ich mich so
weit identifiziere, wie ein guter Schau-
spieler sich mit der seinen identifiziert.»
SeinTalent zurPolemik – das er mehr
als zwanzigJahre zuvor in den «Betrach-
tungen eines Unpolitischen» auf ganz
gegenteiligeWeise ausgelebt hatte –
kam ihm dabei zustatten. Die politischen
Reden und Essays der amerikanischen
Jahre sind durchzogen von einemTon,
in dessen Schärfe sich vielleicht auch
eine gewisse Genugtuung darüber zeigt,
für einmal einen Gegenstand zu haben,
bei dem sich jede Ambivalenzverbietet.
Hitler und derFaschismus, das war das
Böse, das bekämpft werden musste. Und
da durfte, ja musste selbst ein ironischer
Skeptiker klareWorte brauchen.
Ab Oktober1940 wandte sichTho-
mas Mann in monatlichen Radio-
ansprachen im deutschsprachigen Pro-
grammvon BBC an seineLandsleute
in Deutschland – die die Sendungen
auf demVolksempfänger hörenkonn-
ten und das auch taten, obwohl darauf
härteste Strafen standen. In jeweils rund
fünfminütigen Statementsresümierte er
das Kriegsgeschehen undkommentierte
die politische Grosswetterlage. Und er
tat es gern: «Heute habe ich wieder ein-

malnach Deutschland g ebroadcastet»,
schrieb er im Dezember1941 an seinen
Bruder Heinrich, «und bin ungewöhn-
lich ausfallend gegen Schicklgruber
[=Hitler] geworden. Es tut doch wohl.»

Zurücknach Europa


Natürlich,Thomas Mann führte seinen
publizistischen Kampf gegen Deutsch-
land aus sicherer Entfernung und in
komfortablerPosition.In Princeton und
ab 1941 inPacificPalisades in Kalifor-
nien bewohnte er stattlicheVillen, in-
szenierte sich grossbürgerlich in elegan-
tem Ambiente und mit edlen Zigarren,
hatte ein gutes Einkommen und einen
Alltag, der vonReferaten, Lunchs, Din-
ners, Partys und Empfängen bestimmt
war – imJanuar1941 wurde er sogar von
PräsidentRoosevelt eingeladen. Schon
1934 hatte ihn die «NewYork Herald
Tribune» als«The Most Eminent Living
Man of Letters» bezeichnet.
Thomas Mann war von der amerika-
nischenÖffentlichkeit freundlich auf-
genommen worden und wurde gefei-
ert. Und er nutzte seinePosition, um
Schriftstellern undKünstlern zu helfen,
die durch die Fluchtin materielle Be-
drängnis gekommen waren. Sammelte
Geld, leisteteVermittlungsdienste für
Verfolgte,die in AmerikaAufnahme
finden wollten. Und er schrieb – was bei

dem gedrängten Programm nicht selbst-
verständlich ist. In Princeton schloss er
die Arbeit an «Lotte inWeimar» ab.
Der letzteTeil der «Joseph»-Tetra-
logie, «DoktorFaustus» und «Der Er-
wählte» entstanden ganz im amerikani-
schen Exil.
Die Einbürgerung1944 bestätigte
Thomas Mann, dass er wieder so etwas
wie eine Heimat gefunden hatte.Schon
Jahre zuvor hatte er in Interviews ge-
sagt: «I am an American», und das ent-
sprach wohl tatsächlich seinem Befin-
den. Um so verbitterterreagierte er,
als er nach dem Krieg ins Kreuzfeuer
des McCarthy-Komitees geriet. Sein
Kampf gegen denFaschismus hatte ihn
dem FBI verdächtig gemacht. Er galt
als Kommunist. Seit1937 war er über-
wacht worden, wie sich später heraus-
stellte.Aber die Schikanen nahmen zu,
und Mannregistrierte enttäuscht, wie
sich Amerika von seinen liberalen Idea-
len entfernte. 1952 beschloss dieFami-
lie Mann, wieder nach Europa zu zie-
hen. Nicht nach Deutschland, das kam
für Thomas Mann nach wie vor nichtin-
frage.Aber in die Schweiz, wo er drei
Jahre später starb.

Die Ausst ellung «Thomas Mann in Amerika»
im Museum Strauhof in Zü rich ist bis zum
19.Januar 2020 zu sehen. Der Rea der mit
Texten zur Ausstellungkostet Fr. 12.–.

Thomas Mann in seinem Haus im kalifornischenPacific Palisades,Oktober 1941. THOMAS-MANN-ARCHIV DER ETH ZÜRICH

«So denn also amerikanische Bürger»,notiert Thomas Mann am 23.Juni 1944 in seinTagebuch.THOMAS-MANN-ARCHIV DER ETH ZÜRICH / FISCHER-VERLAG

Bratwurst fürs


Schlafzimmer


Die Kunst Zürich in Oerlikon
hat für jeden etwas

MARIA BECKER

Das Schönste anKunstmessen ist das
Mäandern zwischen denKojen. Einfach
sich treiben lassen und das, was gebo-
ten wird, nur peripher in den Blick neh-
men.Das ist ein Flanieren wie auf dem
Flohmarkt.Man gehtsounter dem vie-
len Gleichartigen hin und her und trifft
dann plötzlich auf etwas, das einen an-
springt. Eine Erkenntnis imVorbei-
gehen, mit halbemAuge wahrgenom-
men und fast immer überzeugend.Viel-
leicht wäre das der richtigeTest, um gute
Kunst zu erkennen? Denn dieKunst hat
ein e eigene Art zu sprechen. Sie kann
laut sein oder verhalten. Sie kann auf-
rütteln, abstossen oder flüstern. Und wie
im Leben wirkt das Leise meist stärker.
Kunstmessen sind die Massengale-
rien unserer Zeit. Sie werden gebraucht,
um präsent zu sein, um Aufmerksamkeit
für Anbieter und ihre Künstler zu schaf-
fen. Bis zu zwölf Messen imJahr sind
für manche Galerie heute eine Selbst-
verständlichkeit.In einer Zeit, die den
Sammler im alten Sinn kaum noch
kennt, sind diese Marktstände umso
wichtiger. Hier kann es sogar noch
Überraschungen, das heisst spontane
Käufe, geben.Das gilt für eine Messe
wie dieKunst Zürich noch mehr als für
die Art Basel. Sie bietet zwar nicht so
grosse Namen, aber doch alles, was die
Szene hat: Malerei, Skulptur, Fo tografie,
Multimedia-Installation.

Eine neue Hässlichkeit


In deralten ABB-Halle in Oerlikon
wirkt derParcours locker und immer
auch ein bisschen schnell improvi-
siert. DieKunst in denWandboxen hat
nicht viel Platz, um sich zu entfalten,
aber vielleichtkommtes nicht so dar-
auf an, wie sie präsentiert ist. Ihre Spra-
che kann sie ja trotzdem hörbar ma-
chen. Zum Beispiel die Bratwurst von
Peter Baracchi (D1 Statement Schwei-
zerKunst). Sie hat sogar einengan-
zenRaum für sich allein, nämlich ein
Schlafzimmer inreinemWeiss. Die etwa
lampengrosseWurst flankiert das Bett
am Kopf- undFussende, ihre knusprige
Haut ist die einzigeFarbe imRaum.
Man kann das machen,sicher. Es ist
Nicht-Kunst, eine heutekeineswegs sel-
tene und durchaus legitimeForm, die
mehr sagt, als man auf den ersten Blick
glauben mag. Ihre Ugliness stimmt bes-
tens mit dem Hang zurFreakigkeit im
privaten Outing überein, wieman auf
Neudeutsch wohl sagen würde. Und sie
hat auch ihr perfektes Gegenstück in
der Messe: den Spiegelglanz der Design-
Kunst. «Don’t forget that you are going
to die», liest man in einemhochpolierten
Metallwandobjekt bei Bel-AirFine Art.
Ein Stück fürs Entrée?Jedenfalls etwas
subversiver als die meisten der Design-
Kunstwerke, die man hier in allenFarben
sieht. Dennoch:Warum muss es immer so
glänzen?

Frauenblicke


Im merhin gibt es noch die solide Hand-
werkskunst der Zeichnung. DiePorträt-
reihe derFrauen vonDaniel Eisenhut (bei
OneThousandLeaders) bannt den Blick.
Selbst dann,wenn man sie nur aus dem
Augenwinkel anschaute. Ihr Platz im zen-
tralenRaum der Messe ist berechtigt und
konterkariert das Spiegeldesign mühelos.
Die Frauen schauen zurück,ernst und an-
gestrengt, ihreFührungsposition hat sie
im Griff. Und nicht nurin derMacht der
Reihung, auch als Einzelbilder würden sie
ih re Präsenz bewahren.
Viel Kleinteiliges ist zu haben, die
Messe will ja für viele Bedürfnisse (und
viele Preisklassen) etwas bieten.Das
Sammelsurium im schmaleren Gang ist
tatsächlich voll wie imWarenhaus.Vie-
lerorts sieht man kaum noch,was zusam-
mengehört, die Arbeiten verschiedener
Künstler scheinen sich zu durchmischen.
Das ist nun dochkontraproduktiv für die
Kunst – mag sie teilweise noch so flach
sein.Auch imWarenhaus sollte man mit
etwas Genuss flanierenkönnen.

Zürich Oerlikon,b is 27.Oktober.
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