Neue Zürcher Zeitung - 25.10.2019

(vip2019) #1

48 SPORT Freitag, 25. Oktober 2019


Wales will erstmals in den Rugby-WM-Final einziehen


und kann auf einen der besten Spieler zählen SEITE 46


Im Herbst ist Saas-Fee Treffpunkt der besten Freestyler der


Welt, dank dem Parkbauer Charles Beckinsale SEITE 47


Der FC Luzern wird zur Villa Kunterbunt

Nachjahrelangem Machtkampf tr etender Mehrheitsaktionär Bernhard Alpstaeg sowie drei weitere Verwaltungsrätezurück


PETERB. BIRRER


AlsWalter Stierli, der frühere Präsident
des FC Luzern, vor 8Jahren den Ägyp-
ter Samih Sawiris insFussball-Boot
holen wollte, trug er dick auf. Stierli
kanneinblendenderVerkäufer sein und
spannte zum Beispiel das Netzwerk, das
den 20 11 fertiggestelltenBau des neuen
Stadions ermöglichte. Er legte Sawi-
risFolien auf und soll von Investitio-
nen und Gewinnmargen schwadroniert
haben. Die Legende sagt, dass sich Sawi-
ris zurücklehnte und trocken festhielt:
«Daskostet doch nur Geld, da müs-
sen wir uns nichts vormachen.Wir ma-
chen das ausFreude und wollen Spass
haben.» So wurde Sawiris, noch bevor er
Andermatt touristisch umpflügen liess,
Aktionär des FC Luzern.
Der Klub, 1989 in einer anderen
Zeit letztmals Meister geworden, fin-
det seitJahren nicht in ruhige Gewäs-
ser. Er stand vor allem um dieJahrtau-
sendwende mehrmals dem wirtschaft-
lichenKollaps nahe und ging auf Bettel-
tour. Liebhaber zeichneten Aktien und
konnten diese wenig später als wertlose
Papiere aus demFenster werfen.Auch
im neuen Stadion legte sich der Pulver-
dampf nie. DerVerwaltungsrat der Hol-
ding findet sich nicht. Das ist nicht neu.
Der Spass in der Gruppe, zu der Sawi-
ris gehört, ist fast gänzlich abhanden-
gekommen,und es herrscht zunehmend
Verwirrung.


Bizarre Situation


Sawiris, Marco Sieber und Hans Schmid
bleiben zwar Holding-Aktionäre, treten
aber alsVerwaltungsräte zurück. Das ist
bizarr. Diesich seit Monatenbedroh-
lich öffnende Kluft zwischen ihnen und
dem Hauptaktionär BernhardAlpstaeg
ist offenbar nicht mehr zu überwinden.
Sie unterbreiteten Alpstaeg ein Kauf-
oderVerkaufsangebot – zwecks Klärung
derFronten. Entweder sie – oder er. Ein
Aktionärsbindungsvertrag besagt, dass
dieVerwaltungsräte einVorkaufsrecht
haben und FCL-Aktien nicht an irgend-
wenverkauft werdenkönnen. Die Be-
gleichung der Defizite teilt sich das Gre-
mium anteilmässig auf. DemVernehmen
nach liesssich der SolistAlpstaeg nicht
einmal auf ein Gespräch ein. Doch weil
er selbst bereits vor mehrerenTagen als


Verwaltungsrat zurückgetreten ist, wie
erst jetztbekanntwird,mutiert das blau-
weisse Luzerner Haus zurVillaKunter-
bunt. DerBall bleibt in denFüssenAlp-
staegs und seiner Mehrheit.Diedrei ihm
nicht wohlgesinnten Aktionäre besitzen
einen Drittel der Aktien und die Sperr-
minorität.Alpstaegalles– oder Alpstaeg
draussen.Das scheinen im Moment die
Optionen zu sein.
Fussball verführt. Es geht um Macht,
Öffentlichkeit, Eitelkeiten und immer
wieder um Kapitalbedarf. Schweizer
Fussball-Aktien sind Eintrittskarten für
Mäzenatentum, es sei denn, man ma-
che den FCBasel 8 Mal in Serie zum
Meister und verkaufe ihn für ein paar
Millionen, wie dies 20 17 das Gespann
Bernhard Heusler und Georg Heitz ge-
tan hat. Die Mehrheit der Holding des
FC Luzern hält der74-jährige Alpstaeg,
der Chef derSwisspor-Gruppe, deren

Namen das Luzerner Stadion trägt.Alp-
staeg istkein pflegeleichter Zeitgenosse,
er kann grobschlächtig sein, poltern und
seine Manieren verlieren.DasProblem
im Aktionariat beginntschon dort,dass
nicht klar ist, zu welchem Preis er den
Aktienanteil Stierlis und damit die
Mehrheit übernommen hat.
DerVerwaltungsrat des FC Luzern
zeichnet sich dadurch aus, dass Alpstaeg
und Sawiris an Sitzungen physisch selten
bis nie zugegen sind. Alpstaeg sei zwar
letzthin «wieder einmal» da gewesen,
doch meistens lässt er sich durch seinen
Statthalter Philipp Studhalter vertreten.
Dieser bleibtnach den vierRücktritten
imVerwaltungsrat – zusammen mit dem
«neutralen»Josef Bieri. Sawiris ist oft im
Ausland und muss jeweils telefonisch
zugeschaltet werden. Spass ist offen-
sichtlich nicht mehr Anziehungsfaktor.
Besserläuft es ökonomisch. Nach zahl-

reichenJahren,in denen die Aktionäre
gemäss ihren Anteilen Defizite beglei-
chen mussten,ist dieLage nicht mehr
schief, obschon die Zuschauerzahlen
sukzessive auf mittlerweile unter 9300
ge sunken sind. DieTr ansfers vonJonas
Omlin (FCBasel), vonTr ainer Gerardo
Seoane (YB) und vonRubenVargas
(Augsburg) haben ein paar Millionen
eingeschenkt. Die Luzernerkönnten
doch Spass haben.Im Moment müssen
die Chefs nicht einmal mehr Millionen
bereitstellen.
DieLage ist dennoch blockiert. Alp-
staeg hat schon oft mit dem Abgang ge-
zündelt. Doch bei ihm weiss man nicht,
wie viel ihm die BühneFussball be-
deutet.Erst durch den FC Luzern er-
langte er Bekanntheit. Er schien Gefal-
len zu finden an seinen weit verbreite-
ten Brandreden, die der «Blick» biswei-
len aufsog wie ein trockener Schwamm

Wasser. «Gopfvertori, hauen Sie mich
nicht in diePfanne», pflegte er einen
Wortschwall amTelefon abzuschliessen.

Ein Mäzen mussher


Sein Unternehmen Swisspor hat vor
Monaten denVertrag über die Namens-
rechte am Stadion bis 2026 verlängert.
Das sei ein «klares Bekenntnis von mei-
ner Seite zum FC Luzern», liess er sich
in einem Communiqué zitieren. Zudem
hat er im Sommer offenbar klandestin
die Mehrheit am Stadion übernommen.
Doch dasmuss nichts heissen. Alpstaeg
verhalte sich «irrational», heisst es im
Umfeld des Klubs. Irrationalität ist dem
Fussball eigen.Dazu: Geld geben, noch
und noch. Doch eineFrage des Geldes
sollte es nicht sein.«Wir sind nicht un-
betucht»,heisst es im Aktionariat, unab-
hängig von Alpstaeg. Aber eben:Wenn
ein Mäzen wegbricht, muss ein anderer
her. Möglicherweise hat sich Alpstaeg
das Stadion geangelt, damit er einem
aussenstehenden Käufer des Gesamt-
pakets den defizitärenFussballbetrieb
mit einem Zuckerguss schmackhaft ma-
chen kann.
DerWeg zur Besserung schien ge-
spurt,alsAlpstaegvor ein paar Monaten
Bernhard Heusler, den früheren FCB-
Präsidenten, als persönlichen Berater
ins Spiel brachte. Explizit ad personam.
Doch von dem ist nicht mehr viel übrig.
Während Heusler die Akte Alpstaeg an
den Luzerner Kommunikationsmann
Bruno Affentranger delegiert hat, soll
er jetzt im Sold des FCL seinund dem
Klub beistehen – und nicht mehr dem
Chef. So ganzklar ist das nicht.Offenbar
vermochte selbst Heusler dieParteien
nicht zu befrieden. Alpstaeg äussert sich
derzeitin den Medien nicht. EinePer-
son, die das Dossierkennt, spricht von
einem «Gleichgewicht des Schreckens».
Und eine andere involvierte Stimme
meint:«Es wird nur noch gefochten.»
Und eine dritte: «Nun muss der Klub
dieFührung übernehmen, Berater soll-
ten sich zurückhalten.» In einem Com-
muniqué ruft der Klub die Geldgeber
zu «lösungsorientiertem Handeln» auf,
«um einen noch grösseren Schaden für
dieReputation und das Image desVer-
eins abzuwenden».
Der Spassfaktor ist allenthalben ge-
ringer geworden.

Sportlichund finanziell geht es dem FC Luzern gar nicht einmal so schlecht, trotzdemist der Spassfaktor im Klub gering. KEYSTONE

Der Sympathieträger überstrahlt die Fragezeichen


Patrick Fischer bleibt bis 2024Nationaltrainer –dochder Schweizerische Eishockeyverbandkämpft mit finanziellenund strukturellen Problemen


DANIEL GERMANN


Die Nachricht kamnicht überraschend,
und sie stiess auch kaum auf Kritik:
PatrickFischer bleibt vier weitereJahre
Tr ainer der Schweizer Eishockey-Natio-
nalmannschaft. Der 44-jährige Zuger
verlängerte seinen Vertrag vorzeitig
bis 2024(NZZvon gestern). Der neue
NationalmannschaftsdirektorLarsWei-
bel sagt: «Es ist eine wichtigeWeichen-
stellung, nicht nur in Bezug auf unsere
sportliche Zukunft, sondern auch für
unsereAussenwahrnehmung.»
Fischer hatte die Stelle im Dezem-
ber 20 15 als Notlösung übernom-
men. Mittlerweile ist er der unumstrit-
tenste Coach seit dem Deutsch-Kana-
dierRalph Krueger, der dasTeam zwi-
schen1997 und 2010 führte. Nach einem
schwierigen Start veränderte die WM-
Silbermedaille 2 01 8 in Kopenhagen
seinePosition grundlegend.
Ähnlich wie einst Krueger istFischer
ein hervorragender Kommunikator,
von dessenAusstrahlung die gesamte


Eishockey-Bewegung profitiert. Seine
SchweizerWurzeln haben den Stellen-
wert des Programms in der Öffentlich-
keit, aber auch bei den Spielern gestärkt.
Absagen gibt es kaum mehr. Die takti-
schen Defizitekompensierte sein Assis-
tentTommy Albelin. Der ehemalige
schwedischeWeltklasseverteidiger gilt
als defensives Gewissen im Coachings-
taff. Seit erFischer zur Seite steht, spielt
dasTeam stabiler. Weibel sagt, Albelin
möglichst schnell und langfristig an den
Verband zu binden, sei die nächste Prio-
rität.«Esbesteht ein gegenseitiges Inter-
esse, die Zusammenarbeit fortzusetzen.»
Weibel hatRaetoRaffainer auf diese
Saison als Nationalmannschaftsdirektor
abgelöst. Er hat mit derVertragsverlän-
gerung mitFischer ein erstes, wichtiges
Dossier geregelt, gegen das es allerdings
kaum Opposition gab. Dierelativ lange
Laufzeit desVertrages federte er mit
einer Leistungsklausel ab.Wie die ge-
nau aussieht, bleibt vertraulich.
Doch derFallschirm ist deshalb nicht
unerheblich, weilFischer einerseits teu-

rer geworden und derVerband zuletzt
finanziell ins Schlingern geraten ist. Der
ehemaligeFinanzchef musste imFrüh-
jahr gehen,einexternerFinanzbera-
ter leistete Notfalldienste. Nun liegen
dieFinanzen direkt beim neuen CEO
Patrick Bloch. Die wirtschaftlicheKom-
petenz desVerwaltungsrats wurde mit
derWahl von Matthias Berner gestärkt,
der auf diesem Gebiet als Kapazität gilt
undSwiss Ice Hockey aus seiner Zeit als
CEO (2 00 9–2013) bestenskennt.
Bloch übernahm von seinemVor-
gänger FlorianKohler ein Budget mit
Lücken undFehlern. Es war nicht voll-
ständig und in gewissen Bereichen viel

zu optimistisch. DerVerband war zu
Korrekturengezwungen, die im vergan-
genen Geschäftsjahr zu einem Defizit
von 143234 Franken führte.Angesichts
des Eigenkapitals von rund 2,5 Millio-
nenFranken wardieserVerlust verkraft-
bar. Doch Insider befürchten, dass wei-
tere Überraschungen folgen. Im Som-
mer kam es auf derGeschäftsstelle zu
einer Mehrwertsteuer- und AHV-Revi-
sion. Blochist dabei, eingeforderte Be-
lege nachzureichen. Zudem fallen im
kommendenJahr unter anderem ein
Förderbeitrag von 70 0000 Franken von
Swiss Olympic an die Heim-WM weg.
Klar ist: DerVerband muss sparen.
Er tut das nicht beimA-Nationalteam,
sondern strich unter anderem die Ein-
ladung zu einem U-19-Turnier mit den
europäischenTopnationen, um dieSwiss
Ice Hockey vorher währendJahren ge-
kämpft hatte. Das bringtunter ande-
renPeter Zahner, den ehemaligenVer-
bandsdirektor und jetzigen CEO der
ZSC Lions,auf diePalme:«Wenn man
sparen muss,ist das okay. Aber man darf

es nicht aufKosten der sportlichen Ent-
wicklung tun.»
Zahner sagt, unter dem CEOKohler
sei die Infrastruktur aufgeblasen wor-
den, ohne dass neueAufgaben hinzu-
gekommen seien. Er kritisiert die In-
transparenz, die in dieVerbandszentrale
Einzuggehalten habe. Deshalb formu-
lierte er imJuni einenFragenkatalog,
der von derVerbandsspitze bis heute
nur ausweichend und unzureichend be-
antwortet worden ist.
Zahners Kritik zielt weniger auf den
CEO Bloch als auf den Präsidenten
Michael Rindlisbacher,der innerhalb
desVerwaltungsrats für sämtliche wich-
tigen Sportdossiers zuständig ist. Erkon-
trolliert das Nationalmannschaftspro-
gramm ebenso wie den Ligabetrieb. Ein
einflussreicher Klubfunktionär spricht
von einem «offensichtlichen Interessen-
konflikt».Doch Rindlisbacher begeg-
net der Kritik vonderBasis mitrelati-
ver Gelassenheit. Die Generalversamm-
lung hat ihn im Sommer für vier weitere
Jahre im Amt bestätigt.

PatrickFischer
Nationaltrainer
KEYSTONE Eishockey
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