Freitag, 25. Oktober 2019 GESELLSCHAFT53
INJEDERBEZIEHUNG
Die Rache
der Grünen
Von Bi rgit Schmid
Steiler Sieg, stillose Kleidung: Mit den Grü-
nen hat bei denWahlen vergangeneWoche
noch etwas anderes gewonnen. Nicht nur
viele umweltbewussteFrauen und Männer
ziehen insParlament in Bernein, sondern
auch Outdoorjacken, karierte Hemden und
Turnschuhe. Power-Dressing 2019.
In weissenTurnschuhen undJeans brach
JoschkaFischer1985 einTabu. Bei seiner
Vereidigung zum ersten grünen Minister
Deutschlands brachte er salopp gekleidet
zumAusdruck, dass man als Grüner nicht
zumPolit-Establishment der dunklen An-
züge und weissen Hemden gehörte.Doch
schon bald wechselte er in die klassische
Garderobe der Macht.
Provozieren kann man heute alsPoliti-
ker imFreizeitlook nicht mehr.Vielmehr
würde ich es einenWillen zu Nachlässig-
keit nennen:Indem man wenigWert auf
die Erscheinung legt, erklärt man diese zur
Nebensache. Schönheitkönnte die Bot-
schaft, wie schlecht es derWelt geht, weni-
ger dringlich wirken lassen.
Schon klar: Manche grünePolitiker und
Politikerinnen interessieren sich weniger
für Geschmack und Stil als andere. So wie
es bei den GrünenAusnahmen gibt, gibt es
auch in den übrigenParteien diejenigen, die
amRednerpult aussehen, als kämensie ge-
rade von einerWanderung zurück. Aber die
Tendenz stimmt, wie man aufWahlplaka-
ten und bei denWahlfeiern sah. Hängende
Sakkos, Kapuzenpullis,Trekkingschuhe.Die
Grünen haben zudem dasPech, dass Grün
ihreParteifarbe ist. Sie wollen mit grünen
Blusen und Blazern vor der KameraFarbe
bekennen. Nur steht Grün den wenigsten.
Meistens ist es nur grell und hässlich.
Was manals Klischeeabtut, habenFor-
scher der Universität Bern letztesJahr be-
stätigt. Sie untersuchten, was die Schweizer
Parlamentarier durch dieWahl ihrer Klei-
derrepräsentieren. Die Nationalräte, die
dem linken und grünenLager angehören,
machen mit offenem Hemdkragen und im
Pullover auf locker. Bürgerliche binden sich
am Morgen eineKrawatte um.
Inzwischen prägt die grüneWelle auch
das Strassenbild. Der fehlende Stil vieler
Grüngesinnterkommt einem wie ein politi-
sches Statement vor, alsRache an der Eitel-
keit, dieser menschlichen Schwäche. Unge-
schminkt und unfrisiert, fühlt man sich der
Natur näher. Man will natürlich wirken und
meint, das heisse,nicht aufzufallen. Man
rechnet mit derFreude der anderen an der
Mode ab mit modischerDurchschnittlich-
keit. Und bestraft sich damit selbst. Klima-
aktivisten kaufenkeine neuen Kleider mehr,
nur Secondhand. Natürlich kann man auch
gebrauchte Kleider stilvollkombinieren. Oft
istes aber eine ästhetische Kapitulation.
Um nun nicht zu parteiisch zu sein, muss
ich fairerweise sagen:Wir waren noch nie
einLand von Eleganten.Viele kleiden sich
gleichgültiger, jeälter sie werden, als wäre
Wahrgenommenwerden schon sündig. Be-
quem und praktisch muss es sein.Kürzlich
war ich am Sonntagmittag in einem Kaffee-
haus inWien.Am Nebentisch sass ein Mann,
die siebzig dürfte er überschritten haben. Er
trug Anzug und Krawatte allein für das Er-
eignis, sich vonKellnern im Smoking gebra-
tene Ente servieren zu lassen.Wann sieht
man bei uns noch so weltläufigen Stil?
Oder die Italiener: Sogar auf demVelo
sehen sie grossartig aus. Statt dass sie das
grüneVerkehrsmittel alsAusrede fürRegen-
jacke und Sneakers brauchen, tragen sie die
Kleider, mit denen sie zur Arbeit erscheinen.
Feine Lederschuhe, Stoffhose, Hemd.
Ja, es gibt Anlass zu Sorge.Aber auch
wenn dieWelt dereinst zugrunde gehen
sollte: Es ist noch zu früh, umTr auer zu
tragen.BESONDEREKENNZEICHEN
Herz, Welt, Schmerz
Der Zürcher Musiker Faber singt so packend wie derb
vom Zeitge ist, von der Liebe und dem Rechtspopulismus.
Die einen be wundern ihn, die anderen kritisieren ihn für
Sex- und Gewaltp hantasie n.VON MATTHIAS SANDER
Hoppla, wie düster geht’s denn hier zu?Fabers
neues Album beginnt mit einer Ouvertüre aus
morbide-quietschenden Streichern, die in ein be-
drohliches Grummeln kippen und den ersten Song
«Highlight» einleiten. Der26-Jährige singt miteiner
unglaublichkehligen Stimme von altenFreunden
und von falschen,und schliesslich klagt er wehlei-
dig: «Ich frag mich, was habe ich euch getan / Ich
Hure wollte euch doch nur gefallen.»
Faber sagtin seinen Songs oft«ich» und meint
jemand anders.Er kommt sehr selbstbewusst rüber,
wenn er auf der Bühne mit weit offenem Hemd
Akustikgitarrespielt oder inVideos langedie
Kamera fixiert. Doch nun sitzt er voller Zweifel in
Kapuzenpulli, Mantel und Schal auf derTerrasse
eines Zürcher Cafés, derWuschelkopf so wusche-
lig wie in denVideos, trinkt Eistee, raucht und sagt:
DerAuftaktsong «Highlight» handele von ihm.Da-
von, was das Leben mit ihm gemacht habe.
Ein Musikmacho inder Sinnkrise
Faber, mit bürgerlichem NamenJulianPollina,
Sohn des CantautorePippoPollina, veröffentlichte
sein erstes Album im Sommer 2017. Es verkaufte
sich gut, dasFeuilleton feierte ihn überwiegend, die
Tour durch Deutschland, die Schweiz und Öster-
reich war ausverkauft. Und trotzdem, sagtFaber,
seien es zuletzt «echt zwei richtigeScheissjahre» ge-
wesen. In allen Belangen: Liebesdramen, einTodes-
fall, persönliche Schwierigkeiten. Die Sinnkrise
ging so weit, dass er, der seit seiner Musikmatura
an der Kantonsschule Stadelhofen vom Musizie-
ren lebt, sich fragte: «Mache ich noch die richtige
Arbeit, oderreagiere ich nicht zu sensibel auf ge-
wisse Sachen?»
EinVollblutmusiker mit Herz und Machoallü-
ren schleudert seine Songsraus in dieWelt – und
wundert sich, dass dieWelt zurückschleudert: Liebe
undVerachtung. Es ist, als ob dieser genaue Beob-
achter und kluge Songwriter bei aller treffenden
Gesellschaftskritik übersehen hätte, dass der Zeit-
geist nach Eindeutigkeit schreit, dass er undurch-
sichtigeRollenspiele schlecht verträgt und anderes
überhaupt nicht mehr. Zum Beispiel die Ex-Freun-
din «Nutte» zu nennen. Oder zureimen: «Du bist
zwar erst sechzehn /ach,komm wir drehen Sex-
szenen.» Die «Zeit» schrieb in einemVerriss von
«Triebtätertexten».
Diesen Sommer erzeugteFaber mit der ersten
Single seines neuen Albums abermals Empörung- ungewollt,sagt er, «Ehrenwort». In «Das Boot ist
voll» paraphrasiert er gekonnt Naziverherrlicher,
und imRefrain sang er zunächst: «Besorgter Bür-
ge r, jaich besorg’s dir auch gleich / Geh auf die
Knie,wenn ich dir meinenSchwanz zeig / Nimm
ihn in denVolksmund, blond, blöd, blau undrein.»
Das MusikblogTestspiel.de sah darin, wie später
auch die«Woz», eineVergewaltigungsphantasie und
ein «Paradebeispiel, wie weisser, männlich-vulgärer
Antifaschismus in die Hose gehen kann».AufYou-
tube bekamFaber Morddrohungen. Er beteuerte,
dass ihm schon vorher mit der «Schwanz»-Zeile un-
wohl gewesen sei, und ersetzte sie wie folgt:«Wenn
sich 20 19 ’33 wieder einschleicht/Wenn Mensch-
lichkeit undVerstand deinerWut weicht.»
Fragt man ihn, was für ihn das Problem an der
ursprünglichenPassage gewesen sei, sagt er: «Ich
habe meinen Song schwächer gemacht, als er war.
Und etwasreingepackt, was da nicht hingehörte.»
DiePassage habe vomRest abgelenkt.Dass die
«Schwanz»-Zeile an sich ein Problem seinkönnte,
siehtFaber nicht; sie ist für ihn nur eine wütende
Beleidigung, wie «Nutte». Man kann diese ungefil-
terte Sprache, diese Standhaftigkeit wider diePoliti-
cal Correctness bewundern.Darauf hinweisen, dass
so etwas imRap üblich ist. Man kann auch fragen:
Waswäre, wenn einrechter Musiker so über Flücht-
lingshelfer sänge – und sie im dazugehörigenVideo
von apokalyptischenReitern niedermetzeln liesse,
wie esFaber mit den «besorgten Bürgern» tut?
Fans fühlen sichendlich verstanden
Schade, dass derlei manch einen davon abhalten
wird,Fabers ziemlich tolles Album «I fucking love
my life» anzuhören. Es ist wieder ein wilder Mix aus
Gitarren- und Klavierballaden,Tr ink- und Liebes-
liedern, tanzbarenBalkanbeats und Salsa. Es gibt
so hübsche Zeilen wie «jung und dumm – immer-
hin jung» und, über heuchlerische Altersgenossen
Fabers, die sich auf der richtigen Seite wähnen: «Ich
bin froh, dass es dich gibt / So kannst du mir die
Welt erklären.» SolcheRefrains singen seine jun-
genFans anKonzerten tausendfach mit, und auf
Youtubekommentieren sie: Endlich einer, der mich
versteht. In einem weiteren SongkontertFaber
seine Kritiker,indem er ein aufdringliches Grou-
pie sagen lässt: «Ein Sexist wie du / der träumt doch
jedenTag vomVögeln.» Solche Sätze habe er tat-
sächlich gehört, sagt er.
Zürich flackert in manchenSongs auf, die Immo-
bilienhaie, die Hipster. Faber hadert mit seiner Hei-
matstadt, er nennt sie im Gespräch erst eine «Stadt
ohneVorteile», die Leute unfreundlich, alles teuer,
für ihnreiche es nur für eine Dreier-WG in einer
«richtig kleinen Scheisswohnung» im Kreis 4.Dann
aber sagt er: «Quatsch, ich mag’s hier», dieFreunde,
dieFamilie, den Sommer und dass eine so kleine
Stadt trotzdem Metropole seinkönne. «Ich wüsste
jedenTag,was ich machenkönnte.» Manchmal
organisiert er selbst etwas:VorderParlamentswahl
letzten Sonntag lud er miteinem befreundeten
Musiker per Instagram zu einem spontanen Knei-
penkonzert, das dieWahlbeteiligung fördern sollte:
AlsTicket sollten seineFans das eigene, zugeklebte
Wahlcouvert mitbringen. DerLaden war übervoll.
SeineRolle treibtFaber um. Er frage sich:
«Hast du jetztVerantwortung für all die Leute,
die das hören?Darf ichecht noch machen, was ich
möchte?» Er halte seine Zuhörer auf jedenFall für
mündig.«Man tut denen unrecht, wenn man sagt:
Ah, das sindalles16-jährige Mädchen, diekönnen
das nicht checken.» Er sei immer noch Musiker und
dürfe alles sagen, jedesWort benutzen. Eskomme
halt drauf an, wo und wann. Aber ist das nicht
der Anfang vom Ende, wenn einKünstler sofort
an möglicheReaktionen denkt? «Doch, aber das
macht man leider», sagt er gequält.
Faber scheintratlos, wenn nicht verzweifelt. Am- November erscheint das neue Album,und er sagt:
«Ich weiss nicht, wie es weitergehen soll.Das Zeugs
ist ja jetzt schon mal alles da.» Als ob es nunkein
Zurück mehr gebe, als ob er schon den nächsten
Aufschrei befürchte.In einem noch unveröffent-
lichtenTitel singt er: «Ich weiss, es klingt jetzt selt-
sam / Und ich schäm mich fast zu fragen / Hast du
auch manchmal Lust / Einen Bullen zu schlagen?»
Der26-jährigeFaber singt oft «ich» und meintjemand anders. CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZDassdie «Schwanz»-Zeile an
sicheinProblemseinkönnte,
siehtFaber nicht;
sie ist für ihn nureine wütende
Beleidigung,wie «Nutte».