Freitag, 25. Oktober 2019 FORSCHUNG UND TECHNIK59
Bäume sind kein Allheilmittel
Ökologe n von der ETH Zürich propagieren die weltweite Aufforstung als beste Massnahme
zum Klimas chutz. Doch Fachle ute lassen kaum ein gutes Haar an der Studie.VON SVEN TITZ
Eine Studie derETH Zürich zum Pflan-
zen vonBäumen für den Klimaschutz
hat eine internationaleKontroverse aus-
gelöst. Die Arbeit war imJuli imWissen-
schaftsmagazin «Science» veröffentlicht
worden und hatte weltweit Schlagzeilen
gemacht.^1 Forscher umThomas Crow-
therundJean-FrançoisBastin schätzten
in der Studie ab, wie vielKohlendioxid
sich speichern liesse, wenn man Öko-
systeme weltweit mithilfe vonBaum-
pflanzungenrenaturieren würde. Bäume
nehmen dasTreibhausgasKohlendioxid
(CO 2 ) für die Photosynthese auf.
Die Studie war unter anderem mit
Mitteln der Stiftungen DOB Ecology
und Plant-for-the-Planet finanziert wor-
den, die Projekte zurWiederaufforstung
fördern.Auch das deutsche Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung unterstützte
die Arbeit. EineMedienkampagne des
Unternehmens Greenhouse PR verhalf
der Studie zu globalerResonanz.Kritik von über 70 Fachleuten
DieForscher um Crowther untersuch-
ten,wie viel es dem Klimaschutz bringen
würde, wennBäume überall auf der Erde
wüchsen, wo die natürlichenBedingun-
gen es erlauben und keine mensch-
lichen Aktivitäten einerAufforstung im
Wege stehen.Fürdie Berechnung nutz-
ten sie Methoden der künstlichen Intel-
ligenz. DieWissenschafter ermittelten
ein Potenzial von 205 MilliardenTon-
nen zu speicherndemKohlenstoff (rund
750 MilliardenTonnen CO 2 ).Dazu müss-
ten 900 Millionen Hektar mitBäumen
bepflanzt werden; das entspricht an-
nähernd der Fläche der USA. DieFor-
scher behaupteten,dass es sich dabei um
die effizienteste zurVerfügung stehende
Lösung für den Klimaschutz handle.
Diese Botschaft wird von den Kri-
tikern jetztaber vehement infrage ge-
stellt.VergangeneWoche waren imWis-
senschaftsmagazin «Science» gleich vier
Kommentare und drei Briefe zu der Stu-
die zu lesen.^2 Darin stampften mehr als 70
Fachleute die Studie geradezu in Grund
und Boden: Sie bemängeln die verwen-
detenDaten, die Methodik sowie die
öffentliche Präsentation derResultate.Gemäss einer Gruppe um Eike Lü-
deling von der Universität Bonn hat das
Crowther-Team zahlreiche Gebiete als
für Bäume geeignet erklärt, die dafür
nicht taugen, etwa Flächen mitPerma-
frost undTrockengebiete. Ausserdem
hielten dieETH-ForscherBaumwachs-
tum auch dort für möglich, wo sich be-
reits Siedlungen befinden, in denen ins-
gesamt 2,5 Milliarden Menschen leben.
Ein internationalesTeam umJoseph
Veldman von derTexas A&M Univer-
sity missbilligt die Behauptung der Stu-
die, dassBäume auch dort gepflanzt
werdenkönnten, wo sie die Luft erwär-
men würden – etwa in den hohen Brei-
ten, wo Nadelbäume mehr Sonnenlicht
absorbieren als eine Schneedecke.Aufforstungist nichtimmer gut
Ausserdem moniertVeldmansTeam,
dass gemäss der Studie Steppen und
Savannen aufgeforstet werdenkönn-
ten. Diesen Ökosystemen mangle es
aber aus guten Gründen anBäumen.
Pflanzte man in Savannen zusätzliche
Bäume, ginge dort die Artenvielfalt zu-
rück; ausserdem wüchse die Gefahr von
Bränden. «DieFolgen für unsere natür-
lichen Ökosysteme in Afrika wären ver-
heerend», meint Sally Archibald von der
University of theWitwatersrand in Süd-
afrika, die anVeldmansArbeit beteiligt
war, gemäss einer Pressemitteilung.
Dieser Aspekt ist hochaktuell.Das
internationale Programm «AFR100»
sieht nämlich vor, in Afrika eine Fläche
von 100 Millionen Hektar aufzufors-
ten – vorwiegend in Savannen. Kame-
run zum Beispiel will über 5,1 Millionen
Hektar neu bepflanzen.Für «AFR100»
sollen in den nächsten zehnJahren rund
eine Million Dollar ausgegeben werden,
finanziert von derWeltbank, Deutsch-
land und anderen Geldgebern.Forscher
um William Bond von der University of
CapeTown habendas Programm ge-
rade imFachjournal«Trends in Ecology
& Evolution» unter die Lupe genom-
men und – mit ähnlichen Argumenten
wie Veldman – grosse Mängel beanstan-
det.^3 Ihrer Ansicht nach sollte das Geld
besser in die städtische Energieeffizienz
gesteckt werden.Die meisten Kritiker sindder An-
sicht, dass die Crowther-Studie das
Potenzial derBaumpflanzungen stark
überschätzt. EinTeam um Simon Lewis
von der University of Leeds bemängelt
vor allem die Methodik. Nach Lewis’
eigener Berechnung ist es möglich,
durch neu gepflanzteBäume 92 Milliar-
denTonnenKohlenstoff zu speichern
(rund340 MilliardenTonnen CO 2 ) –
weniger als halb so viel wie vom Crow-
ther-Teamgeschätzt.
Die Gruppe umVeldmankommt so-
gar nur auf eine potenzielle Speiche-
rung von 42 MilliardenTonnenKohlen-
stoff(154MilliardenTonnen CO 2 ). Das
ist einFünftel desWerts von Crowther.
Gegenüber der NZZ erklärtVeldman,
es sei ihm nicht darum gegangen, das
wahrePotenzial ganz genau zu ermit-teln.Vielmehr habe er die Grösse der
Fehlerbestimmen wollen, die auf krasse
Fehlannahmen der Studie zurückgingen.
Das tatsächlichePotenzialkönne sogar
noch kleiner sein.
So einfach wie vomTeam um Crow-
ther lasse sich die wichtigeFrage nach
dem Kohlenstoff-Speicher-Potenzial
vonBaumpflanzungen nicht beantwor-
ten, sagt Lüdeling der NZZ. Es gebe mit
der Studie sehr viele Probleme, die alle
zu einer Überschätzung führten.
Noch deutlicher wird GiseldaDu-
rigan vom Instituto Florestal de São
Paulo: Crowther und seine Mitautoren
hätten extrem elementareFehler ge-
macht und durch übermässigen Ehr-
geiz und Grossspurigkeiteine gute Idee
unterminiert, wird sie ineiner Pressemit-
teilung zitiert.VerhärteteFronten
Im Magazin «Science» haben dieFor-
scher um Crowther auf die Kritik der
Fachkollegen bereits geantwortet. Sie
halten an ihrenResultaten fest. Nur bei
der Interpretationrudern sie ein we-
nig zurück: Als «effizienteste Lösung»
für den Klimaschutz bezeichnen sie die
Renaturierung nun nicht mehr. Die Zu-
sammenfassung desFachartikels sowie
die damalige Pressemitteilung derETH
Zürich passten sie geringfügig an.
Diese Antwort derAutorenreicht
Lewis undVeldman nicht aus. Sehr un-
durchsichtig bleibe die Kohlenstoff-
Bilanzrechnungfür die Gebiete, in denen
die Bäume gepflanzt würden.Auch Lü-
deling zeigt sich unzufrieden.«DieAuto-
ren hätten mehr auf die Kritik eingehen
können», findet er. Es fehle eine selbst-
kritischeAuseinandersetzung mit der
verwendeten Methodik.NeueWälder
könnten durchaus eine wichtigeRolle im
Klimaschutz spielen,meint Lewis.Vergli-
chen mit derVerringerung von Emissio-
nen aus fossilen Brennstoffen seien sie
aber von mässiger Bedeutung.(^1) Science 365, 6448, S. 76, Online-Publika tion
vom 5. Juli 2019;^2 Science 366, 6463, S. 315,
Online-Publika tionvom 18.Oktober 2019;
(^3) TREE, Online-Publika tionvom 9. September
2019.
Mehr Licht,
bitte!
Von Stephanie Lahrtz
Der goldene Herbst ist oft grau und
ungemütlich.Je länger dasJahr dau-
ert, desto wenigerTageslicht sieht man.
Schon nach vier grauen, lichtarmenTa-
gen hintereinander werde ich gereizt,
lustlos undkönnte denganzen Tag schla-
fen. Der nun beginnende Herbst ist also
nicht meine besteJahreszeit, derWinter
schon gar nicht.Daher ist es jetzt Zeit,
meine Speziallampe hervorzuholen und
meine Stimmung aufzuhellen.
Schon seit einigenJahren hat die
Wissenschaft eine wunderbare, neben-
wirkungsfreie und einfacheTherapie
für Licht-Junkies wie mich parat: 30 bis
60 Minuten proTag vor einer Hoch-
leistungslampe sitzen, die mindestens
10 000Lux abgibt.Während normales
Kunstlicht im Büro oderWohnzimmer
maximal 500 Lux bietet, spendet ein be-
deckterWintertag am Mittag immerhin
6000 Lux, ein sonniger Sommertag so-
gar 20 000 Lux.
Die Lichtquanten, vor allem der
Blaulichtanteil,regen dabei spezielle
Zellen in derRetina an. Diese geben
den Lichtreiz an Neuronen in unserer
innerenUhr im Gehirn weiter.Solange
dort tagsüber Lichtsignale eintreffen,
wird die Produktion des Hormons Mela-
tonin unterdrückt. In derDämmerung
wirddie Melatoninproduktion angekur-
belt. Das steigert die Schläfrigkeit und
synchronisiert uns mit der Umgebung.
Auch andere Botenstoffeim Gehirn
werden durch Licht gesteuert, so etwa
das Serotoninsystem, das unter anderem
für unsere Stimmung zuständig ist.Kein
od er nur sehr wenigTageslicht bedeu-
tet also Müdigkeit und schlechteLaune.
Zwar benötigt jeder Mensch Licht
als Taktgeber für die innere Uhr.Aber
nur20 bis 30 Prozent der Bevölke-
rungreagieren auf den Lichtmangel mit
Winterblues oder einerWinterdepres-
sion. Alle diese Lichtabhängigen soll-
ten sich daher Extra-Lux zuführen.«Je
früher am Morgen, desto besser», rät
der Chronobiologe und Schlafforscher
Christian Cajochen vom Universitäts-
spitalBasel. «Wir empfehlen, dasFrüh-
stück in der Nähe einer Hochleistungs-
lampe einzunehmen.Wenn das nicht
geht, sollte man eine solcheLampe mit
ins Büro nehmen.»
Auf der Website cet.org können
Interessierte durch die Beantwortung
von 17 Fragenzu Schlafgewohnhei-
ten und Lieblingstageszeiten den indi-
viduell besten Zeitpunkt für die Licht-
sitzungbestimmen. Ich sollte jeweils um
7 Uhr morgens antreten. Ich glaube, das
wird amWochenende durch ein späteres
Joggen oder einen Spaziergang ersetzt.
EinenWinterblues kann man meist
selber diagnostizieren. Oder die nähere
Umgebung sagt es einem liebevoll bis
bestimmt. Doch eineWinterdepression
gehört in die Hände eines Arztes.Bei
dieser Krankheit zahlen in der Schweiz
die Krankenkassen die Hochleistungs-
lampe.Auch andereFormen der De-
pression oder Schlaf- undVerhaltens-
störungen bei Demenzkönnen durch
die Lichttherapie verbessert werden.
Nur bei bestehendenAugenerkrankun-
gen oder wenn jemand Medikamente
einnimmt, die die Lichtsensitivität er-
höhen, könnte das Extralicht schaden.
Sonnenbrände treten dagegenkeine auf,
da dieLampen UV-Filter haben.
Ein Problem gibt es allerdings: Als
Betroffener muss man dranbleiben.
JedenTag, bis derWinter vorbei ist.
Das ist manchmal nervig.Und es gilt,
nicht den richtigen Zeitpunkt für den
Beginn zu verpassen. Denn wer schon
müde und gereizt ist, hatvielleichtkeine
Lust mehr, die Lampe zu suchen und
davor zu sitzen.
Eine dichteBewa ldung wie in dersibirischenTaiga würde in Savannen und SteppendieArtenvielfalt vermindern,wenden Kritiker derETH-Studie ein. ILYA NAYMUSHIN / REUTERS
900 Millionen Hektaren
rundum den Globus
könnten laut den
Forschern mit Bäumen
bepflanzt werden.
Das en tspricht fast
der Fläche der USA..