Freitag, 25. Oktober 2019 INTERNATIONAL
Kalter Krieg der roten Parteiflügel
Bei Österreichs Sozialdemokraten brechen nach der historischen Wahlnieder lage im Nationalrat alte Gräben auf
IVO MIJNSSEN, WIEN
Knapp ein Monat ist vergangen seit
der historischenWahlniederlage der
SozialdemokratischenPartei in Öster-
reich. Die SPÖ, diein den Nachkriegs-
jahrzehnten politisch und wirtschaftlich
eine Grossmacht imLand darstellte, ist
beim Urnengang zum Nationalrat auf
21,2 Prozent der Stimmen zusammen-
geschrumpft, das schlechtesteResultat
ihrer Geschichte.DochPamelaRen-
di-Wagner, die ebenso engagierte wie
glückloseParteichefin, liess amWahl-
abendkeinen Zweifel aufkommen:«Der
Kurs stimmt!», rief sie den Genossen zu
- eine Einschätzung, mit der sie aller-
dings ziemlich allein blieb.
«DerKurs stimmtnicht»
DerWiderspruch liess nicht lange auf sich
warten. «DerKurs stimmt nicht», entgeg-
nete ihr Max Lercher, Neunationalrat aus
derSteiermarkund bis zu seiner Abset-
zungdurch Rendi-Wagner 20 18 Bundes-
geschäftsführer. Er ist der prominenteste
linkeKritiker des schwammigen Mitte-
kurses, denRendi-Wagner wenig über-
zeugend vertritt.Symptomatisch dafür
war nicht nur derWahlslogan«Mensch-
lichkeit siegt»,sondern auch, dass die
Parteichefin in einem Interviewpartout
nicht in derLage war,das Alleinstellungs-
merkmal der SPÖ zu benennen.
Ähnliche Richtungsstreits plagen
sozialdemokratischeParteien in zahl-
reichen europäischenLändern. Doch in
Österreich ist der Kampf um die Zukunft
der SPÖ zu einer veritablen Schlamm-
schlacht ausgeartet, seit die Boulevard-
zeitung «Österreich» am Samstag eine
Exklusivstoryüber Lercher veröffent-
lichte. Der «Rebell mit dem Berater-
vertrag» kassiere von der Bundespartei
jeden Monat 20 000 Euro.
Der Eindruck der Abzockerei, den
«Österreich» vermittelte, erwies sich als
völlig überzogen. Lercher ist der Ge-
schäftsführer der Leykam MedienAG,
die der SPÖ Steiermark gehört und
die für die Bundespartei unter ande-
rem dieWählerkommunikation über
E-Mail und die IT-Systemeverbessernsoll. Gegenüber anderenParteien wie
derÖVP liegt die SPÖ in diesem Be-
reich klar imRückstand. Lerchers Ge-
halt beträgt 60 00 Euro.
Das Dickicht aus Unternehmen, Be-
ratern, Stiftungen undFinanzflüssen, das
um alle grossen österreichischenParteien
wuchert, ist zweifellos intransparent und
sogarkorruptionsanfällig. DochimFall
Lercher wurde auf den Manngespielt.
«Österreich» erhielt die Informationen
von Insidern, da die Publikation kurz
nacheiner Präsidiumssitzung erfolgte, in
der die BeraterverträgeThema waren.
In derPartei gehen viele davon aus,
dassRendi-Wagner von der Indiskretion
zumindest wusste. In Interviews hat sie
sich seither zwar schockiert gezeigt überdie «Selbstbeschädigung» derPartei.
DenVorwurf hat sie aber nicht demen-
tiert. Eine Klarstellung in Bezug auf Ler-
cher nahm sie nicht vor, denVertrag mit
Leykam will sie unterVerschluss halten.
Dagegen lehnt sie Sanktionen gegen jene
ab, die Interna an die Öffentlichkeit wei-
terleiten.Wer dafür verantwortlich ist,
bl eibt offen. Doch verschiedene SPÖ-
Politiker verdächtigenVertraute der
Parteichefin. Sie werfen dem Bundes-
geschäftsführer Christian Deutsch vor,
in der Präsidiumssitzung irreführende
Angaben über denVertrag gemacht zu
haben, was dieser bestreitet.
Für Kontroversen hat bereitsRen-
di-Wagners Beförderung des57-jähri-
genWahlkampfmanagers Deutsch kurz
nach der Niederlage gesorgt. Der alt-
gedienteFunktionär ist innerhalb der
mächtigenWiener Sektion ein Schwer-
gewicht undgehörtzur sogenannten
LiesingerPartie. DieserrechtePartei-
flügel stützt die politische Quereinstei-
gerinRendi-Wagner, die selber über
keine Hausmacht verfügt.Wie stark der
Einfluss ist, zeigte sich, als sich dieVor-
sitzende Anfang Oktober von Doris Bu-
res, der wichtigstenVertreterin der «Lie-
singer», zu Gesprächen mit dem Bun-
despräsidenten begleiten liess; die ande-
ren Parteichefs kamen allein.Wachstum«nur in der Mitte»
Im Gegensatz zuRendi-Wagner, die
dieFrage derPositionierung an «Zu-
kunftslabors» auslagern will, ist Bures
davon überzeugt, diePartei dürfe nicht
an den politischenRand rücken:«Wach-
sen kann die SPÖ nur in der Mitte.» Die
Steirer rund um Lercher und dieJung-sozialisten fordern hingegen einen kla-
reren Linkskurs, um die an die FPÖ ver-
lorenen «Hackler», die Arbeiter, zurück-
zuholen. Zudem müsse sich diePartei
öffnen und demokratisieren. Dies sieht
diegegenwärtigeFührung skeptisch,gel-
ten Bures und ihreVertrauten doch als
relativ abgeschotteter Kreis.
Der Richtungsstreit beschäftigt die
SPÖ seitJahrzehnten. DenKern des
Streits bildet dieFrage, worin heute die
Aufgabe der Sozialdemokratie bestehen
soll, die ihre frühere Machtposition
massgeblich dadurch begründet hatte,
ihren Mitgliedern über staatlichkontrol-
lierte Betriebe Arbeitsplätze undWoh-
nungenzuverschaffen. Dieses «Modell
Österreich» kam spätestens mit dem Be-
ginn der Globalisierung an sein Ende,
und seither hat die SPÖ fast stetigWäh-
leranteile verloren.
Innerhalb der scheinbarewigwähren-
den grossenKoalition sicherte sich die
Partei immerhin politischen Einfluss.
Doch seit SebastianKurz 20 17 eine
Regierung mit derFreiheitlichenPartei
bildete, ist auch diese Sicherheit dahin.
Bei den gegenwärtig laufenden Sondie-
rungsgesprächen spricht wenig dafür, dass
die SPÖ an die Schalthebel der Macht zu-
rü ckkehrt. Die Oppositionsrolle und die
Wahlniederlagen haben auch drastische
finanzielleFolgen für den grossen Appa-
rat derPartei: DieHöhe derParteien-
förderung in Österreich definiert sich
über die Grösse derParlamentsdelega-
tion. DieTatsache, dass diePartei gleich-
zeitig sparen und nachJahrzehnten an
der Macht eine neue Identität finden
muss, vertieft die Gräben nur noch.
Wie also findet diePartei ihreIdenti-
tät? «In einer ausgefransten Gesellschaftwird es schwieriger,alle Zielgruppen
vomWiener Studenten bei derRegen-
bogenparade bis zum steirischen Stahl-
arbeiter gleichzeitig anzusprechen», be-
obachtete der «Falter» dieserTage tref-
fend.Fragen der sozialen Gerechtigkeit
und derVerteilung desWohlstands blei-
ben zwar aktuell, doch sie wurden in den
letztenJahren durch dieThemen Migra-
tion und Klima überlagert.Die Arbeiter bleibenweg
Keines der beiden gehört zu den starken
Themen der SPÖ, und besonders die Ein-
wanderung sorgtregelmässig für Streit.
Der Mittelweg, den sie sucht, wird zudem
immer schmaler: In den grossen Städten
verlieren die Sozialdemokraten sowohl
an die Grünen als auch an die unterKurz
moderner auftretendenKonservativen.
Und in den steirischen Industriegebie-
ten erreichte zwar Max Lercher ein gutes
Resultat, doch diePartei verlor deutlich.
Die Arbeiterkehrten nicht zurück.
Rendi-Wagner ist daran nicht allein
schuld, doch sie wirkt hilflos und poli-
tisch angezählt. Am Dienstagabend
wurde sie mit dem mässigenResultat
von 88,2 Prozent wieder zurFraktions-
chefin im neuen Nationalrat gewählt.
Sie hält sich alsParteivorsitzende, weil
mögliche Nachfolger aufgrund der Ge-
spaltenheit derPartei entweder nicht
genug politische Unterstützung genies-
sen oder sich zurückhalten. Derweil ver-
suchen führende Exponenten, den Streit
zumindest so lange unter dem Deckel
zu halten, bis dieWahlen in der Steier-
mark, dem Burgenland und inWien
durch sind. Sie hoffen, so die Probleme
auszusitzen – einmal mehr.Pamela
Rendi-Wagner
REUTERS SPÖ-ChefinDiesesTabakerzeugn is kann IhreGesundheitschädigen und machtabhängig.
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Questo prodotto del tabacco può nuocerealla saluteeprovoca dipendenza.«HASTDUMALFEUER?»ECHT JETZT?WILLKOMMENZU«LASSDIR ETWASNEUES EINFALLEN».TryIQOS.chTommasound Sebastian, BernAusschliesslich fürerwachseneRaucher b estimmt.