Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

STREIT


»Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT


Laura Zimmermann und Sascha Lobo
treffen sich, um darüber zu streiten, ob
man mit Rechtspopulisten reden sollte.
Kurz bevor die beiden im Büro der ZEIT
in Zürich ankommen, gibt es erste
Eilmeldungen über den Anschlag auf
die Synagoge in Halle.
Zu diesem Zeitpunkt ist noch vieles
unklar. Trotzdem entscheiden sich die
beiden, das Gespräch zu führen – und
wollen es auch veröffentlicht sehen,
nachdem sich herausgestellt hat, dass ein
Rechtsextremist zwei Menschen ermordete.

DIE ZEIT: Frau Zimmermann, Sie sind Co-
Präsidentin der Operation Libero, einer partei-
unabhängigen Organisation in der Schweiz,
die den Streit mit Rechtspopulisten sucht. Sie
greifen diese mit Ihren Kampagnen frontal an
und stellen sich ihnen in öffentlichen Debat-
ten. Wieso tun Sie das?
Laura Zimmermann: Das hat zum einen mit
meinem persönlichen Verständnis von Mei-
nungsfreiheit zu tun, die meines Erachtens
auch für die absurdeste Meinung gelten soll,
solange diese nicht gegen geltendes Recht
verstößt. Zum anderen haben wir in der
Schweiz gemerkt, dass uns die reine Empö-
rung über die Schweizerische Volkspartei
(SVP) und ihre fremdenfeindliche Politik
nicht weiterbringt.
Sascha Lobo: Es tut mir sehr leid, das so of-
fen zu sagen: Aber diese Haltung ist spekta-
kulär naiv und höchst gefährlich. Wenn man
ernsthaft sagt, dass in der Öffentlichkeit jede
Meinung einen Platz hat, dann hat man we-
der liberale Demokratie noch den Diskurs
verstanden. Und erst recht hat man nicht
verstanden, um was es den hier gemeinten
Rechten geht: nicht um eine Debatte, son-
dern um eine Zerstörung der Debatte. Wenn
man solchen Menschen nun entgegentritt
und so tut, als sei deren Meinung diskutabel,
dann ist das gefährlich. Es gibt einen krassen,

aber zutreffenden Witz, der Ihre Haltung gut
beschreibt.
Zimmermann: Ich kenne ihn.
Lobo: Ein Nazi sagt: »Tötet alle Juden.« Ein
Demokrat sagt: »Nein.« Und Sie würden sa-
gen: »Ach, das sind also die beiden Extrem-
meinungen, jetzt versuchen wir mal ein biss-
chen common ground zu finden.«
Zimmermann: (schüttelt den Kopf ) Natürlich
gibt es eine Grenze. Wenn eine Meinungsäu-
ßerung unmittelbar zum Schaden von Dritten
führt, kann sie eingeschränkt werden.
Lobo: Wer zieht diese Grenze?
Zimmermann: Das ist die Frage. Welche Mei-
nung toleriert man, wen will man zum
Schweigen bringen? In der Geschichte waren
es oft die Minderheiten, die Frauen, die Li-
beralen, deren Meinungen man unterdrückte
und für nicht tolerierbar hielt. Deswegen lege
ich die Meinungsfreiheit derart weit aus.
ZEIT: Die Operation Libero ist ein Verein,
den junge Akademiker in der Schweiz vor
fünf Jahren gegründet haben. Sie gehen im-
mer wieder in die Auseinandersetzung mit
der rechten SVP um Christoph Blocher. Was
hat Ihre Strategie bis heute konkret gebracht?
Zimmermann: Wir haben gezeigt, dass es
gelingen kann, die politische Debatte anders
zu framen, sie auf das eigene thematische
Schlachtfeld zu ziehen und sie dort für sich zu
entscheiden. Wir hatten in der Schweiz viele
fremdenfeindliche Volksentscheide, zum Bei-
spiel die Minarett-Verbots- oder die Ausschaf-
fungs-Initiative. Urheberin war immer die
SVP. Sie hat aber keine Mehrheit, sie braucht
Wählerinnen und Wähler anderer Parteien,
die für ihr Narrativ anfällig sind. Deshalb ist
entscheidend, dass man selbst mit einer klaren
Wertehaltung antritt. Das ist den klassischen
Parteien in der Schweiz oft nicht gelungen.
ZEIT: Was haben Sie anders gemacht?
Zimmermann: Das beste Beispiel ist die so-
genannte Durchsetzungsinitiative der SVP. Da
wollte die Partei über kriminelle Ausländer
sprechen. Sie sollten in bestimmten Fällen

ohne Einzelfallprüfung und ohne Ermessens-
spielraum der Gerichte abgeschoben werden.
Uns ging es aber um den Rechtsstaat, den
diese Initiative, wäre sie erfolgreich gewesen,
ausgehebelt hätte. Nach der Abstimmungs-
niederlage sagte der SVP-Präsident, er wisse
auch nicht, wie das passieren konnte, aber ir-
gendwann hätten in der Schweiz alle nur noch
darüber gesprochen, ob die Rechtsstaatlichkeit
diese Idee zulässt. Das war für uns das größte
Kompliment.
ZEIT: Herr Lobo, nach welchen Kriterien
entscheidet man, welche Meinungen nicht
mehr dazugehören? Und wer tut das?
Lobo: Das ist eine gesellschaftliche Konven-
tion, die sich nicht nur – aber auch – in Ge-
setzen ausdrücken kann. Wir haben in
Deutschland etwa den Straftatbestand der
Holocaustleugnung. In der Schweiz gibt es die
Anti-Rassismus-Strafnorm. Es gibt also die
Möglichkeit, sich gesellschaftlich auf Grenzen
des Sagbaren zu einigen.
ZEIT: Wir sollten die juristischen Grenzen
enger ziehen?
Lobo: Das wäre eine von mehreren Strategien.
Aber wenn Sie mich fragen, wo die Grenze ist,
dann bin ich der Letzte, der sagt: Ich will die
bestimmen. Ich glaube bloß, wir müssen uns
darauf verständigen, dass es erstens eine Gren-
ze gibt und dass diese, zweitens, im 21. Jahr-
hundert anders verläuft als im 20. Jahrhun-
dert. Wir haben mit den sozialen Medien in-
zwischen eine Wirkmacht der Worte erreicht,
bei der einzelne Fake- News dazu führen kön-
nen, dass Menschen sterben. Wir sollten nicht
so tun, als sei alles okay, was man irgendwo
sagen, schreiben und posten kann. Ich möchte
bestimmte Leute vom Diskurs ausschließen.
Zimmermann: Sie weichen extrem aus, wenn
es darum geht, Ihre roten Linien zu definie-
ren. Eigentlich bauen Sie die Grenzen des
Sagbaren nur für sich selber auf. Aber was
andere Leute denken und sagen, das können
Sie nicht beeinflussen.
Lobo: Ich weiche nicht aus, sondern ich
möchte mir allein die Grenzziehung einfach
nicht anmaßen. Es gibt das legitime Instru-
ment der Ausgrenzung, und es ist selbstver-
ständlich, dass in einer liberalen Demokratie
nicht jede sagbare Meinung geduldet wird.
Zimmermann: Diese Grenze ist das Strafrecht.
Lobo: Nein, es ist nicht das Strafrecht. Tut mir
wahnsinnig leid! Sie argumentieren für eine
Schweizerin überraschend deutsch. Sie erset-
zen die Moral durch einen Legalismus. Das ist
eine komplette Katastrophe, allein schon weil
das Strafrecht heute gerade bei vielen Vorfäl-
len in den sozialen Medien gar nicht greift.
Vor Kurzem hat ein Berliner Gericht die wirk-
lich schlimmsten Beleidigungen gegen Renate
Künast für juristisch akzeptabel erklärt. Und
nicht alle Menschen können immer klagen.
Das ist der Hebel, der zur Zerstörung einer
Debatte führt. Das wollen die Rechten, von
denen wir hier sprechen, und das darf man
nicht zulassen.
Zimmermann: Was die Macht des Wortes im
Zeitalter von Social Media angeht, da sind wir
uns absolut einig. Aber diese Macht muss man
im Kampf gegen Rechtsextremismus nutzen.
Natürlich sind die Schweiz und Deutschland
unterschiedlich. Die rechtsextreme Szene ist in
Deutschland größer und gewaltbereiter. Aber
wir als Operation Libero haben gezeigt, wie
man die salonfähigsten und bestfinanzierten
Rechtspopulisten Europas in mehreren Volks-
abstimmungen besiegen kann.
Lobo: Ich glaube, dass sich von der Schweiz
wenig oder nichts lernen lässt. Die Demokra-
tie in der Schweiz funktioniert anders. Die
SVP sitzt seit Jahren mit in der Regierung. Die
Rechtsverschiebung ist schon sehr viel früher
in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es
kann also sein, dass in der Schweiz das Kind
schon in den Brunnen gefallen und dort er-
trunken ist. Und dann geht man mit dem
Problem halt anders um, als wenn das Kind
noch lebt – wie in Deutschland.
Zimmermann: Da sind Sie jetzt naiv! Natür-
lich gibt es Parallelen zwischen der Schweiz
und Deutschland. Die SVP ist eine rechtspo-
pulistische Avant garde in Europa, und ihre
Strategien unterscheiden sich nicht fundamen-
tal von jenen der AfD. Wir tingeln als Opera-
tion Libero in ganz Europa umher und erklä-
ren, wie man erfolgreich ein liberales Agenda-
Setting betreiben kann. Dazu gehört auch, die

Rechten in öffentlichen Debatten, auf einer
Bühne oder im Fernsehen zu entzaubern.
Lobo: Es gibt keine Entzauberung.
Zimmermann: Doch!
Lobo: Das ist das große Missverständnis der
Menschen, die mit Rechten reden wollen: All
das, was die liberalen Demokraten als Ent-
zauberung begreifen, gilt für eine bestimmte
Klientel gar nicht. Man sieht es doch bei
Donald Trump: Wie kann man einen Mann,
der die maximale Absurdität zur politischen
Form erhoben hat, in einer Debatte entzau-
bern wollen?
Zimmermann: Was ist die Alternative?
Lobo: Das ist eine andere Frage.
Zimmermann: Sie weichen schon wieder aus.
Klar, man darf nicht über jedes Stöckchen
springen, das einem die Rechtspopulisten
hinhalten. Aber was passiert, wenn man ein-
fach sagt: Diese Meinung gibt es nicht, darü-
ber diskutieren wir nicht öffentlich? Die Idee,
man müsse einfach alles, was irgendwie rechts
ist, nur konsequent genug »Nazi« nennen,
und dann verschwindet es, diese Haltung
halte ich für naiv.
Lobo: Das ist nicht das, wofür ich plädiere.
Wenn Sie in einer Debatte mit einem Nazi
zur Schau stellen, dass er ein antisemitischer
Rassist ist, dann unterschätzen Sie, wie viele
Menschen ihn wählen, gerade weil er das ist.
Mit einer öffentlichen Debatte adelt man
diese Position als diskutabel. Das hat keine
entzaubernde, sondern kann sogar eine akti-
vierende Wirkung haben.
Zimmermann: Leute sind von Werten getrie-
ben. Wenn man es nicht schafft, sie mit Ar-
gumenten ... (Lobo verzieht das Gesicht) lassen
Sie mich bitte ausreden.
Lobo: ... ich wollte nur kurz lachen ...
Zimmermann: ... wenn Sie davon ausgehen,
dass Leute nur von niederen Trieben gesteuert
werden, die irgendwie aktiviert werden ...
Lobo: ... ich sage nicht, dass man über diese
Dinge nicht reden darf. Das ist eine Unter-

stellung. Aber ich möchte nicht mit, sondern
gegen Rechte reden. Das ist kein Konzept,
das Rechte ausblendet.
Zimmermann: Also, wie dekonstruieren Sie
denn nun die Rechtspopulisten?
Lobo: Indem ich der Öffentlichkeit zeige, wie
Rechte funktionieren. Dabei versuche ich
auch, die Erfahrungen der von Rassismus
und Antisemitismus betroffenen Menschen
einzubauen. Wie viele schwarze Menschen
haben Sie bei Operation Libero, die da mit
Rechten reden?
Zimmermann: Viel zu wenige.
Lobo: Könnte es nicht sein, dass das ein Symp-
tom ist? Wenn ich mit Menschen mit einer
anderen Hautfarbe oder aus der LGBTIQ-
Community spreche, höre ich die tödliche Be-
drohung, die sie täglich erleben. Heute Mittag
wurde in Halle eine Synagoge angegriffen, und
zwei Menschen wurden dabei erschossen.
Zimmermann: Rechtsextreme wie in Halle
oder Islamisten wie in Limburg wollen unsere
pluralistische Gesellschaft auseinandertrei-
ben. Wie aber sollen wir diese Gesellschaft
erhalten, wenn nicht über eine Debatte, in
der man die Mehrheit immer wieder davon
überzeugen muss, dass diese Gesellschaft und
ihre Errungenschaften verteidigenswert sind?
Lobo: Was Sie beschrieben haben, waren
Kampagnen, keine Debatten zwischen der
SVP und Operation Libero. Es war ein öf-
fentlicher Wettbewerb um die bessere Erzäh-
lung, und den habt ihr gewonnen.
Zimmermann: Stimmt nicht! Debatten waren
der wichtigste Teil der Kampagne.
Lobo: Und Sie sind sich absolut sicher, dass
Sie auf diesen Bühnen nicht manipuliert
wurden?
Zimmermann: Nein.
Lobo: Aber Sie haben es trotzdem getan.
Zimmermann: Ja.

Moderation: Matthias Daum
und Robert Pausch

Lassen sich Rechtspopulisten entzaubern?


»Sie weichen extrem aus, wenn es darum


geht, Ihre roten Linien zu definieren«


Wenn die Schweizer am Sonntag wählen, könnte die nationalkonservative SVP Stimmen verlieren – weil sie in Debatten auseinandergenommen


wurde, sagt die Aktivistin Laura Zimmermann. Unfug, entgegnet der Autor Sascha Lobo, Gesprächsbereitschaft muss Grenzen haben


»Ich möchte bestimmte Leute


vom Diskurs ausschließen«


12 17. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43


Der Berliner Sascha Lobo,
44, ist Autor und Blogger.
Er beschäftigt sich
unter anderem mit Hass
in sozialen Netzwerken

Fotos: Lukas Maeder für DIE ZEIT

Laura Zimmermann, 27, leitet
die politische Bewegung
Operation Libero. Die Juristin
ist eine der profiliertesten
Gegnerinnen der SVP
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