Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Okay, das hier soll also ein Text werden über die
Frage, ob von Frauen verfasste Literatur anders
rezipiert wird als von Männern verfasste Literatur,
verfasst von einer Frau, die sich sicher ist, als
Autorin schon anders rezipiert worden zu sein,
als ein Mann an ihrer Stelle rezipiert worden wäre
(Bachmannpreis 2011, Kritiker insinuierte, dass
ich da als Autorin nur lesen durfte, weil der, der
mich eingeladen hatte, in mich verliebt sei). Ins­
gesamt sind das keine günstigen Voraussetzun­
gen, einen solchen Text zu schreiben, und zwar
nicht nur, weil für mich die Antwort feststeht
(natürlich werden Frauen anders rezipiert), son­
dern auch, weil sich unter diesen Voraussetzun­
gen (hier schreibt eine Autorin, also eine – oje –
Betroffene) eine Konstellation wiederholt, die mit
dafür verantwortlich ist, dass Verlage für sich das
»Trendthema Feminismus« entdeckt haben.
Denn Feminismus im Allgemeinen, und hier
im Besonderen die Literatur betreffend, gilt ak­
tuell als folgerichtig – wie jeder, der bis drei
zählen kann, inzwischen zumindest offiziell
angibt, verstanden zu haben. Feminismus be­
inhaltet also auch das Versprechen auf Teilhabe
am sogenannten Zeitgeist, und abgesehen davon
ist er natürlich auch ganz geil.
Denn wenn Frauen über feministische The­
men schreiben, dann tun sie das meist entlang
des weiblichen Körpers, weil wesentliche fe­
ministische Themen nun mal Frauenkörper
betreffen (Mutterschaft, Verhütung, Sex), und
das ergibt dann sofort eine reizvolle literarische
Situation, in der man Autorin und Protagonis­
tin schon mal, ups, bisschen durcheinander­
bringen kann. Ein Vorgang, den man bei der
Rezeption von Texten regelmäßig und nicht
nur bei Autorinnen beobachten kann, der je­
doch dann einen sogenannten Beigeschmack
hat, wenn Feminismus als speziell verkaufs­
fähige Trend­Ware angepriesen wird (weil
weiblicher Körper in der Nähe der Vokabel
»Ware«, hm, problematisch), und dieser Be­
fund be inhal tet selbstverständlich keine Aus­
sage zu Fragen nach der Berechtigung des Fe­
minismus an sich.
Dieser Befund sagt auch nicht, dass femi­
nistische Texte speziell anständig sein müssen,
also mit ihnen kein Geld verdient werden darf.
Dieser Befund stellt fest: Es gab und gibt eine

Vielzahl weiblicher Selbstbeschreibungsbücher
(keine Überraschung, weil lange Zeit Männer
für die Beschreibung von Frauen zuständig
waren), die unter dem Label Feminismus lau­
fen, mit dem Verlage hoffen, Geld zu verdie­
nen, und deren Verfasserinnen sich zu einer
Art Autorinnentypus zusammenfassen lassen
(jung, weiblich, im Text steht »Ich«, häufig in
autofiktionaler Form, Thema Feminismus).
Als eine auf diese Art anmoderierte Autorin
ist man in einer prekären Situation, denn was
man schreibt, wird leicht gelesen werden als
Schreiben über den eigenen Körper, was in der
öffentlichen Wahrnehmung immer auch eine
Degradierung bedeuten kann (Frauenzeug etc.),
und zwar genau dann, wenn entscheidende
Machtpositionen von Männern besetzt sind.
Und es ist exakt dieser Mechanismus, den ich
meinte, als ich schrieb, auch dieser Text wieder­
hole eine für das »Trendthema Feminismus«
typische Konstellation: Denn Sie wissen jetzt,
dass ich offenbar so geil bin, dass irgendein Bach­
mann­Onkel mich mal für geil gehalten haben
könnte, was für mich als Autorin natürlich nicht
so geil ist. Denn ich habe eigentlich keine – hihi


  • Lust, für diesen Text sozusagen die Beine breit
    zu machen, also mein Ich dafür zur Verfügung
    zu stellen, gesellschaftlich relevante und gleich­
    zeitig – dumme Koinzidenz – schlüssellochhafte
    Themen beispielhaft zu machen, mit denen man
    (also mit Sicherheit nicht nur ich) Geld verdie­
    nen kann.
    Es ist richtiggehend dumm, das zu tun, und
    die einzig sinnvolle Konsequenz auf all das wäre,
    als identifizierbare Person zu verschwinden, so
    wie die Schriftstellerin Elena Ferrante, die man
    ja nun schon seit Längerem endlich einzufangen
    versucht.
    Auch die Schriftstellerin Helene Hegemann
    musste 2010 dringend verhaftet werden, als sie
    sehr jung (17 Jahre alt) ein sehr gutes Buch (Sex
    spielte eine Rolle) veröffentlichte, für das sie die
    Kritik erst lobte und dann aber auf unglaubliche
    Weise auseinandernahm, nachdem sie sich nach
    Kritikermaßstäben schlecht benommen hatte
    (sie hatte Textstellen aus einem fremden Werk
    übernommen, ohne sie als Zitate auszuweisen,
    was für manche Plagiieren war und für andere
    ein zeitgemäßes Verständnis von Autorschaft,


eines übrigens, das auch den Aspekt des Ver­
schwindens hat).
Mit enormer Aggressivität versammelten
sich damals Großkritiker sogenannter Leit­
medien zu einer Art Bestrafungsparty: Hege­
mann beziehungsweise »das Mädchen« habe
ein »Tagebuch« in »Ich­Perspektive« verfasst
(Jürgen Kaube, FAZ), dessen literarische Qua­
lität, so stellte Willi Winkler (Süddeutsche Zei-
tung) fest, ihren Kritikern egal sei, viel wichti­
ger sei »Fräulein Hegemann(s)« (sic!) Frisur
(gute Artistik, der Autorin vorzuwerfen, dass
ihre Kritiker sich vor al­
lem für ihre Frisur inte­
ressierten), und so kam
ein anderer Kritiker dann
auch zu dem Ergebnis,
dass diese »junge Frau«
nur ein »kleine(s) Buch«
geschrieben habe.
Natürlich hatte dieser
Literaturskandal die Be­
sonderheit des Plagiat­
verdachts, aber der Versuch
der öffentlichen Demon­
tierung geschah unter dem
permanenten Hinweis auf
das Geschlecht der Autorin
und unter Verwendung
misogyner Stereotype, und
selbstverständlich hinterlassen solche Exzesse
einen Eindruck sowohl im allgemeinen Bewusst­
sein als auch im Autorinnenkopf (merken: Ich in
Texten = bad idea, und Sex auch sein lassen?).
Aber Moment, Moment, heute, also nach
#MeToo, ist dieses etwa drei Sekunden alte
Domestizierungs­Happening tatsächlich nicht
mehr denkbar, heute ist Feminismus ein Trend.
Und zwar so sehr, dass zuletzt die Sorge be­
stand, dass als feministisch apostrophierte Li­
teratur wohlwollender besprochen wird.
Die Schriftstellerin Karen Köhler ist mit ih­
rem Buch Miroloi beim Hanser­Verlag Spitzen­
titel für den Herbst, der als »Roman einer Be­
freiung« angekündigt wurde und außerdem auf
der Longlist für den Deutschen Buchpreis
stand. Es gab zunächst einige tatsächlich ir­
gendwie unausgesprochene, mittelpositive Re­
zensionen (zwei Rezensentinnen), auf die dann

vier Kritiken folgten (vier Rezensenten), die
den Roman fürchterlich fanden und von denen
drei nahelegten, dass er auf dem Feminismus­
Ticket reise, und einer darauf hinwies, dass ein
feministischer Text gegenwärtig offenbar gegen
Kritik imprägniert sei.
Das ist eine interessante Idee, wenn man
bedenkt, wie hart Miroloi kritisiert worden ist,
und wenn man sich außerdem vergegenwärtigt,
dass diese Kritik ohne den impliziten Hinweis
auf das Geschlecht der Autorin nicht funktio­
nieren würde. Und damit wird wieder evident,
dass Frauen anders re­
zipiert, anders kritisiert
werden als Männer, ohne
und mit Feminismus, der
vielleicht gerade »Trend­
thema« ist, woraus sich
aber nicht zwingend Vor­
teile ergeben, im Gegenteil
(Leute blättern zwischen
deinen Beinen rum, Leute
sagen, dass du nur bist, wo
du bist, weil man dir zwi­
schen den Beinen rum­
blättern kann).
Noch immer schreibt
eine Autorin, wenn sie
schreibt, als Frau, wäh­
rend der Mann die Regel
ist, und wenn Frauen auch nur in die Nähe des
Die­Regel­Seins kommen, wird umgehend da­
rauf hingewiesen, dass sie nun ja schon fast die
Regel seien, was selbstverständlich das Gegenteil
bestätigt etc.
Diese Verhältnismäßigkeit lässt sich beispiel­
haft machen an der 2018 veröffentlichten Studie
#Frauenzählen, der zufolge zwei Drittel der in
deutschen Medien besprochenen Bücher von
Männern sind, wobei Literaturkritiken grund­
sätzlich überwiegend von Männern verfasst
würden.
Und es war genau dieser Male Gaze, also der
männliche Blick als Beschreibungsstandard, den
die drei Initiatorinnen des Hashtags #dichter­
dran kürzlich persiflierten, als sie auf Twitter
auf eine Weise über Autoren schrieben, wie sie
annahmen, dass sonst nur über Autorinnen ge­
schrieben werde: »Böse Zungen würden be­

haupten, dass Saša Stanišić sein gutes Aussehen
nicht geschadet hat, als es darum ging, einen
Verlag zu finden. (...)«
Als wesentliche Aspekte des Male Gaze wur­
den Aussehen, Mutterschaft und die Infragestel­
lung der Autorinnen­Könnerschaft identifiziert,
wobei in der allgemeinen Auseinandersetzung
mit dem Dichterdran­Hashtag interessanter­
weise vor allem ein Punkt herausgestellt wurde,
nämlich das Aussehen der Autorinnen. Die
also hätten in der Vergangenheit schließlich
auch nichts dagegen gehabt, sich auf Fotos an­
sprechend inszenieren zu lassen und davon
vielleicht zu profitieren und mit ihnen ihre Ver­
lage. Und es ist natürlich richtig, dass mit Fotos
Politik gemacht wird, hinter der kommerzielle
Interessen stehen, und ebenso nachvollziehbar
ist es, sich darüber zu beschweren, dass sich
über sexistische Bildbeschreibungen von Auto­
rinnenfotos beschwert wird, wenn der Sexismus
doch schon beim Autorinnenfoto anfange.
Aber: Was soll die Autorin denn machen,
sie sieht halt aus, selbst wenn sie sich nicht
inszeniert (wie nur? Kein Lippenstift, Haare
einfach wachsen lassen?), inszeniert sie sich
irgendwie (scheues Reh, schreibende Psycho­
Alte, hat was gegen Sex?). Die einzig mögliche
Antwort wäre dann tatsächlich zu verschwin­
den, ganz abgesehen davon natürlich, dass der
Hinweis auf das sexy Autorinnen­Foto eben
im Kern eine Wiederholung des klassischen
Wenn­sie­einen­kurzen­Rock­trägt­muss­sie­
sich­nicht­wundern­Arguments ist.
Und damit kommen wir zu dem eigent­
lichen Punkt der Rezeptions­Frage: nämlich
dem, dass Kritiker und Kritikerinnen über die
Voraussetzungen und Bedingungen ihres Den­
kens einigermaßen Bescheid wissen sollten,
und damit ist das Gegenteil dieser größen­
wahnsinnigen und selbstverständlich schwach­
sinnigen Idee der Kritiker­Neutralität gemeint.
Kritiker und Kritikerinnen müssen nicht neu­
tral sein und sind es bisher zu keinem Zeit­
punkt gewesen. Sie sollen über Kunst nach­
denken und dabei ihre Reflexe im Griff haben
(etwa, dass Autorin X nur da ist, wo sie ist, weil
irgendein Kritiker in sie verliebt ist). Denn ich,
also das Ich in meinen Texten, kann gar nicht
mehr verschwinden.

Mit #MeToo wurde Literatur von und über Frauen zum Trend. Zwei Jahre später


müssen sich erfolgreiche Autorinnen vor der Buchmesse vorhalten lassen, auf


dem Feminismus­Ticket zu fahren. Werden sie tatsächlich immer noch anders


gelesen als Männer? VON ANTONIA BAUM


Rumblättern


zwischen den Beinen


Antonia Baum ist Schriftstellerin und
Autorin der ZEIT. Ihr jüngster
Roman »Stillleben« erschien 2018 bei Piper


  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43 STREIT 13


Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; Foto: Christian Werner für DIE ZEIT

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