Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Kindern einen Namen zu geben ist keine leichte Sache. Man muss
eine passende Bezeichnung für ein Kind finden, das man aber noch
gar nicht kennt. Vielleicht wünscht man sich, dass der kleine Mensch,
der fortan mit einem das Leben teilen soll, ganz genau so lyrisch und
so zart oder so männlich und so hart werde, wie einem die Laute
des Namens im Ohr klingen. Aber ob Name und Charakter dann
tatsächlich zueinander passen? Reine Spekulation.
Dazu kommt, dass Namen auch immer periodischen Schwankungen
unterworfen sind. Wer würde seinen Kindern heute noch Namen
geben, die die eigenen Altersgenossen haben? Heute werden nur
noch wenige Frank genannt und auch nicht so viele Petra. Namens-
gebende Eltern möchten, dass der Name ihres Kindes dieses als In-
dividuum dastehen lässt. Man möchte einen Namen finden, den sich
nicht jeder einfallen lässt. Gleichzeitig soll so ein Name aber das arme
Kind ja auch nicht alleine stehen lassen. Es soll also ein Name sein,
den eigentlich jeder gerne hätte, aber nur wenige haben. Er muss in-
dividuell klingen, aber doch eine gewisse Anschlussfähigkeit haben.
Es ist also eine schwierige Angelegenheit, die nicht eben dadurch
leichter wird, dass man sie mit niemandem außer dem Partner tei-
len kann. Denn sobald man etwa den eigenen Verwandten erklärt,
wie man das zu erwartende Baby nennen möchte, begegnen einem
sogleich schwerste Zweifel. Als meine Mutter erfuhr, dass die kleine
Schwester von Luna und Lotta den Namen Greta bekommen sollte,
entfuhr es ihr sofort: »Aber dann muss man ja sofort an Tante Greta
denken. Das ist doch kein Name für ein Kind!« Ich hatte im Leben
noch nicht an Tante Greta gedacht. Eher an Greta Garbo.
Daraus lernten meine Frau und ich, dass man Namen am besten so
lange für sich behält, bis das Kind auf der Welt ist. Heute denkt üb-
rigens niemand mehr an Tanten und auch nicht an Diven, wenn er
den Namen Greta hört. Heute denkt man an eine unerschrockene
Jugendliche, die einem ganzen Saal voll Politikern die Meinung gei-
gen kann.
Im Internet habe ich gelesen, dass unsere Greta zur Zeit ihrer Ge-
burt mit ihrem Vornamen auf Platz 61 der Mädchennamen-Hitliste
war. Heute soll es der beliebteste Mädchenname mit »G« sein. Früher
waren Gretas selten. Heute wollen alle Greta sein.
Nur Greta nicht. »Das ist doch kein Name!«, hat sich Greta ein-
mal beschwert, »ich hätte lieber einen anderen Namen.« Sie würde
lieber Anne heißen. Anne, sagte sie, sei ein richtiger Name, Greta
irgendwie nicht. Ich musste den Namen meiner Tochter gegen sie
verteidigen. Außerdem, sagt Greta, gebe es von ihrem Namen keine
sinnvolle Kurzform. Man könnte ja schlecht »Gret« genannt werden.
Schon gar nicht sei es möglich, Verniedlichungen zu finden. »Greti«
klinge behämmert, und »Gretchen« sei ja wohl noch viel schlimmer.
Ich schlug ihr dann vor, sie könne sich ja »Gretl« nennen, aber das
gab unserer Konversation keine produktivere Richtung. Greta ent-
glitten ein paar Zischlaute, die man als veritable Flüche hätte inter-
pretieren können, wenn sie sie nur voll ausgesprochen hätte. Sie hatte
sozusagen sinnvolle Kurzformen gefunden.
Neulich schickte mir meine Frau ein Foto auf das Handy: meine
Kinder auf der »Fridays for Future«-Demo. Greta hatte ich ein Schild
gemalt: »Make the World Greta again«. Ich weiß nicht, ob die Klima-
diskussion die Welt rettet. Aber vielleicht könnte sie meine Tochter
mit ihrem Namen versöhnen.

Prüfers Töchter MEINE 12-JÄHRIGE

Greta ist 12 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt


hier im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 19, 14 und 6 Jahren

»Das ist doch


kein Name!«


Illustration Aline Zalko

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