Frau Nosbusch, Sie haben schon als
Zwölfjährige eine Radiosendung mode-
riert. Wie kam es dazu?
In den Schulferien saß ich mit einer Freun-
din bei Radio Luxemburg in einer Kinder-
sendung und wurde interviewt. Nach der
Sendung verließen wir das Studio, und
gegenüber aus dem Fahrstuhl kam Frank
Elstner und bat mich, meine Telefon-
nummer dazulassen. Drei Wochen danach
wurde ich dann gefragt, ob ich Pierre Brice
fürs Kinderprogramm interviewen möchte.
Und sechs Monate später hatte ich meine
eigene Sendung: Hits von der Schulbank.
Ich war für den Inhalt der Sendung ver-
antwortlich. Schulklassen aus Deutschland
haben mir ihre persönlichen Hitparaden
geschickt und dazu ihren am meisten ge-
hassten Song und Kommentare und Anek-
doten zu Lehrern und Schülern.
Die Sendung war erfolgreich.
Ja, sehr. Bald darauf arbeitete ich für das
ZDF als Moderatorin der Music box. Und
dann kam das Angebot zu Der Fan.
Einem Kinofilm, dessen Nacktszenen
mit Ihnen zum Skandal wurden.
Ich war 16. Alles war so schnell gegangen,
dass ich mich fremdgesteuert fühlte, ich
konnte gar nicht mehr Ja oder Nein sagen.
Und was die Nacktheit angeht, war ich
belogen worden. Ich habe versucht, eine
einstweilige Verfügung gegen den Film zu
erwirken – vergeblich. Für das ZDF war
ich danach erst mal nicht mehr tragbar, ich
sollte ja das Aushängeschild für die Jugend
sein. Ich war verzweifelt. Dann gab es auch
Versuche, mich zu rehabilitieren, ich wurde
zum Beispiel für das Cover einer Fernseh-
zeitschrift fotografiert, mit Osterlamm auf
dem Arm und Schleife im Haar. Aber das
war ich auch nicht. Ich rebellierte inner-
lich. Ich hatte mich verloren.
Wie haben Sie wieder zu sich gefunden?
Ich bin in Berlin ins Kino gegangen, in
den Film Fame. Der handelt von jungen
Menschen, die an einer Schule für dar-
stellende Künste in New York studieren.
Ich sah ihre Lebensfreude, wie sie sangen,
tanzten, schauspielerten. Ich sah die Frei-
heit, die man mir genommen hatte. Das
war das, was ich sein wollte. Als ich an dem
Abend aus dem Kino kam, war mir klar:
Ich gehe nach New York!
Sie besuchten dort vier Jahre lang die
Schauspielschule von Herbert Berghof
und Uta Hagen.
Ja. Um Geld zu verdienen, habe ich ge-
kellnert, nebenbei eine Kolumne für eine
Pop-Zeitschrift geschrieben und eine Ra-
diosendung für den NDR gemacht. An
der Schauspielschule war ich wahnsinnig
glücklich. Herbert Berghof gab mir einen
Satz mit auf den Weg, den ich nie verges-
sen habe: »Wir machen diesen Beruf für
die wenigen kleinen Momente, in denen
wir das Gefühl haben, zu fliegen.« Ich hatte
auf einmal das Gefühl, dass ich fliege.
Konnten Sie es sich erhalten?
1984 überredete mich ein Freund, den
Euro vi sion Song Contest in Luxemburg
unter seiner Regie zu moderieren. Über
Nacht war ich in Europa bekannt, tourte
jahrelang durch viele Länder und mode-
rierte überall, wo man in drei Sprachen im
Abendkleid auf einer Showtreppe nicht
stolpern durfte. Irgendwann hatte ich das
Gefühl, zu fliegen, wieder ein Stück weit
verloren. Dann kam mein Privatleben da-
zwischen, ich heiratete, ging mit meinem
damaligen Mann nach L.A. und habe dort
zwei Kinder großgezogen. Das war auch
eine wunderbare Zeit. Aber an den Satz
von Berghof habe ich mich immer er-
innert. Was ich in New York gelernt hatte,
waren die Gründe, warum ich schauspie-
lern wollte. Mir ging es um Inhalte, um die
Reise in das Leben eines Menschen, darum,
mir über eine Rolle neue Themen zu er-
schließen. Das ist ein Geschenk. Den Kopf
einschalten zu dürfen, alles aufzusaugen,
um es dann im Bewusstsein nach hinten
zu schieben und der In tui tion zu vertrauen.
Das hat mich immer fasziniert.
Warum haben Sie die Angebote nicht
abgelehnt, die dem nicht entsprachen?
Ich hatte lange das Gefühl, dass ich die
Erwartungen meiner Eltern nicht erfüllt
habe: Ich habe kein Studium, keinen nor-
malen, anerkannten Beruf. Daraus hat sich
der Gedanke entwickelt, dass ich besonders
viel leisten muss. Deshalb fiel es mir immer
schwer, Nein zu sagen. Irgendwann habe
ich mich selbst genervt damit. Heute kann
ich sagen: Alles ist gut. Mein Traum, den
ich in New York hatte, hat sich erfüllt.
Für Ihre Rolle in der Serie »Bad Banks«
wurden Sie mit Preisen ausgezeichnet.
Ich empfinde zum ersten Mal in meinem
Leben, dass ich Anerkennung bekomme für
die Sache, für die ich eigentlich immer an-
treten wollte. Vor Kurzem war ich mit mei-
nem jetzigen Mann in einem Restaurant.
Am Nebentisch saßen zwei Schauspielkol-
legen, die ich sehr verehre. Als sie gingen,
blieben sie stehen und sagten: »Frau Nos-
busch, großartig, wir gratulieren.« Ich hatte
das Gefühl, endlich dazuzugehören. Und
das ist wunderbar. Meine Kinder sind Mu-
siker, und wenn sie mal bedrückt sind, weil
etwas nicht so klappt, sage ich nur: »Schaut
euch eure Mutter an.« Ich musste 54 wer-
den, bis die Anerkennung kam. Glaubt an
euren Traum. Foto
Andy J. Scott
In einer Identitätskrise sah die Schauspielerin den Film »Fame« – und änderte ihr Leben
Das war meine Rettung DÉSIRÉE NOSBUSCH
Désirée Nosbusch, 54, wurde in
Luxemburg geboren. Die Schau-
spielerin und Moderatorin wurde für
ihre Rolle in »Bad Banks« 2 019
unter anderem mit dem Grimme-Preis
ausgezeichnet. Am 24. und 31. 10.
ist sie als Polizeipsychologin im
»Irland-Krimi« im Ersten zu sehen
Das Gespräch führte Anna Kemper
Im nächsten Heft: Die Deutschlandkarte zeigt, wo besonders viele Männer in Teilzeit arbeiten.
Und die Schauspielerin Andrea Sawatzki spricht über ihre Kindheit und ihr Scheitern in der Schule
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