Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Ray Wong,
26, ist ein Freiheitsaktivist aus Hongkong, der Asyl
in Deutschland bekommen hat. Im Jahr 2014 gründete er
in seiner Heimat eine pro-demokratische Partei. In der Folge
wurde er wegen »Aufruhr« und »unrechtmäßiger
Versammlungen« angeklagt, doch ihm gelang rechtzeitig
die Flucht nach Europa. Heute lebt er in Göttingen, wo er
ein Politikstudium begonnen hat

Foto: Norman Hoppenheit für DIE ZEIT


Seid nicht naiv!


Huawei sollte das deutsche 5G-Netz nicht bauen dürfen. Die Bundesregierung muss


begreifen, dass China die Schwächen liberaler Demokratien ausnutzt VON RAY WONG


Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit,
die Originalversion dieses Artikels unter zeit.de/raywong-englisch

D


eutschland hat mir als politi-
schem Flüchtling Schutz ge-
währt. Auch deshalb würde ich
die Bundesregierung gerne war-
nen: Dieses Land ist drauf und
dran, eine folgenschwere Fehl-
entscheidung zu treffen. Das
Kanzleramt schließt nicht aus, den chinesischen Kon-
zern Huawei am Aufbau des Mobilfunknetzes 5G zu
beteiligen. Huawei ist aber nicht irgendeine Firma.
Sie ist eng verknüpft mit der chinesischen Regierung
und dem Militär. Sollte die Bundesrepublik diesem
Konzern tatsächlich den Zuschlag für eines ihrer
wichtigsten Infrastrukturprojekte erteilen, wird dies
China in die Lage versetzen, in nationale Nerven-
stränge wie das Stromleitungsnetz, das Bank- und
Finanzsystem und die Telekommunikation einzu-
dringen und sie zu stören.
Außerdem würde Deutschland damit jenen, die in
Hongkong und anderswo für Demokratie und Frei-
heit kämpfen, das Signal senden, dass für Berlin wirt-
schaftliche Interessen wichtiger sind als die konse-
quente Verteidigung westlicher Werte.
Wer das für alarmistisch hält, dem halte ich ent-
gegen: Seien Sie nicht naiv! Die Bundesrepublik darf
sich nicht täuschen lassen, wenn von chinesischer
Seite behauptet wird, Huawei verfolge allein kom-
merzielle Motive.
Das 5G-Netz ist so etwas wie das Fundament für
die digitale Zukunft. Wenn die Bundesregierung bei
dessen Sicherheit Kompromisse eingeht, macht sie
damit früher oder später nicht nur die Arbeitswelt des
Landes angreifbar, sondern auch die Privatsphäre der
Bürger. In Großbritannien sind Regierungsexperten
vergangenes Jahr zu der Einschätzung gelangt, dass es
die nationale Sicherheit gefährden würde, Huawei-
Komponenten zu verbauen. Australien hat es verbo-
ten, Huawei am Aufbau des 5G-Netzes zu beteiligen,

aus Sorge, dass Chinas Regime Stromverbindungen
und andere Netzwerke lahmlegen könnte.
Ich bin in Hongkong aufgewachsen. Deshalb
weiß ich nur zu gut: Es ist naiv, davon auszugehen,
dass die chinesische Regierung ihr Wort halten wird,
wenn sie verspricht, 5G nicht zu missbrauchen.
Hongkong ist das West-Berlin im neuen Kalten
Krieg, eine kleine Bastion der Freiheit im Griff eines
totalitären Regimes.
Wir kennen die Realität hinter der Fassade des
chinesischen Staates: Als China 1984 das Übergabe-
abkommen mit Großbritannien über die einstige
Kolonie Hongkong unterzeichnete, wurde verein-
bart, dass die Rechte und Freiheiten der dortigen
Bürger fünfzig Jahre lang gewahrt bleiben sollten.
Das ist nicht geschehen, im Gegenteil. In den ver-
gangenen zehn Jahren wurden die Rechte der Bürger
Hongkongs systematisch untergraben. Warum, liebe
Deutsche, denkt ihr, ihr könntet Peking trauen?
Deutschland muss endlich verstehen: China nutzt
die Schwächen liberaler, marktwirtschaftlicher Ge-
sellschaften geradezu meisterhaft aus, wenn es darum
geht, Menschen in Konformität zu zwingen und ihr
Verhalten zu manipulieren. Die Bundesrepublik darf
sich durch die vermeintlich preiswerte 5G-Technolo-
gie von Huawei nicht in diese Falle locken lassen.
Laut dem Cybersicherheitsgesetz der Volksrepu-
blik müsssen Netzbetreiber mit chinesischen Krimi-
nal- oder Sicherheitsermittlern zusammenarbeiten und
der Regierung auf Anfrage uneingeschränkten Zu-
gang zu Daten gewähren. Als chinesisches Unterneh-
men unterliegt Huawei natürlich diesem Gesetz. Ob-
wohl Huawei bisher nur eine Niederlassung in
Deutschland hat, kann die chinesische Regierung
aufgrund dieses Gesetzes Huawei jetzt schon anwei-
sen, chinesischen Spionen Zugang zu deutschen Da-
ten zu gewähren. Gemäß dem National Intelligence
Law müssen zudem »alle Organisationen und Bürger

die Arbeit der nationalen Geheimdienste (...) unter-
stützen, ihnen helfen und kooperieren«.
Deutschland bietet mir als Flüchtling Schutz – und
bewahrt mich vor dem Zugriff chinesischer Behörden.
Dies gilt auch für viele Flüchtlinge aus den Uiguren-
Gebieten und aus Tibet. Wenn Deutschland Huawei
die Tür öffnet, könnten Flüchtlinge aus China die
Ersten sein, die der Gefahr einer Massenüberwachung
mithilfe der 5G-Technik ausgeliefert sind. Menschen
wie ich haben daher auch einen persönlichen Grund,
die Bundesregierung vor Huawei zu warnen.
Wenn Huawei kritische Infrastruktur in Deutsch-
land bauen darf, verfügt China dauerhaft über einen
langen Hebel in diesem Land. Man muss nur an die
Möglichkeit denken, dass abgefangene Kommunika-
tion zwischen Politikern oder Regierungsbehörden zu
Erpressung eingesetzt wird. Außerdem könnten In-
terna aus dem Militär oder den Geheimdiensten in
Peking landen. Huawei als Technikanbieter auszu-
schließen könnte den Ausbau des 5G-Netzes verzö-
gern, ja. Aber die Angstfreiheit der deutschen Bürger
und das Grundrecht auf Privatsphäre dürften die
wirtschaftlichen Kosten mehr als aufwiegen.
Offene Gesellschaften auf der ganzen Welt sind
leider anfällig für den totalitären Einfluss Chinas.
Will Deutschland einem Unternehmen, das die deut-
schen Werte ernsthaft bedroht, wirklich einen solch
enormen Einfluss erlauben? Außenminister Heiko
Maas hat angedeutet, die Europa-Fahne könne »das
neue Banner der freien Welt« werden. Dann sollte
Berlin auch entsprechend handeln. In Hongkong
hatten wir nie die Wahl – die Briten entschieden für
uns, dass wir unter die Herrschaft des kommunisti-
schen Regimes geraten würden. Die Deutschen kön-
nen wählen. Noch.

Siehe auch Wirtschaft, Seite 34: Was hinter
der deutschen Huawei-Entscheidung steckt

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