IRGENDWAS IST JA IMMER
Mit der Liebe ist es so eine Sache im po-
litischen Betrieb. Meist stoßen Argumen-
te, seien sie noch so gut begründet, beim
politischen Gegner auf wenig Gegenliebe.
Schon der Begriff »politischer Gegner«,
der in Berlin alltäglich ist, drückt diese
antagonistische Grundhaltung aus.
Seit einigen Monaten genieße ich nun
in Brüssel die Besonderheiten der euro-
päischen Politik: die kollegiale Zusam-
menarbeit, das Ringen um Lösungen über
Partei- und Ländergrenzen hinweg und,
ja, die gemeinsame Liebe zu Europa. Auch
hier gibt es Quertreiber, Brandstifter, un-
angenehme Menschen. Doch eines ist
anders: das Gefühl, an einem Strang
ziehen zu müssen. Weil nur so die euro-
päische Ebene in der nationalstaatlichen
In ter es sen kako pho nie von (noch) 28
Mitgliedsstaaten Gehör finden kann.
Als ich gefragt wurde, hier über einen
Kollegen von der anderen Seite des poli-
tischen Spektrums zu schreiben, kam mir
sofort Alexander Graf Lambsdorff von
der FDP in den Sinn. Er liebt Europa und
hat viele Jahre seines Wirkens dieser Eu-
ropäischen Union gewidmet. Und zwar
im Stile eines großen Europäers: klug,
humorvoll, kultiviert und vor allem fair.
Er genießt in Brüssel den Ruf, für seine
Überzeugungen zu streiten, aber auch
offen zu bleiben für Argumente des an-
deren. Wir sind uns in der Sache oft
uneins, besonders bei der Frage, wie wir
die EU von einem Binnenmarkt zu einer
sozialen Union weiterentwickeln. Allein
dieser Begriff dürfte bei ihm auf Ableh-
nung stoßen. Aber eine Überzeugung
teilen wir: dass Europa ein Leuchtturm
sein muss. Für Multilateralismus, Ver-
ständigung, Demokratie und Rechts-
staatlichkeit.
Die Kunst des Kompromisses ist leider
aus der Mode gekommen. Herr Lambs-
dorff steht wie kaum ein Zweiter dafür
ein, dass wir in Europa zusammen anstatt
ge gen ein an der arbeiten. Leider haben sich
unsere Wege nur kurz gekreuzt – er ist
vom Europaparlament in den Bundestag
gewechselt, während ich im Sommer den
umgekehrten Weg machte. Er wird es mir
nicht übel nehmen, wenn ich verrate, dass
er mit mindestens einem weinenden Auge
ging. Sein Weggang ist ein großer Verlust
für Brüssel.
Für mich ist es allerdings beru-
higend, dass er nun im bisweilen lieb-
losen Berliner Politikbetrieb für das ein-
steht, was uns verbindet: die Liebe zu
Europa.
LIEBE
Alexander Graf Lambsdorff ist in der FDP. Und wirtschaftsliberal. Aber ein toller Demokrat VON KATARINA BARLEY
Katarina Barley,
SPD, ist Vize
präsidentin des
Europäischen
Parlaments
o die Fahnen flattern, da ist der Geist in
der Trompete – diesen Satz hat der ös-
terreichische Satiriker Karl Kraus an-
gesichts der nationalistischen Besof-
fenheit Europas vor dem Ersten Welt-
krieg notiert. Lange her, würde man
meinen. Leider nicht. In Katalonien
sind in den vergangenen Jahren und
Monaten viele Fahnenträger durch die
Straßen gezogen und haben ihre geist-
losen Parolen hinausposaunt – mal
waren die Flaggen Kataloniens zu sehen, mal war es
die spanische Nationalflagge, getragen, begleitet und
bejubelt von Zehntausenden. Da ging es plötzlich
ziemlich nationalistisch zu im polyglotten Barcelona.
Die Stadt war zur Bühne für ein Stück aus dem
- Jahrhundert geworden. Nun hat es seinen vorläu-
figen Endpunkt erreicht. Die Rädelsführer des katala-
nischen Separatismus sind bestraft worden. Sie müs-
sen zwischen neun und 13 Jahren ins Gefängnis. Das
ist nicht nur hart für die Betroffenen. Dem spanischen
Zentralstaat wird das Urteil auch kein Glück bringen.
Die ganze Geschichte ist so vorgestrig, dass man
sich die Frage stellen muss: Wie war das bloß möglich?
Wir haben es wohlgemerkt mit der Aufführung
eines absurden Stückes zu tun. Den Separatisten ist
mit den Mitteln der Propaganda gelungen, sehr vielen
Katalanen weiszumachen, dass sie in Spanien unter-
drückt werden, obwohl der Nachweis dafür nicht zu
erbringen war und ist. Irgendwann fühlten sich die
Volksverführer so stark, dass sie die Abspaltung von
Spanien tatsächlich betrieben, obwohl die Verfassung
einen solchen Schritt eindeutig verbietet.
Auffallend sind dabei die Dinge, an welche die
selbst ernannten Kämpfer nicht gedacht haben. Hier
eine kleine, unvollständige Liste:
Eine Mehrheit von etwas mehr als 50 Prozent der
Katalanen wollte die Abspaltung nicht; die EU würde
den neuen Staat schon allein deshalb nicht aufneh-
men, weil Spanien sein Veto einlegen würde; von wem
und wie sollten seine Grenzen bewacht werden? Wel-
che ökonomischen Folgen würde die Abspaltung ha-
ben? Oder auch: Würde der große FC Barcelona sich
damit zufriedengeben, nur mehr in der kleinen katala-
nischen Liga spielen zu können?
So etwas und vieles mehr interessierte die Separa-
tisten nicht. Sie waren realitätsblind, geblendet von
der eigenen Sehnsucht. Das harte Urteil des spani-
schen Gerichts ist so gesehen die Rache der rauen
Wirklichkeit an verantwortungslosen Träumern.
Es hätte nicht so kommen müssen. Die andere Sei-
te, Madrid, hätte nur etwas mehr Flexibilität, Groß-
zügigkeit und Gelassenheit zeigen müssen. Es hätte
gereicht, die Führer der Separatisten dazu einzuladen,
die Abspaltung Kataloniens einmal öffentlich Schritt
für Schritt durchzudeklinieren. Der linkische Carles
Puigdemont wäre da schnell ins Stottern geraten. Und
die ohnehin nicht zum Fanatismus, sondern eher zur
Geschäftstüchtigkeit neigenden Katalanen hätten ge-
wiss verstanden, dass sie die fälligen Preise sicher nicht
zahlen wollten.
Aber die Moncloa, der Madrider Regierungssitz,
ist leider kein Hort der Gelassenheit, eher schon ist er
die Heimstatt des humorlosen Stolzes. Der knorrige,
hölzerne Mariano Rajoy, damals Ministerpräsident,
nahm jede Dummheit, die ihn aus Katalonien er-
reichte, todernst. Jeder Blödsinn galt ihm als Affront.
Über nichts lachte er, obwohl es doch über vieles et-
was zu lachen gab. Er hätte den Separatisten zurufen
können: Ich sehe ja eure brennende Leidenschaft,
aber wollen wir nicht lieber über künstliche Intelli-
genz sprechen, über Digitalisierung oder den Klima-
wandel? Stattdessen hat er den Popanz Unabhängig-
keit weiter aufgeblasen.
Einen Film sollte man drehen, eine Komödie, in
der man in einer Szene die fahnenschwingenden kata-
lanischen und spanischen Patrioten durch die Straßen
ziehen sieht. Dazu wünschte man sich den folgenden
Text: Während sich die Erde bis zur Unerträglichkeit
erwärmte, hielten sie ihre Fahnen hoch; während das
kommunistische China Europa die Agenda vollstän-
dig diktierte, hielten sie ihre Fahnen hoch; während
die Roboter die Herrschaft übernahmen, hielten sie
ihre Fahnen hoch.
Das ging aber daneben!
Unsere Kolumnistin Anja
Reschke über den Twitter-
Tiefpunkt der Woche
Was sind das für Menschen, die anderen
Menschen so etwas antun? Meinen Sie
diese Frage ernst, Herr Höcke? Nun, das
sind Rassisten, Sexisten, Antisemiten.
Kurz Nazis. Es sind die Nachfolger der-
jenigen, die Millionen von Juden so et-
was angetan haben. Die sich einredeten,
etwas Besseres zu sein. Und deshalb an-
dere gar vernichten zu dürfen. Wahllos.
Wegen ihrer Religion, ihrer Abstam-
mung, ihrer Hautfarbe, ihrer politischen
oder sexuellen Ausrichtung oder manch-
mal einfach so aus Laune. Weil vielleicht
gerade jemand über die Straße lief. Ab-
drücken, töten.
Solche Menschen sind das. Damit
man sich immer daran erinnern möge,
dass Menschen anderen Menschen so
etwas angetan haben, wurde in Berlin
das Holocaust-Mahnmal errichtet. Eben
jenes Mahnmal, das Sie, Herr Höcke, in
Ihrer Rede in Dresden 2016 als »Denk-
mal der Schande« bezeichnet haben.
Dieselbe Rede, in der Sie eine »erinne-
rungspolitische Wende um 180 Grad«
gefordert haben.
Bloß nicht mehr erinnert werden
wollen: an Menschen, die anderen Men-
schen so etwas antun. Wer bemängelt,
dass Hitler immer nur als böse dar-
gestellt werde, wer in lautstarken Wor-
ten an die tausendjährige Geschichte
des deutschen Reichs erinnert, der will
genau diese Zeit des Nationalsozialis-
mus hochleben lassen. In denen Men-
schen anderen Menschen so etwas an-
getan haben.
Der Täter von Halle spricht in sei-
nem Video nicht nur von Juden. Sein
Hass richtet sich genauso gegen Auslän-
der, Muslime. Denen Sie, Herr Höcke,
und Ihre Parteifreunde seit Jahren das
Menschsein absprechen. Die gar als
»Kameltreiber« und »Kümmelhändler«
niedergemacht werden, als »Messermän-
ner« und »Kopftuchmädchen«. Die in
Anatolien entsorgt werden sollen.
Seite an Seite sind Sie, Herr Höcke,
auf dem von Ihnen betitelten »Trauer-
marsch« von Chemnitz mit einschlägig
bekannten Neonazis gelaufen. »Neo« ist
der üble Aufguss der Altnazis. Was sind
das für Menschen, die anderen Men-
schen so etwas antun, fragen Sie ernst-
haft? Es sind Menschen, die den zerstö-
rerischen, hasserfüllten Worten, die Sie
aussprechen, Taten folgen lassen.
Sie, Herr Höcke, haben das Recht
verwirkt, fassungslos über den Anschlag
von Halle zu sein.
VERTWITTERT
13 Jahre Haft – wofür?
Der Unabhängigkeitskampf der Katalanen findet ein Ende. Was war das für ein bescheuertes Spektakel VON ULRICH LADURNER
Ein Blender weniger. Dieser mit Goldfolie überzogene SUV wurde am Sonntag in Düsseldorf
von der Polizei aus dem Verkehr gezogen. Ein Gutachter soll nun klären,
ob er für andere Fahrer zu grell ist. Der 30-Jährige, der am Steuer saß, musste zu Fuß weiter
Foto: dpa
@BjoernHoecke
Mit großer Bestürzung habe ich von dem
Terroranschlag in Halle erfahren. Meine
Gedanken sind bei den Angehörigen der
Opfer dieses völlig wahnhaften Verbre-
chens. Was sind das nur für Menschen, die
anderen Menschen so etwas antun?!
getwittert am 9. Okt. 2019 um 16.16 Uhr
60
ZEILEN
...
W
Anja Reschke
moderiert die
ARD- Sendung
»Panorama«. An
dieser Stelle
schreibt sie im
Wechsel mit Ulf
Poschardt, dem
Chefredakteur
der Welt- Gruppe
Kl. Bilder: Norman Hoppenheit für DIE ZEIT; Thomas Grabka/laif (u.)
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43 STREIT 15