Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

WIRTSCHAFT



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43


Eine von 31


Mit der neuen SAP-Chefin


Jennifer Morgan steht erstmals


eine Frau an der Spitze eines


Dax-Konzerns. Bewegt das etwas


in Deutschland?


VON KERSTIN BUND, UWE JEAN HEUSER

UND ANN-KATHRIN NEZIK

E


s hätte viel früher passieren kön-
nen. Schon vor Jahrzehnten war
eine Frau auf gutem Wege, die
erste Chefin eines der bedeu-
tendsten Unternehmen Deutsch-
lands zu werden. In den Siebzi-
ger- und Achtzigerjahren eilte
Ellen Schneider-Lenné die Hierarchie der Deut-
schen Bank hinauf. Mit 46 Jahren saß sie im Vor-
stand des Geldhauses, das damals noch Weltrang
hatte. Allein unter Männern. Dort war die Be-
triebswirtin nicht etwa für das Personalwesen zu-
ständig wie später viele ihrer Nachfolgerinnen in
deutschen Chefetagen. Schneider-Lenné verant-
wortete die globale Kreditvergabe, das Kerngeschäft
der Bank. 1988 war das.
Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wäre sie
nicht acht Jahre später, mit nur 54 Jahren, nach
schwerer Krankheit gestorben. Möglicherweise wäre
die Deutsche Bank mit der ebenso direkten wie
menschenfreundlichen Managerin nicht auf die
schiefe Bahn der Finanzskandale geraten. Und zu-
mindest einer der im Aktienindex Dax versammel-
ten 30 größten Konzerne des Landes hätte vielleicht
schon viel früher eine Chefin gehabt.
Heute ist Ellen Schneider-Lenné in Vergessen-
heit geraten. Zwischen ihrer Ernennung zur Vor-
ständin und jener Frau, die als erste in einem Dax-
Konzern den Gipfel der Macht erklommen hat, ist
viel Zeit verstrichen: 31 lange Jahre. Seit vergange-
nem Freitag ist die Amerikanerin Jennifer Morgan
die neue Co-Chefin des Software-Riesen SAP.
In Morgans Heimat werden Konzerne längst
von Frauen geführt, General Motors und IBM
zum Beispiel. In Deutschland hingegen ist Mor-
gans Berufung eine Sensation, die gefeiert wird
wie die Geburt eines Eisbärbabys im Zoo. Das
zeigt vor allem eines: wie rückständig die deut-
sche Wirtschaft bei Geschlechterfragen ist.
Die Deutschland AG fand jahrzehntelang
keinen Gefallen an Vielfalt in der Führung. Man
würde ja geeignete Frauen in den Vorstand holen,
wenn es nur welche gäbe: Solche Sprüche muss-
ten sich Feministinnen und Diversity-Verfechter
sogar noch im neuen Jahrtausend anhören. Selbst
die Androhung von Quoten konnte die Männer
kaum umstimmen. Und so sind Frauen dort, wo
es in der Wirtschaft um Positionen mit Macht
und Einfluss geht, auch im Jahr 2019 nach wie
vor in der Minderheit. Sie stellen nur neun Pro-
zent der Vorstände und 32 Prozent der Aufsichts-
räte in den 160 börsennotierten Unternehmen
des Landes. Nur drei dieser Firmen werden bis-
her von einer Frau geführt. Nun ist es eine ein-
zige mehr.


Viele Unternehmen haben es lange Zeit ver-
säumt, einen Pool an weiblichen Talenten auf-
zubauen, aus dem sie Frauen für Vorstandsposten
hätten rekrutieren können. Stattdessen holten sie
in ihrer Not meist Frauen von außerhalb. Dabei
haben es Quereinsteiger erwiesenermaßen schwe-
rer als Manager, die im eigenen Unternehmen auf-
steigen. Wer von außen kommt, hat – egal ob
Mann oder Frau – ein höheres Risiko zu scheitern,
wie eine Untersuchung der Initiative Frauen in die
Aufsichtsräte (FidAR) nahelegt. Die Außenseiter
kennen das Unternehmen nicht, müssen sich erst
ein Netzwerk aufbauen und Verbündete um sich
scharen, ohne die an der Spitze niemand überleben
kann. So gesehen hat die neue SAP-Chefin Jennifer
Morgan einen Vorteil: Sie ist seit 15 Jahren im
Unternehmen und wurde vom bisherigen Vor-
standschef Bill McDermott gefördert.
Und noch etwas unterscheidet Morgan von
anderen Topmanagerinnen: Oft kommen Frauen
nur an die Spitze, wenn Männer ein Unterneh-
men kaputtgewirtschaftet haben und kein männ-
licher Bewerber diesen aussichtslosen Job über-
nehmen will. Diese Krisenmanagerinnen stehen
vor einer glass cliff, einer Klippe vor dem Abgrund.
Das ist gerade beim kriselnden Stahl- und Aufzug-
konzern Thyssen zu beobachten, der seine Auf-
sichtsratsvorsitzende Martina Merz zur Vorstands-
chefin machte. Nicht einmal der Titel der ersten
Dax-Chefin war Merz für diese undankbare Auf-
gabe vergönnt: Einen Tag vor ihrer Ernennung
flog Thyssen wegen mangelnder Performance aus
dem Leitindex. Vergangene Woche rückte die
Französin Clotilde Delbos an die Spitze des strau-
chelnden Autokonzerns Renault, dessen ehemali-
ger Chef Carlos Ghosn sich wegen des Vorwurfs
der Untreue verantworten muss.
Bei SAP hingegen übernimmt die erste Dax-
Chefin einen prosperierenden Konzern. Das Soft-
ware-Imperium ist das deutsche Großunterneh-
men mit dem höchsten Börsenwert. Dort tritt die
48-jährige Amerikanerin nun zusammen mit dem
Deutschen Christian Klein, dem mit 39 Jahren
jüngsten Vorstandsvorsitzenden, das Erbe des
hochgeschätzten Amerikaners Bill McDermott
an. Und doch ist Morgan eher ein Beleg für das
deutsche Versagen. Sie ist nicht etwa in der badi-
schen Zentrale von SAP groß geworden, sondern
in der fast ebenso wichtigen US-Dependance –
und damit in einer Kultur, in der die Kombination
aus Macht und Frau etabliert ist.
Nach Walldorf bei Heidelberg, dem Sitz von
SAP, reist Morgan bisher nur selten. Daran dürfte
sich künftig wenig ändern. Auch nach ihrem
Wechsel auf den Chefinnenposten will sie in den

USA leben und arbeiten. Ihr Netzwerk hat sie dort
geknüpft. Zum Beispiel tauscht sie sich regelmäßig
mit der Unternehmerin Arianna Huffington aus.
Deutschlands mächtige Managerinnen, die in den
vergangenen Jahren eigene Netzwerke zur gegen-
seitigen Karriereförderung gegründet haben, ken-
nen Morgan dagegen nicht. Die Frau, auf die jetzt
alle blicken, ist vielen ein Rätsel, zumindest in
Deutschland. Kaum jemand hatte sie auf der
Rechnung, wenn es um die Frage ging, wer einmal
als erste Frau einen Dax-Konzern leiten würde. Als
Favoritinnen für diesen Titel galten andere, etwa
Saori Dubourg von BASF oder Claudia Nemat
von der Deutschen Telekom.
So plötzlich, wie es nun den Eindruck macht,
kommt Morgans Aufstieg aber nicht. Erst im
April hatte sie SAPs wichtigste Zukunftssparte
übernommen. Sie kümmert sich darum, das SAP-
Geschäft in die sogenannte Cloud zu verlagern,
sodass die Programme auf in der ganzen Welt ver-
teilten Servern statt auf den Computern der Kun-
den laufen. Das konnte man durchaus als Vor-
bereitung für höhere Weihen verstehen. Damit,
dass der 58-jährige McDermott spätestens 2021
abtreten würde, hatten bei SAP viele gerechnet.
Nur der Zeitpunkt überraschte.
Unter McDermotts Führung ist der Software-
konzern den Zahlen nach zum Primus in Sachen
Gleichberechtigung geworden. Der Aufsichtsrat
ist mit neun Frauen und neun Männern paritä-
tisch besetzt und erfüllt damit mehr als nur die
gesetzliche Quote. Trotzdem sind auch bei SAP
Frauen etwa bei den Entwicklern nach wie vor in
der Minderheit. Hasso Plattner, der starke Mann
im Aufsichtsrat, gilt nicht als überzeugter Femi-
nist. Es spricht vieles dafür, dass er Morgan und
Klein besetzte, weil er sie für die Besten hielt,
nicht weil sie Mann oder Frau sind.
»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer«,
sagte Angela Merkel einst über ihren Exotenstatus
als Frau in der Spitzenpolitik. Aus der Tatsache,
dass es sie gebe und viele ihretwegen Deutschland
als Musterland der Gleichberechtigung betrachte-
ten, dürfe »kein Alibi« werden.
»Eine Galionsfigur an der Spitze reicht nicht
aus«, sagt auch Thomas Sattelberger, der Manager
bei der Lufthansa und bei Continental war, bevor
er als Personalchef bei der Deutschen Telekom
2010 als erster Dax-Vorstand eine Frauenquote
für Führungspositionen einführte. Mittlerweile
sitzt Sattelberger für die FDP im Bundestag, doch
die Sache mit den Frauen treibt ihn bis heute um.
Der Ex-Manager beobachtet »ein Erstarken der
konservativen Kräfte« in deutschen Führungs-
etagen. Nach der jahrelangen Diskussion über

Frauenförderung und die Einführung einer ver-
bindlichen Quote für Aufsichtsräte seien die
Granden der Wirtschaft zunehmend genervt von
dem Thema. Hinter vorgehaltener Hand heiße
es: »Jetzt habt ihr doch eure Quote. Seid endlich
mal zufrieden!« Irgendwann, so der Tenor, müsse
auch mal Schluss sein mit dem Gender-Kram.
Zu Sattelbergers Beobachtung passt, dass in
den vergangenen Monaten gleich mehrere Spitzen-
frauen abtraten: Die Deutsche Bank entließ Sylvie
Matherat, die Chefin für Regulierungsthemen. Bei
der Bundesagentur für Arbeit wurde Valerie Hols-
boer aus dem Amt gedrängt. Der prominenteste
Abgang ist Janina Kugel, die charismatische Per-
sonalchefin von Siemens. Sie scheidet im Februar
aus dem Amt. Offiziell, um noch einmal etwas
Neues zu machen. Einer Studie von 2014 zufolge
halten sich männliche Dax-Vorstände im Schnitt
fast dreimal so lange auf ihren Posten wie -Vor-
ständinnen.
Gesetzliche Vorgaben und der gesellschaftliche
Druck haben den Anteil von Frauen in Führungs-
posten in den vergangenen Jahren zwar wachsen
lassen. Aber ihr Anteil steigt eben nur langsam.
»Wenn das in diesem Tempo so weitergeht, dann
dauert es noch hundert Jahre, bis Frauen und
Männer gleichmäßig in den Chefetagen verteilt
sein werden«, sagt Elke Holst vom Deutschen In-
stitut für Wirtschaftsforschung. Die Ökonomin
erforscht seit Jahrzehnten die Chancen von Frauen
auf dem Arbeitsmarkt. Sie sagt: »Das System än-
dert sich nur langsam, auch weil diejenigen, die an
den Schaltstellen sitzen, wenig Interesse haben,
Macht und Geld freiwillig abzugeben.« Um Frauen
mehr Einfluss zu verschaffen, sei »ein Wandel in
den Köpfen« nötig.
Damit sich an der Kultur etwas ändere, brauche
es eine kritische Masse von »30 Prozent Frauen in
Führungspositionen«, sagt die Forscherin. Das le-
gen auch zahlreiche psychologische Studien nahe.
Doch heute laufe es vielfach so, sagt Holst: »CEOs
sagen: Wir wollen eine Frau ganz oben, und den-
ken gleichzeitig: Aber an der männlich geprägten
Kultur soll sich bitte nichts ändern.« Das Ergebnis:
Männer fördern noch immer am liebsten Männer.
Jennifer Morgan taugt nur bedingt zur Heldin
im Kampf gegen das Patriarchat, dafür tritt sie zu
verbindlich auf. Sie versteckt ihr Frausein nicht,
das unterscheidet sie von den meisten deutschen
Spitzenmanagerinnen. Während die auf Fragen
nach Kindern und Mann eher genervt reagieren,
macht Morgan beides völlig unverkrampft zum
Thema. Auf Twitter bezeichnet sie sich zunächst
als »Happy wife + mom«, als glückliche Ehefrau
und Mutter, dann erst als Vorstandschefin.

Es gibt einen Auftritt Morgans, der viel darüber
verrät, wie selbstverständlich sie mit ihrer Rolle um-
geht. Am Weltfrauentag des vergangenen Jahres traf
sie sich mit Arianna Huffington auf Einladung des
Wirtschaftsmagazins Fortune zu einem Bühnen-
gespräch. Morgan erzählte dort von ihren beiden
Söhnen im Teenageralter und dem schweren Skiunfall
ihres Mannes, der für sie zum Wendepunkt geworden
sei. Das Unglück habe sie gelehrt, vermeintliche
Schwächen nicht länger zu verstecken, sagte Morgan
damals. Führungskräfte, auch weibliche, dürften ver-
letzlich sein. Sie dürften dazu stehen, zur Schulauf-
führung ihrer Kinder zu gehen. Leistung lasse sich
nicht in den Stunden messen, die jemand im Büro
hocke, Empathie und Vertrauen in die Mitarbeiter
seien in Wahrheit Stärken.
Vielleicht ist das die entscheidende Nachricht zur
ersten Chefin an der Spitze eines Dax-Konzerns: dass
sie selbst daraus keine große Sache macht.

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