Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

die Ungleichheit?



  1. Fällt immer weniger für


die Arbeitnehmer ab?


Wie es um die Gerechtigkeit zwischen Arbeit und
Kapital steht, verrät eine Zahl: die Lohnquote. Sie
gibt an, wie viel von allen Einkommen, die in einer
Volkswirtschaft erwirtschaftet werden, bei den Ar-
beitnehmern landet. Sinkt die Lohnquote, so fließt
mehr vom Gesamteinkommen in die Taschen der
Kapitalbesitzer. In den vergangenen Jahren hieß es
häufig, die Lohnquote gehe zurück. Auch im
Piketty-Film wird die Gefahr beschrieben, dass die
Kapitalbesitzer reicher werden, weil Geld zu Geld
kommt, während diejenigen, die von ihrer Arbeit
leben, zurückfallen.
Doch kürzlich hat das Statistische Bundesamt
neue Berechnungen vorgelegt, und nun zeigt sich,
zumindest für Deutschland: Das stimmt so wohl
nicht. Jens Boysen-Hogrefe und Dominik Groll
vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel werteten die
Daten der Behörde aus und stellten fest: Die Lohn-
quote in Deutschland ist heute so hoch wie vor 30
Jahren. Zwar gab es während der Krisenjahre zur
Zeit der Hartz-Reformen ein Tief, doch das ist
schon seit etwa zehn Jahren wieder überwunden.
Zuletzt gingen 71 Prozent des Volkseinkommens
an die Arbeitnehmer, 1991 waren es knapp 70
Prozent. Für Deutschland lässt sich also nicht be-
haupten, dass die Kapitalisten ein immer größeres
Stück vom Kuchen abgreifen.



  1. Sorgen mehr prekäre


Jobs für Ungleichheit?


Keine Sozialreform der vergangenen Jahrzehnte
hat in Deutschland für so viel Streit gesorgt wie
die Hartz-Reform. Für die Kritiker steht fest,
dass sie vor allem Niedriglöhne, prekäre Jobs und
Ungleichheit gefördert hat. Doch stellte die
OECD 2011 in einer Studie zu den Ursachen
von Ungleichheit fest: Arbeitsmarktreformen
spielten dabei eine geringe Rolle. Einerseits er-
höhten sie die Ungleichheit, wenn durch sie
mehr schlecht bezahlte Jobs entstünden, anderer-
seits senkten sie die Ungleichheit, wenn durch sie
Menschen in Arbeit kämen. Häufig würden sich
beide Effekte gegenseitig aufheben.
In Deutschland nahm die Ungleichheit ins-
besondere vor Inkrafttreten von Hartz IV zu, da-
nach weniger stark. Das spricht dagegen, dass die
Reform die wichtigste Ursache war. Im Übrigen
ging der Anteil der atypischen, oft als prekär be-
zeichneten Arbeit – also etwa der Minijobs, der
Leiharbeit oder der Solo-Selbstständigkeit – in
den vergangenen Jahren zurück.



  1. Ist Ungleichheit nötig,


damit die Wirtschaft läuft?


Ungleichheit gehört zur Marktwirtschaft, das
scheint fast selbstverständlich. Wenn ein Unter-
nehmer ein besonders großes Risiko auf sich
nehmen soll, muss er auch auf besonders hohe
Einnahmen hoffen können. Und ein Arbeitneh-
mer, der sich stärker als andere engagiert, sollte
mehr verdienen können. Ist Ungleichheit also
gut für die Wirtschaft? Forscher des Internatio-
nalen Währungsfonds und der OECD sorgten
kürzlich mit zwei Studien für Aufsehen. Sie stell-


ten fest, dass Ungleichheit dem Wachstum scha-
det. In Deutschland, so lautet eine ihrer Schluss-
folgerungen, hätte das Bruttoinlandsprodukt pro
Kopf zwischen 1990 und 2010 um sechs Pro-
zentpunkte höher sein können, wenn die Un-
gleichheit in dieser Zeit nicht angestiegen wäre.
Mehr Gleichheit ist also gut für die Wirtschaft.
Doch diese These ist umstritten. Eine For-
schergruppe um den Chef des Ifo-Instituts, Cle-
mens Fuest, hat sie überprüft. Ergebnis: In armen
Ländern schaden Einkommensunterschiede der
Entwicklung. In wohlhabenderen Staaten dage-
gen geht mehr Ungleichheit mit mehr Wachs-
tum einher. Allerdings gelte dabei nicht das Mot-
to: Viel Ungleichheit schafft viel Wachstum. So
einen Automatismus gebe es nicht. Kluge Politik,
etwa im Bildungssystem, mache es auch möglich,
beides zu erreichen: mehr Wachstum und weni-
ger Ungleichheit.


  1. Tun andere Länder mehr


gegen die Ungleichheit?


Einer der schärfsten Kritiker der ungleichen Ver-
hältnisse in der Welt ist die Entwicklungshilfe-
organisation Oxfam. Jedes Jahr sorgt sie vor dem
Weltwirtschaftsforum in Davos mit Berichten
für Aufsehen, in denen sie die extreme Konzen-
tration des Reichtums anprangert. Vergangenes
Jahr veröffentliche Oxfam etwas Neues: Eine
Studie zu der Frage, inwieweit Länder ihre Poli-
tik darauf ausgerichtet haben, Ungleichheit zu
bekämpfen. Die Experten der Organisation ana-
lysierten Steuergesetze und Sozialleistungen, das
Bildungssystem und die Regeln am Arbeitsmarkt
und bewerteten alles mit einem Punktesystem.
Das Ergebnis ist ein Ranking. Auf Platz eins als
Land, das am meisten gegen Ungleichheit unter-
nimmt, steht Dänemark – gefolgt von Deutsch-
land. Von 157 untersuchten Staaten tut kein an-
derer mehr als diese beiden, um die Spaltung zu
bekämpfen – jedenfalls laut Oxfam.
Andere Studien, die das Bildungssystem und
die Arbeitsmarktregeln unberücksichtigt lassen,
kommen zu einem abweichenden Ergebnis. So
fragt die OECD: Wie stark sorgen die Steuern
und die Sozialleistungen der jeweiligen Länder
dafür, die Unterschiede bei den Bruttoeinkom-
men abzuschwächen? Bei diesem Vergleich liegt
Deutschland im Mittelfeld. Das hiesige Steuer-
und Sozialsystem senkt die Ungleichheit der
Bruttoeinkommen um 29 Prozent, im OECD-
Schnitt sind es 27 Prozent. Am stärksten dämpft
nach dieser Rechnung Irland die Unterschiede
(um 40 Prozent), am wenigsten Mexiko (3 Pro-
zent). Auch die Schweiz (16 Prozent) oder die
USA (18 Prozent) liegen weit hinten.


  1. Sind die Vermögen


besonders ungleich verteilt?


Schaut man auf die Vermögen, gehört Deutschland
zu den eher ungleichen Staaten. Nach einer Erhe-
bung von zwei OECD-Experten besitzt das reichs-
te Zehntel der Bevölkerung hierzulande knapp 60
Prozent des gesamten Vermögens. Der Durchschnitt
in der OECD liegt bei 52 Prozent. Besonders viel
Reichtum ballt sich beim obersten Zehntel auch in
Dänemark (64 Prozent), in den Niederlanden (68
Prozent) und vor allem in den USA (80 Prozent).

Die Gründe sind vielschichtig. Im Fall Deutschlands
heißt es unter anderem, es gebe hier wenig Eigenheim-
besitzer. Wo viele Menschen Immobilien besitzen, sind
die Vermögen breiter verteilt. Außerdem erfasst die
Statistik zwar die private Altersvorsorge, die in vielen
Ländern eine große Rolle spielt, blendet aber gesetzliche
Rentenansprüche aus, die in Deutschland wichtig sind.


  1. Löst eine Vermögensteuer


das Problem?


In jeder Diskussion über Ungleichheit taucht sie
irgendwann auf: die Vermögensteuer. Sie müsse
wieder eingeführt werden, heißt es dann. Doch
viele Experten winken ab. Nicht nur weil es ex-

trem aufwendig ist, sie zu erheben. Um wirklich
die Verteilung zu ändern, müsste sie auch deut-
lich höher sein als bisher diskutiert – und dann
würden viele Unternehmer und Vermögende ihr
Geld wohl anderswo anlegen. Eher geeignet sei
da schon die Erbschaftsteuer, sagen Ungleich-
heitsforscher wie Markus Grabka vom Deut-
schen Institut für Wirtschaftsforschung. Oder
sie empfehlen, den Erwerb von Wohneigentum
zu fördern. Folgt man Oxfam, dem Ifo-Institut
oder der OECD, dann gibt es ohnehin nicht den
einen Schalter, mit dem man die Ungleichheit
ausknipsen könnte. Steuern, Sozialleistungen,
Arbeitsmarktregeln, Gesundheitsförderung, Bil-
dungsangebote oder neue Klimagesetze – wer die
Ungleichheit verringern will, kann kein Politik-
feld ausklammern.

Thomas Piketty
wurde berühmt mit
seinem Buch »Das
Kapital im 21. Jahrhun-
dert«. Diese Woche läuft
ein Kinofilm an, in dem
der französische
Wirtschaftsprofessor
seine Thesen zur
Ungleichheit ausbreitet

Foto: Vincent Muller/ddp

Normalbeschäftigte

Atypisch
Beschäftigte

Heute gibt es mehr prekäre Arbeit, zum Beispiel Leiharbeit – aber
auch mehr normale Jobs (Angaben in Millionen)
Quelle: Statistisches Bundesamt

23,9
2000

26,2
2018

6,0
2000

7,5
2018

1991 2000 2009 2018

69,5 % 72,2 % 69,7 % 70,8 %

So viel vom deutschen Nationaleinkommen floss als Lohn
an die Arbeitnehmer – der Rest sind Kapitaleinkünfte
Quelle: IfW


  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43 WIRTSCHAFT 25


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