In einem Bayer-Labor
werden Gerste-Sprossen
untersucht
Foto: Getty Images
Der Kauf von Monsanto brachte Bayer viel Ärger. Mit neuen
Technologien gibt man sich nun ganz grün VON CHRISTIANE GREFE
A
uf dem Forschungsgelände
des weltgrößten Produzenten
von Pflanzenschutzmitteln
wächst: Unkraut. Zwischen
den Laborgebäuden und den
Gewächshäusern der Bayer
AG in Monheim harken
Gärtner am Wegesrand die unerwünschten
Pflanzen aus dem Boden, per Hand. »So sieht es
aus, wenn man kein Glyphosat mehr sprühen
darf«, sagt ein Mitarbeiter.
Er fasst damit die Haltung seines Unternehmens
zu dem Unkrautvernichtungsmittel knapp zu-
sammen: Glyphosat ist nützlich und ungefährlich,
wenn es richtig angewendet wird. Doch seit der
rund 59 Milliarden Euro teuren Übernahme des
Glyphosat-Herstellers Monsanto ist das Herbizid
für Bayer nicht nur ein einträglicher Bestseller,
sondern auch eine Gefahr: In den USA drohen
Straf- und Entschädigungszahlungen in Milliarden-
höhe, weil mehr als 18.400 Kläger ihre Gesundheit
durch das glyphosathaltige Mittel Roundup ge-
schädigt sehen. Drei Prozesse sind schon verloren,
Bayer ging in Berufung. Die Verfahren haben den
Aktienkurs um fast 40 Prozent gedrückt. Immerhin:
Als der von einem US-Gericht eingesetzte Mediator
kürzlich Aussicht auf einen Vergleich mit den
Klägern signalisierte, stieg die Aktie wieder etwas.
Doch selbst falls Bayer die Auseinandersetzung
glimpflich überstehen sollte, braucht der Konzern
dringend eine glaubhafte Erzählung, dass sich die
Monsanto-Übernahme am Ende lohnen wird. In
dieser Erzählung spielen die Wissenschaftler in
den Monheimer Laboren eine wichtige Rolle, sie
und ihre neuen Kollegen in den USA. 25 Milli-
arden Euro will Bayer im kommenden Jahrzehnt
in Forschung und Entwicklung investieren, damit
die Agrarwirtschaft mit weniger Land, Wasser
und Chemie trotzdem höhere Erträge einfahren
kann. Es geht also darum, zu zeigen, dass man
noch mit anderen Dingen Geld verdienen kann
als mit Roundup.
Helmut Schramm ist einer von Bayers Top-
Agrarstrategen. Er betont, dass der Konzern jetzt
intensiver an biologischen Mitteln forscht. Also an
Präparaten aus natürlichen Mikroorganismen wie
zum Beispiel Bakterien, die Schädlinge abschrecken
oder der Pflanze helfen, Nährstoffe schneller aus
dem Boden aufzunehmen. Das klingt nach Öko-
landbau und ist eine Facette des Wandels zur Nach-
haltigkeit, den der Konzern derzeit inszeniert.
So lässt Bayers Cheflobbyist, der ehemalige
Grünen-Politiker Matthias Berninger, in öffentli-
chen Reden keine Referenz an den globalen Um-
welt- und Klimadiskurs aus. Der Agrarvorstand
Liam Condon verspricht derweil, Bayer wolle
helfen, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren
und die Artenvielfalt zu erhalten. Und der Auf-
sichtsrat beruft Ertharin Cousin in seine Reihen,
die frühere Präsidentin des UN-Welternährungs-
programms. Die Botschaft: Bayer wird ökologisch
und sozial.
Und zwar mithilfe von Monsanto. Die Über-
nahme hat Bayer nicht zuletzt einen besseren Zugriff
auf neue Technologien verschafft, die der US-Riese
in den vergangenen Jahren mit innovativen Tochter-
unternehmen und Kooperationspartnern zusam-
mengekauft hat.
Jede Pflanze soll einzeln behandelt
werden können, verspricht Bayer
Bei den Biologika zum Beispiel, also bei Produkten,
die auf Basis biologischer Wirkmechanismen her-
gestellt werden, setzt man die Zusammenarbeit mit
dem dänischen Enzymhersteller Novozymes fort.
Das Unternehmen ist ein Pionier bei der Erfor-
schung nutzbringender Mikroben. Auch in der
Pflanzenzüchtung profitiert Bayer nicht nur von
Monsantos umfänglicher Saatgut-Bibliothek, son-
dern auch von den Erfahrungen mehrerer Biotech-
Start-ups bei der Entschlüsselung des Erbguts und
neuen gentechnischen Verfahren, die »Genome-
Editing« genannt werden.
Bayer sieht das als Schlüsseltechnologie. Und
Helmut Schramm lobt die »methodische Eleganz«,
mit der Züchter Mais, Weizen, Raps oder Gemüse
künftig schneller gegen Trockenheit oder zu viel
Nässe schützen könnten – oder gegen Krankheiten
und Schädlinge, sodass Pflanzenschutzmittel selte-
ner benötigt werden. Um Mineraldünger zu sparen,
arbeite man auch an der Entwicklung von Pflanzen,
die sich Stickstoff aus der Luft holen: »Da öffnet
sich ein Universum neuer Möglichkeiten.«
Als wohl wichtigste Innovation soll die Digita-
lisierung den Einsatz der Agrochemie effizienter
machen. Schon jetzt sammeln Landmaschinen mit-
hilfe von Sensoren Daten über Schädlinge, Boden
und Feuchtigkeit und ordnen sie Wetter- und
Ertragsinformationen zu. Künftig will man bei
Bayer aber noch präziser Informationen für jeden
Quadratmeter erheben, wie hoch der Gehalt von
Humus, Phosphor oder Nitrat im Boden ist, wo
Niederschlag fehlt oder sich sammelt.
Der Konzern will den Landwirten dann in-
dividuelle Empfehlungen schicken: Welches
Saatgut eignet sich wo am besten, wie dicht soll-
ten die Reihen stehen, welcher Teil der Kultur
braucht gerade bestimmte Nährstoffe? In ein
paar Jahren werde man dank immer genauerer
optischer Systeme sogar jede Pflanze einzeln be-
handeln können, prophezeit Schramm.
Auch auf diesem Feld hatte Monsanto bereits
2013 ein Pionierunternehmen an Land gezogen.
Für 930 Millionen Dollar kauften die Manager in
Saint Louis die Climate Corporation, eine Grün-
dung von Ex-Google-Mitarbeitern und laut einem
Fachjournalisten »das Juwel in Bayers Monsanto-
Deal-Krone«. Die Digitalplattform Field View
analysiert eigenen Angaben zufolge seit 2015 welt-
weit rund 36 Millionen Hektar Land, zwei Drittel
davon in den USA. Jährlich vier Euro pro Hektar
soll ein Landwirt für das Angebot »Field View
Plus« bezahlen.
Daten und Dienstleistungen statt immer mehr
Gift, so lautet die Strategie in diesem Bereich. Bei
Field View etwa arbeite Bayer mit 60 Unternehmen
zusammen, erzählt John Raines von der Climate
Corporation, darunter Anbieter von Hardware,
Software-Spezialisten, Landmaschinenfirmen, Her-
steller von Pestiziden und Düngemitteln, Ernte-
versicherer, Lebensmittelhersteller. Gerade hat die
Climate Corporation mit Airbus Defence and
Space vereinbart, gemeinsam die Satellitenbilder
zu verbessern.
Umweltschützer sind von der neuen
Strategie nicht überzeugt
Doch diese »große Konvergenz«, die andere Agro-
konzerne ähnlich verfolgen, macht vielen Kritikern
Sorgen. Selbst wenn Bayer auf seiner Plattform
mehrere Anbieter im Sortiment hat: Die Umwelt-
organisation Friends of the Earth befürchtet, dass
letztlich doch die eigenen Produkte »aggressiv ver-
marktet« würden. Bauern gerieten in Abhängigkeit,
wenn Beratung, patentiertes Saatgut und Pflanzen-
schutzmittel im Paket angeboten würden. Auch der
globale Thinktank ETC Group, der sich für öko-
logische Vielfalt einsetzt, fürchtet, dass die großen
Agrochemieriesen noch mehr Kontrolle über die
Landwirtschaft gewinnen könnten, und das auch
in den Entwicklungsländern.
Ärger mit Umweltschützern droht in einer Post-
Glyphosat-Ära auch woanders: beim Genome-
Editing, dem gezielten Verändern der DNA von
Pflanzen. Kritiker fordern dafür strenge Risiko-
prüfungen nach dem EU-Gentechnikrecht. Bayer
hingegen hält die »neuen Züchtungsverfahren« wie
die gesamte Biotechbranche für vergleichbar mit
konventionellen Methoden und setzt sich dafür ein,
dass die EU-Richtlinie angepasst wird. Eine neue
Gentechnik-Kontroverse bahnt sich an.
Und nicht alles ist neu. An der »alten« Gen-
technik hält Bayer vorerst ebenso fest wie an den
Pflanzengiften. Weil Glyphosat nach jahrelangem
Einsatz oft keine Wirkung mehr zeigt, verkauft man
nord- und südamerikanischen Landwirten jetzt
Saatgut, das gentechnisch gleich gegen mehrere
Pflanzenschutzmittel resistent gemacht wurde.
Auch in Zukunft soll fast ein Fünftel der For-
schungsmittel bei Bayer in die Suche nach chemi-
schen Wirkstoffen fließen. In Deutschland plant
die Bundesregierung, Glyphosat zwar ab 2024 zu
verbieten. Doch weltweit wird es weiter vermarktet,
und in der EU wirkt der Konzern auf eine neue
Zulassung des Wirkstoffs hin, wenn die bestehende
2022 ausläuft.
Dabei wolle man »mit größtmöglicher Trans-
parenz vorgehen«, versichert Bayer-Manager Klaus
Kunz. Auch sonst werde der Konzern über »das
Gleichgewicht zwischen der Produktion und dem
Schutz der Umwelt gemeinsam mit der Gesellschaft
entscheiden, nicht gegen sie«.
Und wie stehen die Aktionäre dazu? Für Bayer-
Anleger bliebe die neue Strategie so lange uner-
heblich, wie der Gerichtsfall Glyphosat in den
USA nicht geklärt sei, meint Michael Leuchten,
Analyst bei der Schweizer Großbank UBS. Zudem
sei die Strategie für Investoren eine »langfristige
Wette«, da einige Innovationen noch im Früh-
stadium steckten.
Aktuell zielten Bayers Strategievorschläge, so
Leuchten, vor allem auf institutionelle Investo-
ren, denen der Umweltschutz, das Soziale und
ein glaubwürdiges Management wichtig seien.
In dieser Hinsicht sei das Unternehmen auf dem
richtigen Weg, denn derartige Kriterien würden
an den weltweiten Finanzmärkten immer wich-
tiger. Aber noch seien nachhaltigkeitssensible In-
vestoren eher die Ausnahme. Leuchten sagt:
»Revolutionen passieren nicht über Nacht.«
Das wächst
auch
ohne Gift
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43 WIRTSCHAFT 27
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