Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

Die Ökonomin Esther Duflo
hat als zweite Frau den Wirt-
Gr. Foto: laif; kl. Fotos (v. o. n. u.): Harvard University; Getty Images schaftsnobelpreis erhalten


Von Ingenieuren und Klempnern


Der Wirtschaftsnobelpreis geht an drei Wissenschaftler, die sich mit der Bekämpfung der Armut befassen. Was ist von ihren Ideen zu halten? VON MARK SCHIERITZ


I


m Jahr 2002 kam eine kenianische Hilfs-
organisation auf die Idee, Schulunifor-
men zu verlosen. Kinder aus zwölf Schu-
len des Landes konnten sich an der Lotte-
rie beteiligen. Die Gewinner wurden
einmal im Jahr von einem Schneider ver-
messen und bekamen danach eine neue
Uniform. Mitarbeiter des Hilfswerks überprüften
stichprobenartig die Anwesenheit der Schüler in
den Schulklassen und notierten die Fehltage.
Die Anwesenheitslisten erwiesen sich als Gold-
schatz für Michael Kremer, Wirtschaftsprofessor
an der Harvard-Universität, der zusammen mit
Abhijit Banerjee und Esther Duflo vom Massa-
chusetts In sti tute of Technology (MIT) mit dem
diesjährigen Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für
Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde.
Das Trio habe mit seiner Forschung die »Fähigkeit
zur Bekämpfung der globalen Armut
erheblich verbessert«, schrieb die Kö-
niglich-Schwedische Akademie der
Wissenschaften am Montag.
Man muss dazu wissen, dass unter
Ökonomen umstritten ist, was Ent-
wicklungsprogramme genau bewirken


  • obwohl in den vergangenen Jahr-
    zehnten viele Mil liar den Dollar an
    Hilfszahlungen in arme Länder geflos-
    sen sind. Die drei Wissenschaftler ha-
    ben eine Forschungsmethodik entwi-
    ckelt, die diese Frage beantworten soll.
    Das Prinzip lässt sich gut am Bei-
    spiel der Schuluniformen illustrieren.
    In der entwicklungspolitischen For-
    schung ist Konsens, dass Bildung einen
    wichtigen Beitrag zur Überwindung
    der Armut leistet. Aber wie bringt man
    mehr Kinder dazu, eine Schule zu be-
    suchen? Strengere Kontrollen? Niedri-
    gere Schulgebühren? Zuschüsse?
    Banerjee, Duflo und Kremer nähern sich dem
    Problem mit einer Methode, die eigentlich aus der
    Medizin kommt: der sogenannten zufallskontrol-
    lierten Studie (randomized controlled trial). Medi-
    ziner bilden dabei nach dem Zufallsprinzip eine
    Gruppe mit Probanden, die sie mit einem Medika-
    ment behandeln. Die Behandlungsergebnisse wer-
    den abgeglichen mit denen einer anderen, eben-
    falls zufällig ausgewählten Gruppe, an die statt des
    Medikaments ein Placebo verteilt wird.
    Dieses Verfahren soll Informationen darüber
    liefern, ob ein neues Medikament wirklich wirkt.
    Genauer gesagt: ob es eine kausale Beziehung zwi-
    schen der Verabreichung des Medikaments und
    dem weiteren Verlauf der Krankheit gibt. Das
    wäre mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Fall,
    wenn sich nur der Zustand der Patienten in der


mit dem Medikament behandelten Gruppe ver-
bessert. Wenn es auch den Patienten in der Kon-
trollgruppe besser geht, dann deutet das darauf
hin, dass nicht das Medikament, sondern andere
Einflussfaktoren wie zum Beispiel körpereigene
Abwehrkräfte ausschlaggebend waren.
Banerjee, Duflo und Kremer haben die Me-
thode auf die Erforschung der Ökonomie über-
tragen. Das Uniformprojekt in Kenia ist ein Bei-
spiel dafür. Sie konnten analysieren, wie sich die
Ausgabe einer Schuluniform auf die Anwesenheit
der Schüler auswirkt. Die Ergebnisse sind durch-
aus eindrucksvoll: Eine Teilnahme an dem Projekt
verringert die Abwesenheitsquote im Schnitt um
38 Prozent. Eine mögliche Ursache nach Ansicht
der Autoren: Kinder in Uniform sind eindeutig als
Schüler identifizierbar, und das hält erwachsene
Dorfbewohner vielleicht davon ab, diese Kinder
für die Feldarbeit zu verpflichten.
Die Preisträger haben überall in der
Welt solche Feldstudien durchgeführt,
um herauszufinden, was die Not der
Menschen wirklich lindert – zum Teil
in gemeinsamen Arbeiten, zum Teil in
Kooperation mit anderen Wissen-
schaftlern. Sie haben herausgefunden,
wie sich die Fehlzeiten von Lehrern in
Entwicklungsländern möglichst kos-
tengünstig verringern lassen. Nämlich
indem man an die Lehrer eine Kamera
aushändigt, mit der sie von ihren Schü-
lern täglich fotografiert werden, wobei
ihnen das Gehalt gekürzt wird, wenn
Bilder fehlen. Oder wie Eltern in Ent-
wicklungsländern dazu gebracht wer-
den, dass sie ihre Kinder impfen lassen


  • indem man die Eltern dafür belohnt,
    zum Beispiel dadurch, dass man ihnen
    ein Kilo Linsen pro verabreichter Impf-
    dosis gibt.
    Immer wieder haben Banerjee, Duflo und Kre-
    mer vermeintliche Gewissheiten erschüttert. Das
    prominenteste Opfer ihrer Analysen sind die so-
    genannten Mikrokredite. Die Idee: Durch Kleinst-
    darlehen sollen Menschen in armen Ländern in
    die Lage versetzt werden, ihre Geschäftsideen um-
    zusetzen – also zum Beispiel Regalbretter zu kau-
    fen, um einen Dorfladen zu eröffnen. In der Ent-
    wicklungspolitik wurden Mikrokredite zeitweise
    als eine Art Allheilmittel gefeiert. Duflo und
    Baner jee nahmen sich Mikrokreditprogramme in
    den Slums der indischen Metropole Hyderabad
    vor. Ergebnis: Durch die Darlehen haben sich,
    anders als erwartet, die Lebensumstände der Kre-
    ditnehmer nicht wesentlich verbessert. Es sei eben
    nicht jeder zum Unternehmer geboren. Sinnvoller
    seien ein geringes, monatlich ausbezahltes Grund-


einkommen und eine regelmäßige soziale Betreu-
ung der von Armut Betroffenen.
Derlei Studien haben die Entwicklungspolitik
revolutioniert. Heute wird die Wirksamkeit von
Hilfsprogrammen viel rigoroser überprüft als früher.
Die »innovative Forschung« von Banerjee, Duflo und
Kremer zeige »ganz konkrete Wege für eine Welt ohne
Hunger und Armut auf«, sagt Bundesentwicklungs-
minister Gerd Müller (CSU) der ZEIT. »Dabei geht
es nicht um Patentrezepte, sondern um die praktische
Machbarkeit und Wirksamkeit von Entwicklungs-
maßnahmen«, so der Minister.
Die Methode ist allerdings unter Experten
nicht unumstritten. In der Medizin lassen sich die
Ergebnisse von Zufallsexperimenten normalerwei-
se verallgemeinern. Biochemische Prozesse wie der
Stoffwechsel laufen bei allen Menschen in etwa
nach den gleichen Regeln ab. In den Sozialwissen-
schaften ist das nicht so einfach, weil menschliche
Verhaltensweisen von Traditionen, Umständen
und regionalen Gegebenheiten beeinflusst werden.
Was in Kenia funktioniert, muss noch lange nicht
in Mali funktionieren. So kritisiert der amerikani-
sche Wirtschaftswissenschaftler Angus Deaton,
ebenfalls ein Träger des Nobelpreises, dass die
Stichproben zu klein seien für verlässliche wissen-
schaftliche Aussagen.
Ökonomen wie Joseph Stiglitz von der Colum-
bia-Universität in New York – auch er Nobelpreis-
träger – weisen noch auf ein anderes Problem hin.
Strukturelle Ursachen der Armut lassen sich durch
Feldstudien nur schwer identifizieren. So verfüge
der Staat in vielen Ländern nicht über genug Geld,
um Schulen vernünftig auszustatten und Lehrer
ordentlich zu bezahlen, weil die in diesen Ländern
tätigen Konzerne ihre Gewinne künstlich klein-
rechnen, um Steuern zu sparen. Was helfen würde,
seien nicht Kameras zur Kontrolle der Lehrer, son-
dern ein gerechteres internationales Steuersystem
oder faire Handelsbeziehungen. Der experimen-
telle Ansatz habe zu einer »Entpolitisierung« der
Armutsdebatte beigetragen, der makroökonomi-
sche Aspekte und Verteilungsfragen nicht ausrei-
chend beleuchte.
Esther Duflo hat sich mit diesen Vorwürfen auf
ihre eigene Weise auseinandergesetzt. Ökonomen
wie Stiglitz oder Deaton verstünden sich als Sozial-
ingenieure, argumentierte sie jüngst in einem Vor-
trag: Sie erarbeiteten auf Basis theoretischer und
empirischer Erkenntnisse Politikempfehlungen,
die den Wohlstand der Menschen erhöhen sollten.
Ihre eigene Methode gleiche aber eher der eines
Klempners. Sie kümmere sich innerhalb eines vor-
gegebenen Rahmens darum, dass die Dinge eini-
germaßen gut funktionierten.
Um die Armut zu überwinden, braucht es
wahrscheinlich beides: Ingenieure und Klempner.

ANZEIGE

Michael Kremer
(oben) lehrt in
Harvard,
Abhijit Banerjee
am MIT

30 WIRTSCHAFT 17. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43


DAS HAUS DES MONATS


Kontakt
Bien-Zenker GmbH
Am Distelrasen 2
36381 Schlüchtern
Tel. (06661) 98-0
[email protected]
http://www.bien-zenker.de

Der attraktive
Bungalow
AMBIENCE 209
trägt den renommierten
Hausbau Design Award 2019.

AMBIENCE von Bien-Zenker: Die Renaissance des Bungalows


EIN BEITRAG VON
BIEN-ZENKER GMBH

Der Bungalow feiert hierzulande eine
Renaissance. Dieser Entwicklung im Ein-
familienhausmarkt wird der Holzfertighaus-
hersteller Bien-Zenker aus dem hessischen
Schlüchtern mit der Hauslinie AMBIENCE
gerecht. Und zwar mit Hausentwürfen,
die zu dem passen, was die Interessenten
suchen: Neben Familien, die gerne auf ei-
ner Ebene wohnen, gibt es heute die große
Gruppe der Menschen Ü 50 und Ü 60, die ihr
persönliches Wohnumfeld nach dem Aus-
zug der Kinder verkleinern – und ambitio-
niert leben möchten. Und weil man natürlich
möglichst lange in den eigenen vier Wänden
wohnt, bietet sich der Bau eines ebenerdigen

Bungalows ohne lästiges Treppensteigen
an. Die Hauslinie AMBIENCE umfasst vom
AMBIENCE 77 bis zum AMBIENCE 209 sechs
unterschiedlich große Entwürfe. Sie alle
bieten mit wohldurchdachten Grundrisskon-
zepten lichtes, großzügiges Wohnen und mit
ausgesprochen alltagspraktischen Lösungen
gleichzeitig höchste Funktionalität. Ihre an-
spruchsvolle architektonische Formenspra-
che reicht vom klassischen Winkelbau mit
Satteldach über kubischen Bauhausstil bis
hin zum extravaganten Pultdach-Eigenheim
oder einem Bungalow mit zweigeschossi-
gem Gebäudeteil.
Alle Entwürfe der Hauslinie AMBIENCE
sind so konzipiert, dass sie auch ohne Unter-
geschoss auskommen – und somit echtes
Wohnen auf einer Ebene bieten.

Möblierte 2-Zimmer-Wohnung
in Stuttgart West
Wfl. ca. 58 m², Zimmer 2, Kaufpreis
€ 395.000. Provisionsfrei.
zeit.immowelt.de – ID: 255RS4Q

Villa mit großem Garten
in Mornas (Provence/Südfrankreich)
Wfl. ca. 85 m², Grundstücksfläche ca.
1500 m², Zi. 4, Kaufpreis € 249.000.
Ohne Makler.
zeit.immowelt.de – ID: 2QZ6Q47

Einfamilienhaus in Sarreguemines
Freistehend mit Einliegerwohnung.
Wfl. ca. 180 m², Grundstücksfläche ca.
703 m², Zi. 6. Kaufpreis € 285.000. Von
privat.
zeit.immowelt.de – ID: 2RTN64Q

FRANKREICH^


BADEN-
WÜRTTEMBERG^

Kleines Haus: Erstbezug nach
Sanierung im noblen Gardone!
Wfl. ca. 73 m², Grundstücksfläche ca.
140 m², Zi. 3, Kaufpreis € 295.000.
Ohne Makler.
zeit.immowelt.de – ID: 2QBYX4L

Luxuriöse historische Villa
mit atemberaubender Aussicht
Wfl. ca. 1000 m², Grundstücksfläche
ca. 4000 m², Kaufpreis € 3.500.000.
Provisionsfrei.
zeit.immowelt.de – ID: 2R3584X

ITALIEN^


Einfamilienhaus in Hannover-Kirchrode
Wfl. ca. 170 m², Grundstücksfläche ca.
398 m², Zi. 6, Kaufpreis € 850.000. Von
privat.
zeit.immowelt.de – ID: 2Q5NK4Q

NIEDERSACHSEN^


IMMOBILIEN^


http://www.deutscheswirtschaftsforum.de

30. Oktober 2019·Paulskirche
Frankfurt am Main

Das DeutscheWirtschaftsforum führt
einmal jährlich die erst eF ührungs-
ebene ausWirtschaft undPoliti kin
Frankfurt am Main zusammen, um über
aktuelleFragen derWirtschaft– a uch
mit Blick auf den gesamteuropäischen
Kont ext–zudiskutieren.

Premium-Partner

Weiter eInf ormationen zum Programm
und zu denTeilnahmebedingungen
finden Sie unter:
http://www.deutscheswirtschaftsforum.de

ValentinaDaiber
VorstandRechtund
CorporateAffairs,
TelefónicaDeutschland

Dr. ChristophLoos
Vorsitzender derKonzern-
leitung, HiltiAG

Jean-ClaudeTrichet
Ehem. Präsident,
EuropäischeZentralbank

Mathias Oberndörfer
Bereichsvorstand Öffentlicher
Sektor, KPMGAGWirtschafts-
prüfungsgesellschaft

Prof. Dr.StephanieKelton
Professor ofEconomics and
PublicPolicy, StonyBrook
University

Susanna Schneeberger
Mitglied desVorstands &
Chief Digital Officer,
KION GROUPAG

Refe renten (Auszug)

Foto sv.l.n.r.: 2,

©John Griffin

/SBU Communications,

5, ©KION GROUP

AG/Oliver Lang

Anbieter: Zeitverlag Ger

dBucerius GmbH

&Co. KG,Bucerius

stra ße,Hamburg

∞Conv ent Gesellschaft für

Kongresse

und Veranstaltungsmanagement mbH, Senckenberganlage 10–12, 60325

Fran kfurt am Main

Partner Veranstal ter Förderer Medien-partner partnerNetzwerk- DruckpartnerOffzieller

Kontakt für Anzeigenkunden

040 / 32 80 454


Beratung und Verkauf

(^) [email protected]
(^) 040 / 32 80 472

Free download pdf