Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Stephan Landwehr mit seinem Hund Pandino im künftigen Hotel Chateau Royal

Foto: Jonas Holthaus für DIE ZEIT

Er tischt groß auf


Stephan Landwehr versteht es, unverwechselbare Räume der Gastlichkeit zu schaffen. So wurde er zum bedeutendsten Gastronomen Berlins VON JOHANNES DUDZIAK


S


tephan Landwehr bestellt viel Es­
sen. »Durch die Karte futtern«
nennt er das. An diesem Sommer­
abend im Grill Royal, einem seiner
Restaurants in Berlin­Mitte, wählt
er für die zwei anderen Personen
am Tisch einfach mit aus: Erst gibt
es Gazpacho, später eine Artischocke, dann ein
Tomahawk­Steak, Sauce béarnaise, einen Heilbutt,
Salat, Ratatouille. Dazu erst ein weißer, dann ein
roter Burgunder.
Landwehr, der wichtigste Gastronom Berlins,
sieht aus wie ein Kunstprofessor. Er trägt einen Stroh­
hut, ein rosafarbenes Hemd mit aufgestickten Ini­
tialen, eine kurze Hose, dunkle Socken und braune
Lederschuhe. Bootsbräune, kleiner Wohlstands­
bauch, volles dunkelblondes Haar.
Mit Anteilen an den Restaurants Grill Royal, Café
Einstein Unter den Linden, Le Petit Royal, Pauly Saal,
Kin Dee und der Bar Freundschaft hat sich Land­
wehr, 60, mit seinen Geschäftspartnern ein kleines
Imperium mit 300 Beschäftigten aufgebaut. Allein
mit der Grill Royal GmbH, zu der auch die Restau­
rants Pauly Saal und Le Petit Royal gehören, haben
er und seine Geschäftspartner 2017 laut Bundesanzei­
ger jeweils über 100.000 Euro verdient.
Landwehrs Aufstieg zum Berliner Gastronomie­
könig war keineswegs vorgezeichnet. Der Sohn eines
Lehrers und einer Hausfrau aus Lohne in Nieder­
sachsen kam 1982 als 24­Jähriger ohne Konto und
mit weniger als hundert Mark in der Tasche nach
West­Berlin. In der Stadt kannte er lediglich eine
Schulfreundin. Nur wenige Jahre später war er schon
Inhaber eines stadtbekannten Unternehmens für
handgefertigte Bilderrahmen. 2007 eröffnete er das
Grill Royal und wurde sofort zum Star der Berliner
Gastronomieszene. Wie hat er das geschafft?


Das Grill Royal wurde zum Gegenentwurf
vom Wowereitschen »arm, aber sexy«-Image


Ungewöhnlich ist zunächst einmal, dass alle Restau­
rants, die Landwehr mit seinen Partnern Boris
Radczun und Moritz Estermann eröffnet hat, schnell
populär waren – obwohl sie unterschiedliche Kon­
zepte verfolgen. Sie eint die Qualität der Küche. Der
Pauly Saal mit seiner experimentell­französischen
Karte und das Kin Dee, in dem thailändisch gekocht
wird, wurden jeweils mit einem Michelin­Stern aus­
gezeichnet. Das Grill Royal und das Einstein sind
Institutionen in der Stadt. Das Einstein ist das ein­
zige Restaurant, das Landwehr nicht mit seinen Part­
nern selbst aufgebaut, sondern vor drei Jahren von
den Vorbesitzern übernommen hat. Dort treffen sich


Politiker, Journalisten und Lobbyisten zum Mittag­
essen oder Kaffee. Das Grill Royal hat Berlin verän­
dert, weil es nach der Wowereitschen »arm, aber sexy«­
Ära ein Ort war, an dem die Reichen der Hauptstadt
über die Stränge schlagen konnten. Der Duft von
Steak und teuren Parfums, der Geschmack von Aus­
tern und Champagner, die provokante Kunst an den
Wänden, prominente Gäste wie George Clooney und
Charlize Theron – dem Laden gelang das in Deutsch­
land selten beherrschte Kunststück, reich und sexy
zu sein. Zahnärzte und Zuhälter gehen hier gleicher­
maßen gerne hin. Und Gerhard Schröder.
Um 19 Uhr kommt der Altkanzler mit seiner
fünften Ehefrau Soyeon Schröder­Kim ins »Grill«,
wie das Berliner Publikum den Laden ruft. Landwehr
steht auf: »Da muss ich kurz mal Hallo sagen.« Die
Schröders kriegen einen Premiumplatz auf der Ter­
rasse, mit Blick auf die Spree. In den nächsten Stun­
den begrüßt Landwehr immer wieder Leute, die zur
Tür hereinkommen. »André!« oder »Georgie!«, ruft
er dann und reißt den Arm hoch.
Nächstes Jahr wollen Lizenzpartner einen Grill­
Ableger in Dubai eröffnen und ein zweites Le Petit
Royal in Frankfurt. Außerdem möchte Landwehr
2020 den nächsten Schritt gehen und ein Hotel in
der Nähe des Brandenburger Tors eröffnen. Arbeits­
titel: Chateau Royal.
Noch bevor er das erste Hotel überhaupt eröffnet
hat, denkt er schon an das zweite Haus. Gastronomie
ist ein kompliziertes Geschäft. Stephan Landwehr
hat es sich selbst beigebracht.
In dem Dorf in der Nähe von Bremen, wo er mit
seinen Eltern und fünf Geschwistern aufwuchs, ging
man kaum essen. »Wir hatten nicht viel Geld. Mit
15 war ich das erste Mal in einem Restaurant. Aber
das war nichts Feines, da gab es mehr so Pommes
Schranke«, erzählt Landwehr heute. Nach einem
abgebrochenen Lehramtsstudium in Lüneburg ging
er nach Berlin.
Anfangs wohnte er in einem besetzten Haus in
Kreuzberg, dort tauchte er in die damals wilde Ber­
liner Kunstszene ein. Auch sein zweites Studium
brach er ab. Stattdessen wurde er Unternehmer. Er
brachte sich selbst bei, Bilderrahmen zu bauen. Bald
versorgte er damit die wichtigsten Galerien der Stadt.
Das Geschäft lief so gut, dass er bereits mit Ende
zwanzig mehrere Angestellte hatte. Er hat die Gabe,
Kontakte und Netzwerke zu pflegen – ein entschei­
dendes Talent für die Gastronomie. Sein ehemaliger
Kollege Norbert Petrasek, der noch immer ein Ge­
schäft für Bilderrahmen in Kreuzberg betreibt, er­
innert sich: »Er hatte die besten Connections in
Berlin. In der Kunstwelt der Stadt war er bekannt wie
ein bunter Hund. Er kannte sich super in der Galerie­

WAS BEWEGT STEPHAN LANDWEHR?


szene aus. Das war auch seine Art, Aufträge ranzuho­
len. Er sammelt ja Kunst.« Landwehr schätzt seine
Sammlung auf »um die 500 Werke«. Darunter sind
Arbeiten von Damien Hirst, Sarah Lucas und Ray­
mond Pettibon. Mit dem Verkauf eines Bildes von
Peter Doig für eine Million Dollar finanzierte er 2007
den Bau des Grill Royal. In jedem seiner Restaurants
hängen Kunstwerke aus seiner Sammlung.
Fragt man Petrasek, was der Grund für Landwehrs
Erfolg sei, sagt der: »Er ist eine sehr egobezogene Per­
son. Wenn nicht alles nach seinem Kopf geht, wird
er sauer. Er hat schon damals für mich im Restaurant
mitbestellt. Iss mal das hier! Das hat natürlich auch
den Vorteil, dass er viele Sachen durchgezogen hat,
die andere nicht geschafft hätten.« Landwehr selbst
fragt sich manchmal, ob er in bestimmten Situatio­
nen zu viel Druck gemacht haben könnte.
In seinen Restaurants testet er seine Mitarbeiter
immer wieder. Wenn er im Einstein sitzt und den
Verdacht hat, dass sein Risotto nicht mit dem richti­
gen Reis gekocht wurde, geht er in die Küche und
lässt sich die Reiskörner zeigen. Als er im Grill Royal
erfährt, dass zum Heilbutt Ratatouille angeboten
wird, sagt er zu den Kellnern: »Seid ein bisschen
kreativ mit den Empfehlungen. Bei der Sommer­
hitze kann man auch einen leichten Salat zum Fisch
servieren.« Später lässt er sich trotzdem das Ra ta­
touille bringen und prüft nach, ob es sommerlich
schmeckt. Als er im Kin Dee bemerkt, dass eine
Wand einen neuen Anstrich braucht, besorgt er gleich
am nächsten Tag neue Farbe.
Wenn Landwehr mit seinem Hund Pandino
durch Kreuzberg spaziert, hält er Ausschau nach Ge­
schäftsmöglichkeiten. Am Oranienplatz zeigt er auf
kleine Straßenlöcher, die mit Sand gefüllt wurden.
»Darunter befindet sich ein gut erhaltener U­Bahn­
hof aus den Zwanzigern. Den hat man nie in Betrieb
genommen und vor vier Jahren einfach zugeschüttet.
Was hätte man daraus alles machen können!« In den
Neunzigern investierte Landwehr in Kreuzberg in
Immobilien, die heute mehr als das Zehnfache wert
sind. In Brandenburg besitzt er ein Haus, in dem er
und seine Frau die Hälfte ihrer Zeit verbringen.
Ist es irgendwann genug? Er selbst sagt, dass er
nicht stillstehen möchte. Sein Geschäftspartner
Boris Radczun vermutet, Landwehr treibe der
Wunsch an, die Stadt mitzugestalten, ein »Mover und
Shaker« zu sein. Wenn man Radczun, den Bar­
Freundschaft­Betreiber Willi Schlögl oder Dalad
Kambhu, die Chefin des Kin Dee, separat fragt, was
für ein Typ Landwehr sei, heben sie immer wieder
sein »Bauchgefühl« und seine »intuitive Art«, Ge­
schäfte zu machen, hervor. In seinem Umfeld gilt er
als großzügig, Geschäftspartner sind oft Freunde. Er

arbeitet selten im Büro, sondern telefoniert viel,
während er durch seine Läden streift. Durch Berlin
fährt er oft mit dem Fahrrad, Pandino sitzt in einem
Körbchen. Wenn sich der Hund im Tiergarten nach
einem Bad im Teich im Dreck suhlt, packt der Landi
den Pandi am Schlafittchen, taucht ihn in den Teich
und setzt ihn tropfnass zurück ins Fahrradkörbchen.

Aus dem Münchner Schumann’s ist er
zweimal rausgeflogen

Hat Landwehr Vorbilder? Er selbst erwähnt oft das
ehemalige Kreuzberger Restaurant Exil, Treff der
Kunstszene in Vorwendezeiten, und später die Pa­
ris Bar in Charlottenburg. Und das Schumann’s in
München vielleicht? »Was soll ich mir da zum Vor­
bild nehmen?«, fragt Landwehr. Das Schumann’s
sei der einzige Laden, aus dem er zweimal raus­
geflogen sei. Wenn er betrunken wird, pöbelt er
auch gern mal.
Landwehr schwärmt von manchen Angestellten,
etwa dem Chefkoch des Einstein Siegfried »Sigi«
Danler oder der Grill­Royal­Restaurantchefin Andrea
Kauk, wie von großen Künstlern. Er will einen gi­
gantischen begehbaren Weinkeller hinter dem Grill
bauen, auch für Andrea Kauk, erzählt er, »als Teil
unseres gemeinsamen Lebenswerkes«.
Landwehr sagt: »Als Gastronom braucht man ein
Gefühl für Schönheit.« Er legt Wert auf Essen, Kunst,
Autos, Möbel und Kleidung. Lange Zeit hatte er ei­
nen Maßschneider in England. Mit den spielerischen
Instinkten des Dandys geht er an seine Geschäfte
heran. Im Pauly Saal stellte er mal einen Kellner ein,
weil dessen Bewerbung ihn amüsierte: »Der erzählte
uns erst mal zehn Minuten lang, was er alles nicht
kann. Zum Beispiel könne er keine Weinkisten
schleppen, dabei müssen Kellner das häufig machen.«
Sieben Jahre später arbeitet der Kellner immer noch
dort. Gastronomie ist auch Showbusiness.
Gegen 22 Uhr kommt Gerhard Schröder im Grill
Royal an Landwehrs Tisch, er will sich verabschie­
den. Dort sitzt mittlerweile auch Landwehrs 18­jäh­
rige Stieftochter Yuri. Sie wolle Politik studieren,
erzählt er stolz. Schröder versteht offenbar, dass sie
Politikerin werden wolle, und rät davon ab, zu viel
Hass und Häme müssten schon Lokalpolitiker in
sozialen Medien und Internetforen ertragen. Abgang
Schröder. Landwehr sagt: »Wenn Yuri will, kann sie
ja mal meine Geschäfte übernehmen.« Konkrete
Pläne gibt es diesbezüglich allerdings nicht. Erst mal
studieren, rät Landwehr. »Als Gastronom braucht
man nämlich eine extrem gute Allgemeinbildung.«

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Der Wirtschaftsfaktor

In Deutschland gaben die Menschen
im Jahr 2018 fast 50 Milliarden
Euro für Essen und Trinken in Gast­
stätten, Kneipen oder Bars aus. In
Berlin betrug der Umsatz des Gast­
gewerbes inklusive Hotelübernach­
tungen laut Branchen verband rund
zwölf Milliarden Euro. Die Branche
ist dabei sehr dynamisch: So eröffne­
ten in Berlin jedes Jahr etwa 2000
Restaurants, Bars, Cafés und Eck­
kneipen – aber genauso viele
Betriebe schließen auch wieder.

Der Arbeitsmarkt

In deutschen Restaurants, Kneipen
und Bars arbeiten rund 1,5 Millio­
nen Menschen. Mit den Zuliefer­
betrieben und Dienstleistern
beschäftigt die Branche allein in
Berlin etwa 250.000 Menschen. In
einer Studie des IW Köln im Auftrag
des Branchenverbandes Dehoga
ermittelten die Forscher, dass über­
durchschnittlich viele Frauen und
Ausländer in dieser Branche
beschäftigt werden. Zudem bilden
die Betriebe Zehntausende
Jugendliche aus.

50 Milliarden für


Essen und Trinken


36 WIRTSCHAFT 17. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43

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