- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43
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DIE ZEIT: Herr Gensch, sind Bücher schädlich
für die Umwelt?
Carl-Otto Gensch: So allgemein kann man das
nicht sagen, aber natürlich kostet es Rohstoffe
und Energie, ein Buch herzustellen. Wie viel
genau, ist gar nicht so leicht zu berechnen. Es
kommt darauf an, wie viele Seiten ein Buch
hat, wo und auf welchem Papier gedruckt wird,
mit wie vielen Farben ...
ZEIT: Was kostet denn am meisten Energie?
Gensch: Gut die Hälfte geht fürs Papier drauf;
übrigens auch dann, wenn auf Recyclingpapier
gedruckt wird. Die Aufbereitung von Altpapier
ist sehr aufwendig und kostet viel Strom. Trotz-
dem ist es für die Umwelt eindeutig besser, recy-
celtes Papier zu benutzen, als Bäume für neues
Papier abzuholzen. In vielen Büchern steht vor-
ne drin, welches Papier verwendet wurde. Eine
gute Orien tie rung ist das Umweltzeichen Blaue
Engel, Bücher, die es tragen, bestehen nicht nur
aus umweltfreundlichem Papier, sondern sind
insgesamt besonders schonend hergestellt.
ZEIT: Worauf kann man noch achten, wenn
man neue Bücher kauft?
Gensch: Taschenbücher sind besser für die Um-
welt als Bücher mit festem Einband, deren Her-
stellung doppelt so viel Energie kostet. Es
kommt aber auch darauf an, wie intensiv ein
Buch benutzt wird. Je länger und je häufiger es
gelesen wird, desto mehr lohnt es sich, das Buch
zu drucken. Wenn ein Kindergarten zum Bei-
spiel Die Raupe Nimmersatt anschafft und es
über Jahre hinweg durch viele Kinderhände
geht, dann ist es besser, eine Ausgabe aus fester
Pappe zu nehmen, weil die lange hält.
ZEIT: Noch besser wäre es vermutlich, Bücher
auf dem Flohmarkt zu kaufen oder sie bei
Freunden und in der Bibliothek zu leihen?
Gensch: Richtig. Die Reihenfolge beim Klima-
schutz lautet immer: vermeiden, verringern,
ausgleichen. Wenn weniger Dinge neu herge-
stellt werden müssen, wird weniger CO₂ aus-
gestoßen. Das ist die beste Lösung. Die zweit-
beste ist eine schonende Produktion, bei der
CO₂ eingespart wird. Wenn beides nicht geht,
kann man den Schaden ausgleichen, also zum
Beispiel Geld an Klimaprojekte zahlen.
ZEIT: In einem der Klima-Bücher, die wir auf
dieser Seite vorstellen, hat der Verlag vermerkt,
dass er 5000 Euro an eine Umweltorganisation
spendet. Was halten Sie von solchen Aktionen?
Gensch: Ich finde es gut, wenn Verlage an die
Umwelt denken. Aber wenn das eine einmalige
Sache ist und vor allem alle restlichen Bücher
einfach weiter wie bisher gedruckt werden,
bringt das wenig.
ZEIT: Und was halten Sie von der Idee, nicht
mehr auf Papier zu lesen, sondern digitale
E-Books?
Gensch: Wissenschaftler haben das mal durch-
gerechnet: Demnach sind E-Books nur dann
umweltfreundlicher, wenn jemand richtig viele
davon auf seinem Lesegerät liest – 30 im Jahr
müssten es schon sein. Ansonsten ist die Her-
stellung und später die Entsorgung eines Rea-
ders schädlicher für die Umwelt als die ge-
druckten Bücher.
Die Fragen stellte Magdalena Hamm
Lesen macht Spaß, aber ist es gut für
die Umwelt? Das weiß Carl-Otto
Gensch vom Ökoinstitut in Freiburg
Wie sehr
schaden Bücher
der Natur?
Schnell Geld verdienen mit Greta
B
eweg jeden Freitag die Welt!
Probier’s mal ohne Plastik!
Kämpfe wie Greta Thunberg!
Wer sich anschaut, was gerade
für neue Kinderbücher er-
scheinen, der entdeckt viele,
die sich mit dem Klimawan-
del beschäftigen. Klar, die Buchverlage haben
natürlich mitbekommen, wie wichtig vielen
von euch der Klimaschutz ist. Bei »Fridays for
Future«, also Freitage für die Zukunft, gehen
seit Monaten jede Woche mehr und mehr
Schüler auf die Straße statt in den Unterricht
und fordern die Politiker auf, etwas gegen die
Erderwärmung zu tun. Auch viele Erwachsene
unterstützen die Klimastreiks; am 20. Septem-
ber haben etwa vier Millionen Menschen welt-
weit protestiert.
In den Nachrichten aber sieht man oft das
Bild eines Mädchens: Greta Thunberg, die im
Sommer 2018 mit dem Schulstreik begann. Ganz
allein setzte sich die damals 15-jährige Schwedin
vor das Regierungsgebäude in Stockholm. In-
zwischen reist sie um die Welt – mit Zug oder
Segelschiff, nie mit dem Flugzeug – und hält
immer wütendere Reden. Denn die Politiker
laden sie zwar gern ein, aber sie tun bisher kaum
etwas gegen die Klimakrise.
Gretas Gesicht ist nun nicht nur im Fernse-
hen, in Zeitungen und im Internet zu sehen,
sondern auch auf einigen der Bücher, die jetzt
erscheinen. Gleich drei erzählen die Lebens-
geschichte der mittlerweile 16-Jährigen, ein
anderes versammelt alle Reden, die sie zwischen
August 2018 und März 2019 gehalten hat.
Gretas Geschichte ist zweifellos spannend.
Aber wenn man diese Bücher liest, bekommt
man das Gefühl, dass sich die Autoren beim
Schreiben leider nicht besonders viel Mühe ge-
geben haben. Oder dass sie nicht viel Zeit hatten.
Keiner von ihnen hat selbst mit Greta gesprochen
oder sich bei ihren Mitschülern, Lehrern oder
Nachbarn über sie erkundigt. Sie alle erzählen
einfach nach, was man schon über die Jugend-
liche weiß: dass sie das Asperger-Syndrom hat.
Das bedeutet, dass ihr Gehirn anders funktioniert
als das der meisten Menschen. Dadurch ist es ihr
unmöglich, sich mit schönen Dingen von der
Klimakrise abzulenken. Manches hat Greta in
ihren Reden oder Postings erzählt, vieles steht in
einem Buch, das ihre Mutter im vergangenen Jahr
veröffentlicht hat. Die Greta-Bücher erzählen also
wenig Neues, und vor allem ist darin relativ wenig
über das Herzensthema der Schülerin zu lesen:
nämlich, wie man die Klimakrise lösen kann.
Auch die Klima- und Umweltbücher, die
nicht Greta auf dem Cover zeigen, sind wenig
besser. Manche erklären zwar recht anschaulich,
wie es zur Erderwärmung gekommen ist (Ver-
brennung von Erdöl, Kohle und Gas) und welche
Gefahren von ihr ausgehen (schmelzende Pol-
kappen, Meeresspiegelanstieg, Naturkatastro-
phen), aber wenn es darum geht, wie man sie
stoppen kann, wird es etwas dürftig. Dann kom-
men meistens Tipps für den Alltag: Strom sparen,
Müll vermeiden, auf Fleischessen und Flugreisen
verzichten. Nur: Diejenigen, die freitags auf die
Straße gehen, also ihr Leser, wisst das vermutlich
längst. Für euch sind die Tipps höchstwahr-
scheinlich zum Gähnen.
Ein bisschen scheint es, als würden die Ver-
lage das Interesse von euch Kindern am Klima-
wandel ausnutzen wollen, um Geld zu verdienen.
Sie wissen, dass viele von euch Greta für ihren
Mut bewundern, dass sie ein Vorbild ist. Also
drucken sie ihr Bild aufs Cover oder versprechen,
euch auch zu Weltrettern zu machen, und hoffen,
dass ihr die Bücher kauft – oder dass eure Eltern,
Großeltern, Tanten oder Onkel sie euch schen-
ken. Das allein ist schon ziemlich enttäuschend.
Viel ärgerlicher aber ist, dass sie euch eine ziem-
lich verquere Botschaft mit auf den Weg geben:
nämlich, dass es eure Aufgabe ist, das Klima zu
retten. Überall ist zu lesen: Werde Klimaheld!
Rette die Welt! Fang bei dir selbst an! Und es
stimmt ja, wenn wir den Klimawandel aufhalten
wollen, müssen alle Menschen mitmachen, jeder
einzelne muss sich umstellen. Doch selbst wenn
alle Kinder in Deutschland die Umwelttipps aus
den Büchern beherzigten und auch noch ihre
Eltern davon überzeugten, mitzumachen, wäre
die Wirkung weltweit betrachtet recht klein.
Solange große Firmen Millionen damit ver-
dienen können, Erdöl, Kohle und Gas aus
dem Boden zu holen und zu verbrennen, än-
dert sich wenig. Solange es günstiger, beque-
mer und schneller ist, mit dem Auto oder mit
dem Flugzeug zu reisen, werden die Menschen
nicht einfach auf Züge umsteigen. Und es ist
schlicht unfair, wenn auf der einen Seite Fami-
lien dem Klima zuliebe auf ihren Urlaub ver-
zichten, aber andererseits ein paar Superreiche
mit Jachten und Privatjets um die Welt jetten.
Die Klimakrise lässt sich nur lösen, wenn
die Regierungen der reichen Länder beschlie-
ßen, in Zukunft kein CO₂ mehr in die Luft zu
blasen. Dazu braucht es Gesetze und Regeln,
die es allen Menschen ermöglichen, klima-
freundlich zu leben. Und Verbote, die verhin-
dern, dass Energie verschwendet wird. Das
fordern Greta und »Fridays for Future« seit
Monaten. Ihre Streiks richten sich an Politiker
und Firmenbosse, und die Botschaft an sie ist
klar: Handelt jetzt!
Darüber, wie entscheidend die Rolle der
Politik ist, steht in den Klimabüchern fast
nichts. Vielleicht hätten die Verlage besser mal
mit euch reden sollen, mit den Schülern, die
Woche für Woche fürs Klima streiken. Ihr
wisst das nämlich schon lange.
Illustration (Ausschnitte): Franziska Viviane Zobel/Oettinger Verlag
Gerade erscheinen viele Kinderbücher über die Klimakrise und für mehr Umweltschutz.
Wirklich empfehlenswert ist keines davon. MAGDALENA HAMM erklärt, warum
Darf ’s noch ein Klima-Büchlein mehr sein? Acht der vielen Neuerscheinungen
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