- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43 FEUILLETON 61
Neil Percival Young, der unermüdliche Grumm-
ler des Rock ’n’ Roll, ist auch mit 73 Jahren noch
so reizbar und kreativ wie gewohnt. Nach absol-
vierter Tournee mit der jungen Band Pro mise of
the Real veröffentlicht er nun mit seinen altver-
trauten Begleitern Crazy Horse sein neues Album
»Colorado«. Obwohl Young gleich zweimal in
die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen
wurde (als Solokünstler und mit der Band Buffa-
lo Spring field), ist er medienscheu. Das Interview
möchte der Kanadier, der seit langer Zeit in Ka-
lifornien wohnt, daher nur am Telefon führen.
DIE ZEIT: Mr. Young, der Arbeitstitel Ihres neu-
en Albums war Pink Moon.
Neil Young: Stimmt, denn wir haben bei Voll-
mond aufgenommen.
ZEIT: Sie scheinen eine große Leidenschaft für
den Mond zu haben, immerhin taucht er in knapp
30 Ihrer Songs auf. Was fasziniert Sie so am
Mond?
Young: Das ist wohl der Heide in mir! (Gelächter)
Ich glaube an die Macht der Natur, und der
Mond bedeutet mir besonders viel. Es war mein
Plan, mit den Albumaufnahmen während der
Vollmondphase zu starten, denn alles, was bei
Vollmond begonnen wird, hat eine gute Chance
auf Erfolg.
ZEIT: Sie waren zum ersten Mal seit sieben Jahren
wieder mit Ihrer legendären Band Crazy Horse im
Studio. Was ist so besonders an ihr?
Young: Wir haben diese lange gemeinsame Ge-
schichte, und Crazy Horse ist eine Band, die
schnell zur Sache kommt. Es entspannt mich ein-
fach, mit Ralph, Billy und Nils zu musizieren. Sie
sind wie ein Poncho, der mich wärmt. Und ihre
Art zu spielen bringt mich dazu, spezielle Songs zu
schreiben.
ZEIT: Was macht diese Songs anders?
Young: Keine Ahnung, erklären Sie es mir.
ZEIT: Ich würde den Sound von Crazy Horse
»klassisch« nennen, man hört nicht, dass diese
Musik in einem anderen Jahrtausend entstanden
ist als jahrzehntealte Klassiker wie etwa Cowgirl in
the Sand.
Young: Ich sehe da auch keinen Unterschied, es ist
alles die gleiche Herangehensweise. Crazy Horse
spielen ganz einfach, ihr Sound ist schnörkellos.
ZEIT: Sie schreiben jetzt seit mehr als einem hal-
ben Jahrhundert Songs. Wie hat sich Ihre Heran-
gehensweise von den ersten Songs mit Crazy
Horse bis in die Gegenwart verändert?
Young: Überhaupt nicht, keine Veränderung. Das
Songschreiben ist für mich immer noch so, wie
ich es immer gemacht habe. Wenn mir danach ist,
dann schreibe ich eben. Und wenn ich gerade et-
was anderes mache und mir die Idee für einen
Song kommt, dann höre ich damit sofort auf und
schreibe und mache danach mit dem weiter, was
ich vorher gemacht habe. Aber ich weiß nie, wann
das über mich kommt.
ZEIT: Sind Sie ein zuversichtlicher Mensch, auch
mit Blick auf politische Entwicklungen der jüngs-
ten Zeit?
Young: Ich vertraue einfach auf die Liebe, und es
ist daher ganz einfach, ein Optimist zu sein.
Unterschätzen Sie nicht die Macht der Mensch-
lichkeit. Es gibt immer wieder Menschen, die
sich durch ihre Taten finsteren Entwicklungen
entgegengestellt haben. Geschichte ist wie ein
Pendel: Sie schlägt in beide Richtungen aus.
Man muss nur Geduld haben – auch dieses Mal
wird das Pendel für das Gute mit großer Wucht
zurückschlagen.
ZEIT: Angeblich sind viele Trump-Wähler Fans
Ihrer Musik. Eine seltsame Vorstellung für Sie?
Young: Musik ist Musik, und sogar Trump mag
meine Musik. Das spielt doch keine Rolle. Musik
ist für die Seele und das Herz. Ich freue mich über
jeden Einzelnen, dem sie gefällt. Ob wir in allem
einer Meinung sind, spielt für mich keine Rolle.
ZEIT: Viele Musiker sind mittlerweile in sozialen
Netzwerken unterwegs. Raubt das der Idee von
Kreativität nicht ein wenig den Zauber?
Young: Ich persönlich bin nicht in sozialen Netz-
werken unterwegs, darum kümmert sich eine Fir-
ma, die meine Web site betreut. Alles, was es von
mir zu berichten gibt, hat seinen Ursprung in
dieser Web site. Da bringe ich mich auch selbst
ein, habe die Kontrolle und weiß, dass die Ge-
schichten stimmen. Meine neue Platte Colorado
ist übrigens zugänglicher als viele meiner anderen
Alben. Deshalb spreche ich nun direkt mit Men-
schen wie Ihnen, damit die Leute eine Chance
haben, zu verstehen, was ich mache.
ZEIT: Was meinen Sie mit »zugänglich«?
Young: Diese Platte ist eben nicht so obskur wie
manche meiner anderen Alben.
ZEIT: Sind Sie enttäuscht, wenn Ihr Publikum
manche Ihrer Platten nicht zu würdigen weiß?
Young: Es ist nicht meine Sorge, ob das Publi-
kum meine Sachen versteht. Ich habe genug da-
mit zu tun, dass mir selbst klar ist, was ich da
mache. Ich muss die Dinge umsetzen, alles ande-
re ist mir ziemlich gleichgültig. Wenn es den
Leuten gefällt, sollen sie es genießen, und wenn
das nicht so ist, sollen sie ihre Zeit eben mit etwas
anderem verbringen.
ZEIT: Insbesondere den nachgewachsenen Gene-
rationen bieten sich in diesem Jahrtausend zahl-
reiche Alternativen zur Musik, von Videospielen
bis hin zu den sozialen Netzwerken. Hat Musik
die Relevanz verloren, die sie in den Sechzigerjah-
ren noch hatte?
Young: Die digitale Revolution hat alles verändert.
Wer alt genug ist, dass er Alben in den Siebzigern
oder Achtzigern gehört hat, weiß, was verloren ge-
gangen ist. Die Frage können Sie also genauso be-
antworten wie ich. Ich höre Musik noch so, wie
sie gehört werden sollte, nämlich mit einer ange-
messenen Ausstattung. Wenn man sich allerdings
Musik auf dem Computer anhört, dann lauscht
man nur noch Schrott. Und deshalb fühlt man die
Musik auch nicht mehr. Und weil man sie nicht
mehr fühlt, bedeutet sie nichts mehr.
ZEIT: Wer Ihr neues Album auf seinem Smart-
phone hört, kann es also gar nicht genießen?
Young: Selbstverständlich! Ich verrate Ihnen et-
was: Es steht eine sehr, sehr große Ankündigung
in dieser Sache von einem der größten Konzerne
der Welt an. Mehr darf ich Ihnen leider nicht ver-
raten. Ich sage nur so viel: Es wird die Musikin-
dustrie grundsätzlich verändern!
ZEIT: Sind Sie darin involviert?
Young: Nein.
ZEIT: Sie haben selbst vor fünf Jahren mit einem
eigenen Online-Musikdienst namens Pono und
einem zugehörigen Abspielgerät versucht, die Mu-
sikindustrie aufzurollen. Der Erfolg blieb aller-
dings aus. Waren Sie enttäuscht?
Young: Für mich war es ein Erfolg. Ich nutze Pono
bis heute, und viele meiner Freunde tun es auch,
weil man da tatsächlich hören kann, was im Stu-
dio eingespielt wurde, es ist der pure Sound der
Musik. Wenn wir mit der Band im Studio sind
und uns nach einer Session daheim anhören wol-
len, was wir da gespielt haben, nutzen wir alle
Pono, denn nur so können wir hören, was wir da
eigentlich gespielt haben. Auf iTunes erkennt man
zwar den Song, aber man hört ihn nicht wirklich.
Man fühlt es nicht!
ZEIT: Sie waren kürzlich in Deutschland auf
Tournee und haben auf Ihrer Web site in einem
Beitrag euphorisch von den Errungenschaften
Deutschlands geschwärmt: »Keine Einkaufszen-
tren«, »Kaum McDonald’s und Straßenmüll«.
Deutschland sei »führend«. Sie waren hier oft in
der Vergangenheit. Hat sich Deutschland in dieser
Zeit verändert?
Young: Wenn ich in Deutschland bin, sehe ich
viele wunderbare Sachen. Es war ein weiter Weg,
aber jetzt ist Deutschland auf der Höhe der Zeit,
Getty Images Entertainment/Getty Images
»Sogar Trump mag meine Musik«
Neil Young ist einer der letzten großen Rockstars unserer Zeit
- und immer noch ein politischer Aktivist. Doch seine Songs
sollen jedem gefallen. Im Gespräch erklärt er, warum das seinem
Einsatz gegen den Schrott in der Musikindustrie und gegen
einen deutschen Chemiekonzern keinen Abbruch tut
Mehr als 25 Millionen Alben hat
Neil Young, 73, bereits verkauft. Nun erscheint
sein neues Werk »Colorado«
zum Beispiel mit erneuerbarer Energie. Deutsch-
land ist eine führende Nation, aber natürlich
nicht perfekt. Sie müssen sich in Deutschland
mit denselben Mächten herumschlagen wie alle
anderen auf der Welt, die Politiker treffen da
auch mal dumme Entscheidungen und lassen
Dinge zu, die sie nicht zulassen sollten. Nehmen
Sie das Unternehmen Bayer, das eine Schande
für Deutschland ist.
ZEIT: Weil die bei Monsanto involviert sind?
Young: Ja, die sind in diese ganze Sache verwi-
ckelt, weil sie so dumm waren, den Laden zu
kaufen. Wer das Wohl dieses Planeten im Blick
hat, würde das nicht tun. Aber das schert die
alles nicht, die interessieren sich nur für das Geld
und haben hier eine sehr, sehr schlechte Ent-
scheidung getroffen.
Z EIT: Sie haben behauptet, dass Monsanto vor
drei Jahren, nachdem Sie das Protest-Album The
Monsanto Years veröffentlicht hatten, im Netz
gegen Sie vorging.
Young: Dafür nutzten sie Dienste wie Google
und ähnliche Dinge, um negative Geschich-
ten über mich zu verbreiten. Oder sie sorgten
dafür, dass Verrisse des Monsanto Years-
Albums zuerst bei Google-Suchen zu sehen
waren. Es waren Manipulationen der sozia-
len Netzwerke, die funktionieren, wenn Geld
im Hintergrund ist. Wie kann man solchen
Geschichten überhaupt Vertrauen schenken,
wenn längst klar ist, dass Likes gekauft wer-
den können? Wie kann man News vertrauen,
die von Robotern generiert wurden, die nur
eine spezielle Perspektive verbreiten? So läuft
das bei Face book.
ZEIT: Ihre Website, das Neil Young Ar chive, ist
auch auf Face book vertreten.
Young: Und unter jedem Post, den wir da ver-
öffentlichen, steht geschrieben: »Face book is
corrupt« – »Don’t be lieve what you read here«.
Die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, sind
natürlich begrenzt, und ich habe nicht vor,
mein Leben damit zu verschwenden, mich über
Leute zu ärgern, die Dinge machen, die mir
nicht passen. Aber ich werde weiterhin sagen,
dass sie irren! Wenn man wie ich denkt, dass die
Welt von diesen Dingen bedroht ist, sollte man
sich dem entgegenstellen. Und die jungen Leute
müssen machen, was sie für richtig halten, um
diese Kräfte zu entmachten.
ZEIT: Beeindruckt Sie die junge Schwedin Gre-
ta Thunberg mit ihrer Bewegung?
Young: Ja, ich liebe diese Kids, denn die sind
unsere Zukunft. Denen ist nämlich bewusst,
dass es ihre Welt ist, die wir gerade zugrunde
richten. Alles, was die anstellen, um den Nie-
dergang aufzuhalten, unterstütze ich zu hun-
dert Prozent.
ZEIT: Erinnert Sie die Generation Greta, die
derzeit ihre Stimme erhebt, an den Geist von
Woodstock?
Young: Ein wenig schon, ja. Es ist eben der
Geist der Jugend. Und der ist letztlich nicht
kleinzukriegen.
ZEIT: Sie scheinen auch im fortgeschrittenen
Alter ständig in diversen Projekten involviert
zu sein. Wann haben Sie zuletzt mal freige-
nommen?
Young: Ich plane keine Urlaube, weil ich eben-
so wenig plane, was ich zu arbeiten habe. Aber
gestern habe ich einen Ausflug mit meinem
Auto gemacht und mir die Gegend ange-
schaut. Ich bin hier in Colorado mit meinem
Elektromobil ganz langsam spazieren gefahren
und habe die Schönheit der Natur bewundert,
Tiere bestaunt, den Duft der Blumen genos-
sen und mir so mal wieder die Kraft des Plane-
ten und der Natur bewusst gemacht. So ein
Ausflug ins Grüne ist wie ein Kirchgang.
Das Gespräch führte Christoph Dallach
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©Urban Zintel
»Müsste ich die Frage, wie ich die Zeit
im Gefängnis verbracht habe, mit
einemeinzigen Wort beantworten, es
würde ›kämpfen‹ lauten.«
Deniz Yücel
KorrespondentderWelt,einJahrinHaft
imHochsicherheitsgefängnisinderTürkei