Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1
Harry Potters Unterwasser-Rettungseinsatz beim Trimagischen Turnier; Szene aus Band 4 Der Glücksdrache Fuchur aus der »Unendlichen Geschichte« holt das Amulett Auryn aus den Tiefen des Meeres

Illustrationen (Ausschnitte): Jim Kay/Bloomsbury Publishing Plc 2019 (l.); Sebastian Meschenmoser/Thienemann-Esslinger Verlag

»Ich hatte richtige Panikschübe«


Jim Kay und Sebastian Meschenmoser haben »Harry Potter« und »Die unendliche Geschichte« neu illustriert. Ein Gespräch über Drachenglück und schlaflose Nächte


Der eine hat gerade seine Bilder zur »Unendli-
chen Geschichte« fertiggestellt, hätte aber am
liebsten weitergemalt. Der andere arbeitet seit
sechs Jahren daran, alle sieben »Harry Potter«-
Bände zu illustrieren; etwa die Hälfte ist ge-
schafft. Was die beiden eint, sind die vielen
einsamen Stunden über Skizzenblocks und die
Zweifel an den fertigen Bildern. Jim Kay, der
eigentlich am nächsten »Potter«-Band arbeiten
muss, hat diesem Interview sofort zugestimmt.
Sebastian Meschenmoser kam nach Hamburg,
der britische Kollege wurde zugeschaltet

DIE ZEIT: Jim Kay, Sebastian Meschenmoser, Sie
beide haben Klassiker der Kinderliteratur neu
illustriert. Wie kam Harry Potter, wie kam Die un-
endliche Geschichte zu Ihnen?
Sebastian Meschenmoser: Nicht sie kam zu mir, ich
kam zur Unendlichen Geschichte. Wie so viele Kin-
der bin ich mit Michael Endes Roman aufgewach-
sen, hatte mir gewünscht, ihn einmal zu illustrie-
ren. Meine Lektorin beim Thienemann-Verlag, wo
die Ende-Bücher erscheinen, sah eines Tages Öl-
bilder von mir und war begeistert. Da schlug ich
vor, Die unendliche Geschichte auf diese Weise zu
illustrieren. Vorbild waren übrigens Jims Harry
Potter-Bücher. Vielen Dank für Ihre Arbeit, Jim!
Jim Kay: (lacht) Bei mir begann alles mit einem
Schock. Ich hatte vorher nur nebenher illustriert,
keine Menschen, immer nur Landschaften, Tiere,
Pflanzen. Ich hatte nicht mal mit Farben gearbei-
tet, geschweige denn für Kinder. Vor sechs Jahren
rief dann meine Agentin an und sagte, dass die
sieben Harry Potter-Bücher illustriert werden soll-
ten. Und dass man mich dafür haben wolle.
ZEIT: Und was dachten Sie?
Kay: Mir kam das irrwitzig vor!
Die Filme sind so erfolgreich, alle
hatten durch sie feste Bilder im
Kopf. Warum sollte jemand neue
Illustrationen haben wollen? Mir
jagte diese Anfrage unglaubliche
Angst ein. Aber irgendwie dachte
ich: Versuch es!
ZEIT: Ihre Arbeiten wurden und
werden zu opulenten Prachtbän-
den. Wie viel Lebenszeit steckt in
solch einem Buch?
Meschenmoser: Ich hatte 13 Mo-
nate Zeit, um die 50 Ölbilder zu
malen und rund 160 Zeichnun-
gen anzufertigen. Anfangs hatte
ich keine Idee, wie ich das bewäl-
tigen sollte. Ich habe mir ein
Story board, eine Art Arbeitsplan,
gemacht. Das hat mir geholfen.
Wie im Märchen, wenn man ei-
nem Dämon einen Namen gibt.
Es war mein bisher anstrengends-
tes Projekt. Sie, Jim, machen das
jedes Jahr. Wie schaffen Sie das?
Kay: Es ist viel harte Arbeit. Al-
lein am ersten Buch habe ich zwei
Jahre täglich 12 bis 15 Stunden

gearbeitet. Zwischen dem ersten und dem zweiten
Band hatte ich genau fünf Tage frei. Die erste rich-
tige Pause kam nach vier Jahren, als der dritte
Band fertig war. Ich würde mich wieder für dieses
Projekt entscheiden, aber den ganzen Tag allein
vor mich hinzuarbeiten, finde ich wirklich schwer.
Meschenmoser: Ich teile mir ein Atelier mit vier
Kollegen.
Kay: Oh, wow!
Meschenmoser: Ja, aber das war auch kompliziert.
An meinem Raum müssen alle vorbei, wenn sie
zur Toilette wollen. Und als ich mit der Arbeit an
der Unendlichen Geschichte anfing, durfte ich nicht
darüber sprechen. Ich habe viel Zeit damit ver-
bracht, meine Bilder zur Wand zu drehen.
Kay: Ich durfte auch zwei Jahre lang niemandem
erzählen, woran ich arbeitete; nicht einmal meiner
Familie. Das war so seltsam! Ich glaube, in der Zeit
dachten einige Leute, ich würde gar nichts tun.
Meschenmoser: Mein Vater sagte irgendwann,
dieses Geheimhalten sei vielleicht zu meinem
Schutz. Falls ich zusammenklappe und nicht fertig
werde, würde es niemand bemerken.
ZEIT: Gab es solche Momente, in denen Sie Angst
hatten zu scheitern?
Meschenmoser: Ich hatte richtige Panikschübe,
weil ich dachte: Wie soll ich das bloß schaffen?
Kay: Es tut so gut, das zu hören! Ich konnte sechs
Monate lang nicht schlafen, weil ich solche Ängste
hatte. Es lag so unglaublich viel Arbeit vor mir!
Meschenmoser: Ja, und jetzt, wo das Buch fertig
ist, frage ich mich immer noch, wie ich das eigent-
lich fertiggebracht habe. In Momo, einem anderen
Roman von Michael Ende, gibt es Beppo, den
Straßenfeger. Er sieht nie die gesamte Straße an,
sondern geht Besenstrich für Be-
senstrich voran. Das hab ich mir
abzuschauen versucht.
ZEIT: Gab und gibt es auch schö-
ne Momente für Sie?
Meschenmoser: Es ist schön, zu
sehen, welche Kreaturen ich er-
schaffen habe. Sie werden in mei-
nem Kopf geboren, und jetzt sind
sie in der Welt – auf Papier, einer
Leinwand, im Buch. Das ist sehr
beglückend!
Kay: Wenn ich heute durch die
Bücher blättere, sind sie eine Art
Tage buch. Ich erinnere mich, was
ich getan, wie ich mich gefühlt
habe; an Dinge, die ich gehört
und gelesen habe. Als ich Hagrids
Hund malte, hörte ich David
Bowie, weshalb Fang verschie-
denfarbige Augen hat.
ZEIT: Jim, in Ihrem Fall lebt die
Autorin noch. Redet J. K. Row-
ling bei Ihrer Arbeit mit?
Kay: Bei Harry Potter sind wahn-
sinnig viele Menschen involviert.
Ich schicke meine Bilder zuerst
an den Bloomsbury-Verlag, wo
unterschiedliche Abteilungen

draufsehen. Wenn alle einverstanden sind, schi-
cken die sie weiter an Rowlings Agentur. Dort se-
hen wieder alle Verantwortlichen drauf und geben
Feedback. Ganz am Schluss landet alles auf Row-
lings Tisch, und sie hat das letzte Wort. Aber bis-
her hat sie mich einfach machen lassen. Sie ermu-
tigt mich geradezu, ihre Geschichte visuell neu zu
übersetzen. Ich erinnere mich nur an eine einzige
Änderung, die sie sich gewünscht hat.
ZEIT: Welche war das?
Kay: Das Nummernschild des fliegenden Autos
auf dem Cover von Band zwei. Ich hatte Rowlings
Geburtsort und Geburtsdatum verwendet. Sie
wollte, dass es das Nummernschild des Autos eines
alten Freundes wird, der sie früher oft mitnahm.
ZEIT: Haben Sie ein an der getroffen?
Kay: Nein. Wir schreiben uns zwar immer, dass
wir uns endlich treffen müssen, aber ich bin des-
wegen echt nervös. Ich meine, sie ist J. K. Rowling!
Anfangs wollte ich auch erst mal abwarten, wie
sich die Bücher machen. Es sieht ja ganz gut aus.
Also ja, ich denke, wir werden uns treffen.
ZEIT: Sebastian, Michael Ende ist tot, Erben wa-
chen über sein Werk. Hatten Sie Vorgaben?
Meschenmoser: Ich habe vor allem mit Roman
Hocke zusammengearbeitet, der Endes Erbe ver-
waltet. Er kannte den Autor privat sehr gut, aber
auch beruflich. Mit Hocke bin ich zur Recherche
nach Italien gereist, und er hat mir all die Orte ge-
zeigt, die für Ende wichtig waren: einen Berg, der
die Form einer riesigen Schildkröte hat und Vor-
bild für die uralte Morla ist; einen Monsterpark
aus dem 16. Jahrhundert, wie ein Disneyland aus
der Renaissance, wo die Sphinx steht.
ZEIT: Wie hat Ihre Arbeit begonnen, Jim? Auch
mit einer Reise?
Kay: Nein, ich habe Hogwarts in mein Atelier ge-
holt. Um die Filmbilder loszuwerden, musste ich
mir die ganze Welt buchstäblich noch einmal
selbst erschaffen. Ich bin einfach nicht gut darin,
Dinge aus meinem Kopf heraus zu malen. Und
das Ärgerliche mit Fantasy ist, dass es keine realen
Vorbilder gibt. Ich habe zuerst ein Modell der
Schule und der Landschaft gebaut, später habe ich
den Haus elfen Dobby geknetet, die Kutsche mit
den Pferden gebastelt, den Hogwarts Express zu-
sammengeklebt – eigentlich alles.
ZEIT: Wo steht das alles? Leben Sie inzwischen in
einer Harry Potter-Modellwelt?
Kay: Ich recycle alles und mache aus einem Modell
ein neues. In meinem alten Studio wurde es sehr
warm, und Dobbys Gesicht schmolz. Der Hauself
ist jetzt der Hintern eines Hippogreifen. Inzwischen
wurde ich aber gebeten, meine Modelle aufzuhe-
ben. Sie sollen in Ausstellungen gezeigt werden.
ZEIT: Und wie haben Sie sich bei Harry, Dum-
bledore und all den anderen beholfen?
Kay: Für alle Figuren gibt es lebende Vorbilder. Die
Weasleys zum Beispiel sind eine Mutter und deren
Kinder, die ich an einer Schule kennengelernt habe.
Viele meiner Modelle treffe ich regelmäßig, zeichne
und fotografiere sie. Besonders bei den Kindern
brauche ich das, denn sie werden ja mit jedem
Band älter. Und es ist verdammt schwierig, ein

Kind genau ein Jahr älter aussehen zu lassen! Raus-
zugehen und Menschen zu treffen, das ist etwas,
wozu Harry Potter mich gezwungen hat. Jetzt be-
obachte ich Leute, überall, wo ich bin. Das ist so
spannend! Ich glaube, wenn jeder verpflichtet wäre,
einige Zeichenstunden zu absolvieren, würden wir
Menschen ein an der anders ansehen.
ZEIT: Sebastian, haben Sie auch mit Hilfsmitteln
oder mit Modellen gearbeitet?
Meschenmoser: Nein, das meiste hatte ich im Kopf.
Menschliche Modelle wären für mich schwierig
gewesen, Phantásien ist ja voll absonderlicher Krea-
turen. Bei einer Reise nach Kolumbien und Mexi-
ko fand ich einige Koboldfiguren, die ich über-
nommen habe. Und ich bin in Museen gegangen,
Hieronymus Bosch zum Beispiel hat mich inspi-
riert. Michael Ende war der interkulturelle Gedan-
ke enorm wichtig, deshalb habe ich sein Phantásien
entsprechend bevölkert: kolumbianische Kobolde,
deutsche Hexen, ein paar Bosch-Wesen, japanische
Kreaturen und einiges aus meinem Kopf.
ZEIT: Durften Sie beide frei wählen, zu welchen
Szenen Sie Bilder anfertigen?
Meschenmoser: Ich habe mich für die entschieden,
die im Film nicht vorkommen. Was den schönen
Nebeneffekt hat, dass meine Kunst die Menschen
wieder zum Lesen bringt. Wer meine Bilder sieht,
sagt jetzt oft: Oh, ich sollte noch mal ins Buch
schauen!
Kay: Ich neige dazu, viel zu viel zu skizzieren, und
sortiere dann mit dem Verlag aus. Meistens gibt es
einige Schlüsselszenen, bei denen sich alle einig
sind. Aber ich arbeite gern mit Details, die nur am
Rand auftauchen. Zum Beispiel die Winkelgasse. In
den Büchern werden nur wenige Läden beschrie-
ben, da konnte ich die Lücken
füllen und Geschäfte erfinden.
ZEIT: Haben Sie eine Ahnung,
wie viele Zeichnungen Sie für die
vier Bücher angefertigt haben?
Kay: Tausende! Ich mache wahn-
sinnig viele Entwürfe, die nicht
taugen. Neun von zehn landen in
der Tonne. Und ich arbeite mit
Fragmenten; eine Il lus tra tion be-
steht oft aus vielen Einzelbildern,
die ich digital zusammensetze.
ZEIT: Nutzen auch Sie den Com-
puter, Sebastian?
Meschenmoser: Nein, weil ich
schlicht nicht weiß, wie das geht.
Ich habe eine sehr klassische
Kunst-Ausbildung und die Kurse
mit Photo shop verpasst. Ich habe
stattdessen gelernt, Dinge so lan-
ge wieder und wieder zu machen,
bis sie gut aussehen.
Kay: Vielleicht fehlt mir einfach
das Selbstvertrauen. Manchmal,
wenn ich ein Bild zu 80 Prozent
fertig habe, scanne ich es ein und
mache am Computer weiter, um
das Original nicht zu versauen.
Ich mag dieses digitale Arbeiten

gar nicht, aber es gibt mir Sicherheit. Die Zeit
drängt immer, und ich kann es mir nicht leisten, ein
Bild zu ruinieren. Ich habe aber leider auch nie das
Gefühl, dass eins fertig ist. Wenn ich keine Dead-
lines hätte, würde ich nie aufhören zu korrigieren.
ZEIT: Können Sie trotzdem ein Bild benennen,
auf das Sie richtig stolz sind?
Kay: Etwas, worauf ich mich sehr gefreut habe,
waren die Drachen. Den Schwedischen Kurz-
schnäuzler zu zeichnen war fantastisch! Als ich ein
kleiner Junge war, habe ich ständig Drachen ge-
malt, und es jetzt wieder zu tun hat sich angefühlt,
als wäre ich noch einmal Kind.
Meschenmoser: An meine Drachen-Kinderbilder
erinnere ich mich auch. Im Kunststudium habe
ich dann leider festgestellt, dass Fantasywesen
nicht sonderlich angesehen sind. Und heute sitze
ich hier, glücklich darüber, riesige Ölbilder von
Kobolden und Drachen zu malen.
ZEIT: Jim, Sie beginnen gerade mit dem fünften
Potter-Band, dem dicksten ...
Kay: ... und bisher habe ich nur ein riesiges Papier
an der Wand, auf dem alle Kapitel aufgelistet sind.
Aber in genau einem Jahr muss alles fertig sein!
ZEIT: Sie, Jim, stecken also noch mittendrin, Se-
bastian, Sie sind bereits fertig: Wer beneidet wen?
Meschenmoser: Ich beneide Jim ganz grundsätz-
lich darum, dass er Harry Potter illustrieren darf.
Andererseits denke ich: Sechs Jahre und kein Ende
in Sicht – was für ein Wahnsinn!
ZEIT: Jim, wissen Sie eigentlich, wann Sie den
letzten Band abschließen werden?
Kay: Keine Ahnung, es könnten noch drei Jahre
sein. Oder mehr? Ich erinnere mich nicht, wie ein
Leben ohne Harry ist. Zeit für neue Projekte zu
haben, darum beneide ich Sebas-
tian. Was aber gut am Mitten-
drinsein ist: Wenn du bei einem
Buch denkst, du hast noch nicht
dein Bestes gegeben, kannst du
mit dem nächsten immer noch
aufholen.
ZEIT: Na, dann drücken wir Ih-
nen die Daumen für Band sieben!
Haben Sie beide sich eigentlich
selbst in den Bildern verewigt?
Meschenmoser: Ich leide unter
dem Hitchcock-Syndrom und
verstecke mich immer in meinen
Büchern. In meinem Debüt war
ich die Hauptfigur, weil ich das
günstigste Modell war. Und man
kann mich auch in der Unendli-
chen Geschichte finden ...
Kay: Spannend! Ich bin bisher
nicht auf die Idee gekommen.
Hmm, ich könnte einen Laden in
der Winkelgasse betreiben ...
ZEIT: ... und etwas Magisches
verkaufen ...
Kay: Ja, Bleistifte und Papier.

Das Gespräch führte
Katrin Hörnlein

Jahrgang 1980, studier-
te freie bildende Kunst
in Mainz und Dijon; seit
2008 lebt und arbeitet er
in Berlin. Seine Bilder
zur »Unendlichen Ge-
schichte« sind noch bis
zum 12. November im
Kinder- und Jugendlite-
raturzentrum LesArt in
Berlin zu sehen

Sebastian


Meschenmoser


Jahrgang 1974, studier-
te Illustration an der
University of Westmins-
ter in London und lebt
heute in Northampton-
shire. Im November
kommt er für Vorträge
und Signierstunden
nach Deutschland: 9. 11.
in Oldenburg; 12. 11. in
Hamburg; 13. 11. in
Berlin; 14. 11. in Mün-
chen; 15. 11. in Köln

Jim Kay


Fotos: Carlsen Verlag (l.); Jan-Ulrich Schmidt/Thienemann-Esslinger Verlag


KINDER



  • & JUGENDBUCH^67
    17. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43

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