Die Zeit - 17.10.2019

(Kiana) #1

A


ls junger Theologiestudent dachte ich
so wie die evangelische Gemeinde in
Norddeutschland, aus der ich kam:
Homosexualität sei »dem HERRN
ein Gräuel« (Leviticus 18, 20). Erst
später im Studium verstand ich, dass weder die
Hebräische Bibel noch das Neue Testament von
gleichgeschlechtlich Liebenden im heutigen Sinne
spricht. Konservativ sozialisiert, wie ich war, kann
ich es nur als Gottes Humor bezeichnen, dass aus-
gerechnet ich ein Coming-out hatte.
Nun musste ich mich fragen, ob meine Kirche
einen schwulen Pfarrer aushalten würde: mich.
Noch 1990 hatte die Hannoversche Landeskirche
unter großem Aufsehen den Pfarrer Hans-Jürgen
Meyer wegen seiner Homosexualität vom Dienst
suspendiert. Als Student war ich Ende der Neun-
zigerjahre dabei, wie die Nordelbische Synode sich
heiße Kontroversen um die Anerkennung gleich-
geschlechtlicher Lebensformen lieferte. Erst 1996
erklärte sie: »Die jahrhundertelange Verdammung
weiblicher und männlicher Homosexualität durch
Theologie und Praxis der Kirche hat zur Diskrimi-


nierung, Verfolgung und Ermordung homosexuel-
ler Frauen und Männer entscheidend beigetragen.
Die Synode erkennt dies als Schuld. Sie bittet Gott
und die Betroffenen um Vergebung.« 1996 war es
auch, dass die EKD ihre Orien tie rungs hil fe Mit
Spannungen leben zum Umgang mit Homosexuali-
tät vorlegte. Darin anerkannte sie Homosexuelle,
stellte deren Partnerschaften aber keineswegs den
heterosexuellen gleich. Mir wurde klar, dass meine
Kirche mehr um ihre Einheit fürchtete als um uns:
Schwule und Lesben selbst waren es, die in ihren
Kirchen »mit Spannungen leben« mussten.
1998 war die Großstadtgemeinde St. Pauli in
Hamburg noch eine absolute Ausnahme, als sie
zuließ, dass mein Mann und ich als Paar gesegnet
wurden. Damit dies aber auf keinen Fall mit einer
Trauung verwechselt würde, ordnete die Landes-
kirche an, auf das Glockenläuten, den Ringtausch
und das Jawort zu verzichten. Eine Stelle als
Jugendpfarrer im ländlichen Raum wurde mir erst
angeboten, dann zurückgezogen, als ich meine
Homosexualität öffentlich machte. Bei Bewer-
bungsgesprächen machten mir mehrere Pröpste

Kein Segen für Sachsen: Rentzing konnte die zerstrittene Kirche nicht einen

Foto: Martin Kirchner/laif

GLAUBEN & ZWEIFELN



  1. OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43


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Der Zorn auf Rentzing entzündete sich
auch am Thema gleichgeschlechtliche
Paare. Pfarrer SIEGHARD WILM über die
neue Toleranz der Protestanten

Wie homophob ist


meine Kirche?


Ein Bischof


Sachsens evangelischer Oberhirte Carsten Rentzing scheiterte nicht an rechten Texten von früher, sondern am Streit seiner Kirche über die Rechten von heute


VON EVELYN FINGER UND WOLFGANG THIELMANN


I


st dieser Mann ein Rechter? Rechts nicht
im Sinne von konservativ, sondern von
rechtsaußen, völkisch, rassistisch, kurzum
inakzeptabel? Keiner weiß es. Keiner will
jetzt die falsche Antwort riskieren. Seit vo-
rigen Freitag bekannt wurde, dass Carsten
Rentzing vor dreißig Jahren in der neu-
rechten Zeitschrift Fragmente die Demokratie ge-
geißelt und die Menschenrechte für unprotestan-
tisch erklärt hatte, möchten die Protestanten nicht
als Ehrenretter eines bisher als konservativ bekann-
ten Bischofs missverstanden werden, der vielleicht
immer noch heimlich ein Dunkeldeutscher ist.
Schon lange kursierte in Sachsen der Vorwurf,
Rentzing kritisiere die AfD nicht hart genug. Seit
Kurzem kursiert auch der hässliche Verdacht, er habe
stets mehr Sympathien für die Partei gehabt, als er
nach außen zugab. Deshalb bekommt man faire Ein-
schätzungen jener Amtsbrüder, die bislang weder zu
Rentzings Gegnern noch zu seinen Verteidigern ge-
hörten, derzeit off the records. Wer in den vergangenen
Tagen Deutschlands evangelische Kirchenfunktio-
näre befragte, in Ost und West, in Nord und Süd, der
hörte: Nein, Rentzing sei absolut kein Rechter, nur
leider eine schwache Führungsfigur gewesen.
Nein, er sei kein Eiferer, sondern ein moderater
und angenehmer Gesprächspartner.
Nein, aber er war überfordert.
Nein, aber er war zu still.
Nein, aber er hätte gegen rechts mehr in die Of-
fensive gehen müssen.
Letzteres war die Klage seiner kircheninternen
Kritiker von Anfang an, seit Rentzings Amtsantritt
im Jahr 2015. Mehrere Pfarrer aus Leipzig, darunter
so bekannte Namen wie Christian Wolff von der
Thomaskirche und Bernhard Stief von der Nikolai-
kirche, forderten schon damals, die sächsische Landes-
kirche und vor allem ihr Bischof sollten klarer Stellung
beziehen gegen Hetze auf den Pegida-Demonstratio-
nen und gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime. In ei-
nem offenen Brief Ende Dezember 2016 wieder-
holte Wolff seine Kritik am Schweigen des Bischofs
zur »Menschenverfeindung« in Sachsen. Nach dem
Einzug der AfD in den Bundestag 2017 schrieb der
Pfarrer im Ruhestand seinem Dienstherrn, wiederum
öffentlich: Er sei entsetzt, dass Rentzing die AfD »als
eine ganz normale Partei« behandle, statt das »pro-
phetische Wächteramt der Kirche« wahrzunehmen
gegenüber einer »offen rassistischen, rechtsradikalen


Partei wie der AfD«. Nachdem die AfD nun, im
September, bei den Landtagswahlen in Sachsen fast
28 Prozent holte, starteten Leipziger Pfarrer um An-
dreas Dohrn und Frank Martin eine Petition, in der
es heißt: »Unverständlich blieb uns, warum Sie sich
weigerten, die antievangelische Haltung und un-
christliche Ideologie dieser völkischen Partei vor der
Wahl zu benennen. Es drängt sich die Vermutung
einer inhaltlichen Nähe auf, die durch Ihre Äußerun-
gen nicht entkräftet wurde.«
Ist Rentzing ein Rechter? Aus dem Verdacht ist
jetzt etwas Schlimmeres als Gewissheit geworden:
Ungewissheit. Nicht, weil vor wenigen Wochen he-
rauskam, dass der gebürtige Westberliner – der zu-
nächst Jura und Philosophie studiert hatte, ehe er zur
Theologie kam – Mitglied in einer
schlagenden Verbindung war, der
Alten Prager Landsmannschaft Her-
cynia. Auch nicht, weil publik wurde,
dass der heute 52-Jährige im Jahr 2013
in der Berliner »Bibliothek des Kon-
servatismus« einen Vortrag gehalten
hatte, die als Treffpunkt auch Neu-
rechter gilt. Sondern weil der Bischof
aus dem Amt floh, als er sich härtesten
Vorwürfen hätte stellen müssen.
Am vergangenen Donnerstag wa-
ren seine alten Texte aus Fragment dem Dresdner
Landeskirchenamt zugespielt worden. Am Freitag
erklärte der Bischof den Kollegen, dass er sich seiner
Worte von damals schäme. In einer schriftlichen Er-
klärung fügte der Spätberufene, der erst als Erwach-
sener zum christlichen Glauben gefunden hatte,
hinzu: »Der Weg in die Kirche hat mich verändert.
Positionen, die ich vor dreißig Jahren vertreten habe,
teile ich heute nicht mehr.« Mit dieser Distanzierung,
die zugleich seine Abdankung war, verschwand er ins
Off. Danach blieb er nicht nur für Journalisten un-
erreichbar, sondern auch für die eigene Kirchenleitung


  • bis hinauf zum Ratsvorsitzenden der EKD.
    Wie verzweifelt muss ein Bischof sein, um abzu-
    tauchen? Um zu glauben, dass eine Verteidigung
    nichts mehr nützt? Manches spricht dafür, dass Cars-
    ten Rentzing am Ende vor einer unversöhnlichen
    Landeskirche floh, die als eine der konservativsten in
    Deutschland gilt, aber zugleich auch besonders pro-
    gressive Mitglieder hat – und auf beiden Seiten re-
    volutionserfahrene 89er, die momentan zu allem
    bereit sind, nur nicht zum Kompromiss.


Rentzing wurde Bischof im Jahr der Flüchtlings-
krise, in einem Bundesland, wo später die blauen
Erfolgswahlkreise der AfD genau auf dem Gebiet der
frommen Gemeinden lagen: im Erzgebirge, im Vogt-
land, im evangelikalen Bible Belt des Ostens. Wo in
manchen Dörfen am Ende der kirchenfeindlichen
DDR noch immer neunzig Prozent Kirchenmit-
glieder lebten. Wo auch Rentzings Ehefrau herkommt
und er selber als Pfarrer Heimat fand. Man kann sa-
gen, dass ein Bischof aus dem ländlichen Sachsen es
sich nicht leisten konnte, alle AfD-Wähler als Rechts-
radikale zu brandmarken, weil er wusste, dass die
Wirklichkeit so simpel nicht ist. Was ihn für Linke so
verdächtig machte, war, dass er stets den Ausgleich
suchte, wo er doch nur die AfD attackieren sollte.

Trotzdem hat er zum Aufstieg der Partei keines-
wegs geschwiegen. Rentzings Wortmeldungen be-
ginnen am 30. August 2015, einen Tag nach Amts-
einführung. Da sagte er im Deutschlandfunk auf die
bohrende Frage, was er den Pegidisten in den Gemein-
den entgegenhalten wolle: »Ausländerfeindlichkeit,
Menschenverachtung, Ablehnung anderen gegenüber,
die Schutz suchen, sind Dinge, die mit dem christli-
chen Glauben nicht zu vereinbaren sind.« Im Septem-
ber desselben Jahres startete der Bischof mit seinem
katholischen Amtsbruder vom Bistum Dresden-
Meißen den Aufruf »Licht an für Menschlichkeit«:
Die Sachsen sollten sonntags eine Kerze ins Fenster
stellen, als Zeichen gegen den Hass auf Flüchtlinge.
Im Erzgebirge war das vielleicht mutig. In Leipzig
fanden sie es »armselig« und geeignet, »kirchliches
Handeln bis zur Unkenntlichkeit zu verdunkeln«.
Die Liste von Rentzings Äußerungen gegen rechts
ist lang. Sie reicht von der Kritik an den Pöbeleien
zum Tag der Einheit 2016 über seine Teilnahme am
Miteinander-Marsch in Chemnitz 2018 bis zur Dis-
tanzierung von seinem Auftritt in der Bibliothek des

Konservatismus, den er am 7. Oktober 2019 einen
Fehler nannte. Warum genügte das seinen Kritikern
nicht? Weil Rentzing darauf beharrte, man müsse
»miteinander reden«, »zuhören«, »zusammenstehen«.
Das missfiel den kirchlichen Verfechtern einer radi-
kalen Abgrenzung zur AfD. Sie wollten ja gerade nicht
reden. Rentzing schon. Sie wollten, dass es nur eine
Position der Kirche gibt. Rentzing wollte Einheit in
Vielheit. Leider sagte er selten und oft undeutlich,
welche Teile der AfD brandgefährlich und rechts-
extrem seien, also keinesfalls eingemeindet werden
dürften. Manchmal missrieten ihm auch die Meta-
phern, wenn er etwa davor warnte, »Öl in die Spal-
tung« zu gießen. War das die Nervosität eines Kon-
servativen, der permanent unter linksliberalem Be-
schuss stand? Man würde ihn das jetzt
gern fragen. Denn im Lichte seiner
demokratiefeindlichen Texte von einst
lesen sich manche missratene Sätze so,
als habe er eben doch nicht ehrlich
gemeint, was er da zu sagen versuchte.
Und nun? Heißt es allenthalben,
das Unglück der sächsischen Landes-
kirche sei gewesen, dass Rentzing mit
nur einer Stimme Mehrheit zum
Bischof gewählt wurde. Tatsächlich
wurde auch sein Amtsvorgänger
Jochen Bohl nur mit einer Stimme mehr gewählt.
Darin zeigt sich, dass Sachsen schon immer zerrissen
und zerstritten war. Vom Pietismus ebenso geprägt
wie von der Aufklärung. Zu DDR-Zeiten SED-Hoch-
burg und am Ende doch der Hort der Friedlichen
Revolution. In Dresden traditionsstolz und in Leipzig
linksliberal. Ach, Sachsen! Wo einst die hitlertreuen
Deutschen Christen stark waren, aber die Beken nende
Kirche auch. Wo 1934 die Frauenkirche zum Dom
der Deutschen Christen umbenannt wurde und
heute als Versöhnungsort erstrahlt. Wo manche Dör-
fer, die 500 Jahre lang einen eigenen Pfarrer hatten,
nun keinen mehr haben, das macht viel Trauer und
böses Blut. In diesem seltsamen Sachsen residierte
Bischof Bohl nahe der Frauenkirche, die er 2005 nach
dem Wiederaufbau mit weihte, während Bischof
Rentzing 2017 in ein bescheidenes Bürohaus nahe
der Kreuzkirche zog – was ihm aber auch nicht half.
Die ihn näher kennen, beschreiben Rentzing als
nahbar, fast ängstlich. Fromm, ohne Bedürfnis nach
großem Auftritt, ein Zuhörer, aber zaudernd beim
Anpacken von Konflikten. Wie umgehen mit der

Pfarrersgattin Frauke Petry aus Frohburg bei Leipzig?
Wie umgehen mit Christen, die vor der Frauenkirche
die Kanzlerin niederbrüllen? Manche hätten sich einen
Bischof gewünscht, der zurückbrüllte. »Ich bin un-
sicher, ich zweifle«, sagte Rentzing, wo ein bekennt-
nishaftes Nein erwartet wurde. »Ich scheue mich
davor, Menschen zu verurteilen und ihnen quasi mit
der Exkommunikation zu drohen.« Vielleicht dachte
er dabei an Leute wie den früheren Jugendpfarrer
Theo Lehmann in Chemnitz, der in der DDR Wider-
ständler war und mit jetzt 85 Jahren Heiliger der
Evangelikalen und Freund von Pegida ist. Wenn ja,
sagte er es nicht. Eine gewisse Undeutlichkeit gehörte
zu seinen Plädoyers für Ausgewogenheit stets dazu.
Doch er fand auch Mut zur Konfrontation. Leip-
ziger Pfarrer, die gegen ihn opponierten, lud er zum
Gespräch ein. Zuletzt sogar die Verfasser der Petition
»Nächstenliebe verlangt Klarheit«, die ihn als ihren
Bischof ablehnen und bis jetzt fast tausend Unter-
stützerstimmen gesammelt haben.
Kann eine Kirche ihre Einheit bewahren, wenn
sich die Gesellschaft spaltet? »Er war kein Führungs-
typ, der sagt, wo ich bin, da ist vorn«, verteidigt ihn
der Leipziger Pfarrer Matthias Pankau vom evangeli-
kalen Verlag idea. »Seine damaligen Äußerungen und
seine jetzige Haltung lassen für mich nur einen Schluss
zu: Er vertritt genau die reaktionäre lutherische Theo-
logie der 20er Jahre, die in die Katastrophe geführt
hat«, sagt der Pfarrer Christian Wolff, der in derselben
Straße wohnt wie Pankau.
Am mildesten beurteilt ihn einer, der Grund hät-
te, besonders wütend zu sein. Stephan Rost ist mit
einem Mann verheiratet, beide waren Vikare in Sach-
sen. Rentzing lehnt die Segnung homosexueller Paare
ab, was ihm fast einen Boykott der Pfarrerschaft noch
vor Amtsantritt beschert hätte. Er lud die Vertreter
von Schwulen und Lesben jedoch zum Gespräch ein
und befriedete die Situation. Später wurde unter
seiner Ägide ein Beschluss verabschiedet, wonach die
sächsischen Gemeinden selber entscheiden sollen, ob
sie einen homosexuellen Pfarrer wollen oder nicht.
Rost sagt, er sei aus Sachsen weggezogen, weil er nicht
in einer Region leben wollte, wo »ein Drittel der
Leute« mich ablehnt. Die beiden Gespräche mit
Rentzing über seinen Weggang seien gut gewesen.
Das Problem sei nicht der Bischof, sondern Sachsen.
Wahrscheinlich ist das wahr. Neulich reiste der
Rat der EKD nach Sachsen, um den Osten zu ver-
stehen. Besser spät als nie.

f lieht aus dem Amt


Sieghard Wilm lebt mit
seinem Mann im Pfarrhaus

Daniel Bockwoldt/dpa

klar, dass Kandidaten wie ich Konflikte brächten.
Oft hieß es: »Die Gemeinden sind noch nicht so
weit.« Als ich 2002 zum Pfarrer der St.-Pauli-
Kirche gewählt wurde, versagte mir der dienst-
vorgesetzte Propst, mit meinem Mann ins Pastorat
zu ziehen. Da waren wir schon acht Jahre lang ein
Paar, lebten seit vier Jahren in einem Haushalt –
und sollten uns jetzt trennen? Erst nach massivem
Protest meiner Gemeinde lenkte der Propst ein.
Als wir dann 2002 auf dem Standesamt unsere
Lebenspartnerschaft staatlich beglaubigen ließen,
wurde mein Mann mit Blumensträußen und
Glückwünschen seines weltlichen Arbeitgebers
überhäuft. Meine Kirche dagegen schickte Wo-
chen später einen schmallippigen Satz des Rechts-
dezernats: »Hiermit bestätigen wir den Eingang
Ihres Schreibens vom ...« Kein Glückwunsch.
Kirchenrechtlich wurde unser Zusamenleben
im Pfarrhaus zwölf Jahre lang lediglich geduldet –
bis das EKD-Pfarrdienstgesetz im Jahr 2014 unse-
ren Zustand legalisierte. Ich kann also bezeugen:
Meine Kirche war bis vor Kurzem keineswegs so
tolerant, wie sie sich jetzt gern sieht. Noch ein

Beleg aus jüngster Zeit: 2016 durfte ich als Mit-
glied der Landessynode der Nordkirche selbst über
die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare abstim-
men. Liberale Kräfte forderten, nicht nur die Seg-
nung, sondern gleich die »Trauung für alle« durch-
zusetzen. Als konservative Kräfte sich dagegen
formierten, wurde ich zum Vermittler: Um den
Zusammenhalt der Landeskirche nicht zu gefähr-
den, schlug ich vor, bei völliger theologischer
Gleichstellung homosexueller Paare nur über eine
Segnung abzustimmen, aber eine Themensynode
»Familienformen – Lebensweisen« zu verabreden.
Dieser Kompromiss brachte mir harsche Kritik
von Schwulen und Lesben ein. Doch am Ende
hatten wir Erfolg: Als Vorsitzender des Ausschus-
ses der besagten Synode brachte ich im September
2019 die »Trauung für alle« zur Abstimmung. Mit
großer Mehrheit stimmte die Nordkirche dafür.
Für meinen Ehemann und mich hat das Ganze
eine ironische Pointe: 21 Jahre nachdem wir vor
dem Altar gesegnet wurden, dürfen wir nun eine
Trauungsurkunde bei der evangelischen Kirche
anfordern.

»Der Weg in die Kirche hat mich verändert.


Positionen, die ich vor dreißig Jahren


vertreten habe, teile ich heute nicht mehr.«


Carsten Rentzing in seiner Rücktrittserklärung am vergangenen Freitag
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