ENTDECKEN
Kiên Hoàng Lê porträtiert hier im
Wechsel mit anderen Fotografen
Menschen, die ihm im Alltag begeg-
nen. Protokoll: Cosima Schmitt
Emil hat mein Leben
verändert. Bevor wir uns den
Hund anschafften, habe ich
mir gern mal ein Steak in die
Pfanne gehauen. Doch jetzt
kann ich kein Fleisch mehr
essen. Ich denke: Das Rind, das
da vor dir liegt, hat nicht mal
annähernd so gelebt, wie du es
deinem Hund nie zumuten
würdest. Ich bin jetzt Veganer.
Nicht dogmatisch; wenn
Freunde einen Kuchen auf den
Tisch stellen, der mit Eiern
gebacken ist, dann probiere ich
schon mal ein Stück. Und der
Hund kriegt nach wie vor sein
Fleisch. Aber es ist über die
Jahre viel normaler geworden,
vegan zu essen. Und es gibt
nationale Unterschiede, wie
mir – ich bin Halbfinne –
neulich in Helsinki auffiel.
In Frankfurt kann ich bei
manchem Metzger vegane
Würstchen kaufen. In Finnland
sind es die Milchprodukte. Im
Supermarkt dort sah ich
gängeweise vegane Milch,
vegane Joghurts und Quarks.
Mikko Hilgert, 36, mit seinem
Kleinspitz Emil, ist leitender
Grafiker und wohnt in Frankfurt
WER
S I N D
SIE
?
Die Rückkehr der Knoblauchfahne
Was früher eine rassistische Unterstellung war, ist heute weltgewandt und hip
Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco, Alard von Kittlitz, Nina Pauer und Britta Stuff
E
s gab eine Zeit, da irrte man
durch Supermärkte auf der Su-
che nach Pasten wie Sambal
Oelek. Man fahndete nach Zu-
taten wie Bambus und Mungobohnen
und etwas, das den Namen Galgant trug,
nirgends zu kaufen war und von dem bis
heute nicht ganz geklärt ist, um was es
sich eigentlich handelt. Sich in neue
Küchentraditionen wie die asiatische
einzukochen kann anstrengend sein.
Millionen einst euphorisch erworbener
Woks, die mittlerweile im Schrank ver-
stauben, bezeugen das.
Heute ist es anders. Zwar laufen Men-
schen wieder exotischen Zutaten hinterher
- sie heißen jetzt schwarzer Sesam, Tahini
und Za’atar – aber sie wirken dabei weni-
ger lost. Überzeugend routiniert werden
Kreuzkümmeldöschen und Koriander-
büschel in Einkaufswagen geworfen,
Zimtstangen und Sultaninen, Sternanis-
samen und Granatapfelsirupflaschen. Der
Trend der levantinischen Küche, die
spätestens seit den Kochbuch-Megabest-
sellern des Israelis Yotam Ottolenghi Ein-
zug in das deutsche Essverhalten gefunden
hat, ist zum Alltag geworden.
Obligatorisch stehen bei Geburtstags-
und Grillfesten, bei Lunchdates oder am
Abendbrottisch nun orientalische Linsen-
salate herum. Und während man über
Hummusschüsseln von den wunderbaren
Gewürzen schwärmt und Rezepte von
gegrilltem Gemüse und vegetarischen
Kurkuma-Köfte austauscht, stellt sich ein
angenehmer, psychologischer Nebeneffekt
ein. Viele der neuen Gerichte fungieren
auch prima als eine Art moralische Sätti-
gungsbeilage. Von der CO₂-Bilanz her
unbedenklich, gespickt mit entzündungs-
hemmenden Zutaten, wirken sich Kicher-
erbsen und Auberginen positiv auf weni-
ger gesunde, heimische Tellerinhalte aus:
Die Trashigkeit des Imbiss-Würstchens
wird durch Berge von Hülsenfrüchten mit
frischer Minze abgeschwächt, wenn nicht
sogar komplett kompensiert.
So könnte auch schon alles gesagt sein
über die zeitgenössische deutsche Liebe
zum nahöstlichen Geschmackserlebnis,
wäre da nicht eine Hauptzutat, die es in
sich hat. Kurze Rezeptschau: Hummus –
vier frische Knoblauchzehen. Orientali-
scher Möhrensalat – fünf rohe Knoblauch-
zehen. Shakshuka, Baba Ganoush, Bulgur-
bällchen in Tomate – Knoblauch, Knob-
lauch, Knoblauch. Hier offenbart sich die
wahre Revolution in Deutschlands Kü-
chen: die Rückkehr der Knoblauchfahne.
Angefangen hatte diese Entwicklung
düster, als fremdenfeindliches Ressenti-
ment. Das Stinken nach Knoblauch un-
terstellte man etwa schon deutschen Ver-
triebenen, die nach dem Krieg die osteuro-
päische Küche nach Westdeutschland
brachten. Später wurden Gastarbeiter aus
der Türkei und Italien stigmatisiert, indem
man ihnen Knoblauchgeruch nachsagte.
»Mit alles und scharf«, so versuchte man
diese dunkle Episode einige Jahre später
beim Dönerbestellen wegzumurmeln, als
allzu offensichtlich wurde, dass der Ein-
zige, der stank, man selbst war, wenn man
in der S-Bahn mal wieder Dürüm mit
rohen Zwiebeln gegessen hatte.
Heute tritt die Knoblauchfahne poli-
tisch unbelastet in Erscheinung: Nicht
weniger als 25 Zehen, so der Kochguru
Ottolenghi, gehören in die Knoblauch-
suppe mit Harissa. Es ist eine, milde for-
muliert, intensive Renaissance des beißen-
den Atems, der die heutige Fusionküche
begleitet. Zu behaupten, dass irgendwer
stolz auf ein säuerliches Aroma beim
Sprechen sei, wäre vielleicht zu viel gesagt.
Doch dort, wo es jetzt hip und fortschritt-
lich ist, orientalische Mezze aufzutischen,
wird es zumindest in Kauf genommen.
Anders gesagt: Diejenigen, die sich im
Kreuzkümmeldeutschland von 2019 zur
Avantgarde der Hobbyköche zählen dür-
fen, erkennen einander blind.
NINA PAUER ENTDECKT
- OKTOBER 2019 DIE ZEIT No 43
Foto: Kien Hoang Le für DIE ZEIT
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Fotos: Marissa Price/Unsplash (großes Bild), Universum Film 2019 (2040), Urban Sports Club
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