Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1

D


ie ersten Monate fühlte sich Luca Pignatelli in seinem neuen Ate-
lier wi e ein Archäologe: überall ölverschmierte Mauern, schwarze
Böden u nd wenn er irgendwo genauer hinschaute, nicht nur gu-
te Überraschungen. „Tatsächlich war das einmal eine Autowerk-
statt“, e rinnert sich der Künstler, „aber auf mich wirkte sie wie
eine Ruine aus frühindustrieller Zeit.“ Heute trägt er eine brau-
ne Cordhose und einen leichten grauen Pullover, doch in jenem
Winter m usste er einen dicken Mantel anziehen, wenn er malen
wollte. Das nächste Frühjahr machte er sich an die Arbeit. „Schon
mein V ater war Maler, und so war ich von klein auf mit Farben
und K eilrahmen vertraut“, erklärt Luca Pignatelli, „doch studiert
habe i ch eigentlich Architektur, deshalb konnte ich mich um alles
selbst kümmern.“ Inzwischen ist auch seine Frau Maria Avanzi
dazugekommen. „Auf Lucas Gemälden geht es häufig um das Non-
finito, das a bsichtsvolle Nichtvollenden eines Bildes“, sagt sie und
lacht. „Mi t seinem Studium war es genauso. Aber er besitzt viel
Fantasie, das hat ihm beim Umbau sehr geholfen.“
Das fin g damit an, dass er keine Bedenken hatte, das Projekt
unkonventionell anzugehen – und mit dem Ende zu beginnen.
„Maria und ich waren einmal in den Marken, und in der Nähe von
Pesaro ga b es damals einen ganz unglaublichen Antiquitätenhänd-
ler. E r war an sich auf Militaria spezialisiert, aber er hatte auch
diese T üren. Niemand wusste, woher sie stammen, es waren acht
Stück, u nd ich habe sie alle gekauft.“ Diese Türen im Stil der Neo-
renaissance bildeten den Ausgangspunkt für die Umgestaltung der


Räume, wie sie Luca Pignatelli vorschwebte. „Ich weiß, dass man
normalerweise anders plant und erst ein Gesamtkonzept erstellt
und sich dann zu den Details vorarbeitet. Wir haben es anders
gemacht und alles um diese Türen herumgebaut.“
Die Gegend, in der sich sein Atelier befindet, gehört zu den
Vierteln in Mailand, die sich in den letzten Jahren sehr verändert
haben. Es ist noch nicht allzu lange her, da war Porta Romana
vor allem e in Verkehrsknotenpunkt. Doch die Eröffnung von Rem
Koolhaas' Fondazione Prada hat vieles verändert. Kunstgalerien
und neue Restaurants siedelten sich an, Architekten und Designer
wie P atricia Urquiola oder Piero Lissoni arbeiten gerade an neuen
Hotels, u nd auch das olympische Dorf für die Winterspiele 2026
wird hi er entstehen. „Heute heißt die Gegend SoPra“, sagt Maria
Avanzi, di e lange für Miu Miu arbeitete, „South of Prada, und es ist
eine kl eine Stadt in der Stadt. Das Leben ist wie auf dem Dorf, wir
haben u m die Ecke sogar eine kleine Piazza.“ Zu romantisch sollte
man s ich das alles trotzdem nicht vorstellen – wir sind schließlich
in M ailand, der Stadt, die einen legendären Ruf genießt, wenn es
darum g eht, ihre Reize gut zu verstecken. Auch wer Luca Pigna-
telli b esucht, steht erst einmal vor einem ziemlich abweisenden
Tor aus Stahl. Dahinter aber sieht man schon die Clematis wu-
chern, die in dem kleinen Hof des Ateliers gedeiht.
Nachdem der Hausherr den ersten Winter in der alten Werk-
statt mehr schlecht als recht überstanden hatte, setzte er sich an
den Ze ichentisch und entwarf den Grundriss neu, zog hier Wände
ein, ö ffnete dort Mauern für große Fenster, damit mehr Licht in
die e ntstandenen Korridore fallen konnte. Ein Keller und das Erd-
geschoss, insgesamt 1000 Quadratmeter, sie brauchten dringend

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