Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1

M


an kann sich Anita Albus kaum anders vorstellen als in ihrem
weitläufigen Garten sitzend, mit Strohhut im sommerlichen Nach-
mittagslicht, einen Skizzenblock auf den Knien, über eine Blü-
te gebeugt. Der Bleistift tastet leicht übers Papier, Umrisse wer-
den sichtbar, S trukturen, die Gestalt. Sanft fällt das Gelände hinter
ihr ab, e in Mäuerchen am Ende, dahinter breitet sich Laubwald
aus. Zugegeben: ein Bild, schon fast zu zauberhaft und leicht, um
wahr zu s ein. Und doch: Es gibt diesen
Ort. Seit 1 982 verbringt die Münchner
Künstlerin ihre Sommer hier in ihrem
Château in Chatoillenot, einem winzi-
gen Nest inmitten endloser Felder, eine
knappe A utostunde von Dijon entfernt.
Ein H ain, von Heuballen gefasst.
„Natürlich gibt es auch andere Ta-
ge“, zerstreut A nita Albus meine allzu
monethaft verklärten Vorstellungen, als
wir ü ber das Grundstück spazieren. „Es
ist g erade viel zu heiß und trocken, ich
komme mi t dem Wässern meiner Pflan-
zen kau m nach. Aber dieser Ort ist für
mich di e wichtigste Quelle meiner Ar-
beit, ich brauche diese Abgeschieden-
heit.“ Was hier im Garten, im schattigen
Schreibzimmer oder im oberlichthellen
Malatelier entsteht, möchte sich zu un-
ser aller Lese- und Schauglück weder
auf nur ein Fach noch auf ein Jahrhun-
dert beschränken. Anfang der Sechzi-
gerjahre an der Essener Folkwangschule
zur freien Grafikerin ausgebildet, be-
gann Albus als Kinderbuchautorin und
-illustratorin, um dann als Schriftstelle-
rin wie auch als Malerin Anregung und Sujets zuhauf vordringlich
bei den alten Meistern des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden, no-
tabene au ch bei denen der schreibenden Zunft. Mit ihrem groß-
formatigen Album „Das botanische Schauspiel“ wurde sie 1987
einem breiteren Publikum bekannt und formulierte hier im Unter-
titel au ch ihr ästhetisches Programm: „Vierundzwanzig Blumen,
nach d em Leben gemalt und beschrieben“.
Was im mer Anita Albus sich vornimmt, es beginnt – wie einst
bei d en Barbizonisten und deren impressionistischen Wiedergän-
gern –en p lein-air, v or der Natur und findet dann bei der leiden-
schaftlichen Liebhaberin der Flora und Fauna meist zusammen
mit einer beharrlich in die Tiefe bohrenden schriftstellerischen
Auseinandersetzung. So folgte ein Band „Von seltenen Vögeln“
und jetzt, nach jahrelanger, unermüdlicher Arbeit ein Werk über
„Sonnenfalter und Mondmotten“. Die Kunsthistorikerin Julia Voss
hat e inmal sehr treffend von den „Albus-Augen“ gesprochen, um


diesen immerwachen, mitunter beängstigend präzisen Blick zu
beschreiben, dem wirklich nichts entgeht – egal ob bei Motte oder
Mensch. Anita Albus sieht einfach mehr als wir alle, malt dies
einhaarpinselgenau und bringt es bleistiftspitzenfein ins Wort.
Geschult ist dieser Blick unverkennbar an den großen Stillleben-
malern des Barock, an Jan van Kessel, an Willem van Aelst, an
Adriaen Coorte, als die Welt noch ein Geheimnis war, das es zu
entziffern galt, auch mit den Mitteln der Malerei. Eine Schale von
Erdbeeren, darüber ein Schmetterling, getaucht in rätselhaftes
Licht. „Diese metaphysische Stille, die da über den Dingen liegt
und ü ber sie hinausweist auf Höheres, auf das, was eben die Welt
zusammenhält, hat mich immer magisch angezogen“, erzählt sie.
Diese S tille liegt auch über dem ganzen Anwesen, 1777 als Jagd-
und S ommerschloss einer lokalen Adelsfamilie errichtet und über
die Ze it in wechselndem Besitz. Anita Albus verdankt den Fund

dem großen Ethnologen Claude Lévi-
Strauss (den sie auch ins Deutsche über-
setzt ha t) und seiner Frau Monique, de-
ren Do mizil in der Nähe liegt. Monique,
bis heute eine sehr enge Freundin,
kommt regelmäßig vorbei.
Wir steigen hoch ins Obergeschoss,
vorbei an in Ockergelb gehaltenen Boi-
serien, seladongrün gefasst. Jeder Win-
kel des Hauses atmet den Geist der Farb-
philosophin. Ganz am Ende des Ganges
das M alatelier. Auf dem Tisch die Uten-
silien, S patel, Glasläufer, Reibstein, Tiegel und Tuben, eine kleine
Staffelei, dahinter Schaukästen voller Falter, Schüsseln gefüllt mit
Muscheln und Korallen. Manche ihrer Farben kann sie nirgends
kaufen, Pi gmente wie Bleiweiß, Grünspan oder Elfenbeinschwarz

Geschichte als viel-
schichtiges Konstrukt:
Inmitten des Parks
obenvon A nita Albus’
Sommersitz steht ein
follymit ps eudoroma-
nischen Rundbögen
und gesprengtem Gie-
bel. S chauruinen wie
diese wur den im Laufe
des 1 8. Jahrhunderts
zur er baulichen Mode.

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