Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1

stellt sie selbst her, rührt Lösungen und Emulsionen an und ver­
leiht den Farben mit Honig oder Gummiarabikum mehr Ge­
schmeidigkeit. Im kleinen Eckschrank reihen sich Nachschlage­
werke über die Herstellung von Farben nach alter Art, ein Hauch
von Alchemistenwerkstatt. Kaum überraschend, wenn man weiß,
dass Anita Albus aus einer Dynastie von Chemikern stammt – die
Geburt des Bildes (und der Bücher) aus dem Geist der Scheide­
kunst. Genau davon handeln auch zentrale Passagen ihres für
mich wichtigsten Buches, „Die Kunst der Künste“ von 1997. Nicht
nur versammelt Albus darin luzide Betrachtungen über die Ma­
lerei der Renaissance und des Barock, sondern erforscht auf be­
glückende Weise auch die Methodik, wie diese Kunstwerke her­
gestellt wurden. So habe Jan van Eyck die Tiefenwirkung seiner
Bilder „durch die konsequente Nutzung der optischen Wirkungen
unterschiedlicher Korngrößen“ bei den Pigmenten und die „Sand­
wich­Anordnung“ dreier Farbschichten erzielt, die das Licht in die
Tiefe des Bildes lockten, um es dort mehrfach zu brechen.
Mit industriell gemahlenen Pigmenten geht so etwas eben
nicht, weiß die Maler­Naturwissenschaftlerin. Nun also Lepidop­
tera, die Schuppenflügler. „Die prächtigen Farben der Schmetter­
linge verdanken sich einem in Schichten aufgebauten System, in
dem das Zusammenspiel von Farbstoff
und unterschiedlicher physikalischer
Struktur der S chuppen irisierende
Wirkungen erzeugt. Dieses Verfahren
haben die Maler der Natur einst nach­
geahmt“, betont Albus. Die größte
Künstlerin wird jedoch immer die Na­
tur selbst bleiben. Dem Geheimnis der
Schmetterlinge nähert sich Albus ein­
mal mehr und nachdrücklich in der
Tradition der berühmten Naturfor­


scher, die meist auch unterschätzte Künstler gewesen sind, von
Johannes Goedaert oder Jan Swammerdam über August Johann
Rösel von Rosenhof, dessen bezaubernde „Insecten­Belustigung“
(1740–61) ausführlich vorkommt, bis zu Jean­Henri F abre oder
auch Vla dimir Nabokov, der nicht nur als Romancier, sondern
auch als Schmetterlingsmann Herrliches über die „große Au­
gentäuscherin Natur“ beizutragen wusste.
Nicht zuletzt übrigens ist Anita Albus auch eine begnadete Kö­
chin, das wissen ihre Freunde, die sie regelmäßig im Sommer in
Chatoillenot besuchen. Die beeindruckende Sammlung von Kas­
serollen in der Küche lässt dies ahnen. Es sei mir verziehen, dass
ich am großen Holztisch vor dem Kamingesims für einen Au­
genblick an Mrs. Patmore und ihr Regiment auf Downton Abbey
denken musste, als ich ebenso freundlich wie bestimmt angewie­
sen werde, wie ich die Zucchini für unser Abendessen am besten
schneiden möge. Anita Albus wird über diesen Gedanken lächeln.
Leider wird dies wohl der letzte Sommer gewesen sein, um hier
Familie und Freunde zu bekochen; aus Altersgründen möchte Ani­
ta Albus nun ihr geliebtes Château, das ein halbes Menschenle­
ben ihr H ortus conclusus gewesen ist, verkaufen. „Ich habe mich
schweren Herzens dazu entschlossen, aber ich bin dankbar, dass
ich so lange hier sein konnte.“ Es ist sehr zu hoffen, dass dieser
magische Ort in die Hände von Menschen kommt, die die Bilder
der Albus lieben und ihre Bücher – und die verstehen.
Der zeitgenössische Kunstbetrieb freilich ignoriert recht kon­
sequent solche Positionen, die man gern unter Konservatismusver­
dacht stellt. Blümchen­ und V ogelmalerei, was soll das schon sein?
Was wird hier verpasst! Solitäre wie sie, die mit höchster Gelehr­
samkeit auch noch Essays über Joris Hoefnagel, Christian Konrad
Sprengel, Albrecht Altdorfer oder Otto Marseus van Schrieck
schreiben (wenn man so will: die Fortsetzung altmeisterlicher
Feinmalerei mit den Mitteln der Literatur), lassen sich eben nicht
der ü berdrehten Kunstmarkt­ und A us­
stellungsmaschinerie einverleiben. Es
braucht auch ernsthafte Entdeckerlust
und durchaus etwas von der Ausdauer
und Konzentration, mit der die Künstle­
rin ihre Bilder und Bücher Schicht um
Schicht in Tausenden Stunden aufbaut,
um jenseits tagesjournalistischer oder
messekalendergetriebener Atemlosig­
keit in den Detail­ und E rkenntnisreich­
tum der Terra Albus vorzudringen. Der
Gewinn für Herz und Hirn ist immens.
Claude Lévi­Strauss s chrieb über sie:
„Wie ihre Erscheinung gotische Anmut
und Klarheit evoziert, so macht Anita
Albus mit ihrer Kunst deutlich, dass
man das Metier des Malens nicht von
Neuem erfinden wird, ohne noch ein­
mal ganz von vorn zu beginnen.“ Glei­
ches möchte man auch für die forschen­
de Autorin Anita Albus in Anschlag
bringen, die mit stupender Gelehrsam­
keit Epochen durchmisst bis zum Ur­
grund, um damit auch etwas über uns
Heutige zu erzählen.

Über dem Bettu.in
einem w eiteren Schlaf-
zimmerwird ein hei-
terer Gobelin-R eigen
getanzt. D er Raum ist
eine von drei „Schreib-
stuben“, in die sich
Anita Albus zum Arbei-
ten zurückzieht – zu-
nächst mit dem Bleistift,
später an der elektri-
schen Schreibmaschine.

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