Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1

Wand wieder eingefügt, die irgendwann eingerissen worden war.
Ich glaube, auch deshalb hat Tom den Zuschlag erhalten: Der Vor-
besitzer traute ihm die Sensibilität zu, die so ein Haus braucht. Wir
haben das Gefühl, dass uns das Ganze gar nicht wirklich gehört.
Wir sind eher Wächter, die Carskiey eine Weile bewahren. Alles
hier ist original, die Böden, die Fliesen, die Küchen, die Einbau-
ten – wir ha ben nur ein paar neue Sachen hinzugefügt.
W ann begann die Geschichte des Anwesens eigentlich?
Das w ar 1905, fertig war das Gebäude drei Jahre später – ein E nt-
wurf eines Architekten aus Glasgow. Wir haben noch die Origi-
nalpläne. Es gehörte Kate und James Boyd, reichen Textilindustri-
ellen. Dieses Haus ist unglaublich solide gebaut, selbst das Dach
war eigentlich weitgehend in Ordnung. Technisch war es sehr
weit, im Bad etwa gab es nicht nur heißes und kaltes Wasser, son-
dern sogar extra Salzwasser aus dem Meer. Dazu einen eigenen
Hydrotherapie-Raum – alle Finessen der Zeit eben. Ein wunderba-
res Beispiel für die Kunstfertigkeit der postviktorianischen Ära.
Das heißt, eigentlich hatten Sie
hier gar nicht allzu viel zu tun?
Die Vorbesitzer waren großartige Be-
wahrer, die so gut wie nichts verän-
dert haben und dazu alles, wirklich
alles aufhoben. Aber natürlich sah
man dem Haus sein Alter an. Das
Dach war an sich gut erhalten, aber
im Dachboden standen 32 Eimer un-
ter kleineren Lecks. Wir mussten erst
einmal die Hülle reparieren und sau-
ber machen. Der Großteil der Origi-
nalmöbel war noch da, vieles aber im
Lauf der Zeit an andere Stellen gewandert. Wir haben versucht,
alles wieder an den Ort zu bringen, an den es eigentlich gehört.
Gut zw ei Jahre lang waren wir beschäftigt, das war wie Detektiv-
arbeit. A ber manchmal muss man sich einfach auf einen Ort ein-
lassen und sich die Zeit nehmen, ihn wirklich kennenzulernen.
Besonders eindrucksvoll sind auch die Farben – kein Wunder,
bei T om Helmes Vorgeschichte ...
Ursprünglich gab es im Haus gar keine Farbe, alles war weiß. Nur
der Salon war wohl einst blau, dort stießen wir auf ein paar Farb-
reste. Deshalb haben wir erst einmal alles in einem gedeckten
Weiß von Farrow & Ball g estrichen, wie eine leere Leinwand, mit
der wir dann eine Weile lebten. Am besten fängt man mit den
Dingen an, die man liebt, mit Teppichen und Stoffen. Gestrichen
hat man eine Wand dann schnell, das macht man besser am
Schluss. Fast alle Wandfarben hier haben wir selbst entwickelt.
Haben Sie denn lange über die Farbtöne diskutiert?
Die Entscheidung für die Farben ging ganz schnell, das hat sich
quasi von selbst ergeben. Und wir waren tatsächlich mit dem ers-
ten Wurf sofort glücklich, nur ausgerechnet im Salon mussten wir
das Blau noch mal ein klein wenig zurücknehmen.
Wie kamen die neuen Möbel dazu?
In erster Linie wollten wir warme, einladende Räume schaffen.
Gäste sollen sich hier sofort zu Hause fühlen. Oft wirken solche
Herrenhäuser so ernst, mit alten Läufern in den Fluren und Tier-
schädeln an der Wand. Auch hier sind die meisten Originalmöbel
braun. Das wollten wir um etwas Frisches ergänzen, wir haben
keine weiteren alten Stücke hineingeholt, nur neue. Minotti-Side-


tables, e in Sofa von B & B I talia, selbst entworfene Teppiche. Als
wir das H aus kauften, hatte Tom gerade sein neues Projekt Fer-
moie gestartet – der Umbau wurde also auch eine Art Testlauf für
die Textilien. Ich glaube, das Experiment ist geglückt!
Es ist ja eben auch kein Herrenhaus im Jahr 1908 mehr, son-
dern eines im Jahr 2019.
Genau, das Haus lebt. Manchmal denke ich, die Erbauer von da-
mals würden hier heute vielleicht ähnlich leben wie wir. Sie hät-
ten sich ja auch weiterentwickelt. Wir haben kleine „Museums-
schränkchen“ hier, in denen wir Dinge aus der Zeit gesammelt
haben – das H aus hat eine Menge Geschichte, aber es ist eben eine
lebendige Geschichte, die weitergeht.
Ist die Wärme, von der Sie sprechen, da leichter zu entfachen?
Ja, ich glaube schon, aber es spricht nichts dagegen, dass man das
auch anderswo erreichen könnte. Mich wundert zum Beispiel im-
mer, dass die Leute so zu neutralen Lampenschirmen tendieren.
Etwas Farbe kann da Wunder wirken, und das ist nichts, was viel
kosten müsste. Man muss nur ein
Gefühl dafür entwickeln. Vielleicht
auch jemanden um Rat fragen.
Oder e ine Weile damit leben ...
Das ist ein Rat, den ich jedem mei-
ner Kunden g ebe. Keine Eile! Sie wis-
sen nicht g leich, wie das Licht in ei-
nem Raum u m fünf Uhr nachmittags
wirkt oder ein paar Monate später,
im Winter. Da lohnt sich das Warten
immer, wenn man es sich nur irgend-
wie leisten kann. Das ist ein Luxus!
Und wer weiß schon vorab, wie er
an einem solchen Ort wirklich seine Zeit verbringen wird?
Genau! Ich hätte zum Beispiel gedacht, wir wären viel mehr im
Salon. Ein wunderbarer Raum voller Licht, mit Büchern, einer Bar,
dem Kamin. Aber eigentlich sind wir da nur, wenn wir Gäste ha-
ben. Wir verbringen unsere Zeit eher in der Küche, im Arbeitszim-
mer oder der Bibliothek. Das hat uns am meisten überrascht. Dann
gibt es noch „Mr. Boyd’s Study“, eine kleine Kammer mit alten
Spionagecartoons an den Wänden und Toms Whisky-Sammlung.
Wir n ennen das den „Train Carriage“, ein bisschen wie im Orient-
Express – dort s ind wir im Winter am liebsten. Aber auch das mag
sich wieder ändern. Am besten fangen Sie mit einem Lieblings-
stück an, einem Tischchen, einer Leuchte, einem Stuhl. Wenn das
am richtigen Platz ist, ergibt sich der Rest oft wie von selbst.
Gibt es etwas, das Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?
Die Proportionen der Räume sind immer
noch schlicht perfekt. Das und die Ori-
ginaldetails, die Einbauten, alles harmo-
niert hier wirklich auf eine sehr besonde-
re Weise. Dazu dann die fantastischen
Fliesen. Die Innereien des Baus, seine
Knochen, fühlen sich für uns heute so
stimmig an wie vor 100 Jahren. N ach
dem ersten Streichen begannen die Wän-
de, für eine Weile richtiggehend zu
schwitzen, und dann fing das Haus plötz-
lich wieder an zu atmen. Und so kehrte
das Leben nach Carskiey zurück.

Li. S.:Auch w enn sie
das Haus mit neuem
Leben füllen, wollten
Ephson und Helme
seinen historischen
Charakter unbedingt
bewahren. Eine fein
abgestimmte Farbpa-
lette zusammen mit
unzähligen Stücken
aus der über 100-jäh-
rigen Geschichte
von Carskiey malt ein
authentisches Bild.

Lisa Ephson

„Der wichtigste Rat für so
ein Projekt: Geben Sie sich

Zeit. Man muss lernen,


mit einem Ort zu leben,
bevor man ihn neu belebt.“

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