Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1

S


ie sind Kreativdirektorin bei Cartier, Madame Karachi.
Eine der ganz wenigen Frauen, denn in den Haute Joaillerie-
Ateliers haben traditionell Männer das Sagen.
Nicht bei Cartier. Ich bin stolz, in der Nachfolge der großen Jeanne
Toussaint zu stehen, die unser Haus entscheidend geprägt hat.
Man nannte sie „la panthère“, weil sie wie ein Raubtier
durch die Gänge des Stammsitzes an der Rue de la Paix ging.
Sie war eine Pionierin. Von 1933 bis in die 60er-Jahre hinein hat
sie das Repertoire des Hauses, das bis dahin einen eher kühlen Art
déco-Stil mit viel Weißgold und Platin pflegte, um Gelbgold, Far-
ben, Skulptur, Flora und Fauna bereichert. Sie machte die Panthe-
rin zum Wappentier des Hauses, die Diamant- und Onyx-Flecken
zum Stilmittel und „la panthère“ zur Ikone einer neuen Weiblich-
keit, sinnlich, gefährlich schön, frei. Die Blaupause war sie selbst.
Hätten Sie sich je träumen lassen, ihr nachzufolgen?
Natürlich nicht! Ich bin 1982 zu Cartier gekommen, vor fast
40 Jahren. Als Schmuckzeichnerin, frisch von der École Boulle, wo
ich als Ornamentgraveurin ausgebildet wurde. 24 Jahre w ar ich
Designerin, 2006 bin ich zur Kreativchefin des Haute J oaille-
rie-Designs ernannt worden, 2009 dann zur Direktorin von Car-
tier Prestige, was auch dieobjets d'artund die Horlogerie umfasst.
Welche Qualitäten waren dazu nötig?
Beharrlichkeit! Die Subtilität unserer Arbeit lebt allein von der
Erfahrung, und ich konnte über Jahrzehnte von der Könnerschaft
meiner älteren Kollegen profitieren. Man muss einen sehr langen
Atem haben, es dauert lange, die Techniken zu beherrschen, noch
länger, um die Materialien zu verstehen. Diese Geduld hatte ich,
nun ist es meine vornehmste Aufgabe, die technische Expertise
weiterzugeben, die künstlerische Sensibilität der jungen Kollegen
zu fördern und ihnen das Gefühl für Steine zu vermitteln.
Jetzt haben Sie Ihre eigene Exzellenz ziemlich unter den
Scheffel gestellt, Sie gelten als begnadete Stein-Flüsterin.
Ich denke immer vom Stein aus, er ist das Material, die Substanz
des Entwurfs. Unsere Rolle ist es, die Steine zu sublimieren, nicht
Designs damit zu garnieren. Ich versuche, den Gestaltern Demut
und Respekt vor der Schönheit der Steine beizubringen, sie sind
Jahrmillionen alt, haben teil an der Erdgeschichte. Jeder hat eine
ganz eigene Ausstrahlung, manche versprühen Freude, Leichtig-
keit, andere strahlen Macht oder sogar Strenge aus.
In Ihrer Kollektion „Magnitude“ wagen Sie den Clash von Mi-
neralien und Edelsteinen, ein Novum in der Haute Joaillerie!
Wir bringen Materialien zusammen, die in dieser Weise in der Ge-
schichte von Cartier noch nie zu sehen waren. Der Diamant bringt
Rutilquarz zum Funkeln, rosa Diamanten treffen auf Morganit
und Koralle, Smaragde auf Bergkristall ... einfache Schmuck- auf


I nterviewSimone Herrmann

Edelsteine. Be im Armband „Zemia“ etwa
hat der 77-karätige Matrix-Opal den gesam-
ten Aufbau d es Stücks bestimmt – in ihm
verschmelzen felsiges Braun, wässriges
und frostiges Blau und Akzente in Lila. Das
alles schwingt in den blauen und violetten
Saphiren, den Granaten in dunklem Oran-
ge und in den Diamanten weiter, selbst in
den Schliffen: rund, facettiert, Briolette. Es
sind Konfrontationen von reinen Farben
und diffusem Schimmer, von Opakem und
Transparentem, Erdigem und Ätherischem.
Die Stücke gewinnen aus diesen Brüchen
eine Kraft und Dynamik, die ich im Car-
tier'schen Sinne sehr modern finde.
Wie definieren Sie Modernität?
Cartier inspirierte sich immer daran, dass
sich die Welt ändert und die Frauen mit ihr;
die Anforderungen an uns haben sich ge-
wandelt, wir reisen, arbeiten, sind in stän-
diger Bewegung. Wie unsere Juwelen, die
all das reflektieren, die ebenso beweglich
sind, dynamisch, letztlich ein Teil von uns
werden und in der Zeit stehen, wie wir.
Was treibt Sie nach solchen Höhepunk-
ten wie „Magnitude“ an, jede Saison
wieder neu anzufangen?
Die Faszination der Steine. Ich wünsche
mir jedes Mal das Unmögliche, das noch
nie Dagewesene, und wo ein Wille ist, ist
auch ein Weg. Das lässt mich die Mühen
der Ebene vergessen.

O.:Stil-Eruption! Im
„Magnitude“-Collier
„Yuma“ führt ein gel-
ber Fancy-Diamant
von 3 Karat die Para-
de der Schliffe an.
Bei Ring(oben rechts,
mit einem Kopfputz
aus Spessartingrana-
ten) und Armreif
„Zemia“(unten, mit
violetten Saphiren)
dreht sich alles
um Matrix-Opale. • cartier.com

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