Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1
Porträt: Antoni Ciufo; Fotos: Courtesy of Klossowska de Rola (3)

E


r hätte über den Mauern von Rossinière kreisen können, der Adler
mit dem Diamantschnabel und den Augen aus Aventurin. Damals,
als Harumi Klossowska de Rola ein Kind war, hoch in den Schwei-
zer Alpen, auf jenem Chalet in den Wolken, wo ihr Vater, der Ma-
ler Balthus, Hof hielt. Mick Jagger, Loulou de la Falaise, Federico
Fellini kamen zum Tee, den ihre Mutter, die japanische Malerin
Setsuko Ideta, zelebrierte. Als kleines Mädchen hätte sie sich wohl
auch nicht gewundert, wenn ein Luchs aus den Wäldern gekom-
men wäre, um ihr aus der Hand zu fressen. So wie die afrikanische
Wildkatze, der Serval, den sie als Armreif gearbeitet hat; den Kopf
gesenkt, die Ohren gespitzt, scheu umkreist, umschmeichelt er das
Handgelenk, ein zweiter kommt dazu ... Wilde Tiere, feingliedrig,
jeder Muskel gespannt. „Ich liebe Raubkatzen und
Greifvögel, weil sie so frei und schön sind. In
meiner Arbeit versuche ich, das Unbewusste,
das uns mit Tieren und der Natur verbindet,
sichtbar zu machen.“ Ob der Schmetterling
mit den durchbrochenen goldenen Flügeln
am Finger sitzen bleibt? Leicht ist er, nur die Luft trägt ihn.
Vielleicht ist es der Shinto-Glaube, dass alles, jede Blume, jeder

Stein, beseelt ist, der ihre Juwelen so lebendig macht. Viel von
dem kleinen Mädchen steckt noch in diesen Geschöpfen, so viel
Poesie und Wunder. Traumwandlerisches aus der Zeit, in der sie
aus bunten Glassteinchen Bilder legte und Figuren baute, viel von
den Sonntagen, an denen sie Kalligrafiestunden nehmen musste.
„Erst später erkannte ich, wie viel mein Geist und meine Hände
dadurch gelernt hatten.“ Dann nämlich, als sie nach einer Assis-
tenz bei John Galliano Anfang der 2000er-Jahre beginnt, Schmuck
zu entwerfen. Das übliche Society Girl-Ding? Nicht ganz, denn sie
hat Erfolg. „Aber das war alles falsch, ich hatte kaum Kontakt zu
den Handwerkern, konnte nichts erwidern, wenn sie sagten: ‚Das
geht nicht.‘“ Also lernt sie. Bildhauerei, modellieren, gravieren,
alte Techniken wie Wachsausschmelzung, Repoussé, handgehäm-
mertes Relief. „Niemand macht mir darin mehr etwas vor.“ 2008
gestaltet sie für Boucheron erste Haute Joaillerie-Stücke, dann für
Valentino, ab 2012 für Chopard. Mit ihrem Mann, dem Fotografen
Benoît Peve relli, teilt sie ein Atelier in Paris. Dort lagern ihre Stei-
ne, Mineralien, Kristalle, Versteinerungen. „Es ist, als ob ich
durch sie hin durch wandern könnte, wie durch
einen verzauberten Wald.“ Die Geschöpfe, die
sie von dort herauslockt, sind wild, verletz-
lich, zauberhaft. „Tiere, wie wir alle.“

Text Simone Herrmann

Harumi Klossowska de Rola, 45, erkundet mit ihren
Juwelen und Objekten die Natur. Ein Bestiarium aus
Edelsteinen, aus Mammut elfenbein, Horn oder Holz.
harumiklossowska.com

Harumi


Klossowska


de Rola


Wie der goldene
Schmetterling (oben,
„Greta oto“) an den
Finger, der Adler ( u.,
„Aquila heliaca“, aus
versteinertem Holz,
Gold, Diamanten) und
der doppelte Serval
(rechts, aus Mammut-
elfen bein, Ebenholz
und gelbem Karneol)
an den Arm kommen?
Durch die Kunst
der Beobachtung.






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