Architectural Digest Germany - 11.2019

(coco) #1
Panorama
Kunst

Fotos: Courtesy Waddington Custot; Porträt: Courtesy Galerie Jeanne Bucher Jaeger, Paris, © Droits réservés

Bucher und wird in Paris bekannt. Doch
die zarte, fast immer schwarz gekleidete
Frau, die auch bei Fernand Léger im Atelier
arbeitet, fühlt sich als Außenseiterin. Sie
wolle, schreibt da Silva, zu keiner Sekte ge-
hören. S ie sucht in ihrer Malerei nach neu-
en R aumerfahrungen. 1935, während einer
schweren Gelbsucht, entsteht zwischen
Fieberschüben „Das Fliesenzimmer“. Flim-
mernde W ellen scheinen diesen von oben
bis u nten mit traditionellen Azulejos geka-
chelten Raum zu durchströmen, der keinen
Ausweg hat und dabei wirkt, als würde er
sich g leich selbst verschlingen.
Das Gemälde bildet den Anfang einer
Reihe von hermetischen Raumbildern, die
den Be trachter in eine rasterartige, flirren-
de A bstraktion hineinziehen: Schachbrett-
felder, u nterirdische Gänge. Es ist eine ma-
nisch-elegante Architektur der Angst: In
einigen finden sich gemetzelte Menschen-
berge, andere erinnern an kindliche Alb-
träume, in denen man durch nie endende
Korridore läuft. Diese bühnenartigen inne-
ren Bil der entstehen auch in der Zeit des
Exils in Rio de Janeiro, wohin da Silva 1940
mit ihrem jüdischen Mann emigriert.
1947, als sie aus dem Exil nach Paris
zurückkehrt, vollzieht sich nochmals eine
Wendung. Der hermetische Raum weitet
sich, die Stadt tritt auf. Eine Art moderne,
labyrinthische Spiegelstadt, ein Konglome-
rat aus P aris, Lissabon, Rio de Janeiro, eine
surreale Psycho-Geografie mit Theatern,
Büchereien, Kuppeln, Treppen, Hochhaus-
schluchten. Da Silva ist fasziniert von Bal-
lungszonen, Bahnhöfen und Flughäfen,


Maria Helena Vieira da Silva

„In meiner
Malerei s ieht

man d iese
Ungewissheit,

dieses


schreckliche
Labyrinth.“

Sieben Jahre lebte Maria Helena Vieira da Silva mit ihrem Mann Árpád Szenes in Rio
im Exil. Sie malte dort apokalyptische Kriegsbilder und kehrte erst 1947 nach Paris zurück.
Die beiden Werke „Ohne Titel“ (1952,o. li.) und „ Artémis“ (1968,o. re.) entstanden später.

U-Bahnen, Brücken und Gebäudekomple-
xen. Anders als viele der Mitglieder der
lose verbundenen Nouvelle École de Paris,
die rein gestisch-abstrakt malen, konstru-
iert da Silva ihre abstrakten Bildräume wie
detailreiche architektonische Zukunftsfan-
tasien. Da bei geht es ihr nicht um die Ab-
bildung des modernen Lebens, sondern um

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