Süddeutsche Zeitung - 16.10.2019

(lily) #1
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Meinung
Stil, Inhalte, Interessen – warum
Merkel und Macron
so schlecht zusammenpassen 4

Politik
Thüringens Regierung
will Bäume retten und
damit Stimmen gewinnen 6

Panorama
Wie riecht ein USB-Stick? Die Polizei
in Nordrhein-Westfalen hat fünf
Datenspürhunde ausgebildet 8

Feuilleton


Autor Saša Stanišić wirft dem
Nobelpreisträger Peter Handke
Blindheit vor 9

Wirtschaft
Werkstatt Demokratie:
Was jeder Einzelne tun kann,
um das Klima zu schützen 15

Medien, TV-/Radioprogramm 27,
Forum & Leserbriefe 13
München · Bayern 26
Rätsel & Schach 24
Traueranzeigen 18

NEUESTE NACHRICHTEN AUS POLITIK, KULTUR, WIRTSCHAFT UND SPORT


WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, MITTWOCH, 16. OKTOBER 2019 75. JAHRGANG / 42. WOCHE / NR. 239 / 3,00 EURO

München – Interne Unterlagen zum China-
Geschäft der Deutschen Bank wecken Zwei-
fel daran, ob das Geldinstitut seine stren-
gen Standards im Bereich Compliance
selbst einhält. Ein hochrangiger Mitarbei-
ter, der in den vergangenen Jahren Verwal-
tungschef im Bereich Regulierung und
Compliance der Deutschen Bank war, sah
sich im Rahmen einer Untersuchung im
Jahr 2015 selbst mit schweren Vorwürfen
externer Prüfer konfrontiert: Er habe im
Jahr 2005, damals als Manager in der Stra-
tegie-Abteilung, für ein Geschäft in China
einen dubiosen Berater verpflichtet, ob-
wohl Kollegen aus den Bereichen Recht
und Compliance gewarnt hätten. Die Kri-
tik stammt aus einem Memorandum der
US-Kanzlei Gibson Dunn & Crutcher, die
im Auftrag der Deutschen Bank überprü-

fen sollte, ob der Bank wegen früherer Ge-
schäfte in China Ärger mit den Behörden
drohe. In dem Memo heißt es, der Mitarbei-
ter habe den umstrittenen Berater ver-
pflichtet, bevor eine Detektei ihn habe fer-
tig überprüfen können. Der Mitarbeiter ha-
be es versäumt, seine Chefs einzuschalten,
und zudem die Aufklärung erschwert. Die
Süddeutsche Zeitungund der WDR konn-
ten das Memo von 2015 einsehen.
Till Staffeldt, der betroffene Mitarbei-
ter, wurde anschließend zum „Global COO
(Chief Operating Officer) Regulation, Com-
pliance und Anti-Financial Crime“ beför-
dert und berichtete direkt an Vorstands-
frau Sylvie Matherat. Er trat in einem Wer-
bevideo der Bank für Compliance auf.
Auch gehört er bis heute dem Aufsichtsrat
der Deutschen Bank Italien an. Zeitweise

war er bei der Tochter Postbank zudem Er-
satzmitglied für den Aufsichtsrat. Staf-
feldt gehörte damit lange zu den rang-
höchsten Vertretern des Konzerns, speziell
im Bereich Compliance, in dem es darum
geht, dass die Bank Regeln und Gesetze ein-
hält. Den Posten als COO hat er im Juli die-
ses Jahres aufgegeben.
Staffeldt und die Deutsche Bank lehn-
ten es auf Anfrage ab, sich zu diesen Vor-
gängen zu äußern. In einer Befragung
durch externe Anwälte der Kanzlei Allen &
Overy im Jahr 2014 sagte Staffeldt, er habe
damals nicht allein entschieden. Der Zu-
sammenfassung dieses Gesprächs zufolge
räumte er ein, dass die Informationen über
den Berater rückblickend Sorge auslösten.
Damals aber sei dies anders gewesen. Er
habe sich unter Druck gefühlt. Alle in der

Bank hätten den Deal gewollt und hätten
sich auf Lee Zhang verlassen, der damals
der faktische Chef im China-Geschäft war
und der den dubiosen Berater selbst emp-
fohlen hatte.
Bei dem Deal im Jahr 2005 ging es um
den Kauf von Anteilen an der staatlich kon-
trollierten Huaxia-Bank. Der Berater, den
die Bank für zwei Millionen Euro verpflich-
tete, stand der Familie des damaligen Pre-
miers Wen Jiabao nahe, er arbeitete offen-
bar als Geschäftsführer in einer Diaman-
tenfirma, die der Ehefrau Wens gehörte.
Die Compliance-Abteilung hatte damals
mehrmals davor gewarnt, dass der Berater
ein Strohmann sein könnte und womög-
lich Schmiergeld weiterleite. Staffeldt setz-
te sich über diese Warnungen allerdings
hinweg. gie, nir, mesc  Seiten 2 und 4

Berlin – Die Bundesregierung rechnet
damit, dass sich das Wachstum weiter ab-
schwächt. Die Wirtschaft habe weltweit
weiter an Dynamik verloren, das wirke
sich auf die Konjunktur hierzulande aus,
verlautete am Dienstag aus dem Bundesfi-
nanzministerium. Der Internationale Wäh-
rungsfonds senkte die Prognose bereits:
Danach nimmt das deutsche Bruttosozial-
produkt 2019 nur noch um 0,5 Prozent zu;
2020 um 1,2 Prozent.sz  Wirtschaft

Berlin – Die deutschen Sicherheitsbehör-
den warnen vor einer „Gefährdung der De-
mokratie“ durch den Rechtsextremismus.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes,
Holger Münch, spricht von einem „Klima
der Angst“, geschürt durch Gewalttaten
und Hassattacken. BKA und Verfassungs-
schutz gehen von 43 Gefährdern in der
rechtsextremen Szene aus, die als akut ge-
fährlich gelten und besonders überwacht
werden.sz  Seiten 4 und 5

München – Der Münchner Mieterverein
hat vor Gericht einen richtungsweisenden
Erfolg errungen. Der Eigentümer einer
Wohnanlage wollte im Zuge einer Moderni-
sierung die Mieten um bis zu 163 Prozent
erhöhen. Da das seit Januar nicht mehr zu-
lässig ist, kündigte er dies vier Tage vor
Silvester an. Zu Unrecht, wie das Oberlan-
desgericht geurteilt hat. Es gab der bundes-
weit ersten Musterfeststellungsklage im
Mietrecht statt.sz  Meinung, Lokales

München – Russland stellt sich in Syrien
zwischen die Fronten. Wie das Verteidi-
gungsministerium in Moskau am Diens-
tag bekannt gab, werden Militärpolizisten
um die Stadt Manbidsch zwischen den tür-
kischen Truppen und Einheiten der syri-
schen Armee patrouillieren. Die USA wa-
ren tags zuvor aus der Stadt im Nordwes-
ten Syriens abgerückt und hatten sie an die
syrische Regierung übergeben. Mit der
Türkei verbündete syrische Milizen hatten
sich davor bereits im Umland von Man-
bidsch Gefechte mit dem syrischen Militär
geliefert. Offen blieb zunächst, ob russi-
sche Truppen auch in andere Gebiete ent-
lang der Grenze einrücken würden, in de-
nen zuvor US-Soldaten stationiert waren.
Die USA verlangten in der Nacht zum
Dienstag vom türkischen Präsidenten Re-
cep Tayyip Erdoğan eine sofortige Waffen-
ruhe und verhängten Sanktionen. Darauf-
hin verschob der Autobauer Volkswagen
seine anstehende Entscheidung über den
Bau eines Werkes in der Türkei. „Die end-
gültige Entscheidung für das neue Werk
wurde vom Vorstand der Volkswagen AG
vertagt“, erklärte ein Unternehmensspre-
cher. Der Konzern beabsichtigte, in Mani-
sa in der Nähe der Ägäis-Metropole Izmir
eine Fabrik zu errichten. Mit einem Volu-
men von 1,3 Milliarden Euro gehört das
Projekt zu den größten Auslandsinvestitio-
nen in der Türkei.sz  Seiten 4 und 7

Vom Saarland bis Sachsen und zum Alpen-
rand wechseln sich Sonne und Wolken bei
13 bis 20 Grad ab. Im Westen, Norden und
Nordosten fällt örtlich Regen, an den Küs-
ten sind Gewitter möglich. Im Bergland
wird es stürmisch.  Seite 13

Die Jugend erhebt ihre Stimme: Die Aktivistin Clara Mayer bei einer „Fridays for Future“- Demo im Juni in Berlin. FOTO: LISA DUCRET / DPA

In Südtirol braucht es nie viel, und alles
liegt wieder offen da, die ganze Geschich-
te, die alten Wunden. Die politischen
Scharfmacher auf beiden Seiten sorgen
schon dafür, dass nie Ruhe einkehrt zwi-
schen „tedeschi“ und „italiani“ – so nen-
nen sie sich gegenseitig, obschon in die-
sem schönen, bergigen, auch wirtschaft-
lich üppig blühenden Norden des Landes
alle Italiener sind. Oft dreht sich der Streit
um Sprachfragen, um das Deutsche und
das Italienische, manchmal auch noch
um das Ladinische, um das Identitäre
und Kulturelle also, man hat sonst nicht
viel zum Streiten. So ist das auch diesmal.
Im Landtag von Bozen, dem Südtiroler
Parlament, haben sie vor einigen Tagen
bei der Verhandlung eines Gesetzes per
Mehrheit beschlossen, die italienische Be-
zeichnung für Südtirol und Südtiroler aus
dem Text zu nehmen: „Alto Adige“ und
„altoatesini“, einfach rausgestrichen.
Stattdessen steht da nun „Provinz Bozen“

und „Bewohner der Provinz Bozen“. Die
Ratsmitglieder der Südtiroler Volkspar-
tei, die noch immer die klar größte Frakti-
on stellt, taten sich dafür mit der Südtiro-
ler Rechten zusammen.
Seither ist die Aufregung groß, vor al-
lem südlich von Bozen. Die ZeitungLa
Stampaschreibt, Wörter zu löschen, sei
wie Mord. Die ZeitungLa Repubblicahält
den Entscheid für „ein Spiel mit dem Feu-
er“, da würden Trümmer der europäi-
schen Geschichte umgedreht, nachdem
über die Jahrzehnte hinweg so viel er-
reicht worden sei bei der Versöhnung, der
Überwindung von Extremismen. Doch so
richtig zusammengewachsen sind sie
eben nie, die „Deutschen“ und die „Italie-
ner“ Südtirols. Ohne Proporzregeln bei

der Vergabe von Posten und Privilegien
geht es noch immer nicht.
Auch ein Jahrhundert nach dem Ver-
sailler Vertrag zählt, wiegt, misst man
sich ständig und erinnert sich gegenseitig
an alte Qualen. Die Südtiroler Rechte
klagt noch immer über die forcierte „Itali-
anisierung“ unter Benito Mussolini, dem
Faschistenführer. Auch die Bezeichnung
„Alto Adige“ würden sie gerne in der fins-
teren Epoche verorten, dabei ist sie viel
älter. Die italo-italienischen Rechten wie-
derum, vor allem die postfaschistischen
Fratelli d’Italia unter ihnen, kommen ger-
ne auf allen Pferden dahergaloppiert,
wenn die Gegenseite mal wieder damit
droht, italienische Ortsnamen von Schil-
dern auf Wanderwegen zu entfernen.

Die Populisten nähren sich nun mal ge-
genseitig mit ihrem drolligen Furor. Die
jüngste Provokation ist wahrscheinlich
verfassungswidrig. Im Artikel 116 des ita-
lienischen Grundgesetzes, der von den
fünf Regionen mit Sonderautonomie han-
delt, steht der volle Name „Alto Adi-
ge/Südtirol“. Die Regierung in Rom ließ
ausrichten, sie fechte das Provinzgesetz
an, so es nicht umgehend korrigiert und
an die Verfassung angepasst werde.
Südtirols Landeshauptmann Arno
Kompatscher versucht unterdessen, die
Geschichte mit recht deutlichen Worten
zu entschärfen. Da sei ein „Pfusch“ pas-
siert, sagte er in einem Interview. Die
neue Namenregelung sei weder opportun
noch legal. Sein Land sei nämlich ein Mo-
dell für friedliches Zusammenleben, ein
kleines Europa. „Wer sich wie ein Taliban
verhält, der richtet nur Schaden an und
löst Ekel aus.“ Ob sich da wohl jemand an-
gesprochen fühlt? oliver meiler

von benjamin emonts
und edeltraud rattenhuber

Berlin/München – Die meisten Jugendli-
chen in Deutschland sind tolerant und welt-
offen, sie interessieren sich für politische
Entwicklungen, stehen der EU positiv ge-
genüber und blicken eher optimistisch in
die Zukunft. Das geht aus der 18. Shell-Ju-
gendstudie hervor, die am Dienstag im Bei-
sein von Familienministerin Franziska Gif-
fey (SPD) in Berlin vorgestellt wurde. Eine
große Mehrheit der jungen Menschen
wünscht sich der Studie zufolge, stärker an
politischen Entscheidungen beteiligt zu
werden. Doch auch populistische Positio-
nen finden bei den Befragten Anklang.
Zwei Drittel stimmten etwa der Aussage
zu, dass man nichts Negatives über Auslän-
der sagen dürfe, ohne als Rassist zu gelten.

Das wachsende Verlangen nach Mitspra-
che resultiert der Studie zufolge insbeson-
dere aus der Angst vor Umweltzerstörung,
die 71 Prozent der Jugendlichen als ihre
größte Sorge bezeichnen. Den Klimawan-
del nannten 65 Prozent. Im Vergleich zur
letzten Studie hat die Umweltzerstörung
damit den Terrorismus als größte Befürch-
tung der Jugendlichen abgelöst. Zugleich
gaben 71 Prozent an, sie glaubten nicht,
dass „Politiker sich darum kümmern, was
Leute wie ich denken“. Obwohl der überwie-
gende Teil der jungen Menschen (77 Pro-
zent) der Studie zufolge mit der Demokra-
tie in Deutschland zufrieden ist, nimmt
das Interesse an Politikern und Parteien
ab.
Familienministerin Giffey nahm die Ver-
öffentlichung der Studie zum Anlass, um
die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu

fordern. „Wir müssen die Jugendinteres-
sen stärker einfließen lassen in politische
Entscheidungen“, sagte sie. Außerdem for-
derte sie mehr politische Bildung in Schu-
len, um Jugendliche weniger anfällig für
Populismus zu machen.
Die Shell-Jugendstudie wird bereits seit
1953 alle paar Jahre erhoben. Von Anfang
Januar bis Mitte März dieses Jahres wur-
den 2572 Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene zwischen zwölf und 25 Jahren
auf Basis eines standardisierten Fragebo-
gens interviewt. Das Bild, das die Studie
von den Jugendlichen im Jahr 2019 zeich-
net, ist das einer „Fridays for Future“-Ge-
neration. Und die Umweltzerstörung ist tat-
sächlich auch das Thema, das den meisten
Angst macht. Allerdings hat das Thema
Umweltschutz insbesondere bei höher Ge-
bildeten an Bedeutung gewonnen. Angst

vor zu vielen Migranten in Deutschland
äußerten dagegen tendenziell eher die
niedriger Gebildeten.
Das Bildungsniveau bestimmt laut Stu-
die generell sehr stark, ob sich Jugendliche
für politisches Engagement interessieren
und welche Themen ihnen wichtig sind. So
bezeichnet sich jeder zweite Jugendliche,
der das Abitur anstrebt oder erreicht hat,
als politisch interessiert. Bei den Debatten
um Flucht und Migration sei die Jugend ge-
spalten, heißt es. Die einen hätten gestiege-
ne Angst vor Ausländerfeindlichkeit, die
anderen – wenn auch auf niedrigerem Ni-
veau – vor Zuwanderung. Allerdings findet
es die Mehrheit der Jugendlichen (57 Pro-
zent) gut, dass Deutschland viele Flüchtlin-
ge aufgenommen hat. Laut Studienauto-
ren handelt es sich um eine mehrheitlich
tolerante Generation.  Seiten 4 und 5

Xetra 17 Uhr
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BKA warnt


vor Rechtsextremismus


Russland stellt sich


zwischen Fronten


Militär soll türkische Truppen und
syrische Armee auf Distanz halten

20 °/3°


FOTO: DPA

Alles Italiener, oder?


In Südtirol entflammen zwei fehlende Wörter einen alten Streit


Jugendliche wollen mehr Mitsprache


Die Mehrheit der jungen Menschen fühlt sich laut Shell-Studie politisch nicht ausreichend


einbezogen – besonders beim Umweltschutz. Doch viele stimmen auch populistischen Positionen zu


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Deutsche Bank beförderte umstrittenen Manager


Der Mitarbeiter war an dubiosen Geschäften in China beteiligt und stieg trotz einer Rüge durch externe Prüfer auf


Schlechte Prognose


für deutsche Wirtschaft


Erfolg für Musterklage


gegen Mieterhöhung


(SZ) Es ist nicht weiter schlimm, wenn je-
mand einen Preis nicht bekommt, mit dem
er ohnehin nicht gerechnet hat. Er kann
dann sagen, ach, guck mal, der Dingenskir-
chen hat den Preis gekriegt, warum auch
nicht, der wollte den ja auch schon immer
haben. Nie muss er denken, warum hat der
Dingenskirchen den Preis bekommen, ich
jedoch nicht? Wenn aber sehr viele Men-
schen von einem einzelnen Menschen glau-
ben, hoffen oder fürchten, ausgerechnet
diesem werde der Preis zugesprochen, und
er bekommt ihn dann nicht, dann sieht das
blöd aus. Noch blöder, nein, sehr tragisch
sieht es aus, wenn man, wie John Banville,
selbst daran glaubt, und dann kommt es
erst so und dann wieder ganz anders.
Am vergangenen Donnerstag rief je-
mand, der sich Mats Malm nannte, den
irischen Schriftsteller Banville an, um ihm
mitzuteilen, dass er, Banville, der Träger
des diesjährigen Literaturnobelpreises sei.
Es war dies ein heller Moment, der die Anla-
ge zur Verfinsterung bereits in sich trug.
Mats Malm, der Ständige Sekretär der
Schwedischen Akademie, wusste nichts
von dem Anruf. Also war der Anrufer gar
nicht Mats Malm gewesen, sondern ein bö-
ser Clown, der den Traum John Banvilles,
jemals diesen hohen Preis zu erhalten, wie
einen allzu bunten Luftballon in Fetzen
stach. Banville wird für immer der Mann
bleiben, der den Literaturnobelpreis nur
zum Scherz bekommen kann. Nun bewegt
sich John Banville als Schriftsteller auf
jenem Höhengrat, wo ein Literaturnobel-
preis als Gipfelkreuz des Gesamtschaffens
durchaus in Aussicht stehen könnte. Das
war übrigens vor zwei Jahren in Hollywood
nicht anders, als von der Bühne verkündet
wurde, der Film „La La Land“ bekäme den
Oscar. Aber die Umschläge wurden ver-
tauscht, der Film „Moonlight“ war der bes-
te Film. Dafür bekam „La La Land“ Preise
in anderen Kategorien.
Ganz anders als der deutsche Lyriker
Wolf Wondratschek, der kürzlich in einem
langen Interview viel darüber redete, dass
er kaum Preise bekommen habe und
wenn, dann nur so komische, bei denen ein
einzelner Juror entschied, Wondratschek
solle den Preis bekommen. Wenn er sich ei-
nen Preis wünschen dürfte, würde Won-
dratschek sich für den Kleist-Preis ent-
scheiden und für Alexander Kluge als Lau-
dator. Natürlich wird Wondratschek nach
diesem Satz nie mehr den Kleist-Preis er-
halten, weil Leute, die einen Preis wollen
und dann uncool genug sind, das kundzu-
tun, für diesen Preis auf immer verloren
sind. Dann ist da noch dieser eine, zweifel-
los kühne Gedanke: Womöglich werden
Wondratschek der Kleist-Preis und andere
Preise nicht trotz, sondern wegen seiner
Gedichte vorenthalten. Da steht nämlich
zum Beispiel drin: „Ihre Unterwäsche war
nie was Besonderes. Aber es gibt Stunden,
wo es guttut, an sie zu denken.“ Es handelt
sich um jene Stunden, da man sich als Ju-
ror fragt: Wo bin ich hier eigentlich?

DAS WETTER



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Schmerzfrei: Das neue Leben des Hans-Georg Maaßen Die Seite Drei



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