Süddeutsche Zeitung - 16.10.2019

(lily) #1
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Viele Jahre lang war China das gelobte
Wachstumsland des deutschen Maschinen-
baus. Doch nun kippt die Stimmung dras-
tisch, das geht aus der jüngsten Umfrage
des Verbandes VDMA hervor. Befragt wur-
den vom 26. August bis zum 20. September
die Manager chinesischer Tochtergesell-
schaften von Mitgliedsfirmen. Sie sind deut-
lich pessimistischer als noch vor sechs Mona-
ten. 40 Prozent bezeichnen ihre Geschäftsla-
ge als schlecht, im Frühjahr bei der letzten
Befragung waren es noch 23 Prozent. Das ist
der schwächste Wert seit der ersten Erhe-
bung 2016. Fast 30 Prozent der Befragten be-

klagen, dass ihre Produktion beeinträchtigt
sei. Davon nennen fast 70 Prozent den Auf-
tragsmangel als Grund, nur drei Prozent den
Handelskrieg. Und es wird erst einmal nicht
besser: Fast 80 Prozent erwarten, dass der
Auftragseingang im letzten Quartal 2019 sta-
gnieren oder sinken wird. Etwa ein Drittel
der Befragten erhält keine Aufträge aus dem
Ausland, das heißt: Die Töchter der deut-
schen Hersteller von Maschinen und Anla-
gen produzieren in China nur für den chinesi-
schen Markt. Mehr als 30 Prozent erwarten,
dass sich ihre Lage in den nächsten sechs Mo-
naten noch verschlechtert.

von elisabeth dostert

Berlin – Karl Haeusgen sitzt im Zug nach
Berlin. Er fährt zum Maschinenbau-Gip-
fel, ein wichtiger Branchentreff für die
deutschen Hersteller von Maschinen und
Anlagen. Immer wieder bricht das Telefo-
nat mit ihm ab. „Da sehen Sie es“, sagt der
Familienunternehmer. Wie viele von ih-
nen regt ihn die „schlechte digitale Infra-
struktur“ auf. Die Bundesregierung müsse
mehr in diese investieren, wenn Deutsch-
land die Digitalisierung packen und wett-
bewerbsfähig bleiben wolle, findet er.
Auf dem Gipfel in Berlin wird die Digita-
lisierung nur eines von vielen Themen
sein. Am Vormittag soll Angela Merkel spre-
chen. Die Kanzlerin ist eine fleißige Besu-
cherin der Hannover-Messe. Beim Maschi-
nenbau-Gipfel war sie in ihrer gesamten
Amtszeit bisher nur einmal, das war im
Oktober 2008. Wenige Wochen zuvor war
die US-Bank Lehman pleitegegangen und
die Welt in schwere Turbulenzen geraten.
„Wirtschaft- und Industriepolitik sind si-
cher nicht die Leidenschaft der Kanzlerin“,
sagt Haeusgen, der auch Vizepräsident des
Maschinenbauverbandes VDMA ist. „Aber
die Wirtschafts- und Finanzkrise, das hat
sie damals wirklich gut gemacht.“ Deutsch-
land sei ohne große soziale Verwerfungen
durch die Krise gekommen. „Das ist kei-
nem anderen Land so gelungen.“
Nun droht wieder eine Rezession. Und
die Angst ist zu spüren beim Maschinen-
bau-Gipfel. Eine kurze Online-Umfrage
zeigt, dass mehr als die Hälfte der Teilneh-
mer in den nächsten sechs Monaten mit
einer Verschlechterung der Geschäftslage
rechnen. Das ist deutlich. „Die Party ist
noch nicht vorbei, aber man sollte nahe am
Ausgang tanzen“, sagt VDMA-Präsident

Carl Martin Welcker. Einige Male musste
der Verband seine Prognose bereits korri-
gieren. Binnen weniger Monate drehte sie
um vier Prozentpunkte vom Positiven ins
Negative. Mittlerweile rechnet der VDMA
für das Gesamtjahr mit einem Produkti-
onsrückgang um real zwei Prozent, für
2020 mit „viel Optimismus“ mit einem
Minus in gleicher Höhe. „Noch ist unklar,
ob wir uns nur in einer konjunkturellen
Schwächephase oder am Beginn einer
echten Rezession befinden.“ Ein schneller
Aufschwung sei definitiv nicht in Sicht.
Die Zahlen seien das Ergebnis einer „un-
guten Gemengelage“, sagt Welcker. Sorgen
bereiten den Firmen die Entwicklungen in
den USA und China, den beiden wichtigs-
ten Märkten für die Branche. „Beide
stellten den internationalen Handel, gar
die internationale Zusammenarbeit, mehr
und mehr infrage“, sagt der VDMA-Präsi-
dent. Die Branche hätte lernen müssen,
dass auch kurze Tweets aus Washington

und Interviews von Botschaftern sich
früher oder später in den Auftragsbüchern
niederschlagen könnten. Namen nennt
Welcker auf der Bühne nicht. Ohnehin
weiß jeder im Saal von wem er redet – von
US-Präsident Donald Trump und US-Bot-
schafter Richard Grenell.
Auch Angela Merkel macht sich Sorgen
um die Konjunktur, die Entwicklung sei
„besorgniserregend“. Die Lage werde
durch internationale Handelskonflikte
verschärft, sagt sie in ihrer Rede. „Wir
sehen hier erhebliche Risse in einer für uns
eigentlich schon selbstverständlich gewor-
denen Weltsicht, dass es Win-Win-Situati-
onen gibt, wenn Länder auf der Welt part-
nerschaftlich sehr barrierefrei zusammen-
arbeiten.“ Diese Muster würden infrage
gestellt. Wenn jeder nur noch an sich den-
ke, werde diese Welt schwächer und ärmer
werden, sagt Merkel. Und: „Deshalb werde
ich mich weiter dagegenstemmen.“ Auch
die Kanzlerin redet über Trump, ohne

seinen Namen zu nennen. Er ist einer der
Männer, die das Geschäft der deutschen
Firmen gefährden.
Doch man kann den deutschen Maschi-
nenbau nicht in einen Topf werfen: In man-
chen Branchen läuft es noch gut, in ande-
ren schon nicht mehr. Stefan Brandl, Chef
des Familienunternehmens EBM-Papst
aus Baden-Württemberg, muss ein wenig
ausholen. Die Gruppe mit knapp 2,2 Milli-
arden Euro Umsatz und weltweit 15000 Be-
schäftigten stellt Ventilatoren her. Sie ste-
cken in Autos, Kühlgeräten und Rechen-
zentren. „Die Lage ist sehr differenziert“,
erklärt Brandl. Gut laufe das Geschäft mit
den Anbietern großer Rechenzentren wie
Amazon und deren Zulieferern. Rechenzen-
tren schössen „wie Pilze“ aus dem Boden
und die müssten gekühlt werden. „Gewis-
se Unsicherheiten“ beobachtet der Firmen-
chef dagegen in der Heiztechnik. Unter-
nehmen warteten mit Investitionen ab,
weil sie noch nicht wüssten, mit welchen

Steuererleichterungen zu rechnen seien.
Erhebliche Probleme sieht Brandl durch
den Brexit in Großbritannien, dem ihm zu-
folge größten Markt für Gasheiztechnik.
Den Herstellern von Hausgeräten wie BSH
und Miele mache die Konkurrenz aus Asi-
en zu schaffen, auch das spürt die Gruppe.
Deutliche Zurückhaltung sieht Brandl bei
den Abnehmern im Maschinenbau. Aber
auch er bleibt gelassen. „Nach vielen
Jahren der Hochkonjunktur ist eine solche
Abkühlung normal, auch wenn sie eine
gewisse Zeit dauern wird.“ Jahre mit
Wachstumsraten von im Schnitt sieben,
acht Prozent seien allerdings vorbei. Für
das Geschäftsjahr 2018/2019 rechnet er
mit einem Plus von zwei Prozent.
Auch für Karl Haeusgen und seine Fami-
lienfirma Hawe Hydraulik laufen die Ge-
schäfte schlechter als erwartet. Das Unter-
nehmen mit 2470 Mitarbeitern liefert Kom-
ponenten für andere Hersteller von Ma-
schinen und Anlagen. Überall, wo schwere
Lasten bewegt werden müssen, kommt
Hydraulik zum Einsatz. „Anfang des Jah-
res hatten wir für 2019 mit einem leichten
Wachstum gerechnet, nun werden wir
wohl auf dem Vorjahresniveau von rund
360 Millionen Euro landen“, sagt Haeus-
gen. Einschließlich eines in diesem Jahr
übernommenen Unternehmens würden es
wohl 420 Millionen Euro werden. Doch
auch Haeusgen klingt gelassen. „Wir hat-
ten jetzt auch zwei, drei gute Jahre.“ Klingt
so, als sei er konjunkturelle Zyklen ge-
wohnt, die normalen Schwankungen der
Nachfrage. „Wenn es nur die Konjunktur
wäre, könnten wir im dritten oder vierten
Quartal nächsten Jahres schon den Wende-
punkt sehen.“ Sollten sich die Handelskon-
flikte verschärfen, dann könnte sich die
Flaute aber auch noch länger hinziehen.

New York – Wenn es so etwas gibt wie ein
weltwirtschaftliches Sorgenkind, dann ist
es derzeit ausgerechnet das Land, das mit
seinen erfolgreichen Firmen, soliden Fi-
nanzen und stabilen politischen Verhältnis-
sen jahrelang als eine Art Vorzeigemodell
galt: Deutschland. Das zumindest ist der
Eindruck, wenn man den neuen Weltwirt-
schaftsausblick liest, den der Internationa-
len Währungsfonds (IWF) am Dienstag vor-
gelegt hat. Demnach wird das Wirtschafts-
wachstum dieses Jahr in keinem Industrie-
staat so niedrig ausfallen wie in der Bun-
desrepublik – vom Dauer-Problemfall Itali-
en einmal abgesehen. Die Schwäche der
beiden EU-Schwergewichte ist auch ein
Grund dafür, dass das Konjunkturplus
weltweit bei gerade einmal drei Prozent lie-
gen dürfte, dem schlechtesten Wert seit
der großen Rezession von vor zehn Jahren.
Laut IWF wird die deutsche Wirtschaft
in diesem Jahr um lediglich 0,5Prozent
wachsen. Das wären nochmals 0,2Punkte
weniger als bei der Schätzung im Juli. Noch
schärfer fällt die Korrektur für 2020 aus:
Hier rechnet der Fonds statt mit 1,7 nur
noch mit 1,2Prozent, die gesamtwirtschaft-
liche Leistung fiele damit um 18Milliarden
Euro geringer aus als bisher erwartet.
Die Prognosen für die übrigen Industrie-
länder haben sich gegenüber Juli kaum ver-
ändert. In den USA erwartet der IWF für
2019 ein Plus von 2,4, für 2020 von 2,1Pro-
zent. Das wäre zwar im Vergleich zu 2018 ei-
ne spürbare Abschwächung, hieße aber
auch, dass den Vereinigten Staaten die viel-
fach befürchtete Rezession erspart bliebe.
Das Wachstum der Euro-Zone dürfte mit
1,2 und 1,4 Prozent schwach bleiben, auch
in China geht der Trend zu geringeren Zu-
wächsen weiter: 2020 könnte das Plus mit
5,8Prozent demnach erstmals seit Jahren
unter die Marke von sechs Prozent fallen.
Die schwache Entwicklung in Deutsch-
land begründet der Fonds mit einem Mix
aus außenwirtschaftlichen Faktoren und
hausgemachten Fehlern. Dazu zählt der
von US-Präsident Donald Trump angezet-
telte Handelsstreit, der die Kosten der Fir-
men nach oben getrieben, die Nachfrage
gedämpft und Kunden so verunsichert ha-
be, dass diese mit Bestellungen zögerten.
Hinzu kommt laut IWF der Strukturwan-
del in der Autoindustrie. Hier spielen aus-
laufende Steueranreize für Pkw-Käufer in
China ebenso eine Rolle wie die Probleme
der Hersteller, sich an neue Emissionsvor-
schriften anzupassen. Vor allem jedoch ma-
chen die Experten angesichts neuer An-
triebstechniken, Abgasnormen und Car-
Sharing-Möglichkeiten bei vielen Kunden
eine „Erst-einmal-abwarten-Haltung“
aus, die die Nachfrage zusätzlich belaste.

Um sich gegen den Abschwung zu wapp-
nen, empfiehlt der IWF der Bundesregie-
rung deutlich höhere Investitionen etwa in
die Infrastruktur und die Bildung sowie ei-
ne Senkung der Lohnnebenkosten. „Das
würde die Nachfrage ankurbeln, beim Ab-
bau des übermäßigen Leistungsbilanz-
überschusses helfen und das Wachstums-
potenzial erhöhen“, heißt es in dem Be-
richt. Das gelte umso mehr, als sich Staa-
ten wie Deutschland derzeit verschulden
könnten, ohne auch nur einen einzigen Eu-
ro Zinsen zahlen zu müssen. Höhere Inves-
titionen seien deshalb „schon aus einer rei-
nen Kosten-Nutzen-Perspektive“ sinnvoll.
Statt neue Krisenherde etwa in der Han-
delspolitik zu schaffen, so die Botschaft
des IWF, müsste sich die Staatengemein-
schaft eigentlich auf die Bewältigung der
bereits bestehenden Probleme konzentrie-
ren. Dazu zählen laut Fonds der Klimawan-
del und die Alterung der Gesellschaften,
die das Wachstum mittelfristig belasten
werden. claus hulverscheidt

Ausgetanzt


Im deutschen Maschinenbau wächst die Angst vor einer Rezession – das Wohl der Branche hängt stark vom
Export ab. Handelskriege und Protektionismus bedrohen das Geschäft

Es lief schon besser: Mitarbeiter der Firma Nordex in Rostock fertigen Rotornaben für Turbinen. FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA

WachstumsflauteWie schlimm wird es für die deutsche Wirtschaft? Der IWF warnt, die Maschinenbauer wollen nicht von Angst sprechen


Miese Stimmung in China


Der IWF gibt Empfehlungen
gegen den Abschwung

DEFGH Nr. 239, Mittwoch, 16. Oktober 2019 (^) WIRTSCHAFT 17
Vom Streber
zum Sorgenkind

IWF senkt Wachstumsprognose
für Deutschland erneut deutlich
Entwicklung der deutschen
Maschinenproduktion

Reale Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent






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SZ-Grafik; Quelle: VDMA

Prognose

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