Süddeutsche Zeitung - 16.10.2019

(lily) #1
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G


roßartig gehe es ihm, ganz
großartig, sagt Hans-Georg
Maaßen. Er sitzt da, als sei er
noch Präsident des deutschen
Inlandsgeheimdienstes: Kra-
watte, Manschettenknöpfe, ein Dreiteiler
mit Weste, nichts wird gelockert oder abge-
legt. Er sitzt auch noch am selben Tisch,
oben rechts in der Ecke, auf einer kleinen
Empore, das „Cinque“ in Berlin war schon
früher sein Stammlokal. Nur der Personen-
schutz, der immer mit Blick auf die Ein-
gangstür saß, ist verschwunden. Und die
gepanzerte Limousine vor der Tür.
Er hat sich die Speisekarte noch nicht
mal angeschaut, da geht es schon um sein
neues Leben. Dass er jetzt morgens länger
schläft und im Frühjahr in der Jagdschule
in Grambow die Jagdprüfung bestanden
hat. Maaßen ist jetzt „Jungjäger“. „Und da
drüben“, Maaßen zeigt zum Eingang des
Restaurants, da hätten vor Kurzem unbe-
kannte Rechtsanwälte dem Ehepaar Maa-
ßen zwei Gläser Champagner spendiert.
Einfach so, um ihm für seine „Arbeit und
Geradlinigkeit“ zu danken.
Fast wartet man darauf, dass auch jetzt
jemand ein Glas spendiert. Aber es dreht
sich nicht mal jemand um nach Maaßen.
Vielleicht liegt es daran, dass dieser Ort
nah am Regierungsviertel liegt, wo die
Zahl der Fans nicht so groß sein mag.
Maaßen hat ein alkoholfreies Weizen be-
stellt, Wasser und eine Thunfisch-Pizza.
Ist da gar kein Schmerz? Nein, sagt Maa-
ßen. Sechs Jahre, drei Monate und 15 Tage
habe er an der Spitze des Verfassungsschut-
zes gestanden. Mehr als sieben Jahre woll-
te er sowieso nicht machen. Es klingt, als
sei die Regierung, die Maaßen vor einem
Jahr aus dem Amt warf, nur seiner eigenen
Kündigung zuvorgekommen.

Es gibt eine andere Geschichte, aber die
erzählt Hans-Georg Maaßen nicht. Jeden-
falls nicht ungefragt. Sie handelt von sei-
ner neuen Einsamkeit, von Freunden und
Kollegen, die irritiert von ihm sind, man-
che sogar entsetzt. Sie handelt von denen,
die sich von ihrem alten Kollegen abwen-
den, der gegen die Flüchtlingspolitik ätzt
und auf Twitter deutsche Medien mit de-
nen in der DDR vergleicht. Gerade haben
sich die Weggefährten aus dem Innenmi-
nisterium zum Stammtisch getroffen. Maa-
ßen war zum ersten Mal eine unerwünsch-
te Person.
Er hatte als Erster zugesagt, als für den


  1. August die Einladung kam. „Als Rent-
    ner ist jeder Termin für mich ok“, hatte er
    die Runde nach seinem Rauswurf per Mail
    wissen lassen. Schon seit Jahren treffen sie
    sich in einem Restaurant in Schöneberg
    mit dem Sozialdemokraten Claus Henning
    Schapper. Er war Staatssekretär unter In-
    nenminister Otto Schily, er hat den jungen
    Maaßen einst zu seinem persönlichen Re-
    ferenten gemacht. Aus der Stammtisch-
    runde sind zwei selbst Staatssekretäre im
    Innenministerium geworden, einer ist der
    außenpolitische Berater der Kanzlerin.
    Dann klingelte bei Schapper das Tele-
    fon, es waren Absagen. Wenn Maaßen
    kommt, komme ich nicht. Schapper lud
    Maaßen wieder aus. Jetzt will er noch mal
    mit ihm reden. „Gerade weil ich ihn sehr
    schätze“, sagt er, „bin ich so besorgt. Er
    sagt heute Sachen, die hauen mich schlicht
    um. Und er ist extrem rechthaberisch.“
    Ja, sagt Maaßen, wenn man ihn fragt, er
    schiebt das Wasserglas nach links, nach
    rechts, wieder nach links. „Das erschreckt
    mich, es ist verletzend, ausgeladen zu wer-
    den. Sie geben mir nicht einmal die Gele-
    genheit, mich zu erklären.“
    Es hat lange gedauert, bis man mit Maa-
    ßen darüber sprechen kann, der Kalender
    sei so voll, hatte er am Telefon gesagt. Und
    für dieSüddeutsche Zeitung? „Da wird man
    doch so niedergemacht im Politikteil.“ Au-
    ßerdem sei er kein Politiker. Die Frage ist
    aber, ob er einer werden will, 1978 trat er in
    die Junge Union ein, dann wurde er stilles
    CDU-Mitglied im Kreisverband Mönchen-
    gladbach. Still ist heute nichts mehr an
    ihm, die Mission heißt jetzt Maaßen gegen
    Merkel. Er will die Partei vom Kanzlerin-
    nen-Kurs abbringen.
    Als Maaßen kurz vor seinem Rauswurf
    stand, hatte sich ein Freund für ihn starkge-
    macht, der frühere BND-Präsident Ger-
    hard Schindler. Er warnte in derBild, Maa-
    ßen habe die schweigende Mehrheit hinter
    sich, er sei heute die Leitfigur jener Beam-
    ten, die ihren „Dienst mit Faust in der Ta-
    sche verrichten“, eine Entlassung Maa-
    ßens werde sie „noch mehr frustrieren“.
    Wahrscheinlich gibt es die.
    Spricht man mit alten Kollegen, hört
    man aber oft anderes, es geht um Eitelkeit
    und eine Reise, die Maaßen angetreten ha-
    be, von der er wohl selbst nicht wisse, wo
    sie einmal enden soll. Sie erzählen, wie sie
    fassungslos den nicht enden wollenden
    Strom aus Tweets und Interviews lesen
    und Youtube-Videos von seinen Wahl-
    kampfauftritten anschauen. „Deutsch-
    land muss wieder vom Kopf auf die Füße
    gestellt werden“, sagt Maaßen da. Und
    dass man nicht mehr sagen dürfe, was
    man denke, das ist das Grundmuster in je-
    der seinen Reden. Dass er dieses von der
    AfD bemühte Narrativ bedient, ist wohl der
    Hauptgrund für die Ablehnung, die Maa-
    ßen inzwischen aus seiner einst eigenen
    Welt entgegenschlägt.
    „Die Heldeninszenierung nervt“, sagt
    der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster,
    ein ehemaliger Polizeidirektor, der Maa-
    ßen lange verteidigt hat. „Sein Verhalten
    schadet dem Verfassungsschutz“, sagt
    Torsten Voß, der Leiter des Hamburger Am-
    tes, der ebenfalls lange gut mit Maaßen
    konnte. „Auch nach seinem Abschied soll-
    te man sich zurückhalten.“ Sein Kollege in
    Thüringen, Stephan Kramer, sieht es so:
    Maaßens Verhalten „macht es nicht einfa-
    cher, den Verfassungsschutz da zu positio-


nieren, wo er hingehört“, nämlich als Kraft
für „Demokratie und offene Gesellschaft“.
Und ein hochrangiger Beamter aus dem
Bundesinnenministerium schrieb in einer
E-Mail an die SZ: „Es wird höchste Zeit,
dass diesem narzisstischen Herrn das
Handwerk gelegt wird.“
Wahr ist, dass Maaßen größten Respekt
in den Sicherheitsbehörden genoss, auch
Bewunderung, und zwar auch noch, als er
für Grüne, Linke, Teile der SPD und viele
Medien schon lange zur Reizfigur gewor-
den war. Vielleicht gerade deswegen. Maa-
ßen war einer, der Abgeordneten über den
Mund fuhr, sie sollten keinen „Unsinn“ re-
den, und der Journalisten auf offener Büh-
ne sagte: „Das ist eine dumme Frage.“ Er
überzog. Aber viele im Sicherheitsapparat
schätzten das. Da war einer, der austeilte,
das kam gut an in einer Community, die
sich oft unfair behandelt fühlt.
Das Spiel mit der Öffentlichkeit lernte
Maaßen spät, aber schnell. Nach dem De-
saster der nicht entdeckten Mordtruppe
des NSU war Maaßen der Trümmermann,
der 2012 in die Chefetage des Verfassungs-
schutzes in Köln einzog. Am Anfang frem-
delte er, eine große Behörde hatte er nie ge-
führt. Da gab es Beamte, die morgens in
der Kantine ihr mitgebrachtes Frühstück
auspackten, der Mann aus dem Ministeri-
um war entsetzt. Alles ging ihm zu lang-
sam. Er wurde zwar selten laut, aber seine
Füße unter dem Tisch wurden unruhig.

Maaßen kam aus Berlin mit der ersten
Maschine, übernachtete im Appartement
hinter dem Dienstzimmer oder im Eltern-
haus in Mönchengladbach. Das Haus ist
bescheiden, unten verkauften die Eltern
früher Rauchwaren, oben wohnten sie mit
dem einzigen Sohn. Dass er CDU-Mitglied
ist, wusste kaum einer, nicht einmal
Schily. Und Maaßen log Journalisten lieber
ins Gesicht, er sei parteilos, als es ihnen zu
erzählen. Heute sagt er, daran könne er
sich nicht erinnern.
Wenn er Journalisten oder Oppositions-
politiker anging, gab es Beifall in der Behör-

de. Das gefiel ihm, glaubt ein Beamter, der
anfangs oft an Maaßens Seite stand. Es ge-
fiel ihm offenbar so sehr, dass er nicht dar-
auf hörte, als Freunde und Kollegen ihn
warnten, es nicht zu weit zu treiben, vor al-
lem mit seiner beißenden Kritik und dem
Spott über die Kanzlerin. Er sei nur ein Be-
amter, kein Politiker. „Hör auf, Hans-Ge-
org“, das ist ein Satz, den Maaßen in den
vergangenen Jahren immer öfter hörte.
Und den er ignorierte. Maaßen wider-
spricht: Er sei nicht nur ein sehr guter, son-
dern auch ein loyaler Präsident gewesen.
„Hochmut kommt vor dem Fall“, sagt
ein hochrangiger Sicherheitsbeamter, der
lang mit Maaßen zusammengearbeitet hat
und sich immer noch als Freund sieht.
Maaßen selbst sieht es nicht so. Hat es nie
so gesehen. Was er stattdessen überall zu
erkennen meint, das sind Erniedrigungen.
In der NSA-Affäre fühlt er sich von Medi-
en und Parlament zu Unrecht attackiert,
später tritt seine Behörde die Ermittlun-
gen wegen Landesverrats gegen zwei Blog-
ger vonnetzpolitik.orglos. Völlig überzo-
gen, kritisiert der damalige Justizminister
Heiko Maas (SPD). Maaßen geht in De-
ckung. Er solle „eingeschüchtert“ werden,
sagt er, und „persönlich diffamiert“.

Mit dem Flüchtlingssommer 2015
wächst sein Unmut. Er kommt aus einer an-
deren Welt. In seiner hebt sich die Hand
des Staates nicht, um Menschen, die aus
dem Elend kommen, freundlich hereinzu-
winken. Schon in seiner Doktorarbeit steht
der Satz, viele seiner älteren Juristenkolle-
gen seien leider „nicht frei von gefühlsbe-
tonten Betrachtungen“, wenn es um das
Thema Asyl gehe. Er schreibt von „political
correctness“ und „Scheinmoralität“ derer,
„die keine unmittelbare Verantwortung
für das Ganze zu tragen haben“. Aber jetzt
trägt er Verantwortung – und die Kanzle-
rin fragt ihn nicht einmal.
Stattdessen klingelt bei Maaßen im
Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der
Flüchtlingskrise, das Telefon, Andrew Par-
ker ist dran, der Chef des britischen In-
landsgeheimdienstes MI5. Die beiden kön-
nen gut miteinander. Die Kanzlerin, sagt
Parker, komme im Oktober auf Einladung
von Premierminister David Cameron auf
den Landsitz Chequers. Alle britischen
Dienstchefs würden anreisen und Merkel
briefen. Ob er eine Botschaft von Maaßen
überbringen solle? Für Maaßen hat die
Kanzlerin keine Zeit. Aber für die Briten.
„Das war eine richtige Demütigung“, sagt

einer von Maaßens Weggefährten. Auf-
merksam registrieren sie in der Bundes-
regierung, wie Maaßen immer abfälliger
über die Kanzlerin spricht. Über die „Pfar-
rerstochter“, die doch bei den „Pietkong“
sei, so erinnern sich Ohrenzeugen. Einmal
legt Maaßen nach einer Sitzung eines
Arbeitskreises der Innenminister-Konfe-
renz los, obwohl der Sohn des früheren
CDU-Innenministers Manfred Kanther da-
beisitzt. Maaßen wird gewarnt. „Hör auf,
hör dringend auf, Hans-Georg“, rät ihm ein
Freund im Innenministerium.

„Was soll ich denn da gesagt haben“,
fragt Maaßen jetzt beim Mittagessen. Er
beugt sich über den Tisch. Als er hört, was
er über „die Dame“ im Kanzleramt gesagt
haben soll, bestreitet er jedes einzelne Zi-
tat. Stimmt nicht, nein, so würde er sich nie
äußern. Aber ja, seinen Protest gegen den
„offenen Rechtsbruch“ an der deutschen
Grenze, den habe er nicht verschweigen
wollen. „Ich sehe es als Verpflichtung aus
der Zeit zwischen 1933 und 1945, man
muss den Mund aufmachen.“ Unwahr-
scheinlich, dass Maaßen nicht weiß, wie
ungeheuerlich dieser Vergleich ist.
Es gibt noch einen Satz Maaßens aus die-
ser Zeit, der unter Sicherheitsleuten bis
heute kolportiert wird, er lautet: „Haben
Sie Kinder? Dann lassen Sie die schon mal
Arabisch lernen.“ Als Maaßen diesen Satz
hört, sagt er, daran könne er sich nicht erin-
nern, und wenn, dann sei es ein Scherz ge-
wesen, „vielleicht bei einer Abendveran-
staltung“. Zehn Minuten, dann ist alles de-
mentiert, oder er kann sich nicht erinnern.
Im vergangenen Sommer dann explo-
diert, was sich lange zusammengebraut
hat. In den Ländern gibt es Protest gegen
Maaßens Pläne, seinem Bundesamt eine
Art Weisungsrecht über die 16 Landes-
ämter einzuräumen. Als Behauptungen
aufkommen, Maaßen habe der AfD mit
Ratschlägen geholfen (was nie bewiesen
wurde), wird selbst aus manchen Landes-
ämtern gestreut, Maaßen stehe, was eine
mögliche Beobachtung dieser Partei ange-

he, „mit beiden Füßen auf der Bremse“.
Ein hochrangiger Verfassungsschützer
sagt: „Es fehlt nur noch, dass er einen
Aufnahmeantrag aus der Tasche zieht.“
„Das ist eine Hetzjagd“, sagt damals
Maaßen in kleiner Runde in Köln. Er ist
wund. Und wütend. Heute sagt er das auch,
bei Interviews oder beim Mittagessen: „Ei-
gentlich war ich derjenige, gegen den eine
Hetzjagd stattgefunden hat.“
Dann überschlagen sich die Nachrich-
ten, Ende August marschieren in Chem-
nitz Rechtsradikale auf, sie greifen Men-
schen an, die Bundesregierung spricht von
„Hetzjagden“. Maaßen sagt erst nichts. Als
er sich zu Wort meldet, widerspricht er der
Kanzlerin in derBild. Nein, es habe keine
„Hetzjagden“ gegen Ausländer gegeben.
Aber eigentlich geht es ihm nicht um Chem-
nitz. Es geht um ihn selbst. Er will zeigen,
wie schlampig Medien in diesem Land ar-
beiten, und wie die Politik darauf einsteigt.
Am Morgen des Erscheinens ruft ihn
der Staatssekretär Hans-Georg Engelke
an, die beiden kennen sich seit Jahren. Mit
wem er das abgesprochen habe, und wel-
che Belege es gebe. „Und komm mir bloß
nicht mit nachrichtendienstlichem Erfah-
rungswissen“, sagt Engelke. Maaßen hat
Routine im Einstecken, aber an diesem
Morgen wird es eng.

Noch hat er den Innenminister an seiner
Seite, Horst Seehofer plant sogar eine
Beförderung. Maaßen soll ins Ministerium
zurückkommen, als Staatssekretär für
Sicherheit, ein Job, auf den er schon lange
hofft. Der Posten soll sogar neu zugeschnit-
ten werden für ihn, ohne Zuständigkeit für
den Verfassungsschutz. Im Ministerium
herrscht Entsetzen, Seehofer wird be-
stürmt. Es wäre das Zurückdrehen einer
entscheidenden Reform nach den Pannen
im Sicherheitsapparat; Polizei und Verfas-
sungsschutz müssen zusammenarbeiten,
der zuständige Staatssekretär soll dafür
sorgen. Im Innenministerium sagt ein Be-
amter über seinen früheren Chef Maaßen:
„Der ist echt hungrig.“ Der Coup scheitert.
Die SPD stimmt erst zu, rudert dann zu-
rück. Beim Mittagessen räumt Maaßen
ein, dass eine Trennung der Zuständigkei-
ten natürlich unsinnig gewesen wäre.
Am 18. Oktober reist Maaßen nach War-
schau, ein Treffen des sogenannten Berner
Clubs, mit den „Heads of Services“ der eu-
ropäischen Inlandsdienste. Große Teile sei-
ner Abschiedsrede als Verfassungsschutz-
Chef hat er selbst geschrieben und kaum je-
mandem gezeigt. Schon gar nicht Seeho-
fer. Der will ihn weiter halten, jetzt als Son-
derberater und Abteilungsleiter. In Maa-
ßens Manuskript aber finden sich Spreng-
sätze. Politiker hätten „Angst vor mir und
vor der Wahrheit“, es gäbe „linksradikale
Kräfte in der SPD“. Es ist eine verschwiege-
ne Runde in Warschau, niemand hätte da-
von erfahren. Aber als Maaßen wieder in
Köln ist, weist er seine Mitarbeiter an, die
Rede sofort ins Intranet zu stellen.
Kurz darauf geht ein anonymer Brief im
Büro des grünen Bundestagsabgeordne-
ten Konstantin von Notz ein. In dem Um-
schlag, der bis heute in seinem Tresor
liegt, stecken die drei Seiten der Rede. Ein-
geschickt hat sie ein Anonymus, der sich
„A.Q.“ nennt. Ein Insider aus seinem eige-
nem Haus. Notz informiert die Regierung,
Seehofer erfährt von der Rede, während er
auf einer Auslandsreise ist. Er ist entsetzt.
Maaßen ist endgültig draußen.
„Ach, die Rede“, sagt Maaßen beim Es-
sen. Die habe er gar nicht gehalten, nicht
mal dabeigehabt. Warum ließ er die angeb-
lich ungehaltene Rede dann ins Intranet
stellen? Ganz normaler Vorgang, sagt er
und lächelt dünn. „Mir war schon im Au-
gust klar, dass ich den November nicht
überlebe.“ Er hat sogar Antworten auf die
Fragen, die man ihm nicht stellt.
„Ach, Maaßen“, sagt ein 87-Jähriger, der
Maaßen lange durch alle Stürme hindurch
verteidigt hat. Otto Schily verbringt viel
Zeit in der Toskana, er ist braun gebrannt,
immer noch mit Cäsarenfrisur, immer
noch ein genauer Beobachter. „Ich hätte
ihn zum Staatssekretär gemacht“, sagt
Schily über Maaßen. „Der ist nicht AfD-
nah, aber er muss sehr aufpassen, nicht de-
ren Narrativ zu bedienen.“ Es klingt wie ei-
ne Warnung. Noch ist sie freundlich.
Wenn Maaßen öffentlich angefeindet
wird, dass in seiner Amtszeit der Verfas-
sungsschutz auf dem rechten Auge halb
blind gewesen sei, dann ärgert ihn das, er
verschickt per Mail ein „Argumentationspa-
pier zu Maaßen“, in dem steht, was „Dr.
Maaßen“ alles in diesem Bereich unternom-
men habe. Dass er untätig war, stimmt
nicht. Dass ihm, wie vielen in den Sicher-
heitsbehörden, der Kampf gegen den Isla-
mismus lange wichtiger war, stimmt schon.
In seinem neuen Leben ist Hans-Georg
Maaßen, der in wenigen Wochen 57 Jahre
alt wird, seit dem 1. Oktober Anwalt, ein so-
genannter „Of Counsel“ in einer Kölner
Kanzlei, die auch die AfD vertritt. Zuletzt
sogar gegen seine ehemalige Behörde, den
Verfassungsschutz. Maaßen fährt immer
dienstags zur Kanzleibesprechung, „jung
und hungrig“ sei die Mannschaft. Die AfD
will er nicht vertreten. Der größte Teil sei-
nes Verdienstes wird mit der Pension ver-
rechnet. Eine Sachbearbeiterin in der Gene-
ralzolldirektion ist für ihn zuständig. War-
um ausgerechnet die sich um den Verfas-
sungsschutz kümmern, weiß er nicht.
Er bestellt jetzt einen doppelten Espres-
so, lobt die vielen Talente in der Union.
„Merz unterstütze ich.“ Philipp Amthor sei
auch prima, und der Carsten Linnemann.
Und es bräuchte in Berlin einen wie den Ös-
terreicher Sebastian Kurz, sagt er.
Es ist eine Suche nach neuen Freunden.
Die alten werden weniger. „Ich weiß nicht,
ob sich das in diesem Leben noch ändern
wird“, sagt Maaßen. „Vielleicht waren es
auch die falschen Freunde.“

DEFGH Nr. 239, Mittwoch, 16. Oktober 2019 (^) DIE SEITE DREI 3
In der CDU sieht er viele Talente.
Er unterstützt Friedrich Merz,
Philipp Amthor sei auch prima

Mehr als sieben Jahre wollte er sowieso nicht machen, sagt Hans-Georg Maaßen heute. Es klingt, als sei die Regierung, die ihn vor einem Jahr aus dem Amt warf, nur
seiner eigenen Kündigung zuvorgekommen. FOTOS: REGINA SCHMEKEN


Schmerzfrei


Hans-Georg Maaßen war Chef des Verfassungsschutzes und stürzte.


Er ist weg – und doch auch nicht


vongeorgmascoloundronensteinke


Beim Stammtisch der einstigen
Kollegen ist er jetzt zum ersten
Mal eine unerwünschte Person

„Was soll ich denn gesagt haben?“
Beim Mittagessen kann er sich
jetzt an vieles nicht erinnern

„Hör auf, Hans-Georg“, rieten ihm
Freunde. Aber er giftete und
spottete weiter über die Kanzlerin

Im Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es die Fotogalerie der Vorgänger des der-
zeitigen Präsidenten Thomas Haldenwang, Maaßen ist rechts im Bild.
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