Süddeutsche Zeitung - 16.10.2019

(lily) #1
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von benjamin emonts

Berlin – Man musste sich in den vergange-
nen Monaten nur die Transparente und Slo-
gans der Umweltbewegung „Fridays for Fu-
ture“ ansehen, um zu ahnen, was jetzt
schwarz auf weiß in der mehr als 300 Sei-
ten starken Shell Jugendstudie zu lesen ist:
Die größte Angst der Jugendlichen ist die
vor der Zerstörung der Umwelt. Eine Lö-
sung des Problems trauen sie der Politik
aber nicht zu. Deshalb fordern sie mit Nach-
druck ihr Mitspracherecht. Sie verlangen
von der Politik, endlich zu handeln.
Das sind zentrale Erkenntnisse aus der


  1. Shell Jugendstudie, die am Dienstag in
    Berlin veröffentlicht wurde. Das Umwelt-
    und Klimabewusstsein der Jugendlichen
    wächst, ebenso verfestigt sich ihre Hal-
    tung, dass politisches Engagement wichti-
    ger wird. 71 Prozent der 2572 Jugendlichen
    im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren ga-
    ben an, dass die Angst vor Umweltzerstö-
    rung ihre größte ist, auf Platz drei folgt der
    Klimawandel hinter Terrorattacken. Die
    Jugendlichen werden politisch engagier-
    ter, weil sie ihre Lebensgrundlage akut in
    Gefahr sehen. „Sie sehen, dass es Zeit ist,
    zu handeln“, sagt Studienleiter Mathias Al-
    brecht von der Universität Bielefeld. Ihre
    Botschaft an ältere Generationen sei: „Wir
    bleiben zuversichtlich, aber hört auf uns,
    und achtet jetzt auf unsere Zukunft.“
    Die Bilder, die von den jungen Men-
    schen auf großen Klimademos um die Welt
    gehen, mögen den Schluss nahelegen, dass
    die Jugendlichen hierzulande zunehmend
    politisch werden. Die aktuelle Shell Jugend-
    studie zeigt aber ein differenziertes Bild.
    Seit 2015 ist die Zahl der Jugendlichen, die
    sich als politisch interessiert bezeichnen,
    gar von 43 auf 41 Prozent leicht gesunken.
    Diejenigen Jugendlichen jedoch, die sich
    bereits in der Vergangenheit politisch enga-
    gierten, haben ihren Einsatz noch weiter
    verstärkt, wie Albert erklärt. Der Wissen-
    schaftler spricht von einer „Politisierung
    der bereits Politisierten.“ Die Bedeutung
    politischen Engagements für junge Men-
    schen nimmt demnach zu. 2019 liegt der


Anteil derer, die es für wichtig erachten,
sich persönlich politisch zu engagieren, bei
34 Prozent, das macht eine Steigerung um
elf Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr


  1. Wie sich auch an der „Fridays for Fu-
    ture“-Bewegung zeige, sei besonders jun-
    gen Frauen politisches Engagement zuneh-
    mend wichtig. Sie erweisen sich laut dem
    Mitautor der Studie Klaus Hurrelmann oft-
    mals als besonders gebildet, weltoffen und
    wertorientiert.
    Die Überschrift der Studie „Eine Genera-
    tion meldet sich zu Wort“ erscheint vor den
    neuen Erkenntnissen durchaus passend.
    Während das Vertrauen in Politiker und
    Parteien sehr gering ist – 71 Prozent glau-
    ben, dass Politiker sich nicht für ihre Anlie-
    gen interessieren –, wird das Verlangen,
    von der Politik gehört zu werden, immer
    stärker. Familienministerin Franziska Gif-
    fey (SPD) nimmt die Veröffentlichung der
    Studie am Dienstag umgehend zum An-
    lass, um sich für die Senkung des Wahlal-


ters einzusetzen. „Junge Menschen sind
im Alter von 16 Jahren in der Lage, eine
Wahlentscheidung zu treffen“, sagt sie mit
dem Hinweis, dass Jugendwahlen Rekord-
beteiligungen vorweisen könnten. Giffey
spricht sich generell dafür aus, die Interes-
sen der jungen Menschen verstärkt in poli-
tische Entscheidungen einfließen zu las-
sen.

Sie wertet es als positives Zeichen, dass
die Zahl der politisch interessierten Jugend-
lichen relativ konstant bleibt mit 41 Pro-
zent. Im Jahr 2002, als sich nur 30 Prozent
der Befragten als politisch interessiert be-
zeichnet hatten, war ein vorläufiger Tief-
punkt erreicht. „Das politische Interesse
stabilisiert sich auf einem hohen Niveau“,

urteilt dementsprechend Studienleiter Al-
bert.
Das Vertrauender Jugendlichen in die
deutsche Demokratie wächst indes, obwohl
man den politischen Akteuren offensichtli-
chen wenig zutraut. 77 Prozent der Befrag-
ten bezeichnen sich als zufrieden mit der
Demokratie, im Jahr 2006 waren es nur
59 Prozent. In Ostdeutschland ist die Zufrie-
denheit in dieser Zeit gar von 44 auf 66 Pro-
zent gestiegen, in Westdeutschland von 63
auf 78 Prozent. Besorgt zeigt sich Familien-
ministerin Giffey jedoch über die Entwick-
lung, dass Jugendliche der Studie zufolge
empfänglich für Rechts- und Nationalpopu-
lismus sind, insbesondere die unteren Bil-
dungsschichten. So stimmte mehr als ein
Drittel der Aussage zu, dass man nichts Ne-
gatives über Ausländer sagen darf, ohne als
Rassist zu gelten. Giffey fordert in Anbe-
tracht der Zahlen mehr politische Bildung
an den Schulen. Außerdem kündigte sie an,
Jugendverbände und Vereinsarbeit finanzi-
ell stark zu fördern.
Das Bild, das die Studie befördert, zeigt
insgesamt eine sehr weltoffene Jugend,
die klar ihre Meinung ausspricht. Die jun-
gen Menschen akzeptieren verschiedene
gesellschaftliche Gruppen oder Minderhei-
ten mit Toleranzquoten von 80 bis 95 Pro-
zent, wobei die Ablehnung noch am größ-
ten bei Geflüchteten ist. Die Angst vor Aus-
länderfeindlichkeit ist bei dieser Generati-
on der Studie zufolge größer als die vor
Zuwanderung. „Es ist eine sehr tolerante
Generation“, sagt Studienleiter Albert.
Und es ist eine zuversichtliche Generati-
on: 58 Prozent sagen, optimistisch in die
Zukunft zu schauen; zum ersten Mal sind
die ostdeutschen Jugendlichen genauso
optimistisch wie die westdeutschen. Für
die überwältigende Mehrheit der Jugendli-
chen sind gute Freunde (97 Prozent), eine
vertrauensvolle Partnerschaft (94 Prozent)
und ein gutes Familienleben (90 Prozent)
die wichtigsten Werte – fast alle der Befrag-
ten berichten insbesondere von einem gu-
ten Verhältnis zu ihren Eltern. Ein hoher Le-
bensstandard trete demgegenüber in den
Hintergrund.  Seite 4

Berlin – Wenn sich die Regierungen
Deutschlands und Frankreichs an diesem
Mittwoch in Toulouse treffen, hängt die
Latte relativ hoch – dort, wo Kanzlerin
Angela Merkel und Präsident Emmanuel
Macron sie durch den Vertrag von Aachen
Anfang des Jahres hingehängt haben. Die
Regierungen, heißt es dort, konsultierten
„einander mit dem Ziel, gemeinsame
Standpunkte bei allen wichtigen Ent-
scheidungen festzulegen, die ihre gemein-
samen Interessen berühren, und, wann im-
mer möglich, gemeinsam zu handeln“.
Ein solches zentrales Interesse soll
schon die Ortswahl des gemeinsamen Mi-
nisterrats dokumentieren. Kanzlerin, Prä-
sident und etliche Minister beider Seiten
besuchen das Airbus-Werk in der südfran-
zösischen Stadt. Als „vielleicht das wichti-
ge Projekt der deutsch-französischen Zu-
sammenarbeit der letzten Jahrzehnte“ hat-
te Merkel den zivilen und militärischen
Flugzeugbauer in einer Videobotschaft am
Wochenende gewürdigt.
Aus französischer Sicht ist die Ortswahl
Toulouse allerdings auch ein Fingerzeig
für die Zukunft. In Frankreich herrscht
Verärgerung über die restriktive Rüstungs-
exportpolitik Deutschlands, von der auch
gemeinsame Projekte betroffen sind. Ins-
besondere der deutsche Exportstopp nach
Saudi-Arabien stößt in Paris auf wenig Ver-
ständnis. Offene Kritik an der Bundesregie-

rung übt auch Airbus-Chef Guillaume Fau-
ry. „Es gibt keine Ausfuhrerlaubnis, aber
auch kein Verbot, sondern im Grunde nur
eine immer wieder verlängerte Bitte,
bestimmte Dinge nicht zu liefern. Pla-
nungssicherheit sieht anders aus“, sagte er
derWirtschaftswoche. Diese Unsicherheit
schade Airbus, Deutschland gefährde vor
allem aber auch seine Glaubwürdigkeit.

Entschärft werden soll der Konflikt um
Rüstungsexporte durch eine völkerrecht-
lich verbindliche Regierungsvereinba-
rung, die für beide Seiten mehr Berechen-
barkeit schaffen soll. Sie gilt als Voraus-
setzung, um bei den vereinbarten gemein-
samen Rüstungsprojekten etwa zum Bau
von Kampfflugzeugen und Kampfpanzern
voranzukommen. Nicht klar war aber, ob
die Vereinbarung bereits beim Ministerrat
in Toulouse unterschriftsreif sein wird.
Einigkeit demonstriert werden soll vor
allem durch eine deutsch-französische
Erklärung, in der es unter anderem um
Klimapolitik, Sicherheit und Verteidigung
sowie Weltraumpolitik gehen wird. Die Mi-
nister sollen für ihre Ressorts außerdem
„Roadmaps“ für die weitere Zusammenar-

beit präsentieren. Tagen werden auch die
Außen- und Verteidigungsminister im
Deutsch-Französischen Sicherheits- und
Verteidigungsrat, der im Aachener Vertrag
als „politisches Steuerungsorgan“ veran-
kert ist. Eine Rolle dürfte dann die Krise
durch den Vormarsch der Türkei im Nord-
osten Syriens spielen. Schon bei einem
Abendessen in Paris hatten Merkel und Ma-
cron versichert, dass sich beide Länder eng
abstimmen wollen. „Die internationale La-
ge rechtfertigt mehr denn je ein Europa,
das stärker, vereinter und souveräner ist,
(und) das seinen eigenen Weg verfolgt“,
betonte Macron. Für beide bietet sich vor
dem absehbar dramatischen EU-Gipfel
am Donnerstag und Freitag auch noch ein-
mal eine Gelegenheit, sich abzustimmen.
So haben sie bekundet, in Sachen Brexit an
einem Strang ziehen zu wollen.
Zeigen wollen Merkel und Macron auch,
dass sie den Aachener Vertrag – eine Fort-
schreibung des Élysée-Vertrags von 1963 –
zügig mit Leben zu erfüllen gedenken. So
soll Anfang nächsten Jahres ein Bürger-
fonds starten, der grenzüberschreitende
Projekte von Initiativen und Vereinen un-
terstützt. Seine Arbeit aufgenommen hat
bereits ein Ausschuss für grenzüberschrei-
tende Zusammenarbeit, der die Nutzung
etwa von Kindergärten oder Rettungs-
diensten über die Grenzen hinweg erleich-
tern soll. daniel brössler  Seite 4

Berlin – Die deutschen Sicherheitsbehör-
den schlagen Alarm: Mit Blick auf das Ge-
waltpotenzial von Rechtsextremisten spre-
chen das Bundeskriminalamt und der Ver-
fassungsschutz inzwischen von einer „Ge-
fahr für die Demokratie“. Aus diesem
Grund wollen sie ihre Arbeit im Kampf ge-
gen gewaltbereite Rechtsextremisten aus-
bauen und ein Analysesystem, das sie bis-
lang allein auf islamistische Gefährder an-
wandten, auch für den Kampf gegen
Rechtsextremisten nutzen. Aus der Opposi-
tion kam Lob, allerdings verbunden mit
der Kritik, dass die Maßnahmen viel frü-
her hätten kommen müssen.
Der Verfassungsschutz spricht in einem
aktuellen Lagebild von einer „Verschär-
fung“ und „nachhaltigen Veränderung der
rechtsextremen Szene“. Das mache einen
technisch und personell neuen Schwer-
punkt notwendig. Die Identifizierung ge-
waltorientierter Einzeltäter sowie mögli-
che Verbindungslinien zu Unterstützern
und Nachahmern soll „oberste Priorität“
erhalten, heißt es in der Analyse des Verfas-
sungsschutzes. Dort steht auch, dass künf-
tig alle rechtsextremen Szenen gemein-
sam behandelt werden sollen; außerdem
sollen verstärkt Verbote geprüft und Akteu-
re und Gruppierungen beobachtet werden,
die in die gewaltbereiten Szenen hineinwir-
ken. Das dürfte auch für die sogenannte
„Identitäre Bewegung“ gelten.

Ein besonderer Fokus wird auf den sozi-
alen Medien als einem von Extremisten be-
sonders intensiv genutzten Kommunikati-
onsraum liegen. Verfassungsschutzpräsi-
dent Thomas Haldenwang beklagte „die
virtuelle Globalisierung des Rechtsterroris-
mus“ und einen neuen „Tätertyp, der zu-
gleich Nachahmer ist und Nachahmer ge-

nerieren will. Soziale Medien und Internet-
plattformen böten Rechtsextremisten „An-
kerstellen“, in denen sie sich radikalisieren
und hinsichtlich Tatmitteln, Opfern und
Tatorten anonym austauschen könnten.
Auch der Präsident des Bundeskriminal-
amtes, Holger Münch, warnte vor einer Be-
drohung der Demokratie durch den gewalt-
bereiten Rechtsextremismus. Gewalttaten
und Bedrohungen im Internet hätten ein
„Klima der Angst“ geschaffen, das längst
dazu führe, dass ehrenamtliches wie kom-
munalpolitisches Engagement abnehme.
Münch kündigte an, dass BKA und Verfas-
sungsschutz ein Bewertungssystem für
rechtsextreme Gefährder schaffen wer-
den, das mit den Risikobewertungen für is-
lamistische Gefährder vergleichbar sein
soll. Nach dem Anschlag von Halle erhöh-
ten die Behörden die Zahl der Rechtsextre-
misten, die sie für akut gefährlich halten.
43 gelten als „Gefährder“ und werden mit
entsprechendem Aufwand überwacht.
Politiker der Opposition lobten die An-
kündigungen, übten aber auch Kritik. Die
Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic sagte,
die Behörden würden immer noch viel zu
wenige Rechtsextremisten als Gefährder
einstufen. Und der FDP-Innenexperte Kon-
stantin Kuhle verlangte, zusätzlich zur bes-
seren Risikobewertung müsse auch der
Verfolgungsdruck auf die Szene spürbar
steigen. stefan braun  Seite 4

SZ: Herr Albert, „Eine Generation meldet
sich zu Wort“, ist die neue Shell-Jugendstu-
die überschrieben. Gilt das für die gesam-
te Generation oder nur für eine kleine,
aber laute Gruppe elitärer Gymnasiasten?
Mathias Albert: Soziale Herkunft und be-
suchte Schulform gehen in Deutschland
weiterhin Hand in Hand, das ist ganz ein-
deutig. Das heißt insofern, dass politisches
Interesse auch ganz stark korreliert mit der
besuchten Schulform. Aber gerade deswe-
gen ist es eine ganz wichtige Aufgabe, unab-
hängig von der Schulform viel, viel mehr in
politische Bildung zu investieren.

Mehr als zwei Drittel der Befragten stim-
men Aussagen zu wie: Man darf nichts
sagen gegen Ausländer, sonst gilt man als
Rassist. Halten Sie das für bedenklich?
Es gibt eine signifikante Aufgeschlossen-
heit für einzelne populistische Statements
wie diese. Die große Mehrheit der Jugend-
lichen ist aber weit davon entfernt, dafür
tatsächlich empfänglich zu sein. Nur ein
sehr kleiner Anteil der Jugendlichen lässt
sich laut den Erkenntnissen der Studie um-
fassend auf verschiedenste populistische
Statements ein, also etwa neun Prozent der
von uns Befragten. Demgegenüber steht
eine erkleckliche Anzahl an Jugendlichen,
die zum Beispiel sagen: Zuwanderung?
Kein Problem für mich.
Laut Ihrer Studie hängt solche Aufge-
schlossenheit für Populismus oft damit
zusammen, dass Jugendliche meinen,
ohnehin nichts bewirken zu können. Wie
könnte die Politik hier gegensteuern?
Man muss ihnen Foren bieten und nicht
warten, dass ihnen diese dort geboten wer-
den, wo man sie nicht haben möchte.
Wären Jugendstadträte hier eine Lösung?
Jugendstadträte und Jugendparlamente
kann ich anbieten noch und nöcher, aber
dahin gehen primär jene, die ohnehin enga-
giert sind. Was aber nicht heißt, dass man
das nicht noch ausbauen kann und sollte.

Wäre es denn eine Lösung, das Wahlalter
generell auf 16 herabzusetzen?
Ich persönlich bin ein Befürworter der
Wahl ab 16. Denn das zwingt die Politik,
sich auch schon diesen jungen Wählerkreis
als Adressaten zu erschließen. Aber das ist
natürlich kein Allheilmittel. Wichtig wäre,
dass man Jugendliche anspricht, die auf-
grund ihres sozialen Status und ihres Bil-
dungshintergrunds eher distanziert sind
und meinen, dass sie daher ohnehin nicht
ernst genommen werden.

Aber wie erreicht man die? Über Smart-
phones, Apps, digitale Beteiligung?
Man sollte es zumindest versuchen. Man
muss sich aber auch vor Augen halten, dass
es Grenzen gibt. Denn es ist ja weiterhin so,
dass die politische Sozialisation von Ju-
gendlichen nicht über Beteiligungs- und
Partizipationsangebote oder über die Schu-
le läuft, sondern primär übers Elternhaus.
Und dann vielleicht noch über die Clique.
Wenn da keiner politisch interessiert ist,
wird es ganz schwer, die Jugendlichen hin-
ter dem Ofen hervorzulocken.

Also was tun?
Was mich sehr optimistisch stimmt, ist die
wachsende Zustimmung zu der Aussage,
dass politisches Engagement „in“ ist. Das
mag unserem klassischen Politikverständ-
nis widersprechen, aber: Ich mache natür-
lich viel eher bei etwas mit, das in ist, ob ich
mich politisch interessiere oder nicht.
interview: edeltraud rattenhuber

Frankfurt – Hessens Sicherheitsbehör-
den gehen derzeit nicht davon aus, dass
es bei der spektakulären Lkw-Karambo-
lage in Limburg vor einer Woche um
einen Terrorakt ging. Das Landeskrimi-
nalamt gab den Fall zur Aufklärung an
die Polizei Limburg zurück. Aus Sicher-
heitskreisen verlautete, dass der aktuel-
le Sachstand nicht auf eine ideologisch
motivierte Aktion hindeute, sondern
dass der Verdächtige aus persönlichen
Motiven gehandelt habe. Ein 32 Jahre
alter Syrer hatte in der Innenstadt von
Limburg einen Lkw gekapert und kurz
darauf einige Autos gerammt. Er sitzt in
Untersuchungshaft. Die Ermittler hat-
ten schon kurz nach dem Vorfall gemut-
maßt, es könne sich um die Tat eines
gestörten Mannes handeln. höl

Die neue Angst der Jugend


Nicht mehr die Terrorgefahr treibt 12- bis 25-Jährige um, sondern die Furcht vor der Zerstörung der Umwelt.
Die neue Shell-Studie zeigt aber auch: Viele sind empfänglich für populistische Parolen

Polizisten bringen einen Rechtsterrorver-
dächtigen zum Bundesanwalt. FOTO: DPA

Zwei in Toulouse


Merkel und Macron wollen deutsch-französischen Konflikt um Rüstungsexporte lösen


Gefährder von rechts


Behörden wollen Rechtsextreme mit denselben Techniken verfolgen wie Islamisten


Berlin – Die Zahl der Menschen, die
weltweit hungern, ist erneut gestiegen.
Laut Erhebungen der Deutschen Welt-
hungerhilfe litten 2018 822 Millionen
Menschen unter Hunger, im Jahr 2015
waren es noch 785 Millionen. Zudem
seien etwa zwei Milliarden Menschen
von Mangelernährung betroffen, sagte
die Präsidentin der Organisation, Mar-
lehn Thieme, am Dienstag bei der Vor-
stellung des Welthunger-Index 2019 in
Berlin. Zu den am stärksten betroffenen
Ländern gehören der Jemen, Sambia,
Madagaskar und der Tschad – hier gilt
die Lage als „sehr ernst“, in der Zentral-
afrikanischen Republik sei sie „gravie-
rend“. Als besonderes Risiko nannte
Thieme den Klimawandel: Seit Anfang
der 1990er-Jahre habe sich die Zahl der
extremen Wetterereignisse wie Dürren,
Stürme, Überflutungen und Brände
verdoppelt. Gerade die Länder, in denen
schon heute viele Menschen hungern,
seien von den Auswirkungen am stärks-
ten betroffen. Die Nahrungsmittelpro-
duktion werde schrumpfen, sagte Thie-
me. Bereits jetzt gingen die Erträge der
wichtigsten Nutzpflanzen wie Mais,
Weizen und Reis zurück. Die Welthun-
gerhilfe appelliert deshalb an die Bun-
desregierung, die ärmsten Länder der
Welt gesondert zu unterstützen. klu

Wilhelmshaven – Die frühere Bundes-
gesundheitsministerin Anke Fuchs ist
tot. Die Hamburger SPD-Politikerin
(FOTO: IMAGO) starb am Montag nach langer
Krankheit im Alter von 82 Jahren in
Wilhelmshaven, wie die Deutsche Pres-
se-Agentur aus dem Parteivorstand
erfuhr. Der Deutsche Mieterbund wür-
digte seine ehemalige Präsidentin als
engagierte Kämpferin für eine sozial
gerechte Wohnungs- und Mietenpoli-
tik. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stif-
tung erinnerte ebenfalls an die Verdiens-
te ihrer Ehrenvorsitzenden, die über
Parteigrenzen hinweg hohe Anerken-
nung genossen habe. Bundeskanzler
Helmut Schmidt machte Fuchs im April
1982 zur Ministerin für Jugend, Familie
und Gesundheit. Ihre Amtszeit währte

jedoch nur wenige Monate, denn im
Oktober 1982 brach die sozialliberale
Koalition auseinander. 1990 trat sie bei
der Landtagswahl in Sachsen gegen
Kurt Biedenkopf (CDU) an, dessen Par-
tei sich mit der absoluten Mehrheit
durchsetzte. Von 1998 bis 2002 war
Fuchs Vizepräsidentin des Deutschen
Bundestages, von 2003 bis 2010 stand
sie an der Spitze der Friedrich-Ebert-
Stiftung. dpa

Mathias Albert , 52, ist
seit 2001 Professor für
Politikwissenschaft an
der Fakultät für Soziolo-
gie der Uni Bielefeld und
dort im Vorstand des
Instituts für Weltgesell-
schaft. Albert verantwor-
tet die Shell-Jugendstu-
die.FOTO: PRIVAT

DEFGH Nr. 239, Mittwoch, 16. Oktober 2019 (^) POLITIK 5
„Hört auf uns“: Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ bei einer Demonstration in diesem Sommer in Aachen. FOTO: THILO SCHMÜLGEN/REUTERS
Eine gemeinsame Erklärung
unter anderem zur Klimapolitik
soll Einigkeit demonstrieren
Politisch sein
ist „in“

Der Soziologe Mathias Albert sieht
die junge Generation optimistisch
Zufriedenheit junger Leute mit der Demokratie „Wie zufrieden sind Sie mit der
Demokratie?“
Angaben in Prozent
Interesse an Politik
Angaben in Prozent
SZ-Grafik; Quelle: Shell Jugendstudie 2019
2015
77 %

West-
deutschland
54 %
Ost-
deutschland
2019
78 %

West-
deutschland
66 %
Ost-
deutschland
sehr/eher zufrieden
unzufrieden
politisches Interesse
politisches Engagement
2002
60
35

2010
64
34

2019
77
20

0
10
20
30
40
50
2002 2006 2010 2015 2019
30
35 37

(^4341)
22 20 24
33 34
Freunde und Familie sind
den Jugendlichen wichtiger
als ein hoher Lebensstandard
Mehr Menschen hungern
Kein Terrorakt in Limburg
Anke Fuchs gestorben

KURZ GEMELDET
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