Süddeutsche Zeitung - 16.10.2019

(lily) #1
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München/Moskau –DerStarbeimGipfel-
treffen in Riad war das Falkenmädchen
Alfa.DerrussischePräsidentWladimirPu-
tin hatte den großen weißen Gerfalken als
GeschenkindiesaudischeHauptstadtmit-
gebracht, das Tier schien äußerst aufge-
regt – und erleichterte sich prompt auf
demMarmorfußbodendesköniglichenPa-
lasts. König Salman und sein russischer
Gast ignorierten den Fauxpas, immerhin
handelte es sich um ein historisches Tref-
fen, wie beide Seiten nicht müde wurden
zubetonen.ZuletztwarderrussischePräsi-
dent vor mehr als zwölf Jahren in Riad.
NunbrachteernebendemFalkenAnge-
bote zur wirtschaftlichen Zusammenar-
beit mit: der staatliche Energiekonzern
Gazprom möchte stärker mit dem saudi-
schen Pendant Aramco kooperieren, Rosa-
tom bietet dem Königreich Atomkraftwer-
ke an, und Putin würde gerne das Luftwaf-
fenabwehrsystemS-400nicht nur an An-
kara, sondern auch an Riad verkaufen.
Vor allem strebt Putin aber danach,
Russlands Einfluss im Nahen Osten weiter
ausbauen. Der wächst, seit Moskau 2015
Kampfflugzeuge nach Syrien schickte und
DiktatorBascharal-AssadvorderNiederla-
ge rettete. Inzwischen ist Russland die
stärksteausländischeMilitärmachtinSyri-
en. Der Rückzug der US-Truppen aus dem
hat Moskau auch zum einzigen Ansprech-
partner gemacht, auf den alle Konfliktpar-
teienangewiesensind:dieTürkei,diesyri-
schen Kurden, das Regime in Damaskus.
So ähnlich lässt sich Putins Strategie in
der Region beschreiben: Er baut Kontakte
zu Staatschefs auf, die untereinander zer-
stritten sind, aber allesamt bereits sind,
mit dem Kreml zu verhandeln, von Ankara
über Damaskus bis nach Teheran oder Je-
rusalem. Vor diesem Hintergrund sind
auch seine Besuche in Riad am Montag
undAbuDhabiamDienstagzusehen.Inei-
nem Interview vor dem Treffen mit dem
saudischen König Salman hat Putin es so
formuliert:„RusslandschließtnieFreund-
schaft mit jemandem gegen einen“. Oder
anders: Putin macht sich alle zum Freund,
undsichselbstzumunentbehrlichenStrip-
penzieher. Wenn sich dabei noch Waffen,
Erdöl und, wie im Falle Saudi-Arabien,
Gerste verkaufen lassen, umso besser.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Ara-
bischenEmirategeltenalsengeVerbünde-
te der USA. Umso mehr dürften Putin die
pompösen Empfänge am Golf freuen.
Denn Washington gilt in der Region längst
nicht mehr als verlässlicher Partner, nicht
nurwegendesüberstürztenAbzugsausSy-
rien. Saudi-Arabien selbst lernte die Lau-
nen des US-Präsidenten Donald Trump
kennen, nachdem seine Ölanlagen ange-
griffen wurden. Auch deshalb wollen sich
die Golfstaaten mit Russland arrangieren,
das als eine Macht in die Region zurückge-
kehrt ist, die sich nicht ignorieren lässt.

In Washington dürfte die Annäherung
Moskaus an die Golfstaaten mit Argwohn
betrachtet werden. Vor allem Rüstungsge-
schäfte mit Russland sind für Washington
ein Schlag, das bisher Riads wichtigster

Partner bei der Verteidigung ist. Dabei hat
sich die Annäherung zwischen Riad und
Moskau bereits abgezeichnet, als König
Salman im Oktober 2017 zu einem histori-
schen Besuch aufbrach: Als erstes saudi-
sches Oberhaupt reiste er damals nach
Moskau. Schon damals ging es um Rüs-
tungsgeschäfte, um die unterschiedlichen
Positionen im Syrienkrieg. Vor allem aber
war dieser Besuch ein Eingeständnis der
Rolle Russlands in der Region. Auch ist es
Saudi-Arabien gewesen, das als führender
Mitgliedsstaat der Organisation erdölex-
portierender Länder (OPEC) auf eine ver-
stärkte Zusammenarbeit mit Russland in
Form der „OPEC+“-Kooperation gedrun-
gen hatte. Beide Staaten setzen auf eine
VerringerungderFördermengenihrerErd-
ölvorkommen,umdenRohölpreiszustabi-
lisieren.
Bei Putins Gegenbesuch ist die Aus-
gangslage für Gespräche nun noch besser
alsvorzweiJahren:WährendRusslandim-
mernochanderSeitedessyrischenMacht-
habers Baschar al-Assad steht, haben sich

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabi-
schen Emirate mittlerweile mit dem Sta-
tus quo in Syrien abgefunden. Nach acht
JahrenKrieg,in denenRiadundAbu Dhabi
die Regierungsgegner unterstützt hatten,
herrscht Assad wieder über den Großteil
Syriens. Schwieriger könnten sich die Ge-
spräche in Bezug auf Iran gestalten, die in-
ternationale Gemeinschaft machte Tehe-
ran für die Angriffe auf die saudischen Öl-
raffinerien im September verantwortlich.
Russland helfe gerne, die Lage zu entspan-
nen, das hatte Putin vor dem Besuch in ei-
nem TV-Interview angedeutet.
Bei seinem Besuch in den Vereinigten
Arabischen Emiraten traf Putin auf den
Kronprinzen von Abu Dhabi, Mohammed
bin Zayed, der seit Monaten versucht im
Golfkonflikt zu deeskalieren. In den Ge-
sprächen wird es wohl auch um den saudi-
schen Jemenkrieg gehen. Iran unterstützt
dort die schiitische Huthi-Miliz.
Moskau unterhält Beziehungen sowohl
zudensunnitisch-muslimischenGolfstaa-
ten als auch zu deren schiitischen Rivalen
in Teheran. Was Putin bei diesen Kontak-
ten hilft ist, dass er als jemand gilt, der den
Status quo stützt und, anders als die USA,
Regierungen nicht zurechtweist. Er hat
den brutalen Mord am regierungskriti-
schen saudischen Journalisten Jamal Kha-
shoggi nie öffentlich kritisiert.
AllerdingshatRusslandnichtdieökono-
mischen Ressourcen, um wie die USA als
Weltmacht aufzutreten. Putin setzt seine
Militärmachtdortein,wosiediegrößteHe-
belwirkung verspricht. In Syrien tut er das
mit aller Rücksichtslosigkeit, auch gegen
die Zivilbevölkerung. Ein Rückzug der US-
Truppen hilft ihm nun in mehreren Hin-
sichten. Letztlich verschafft er den syri-
schen Truppen, mit russischer Unterstüt-
zung, die Kontrolle über den Nordosten
des Landes, wenn die türkischen Angriffe
vorüber sind. Es gab daher die Vermutung,
dass diese mit Moskau abgesprochen wa-
ren.MansteheinengemKontaktmitIstan-
bul, hieß es aus dem Kreml. Moskau habe
die Idee eines Einzugs türkischer Einhei-
tenallerdingsnieunterstütztundwerdeei-
nen echten Zusammenstoß zwischen syri-
schenundtürkischenTruppennichtzulas-
sen. silke bigalke, dunja ramadan

München – Bevor die Mosambikaner am
Dienstag zur Wahl aufgerufen waren, ha-
ben sie Wochen der Gewalt erlebt. Men-
schen wurden nachts überfallen und be-
droht, weil sie öffentlich den vermeintlich
falschen Kandidaten unterstütz hatten –
denderOpposition. DerHöhepunktderGe-
walt war jedoch der Mord an dem Wahlbe-
obachter Anastacio Matavel vor gut einer
Woche. Die Täter waren Polizisten, räumte
der Sprecher des Generalkommandos der
Polizei ein. Unter ihnen seien Mitglieder
von zwei Spezialeinheiten gewesen. Deren
Kommandeure seien suspendiert wurden,
sagteder Polizeisprecher. EinMann wurde
festgenommen, zwei konnten fliehen. Die
Polizei ermittelt nun.
Der blutige Wahlkampf überschattet
das als „historisch“ gefeierte Friedensab-
kommen zwischen der bewaffneten Opp-
positionspartei Renamo und der Regie-
rungspartei Frelimo, der auch Präsident
Felipe Niyusi angehört. Es sollte nach vie-
len Versuchen zur Aussöhnung führen. Im
August besiegelten die einstigen Gegner
imBürgerkrieg denFrieden,dochSplitter-
gruppen boykottieren das Abkommen.

Zwar hat das südostafrikanische Mo-
sambik seit dem Ende des Bürgerkriegs
1992 offiziell ein Mehrparteiensystem,
doch es blieb bei der Einparteienherr-
schaft der Frelimo. Auch diesmal wird ihr
Kandidat Niyusi, der das Amt bereits fünf
Jahre bekleidete, als wahrscheinlicher Ge-
winner gehandelt. Ergebnisse werden frü-
hestens am Mittwoch erwartet. Zum ers-
tenMalwurdenbeidieserWahldieGouver-
neure in den Provinzen selbst gewählt,
stattvonderFrelimobestimmt.Die13Mil-
lionen registrierten Personen wählten zu-
demeinneuesParlament:Geradeinländli-
chen Gebieten hofft die Opposition auf
Wahlerfolge.
Mosambik,das1975vonPortugalunab-
hängig wurde, ist eines der ärmsten Län-
der der Welt. Im Jahr 2016 war der Staat
praktisch bankrott, nachdem Regierungs-

beamterechtswidrigeGarantienfürgehei-
me Kredite genehmigt hatten. Viele Staa-
ten,auchDeutschland,stelltendiefinanzi-
elle Unterstützung daraufhin ein. Die
grassierende Armut und die schlechte Kri-
senvorsorge trugen dazu bei, dass der Tro-
pensturmIdaidie Mosambiker im Früh-
jahr unerwartet hart traf. Ein großer Teil
der Ernte wurde durch die Überschwem-
mungen zerstört.

Journalisten in der Hauptstadt Maputo
berichteten am Dienstag von Vorwürfen
der größten Oppositionsparteien, Renamo
und Demokratischen Bewegung Mosam-
biks, dass zusätzliche Wahlunterlagen in
Umlaufgebrachtworden,unddassineiner
nördlichen Provinz Wahlurnen mit bereits
gekennzeichneten Stimmzetteln entdeckt
wordenseien.In dennördlichenLandestei-
len waren mehr als 5000 Menschen von
denWahlenausgeschlossen,weildieWahl-
behörde wegen möglicher Anschläge min-
destens zehn Wahllokale geschlossen
hatte. Im Norden, also dort, wo Offshore-
projekte die Hoffnung auf Wohlstand
weckten, terrorisieren zudem seit Jahren
radikale Islamisten die Bevölkerung und
töteten alleine in den vergangenen zwei
Jahren 400 Menschen. anna reuß

München/Wolfsburg – Der Volkswagen-
Konzern hat angesichts der Militäroffen-
sive der Türkei in Syrien die formale Ent-
scheidung zum Bau eines neuen Werkes
nahe Izmir verschoben. Das Unternehmen
erklärte, der Vorstand habe den Beschluss
vertagtundblickemitSorgeaufdieaktuel-
leEntwicklung.StephanWeil,derMinister-
präsident des an VW beteiligten Landes
Niedersachsen, erklärte: „Ich kann mir
nicht vorstellen, dass VW unter diesen Be-
dingungen in der Türkei eine Milliarden-
investition vornimmt.“ Der SPD-Politiker
sitzt auch im Konzernaufsichtsrat.
Das Management des Autobauers hatte
Anfang Oktober bekanntgegeben, die
123.Fabrik des Konzerns nicht in einem
EU-Land errichten zu wollen, sondern in
der Stadt Manisa, unweit der türkischen
Hafenstadt Izmir. Dort sollten vom Jahr
2022anAutos derModellreihen VWPassat
und Škoda Superb gebaut werden. Dem
Vernehmen nach hatte Konzernchef Her-
bert Diess persönlich mit dem türkischen
PräsidentenRecepTayyipErdoğanverhan-
delt. Das Unternehmen will wohl mehr als
eine Milliarde Euro investieren und etwa
4000 Mitarbeiter beschäftigen.

Volkswagen zufolge hat die Türkei ein
niedrigeres Lohnniveau als osteuropäi-
scheStandorte,dieauchimRennenwaren.
Nach Gewerkschaftsangaben wird in der
Türkei ein Lohn von etwa zwei Euro pro
Stunde gezahlt. In Bulgarien, das lange als
Alternative gegolten hatte, seien die Löhne
zwar ebenfalls gering, allerdings fehlten
dort qualifizierte Arbeitskräfte.
Möglicherweise eine Rolle bei der Ent-
scheidung haben zudem fragwürdige För-
dergelder gespielt. An der Vorentschei-
dung für die Türkei gibt es auch deshalb
seitTagenheftigeparteiübergreifendeKri-
tikausdemEuropaparlament.DerGrünen-
Abgeordnete Reinhard Bütikofer hat seine
„Bestürzung“bekundetangesichtsderpre-
kären Menschenrechtslage und womög-
lich unzulässiger Subventionen. Manfred
Weber, Vorsitzender der konservativen
EVP-Fraktion, reagierte ebenfalls mit Un-
verständnis: „Es ist bedauerlich, dass sich
Volkswagen entschieden hat, ein neues
WerkinderTürkeizubauen–trotzderEin-
schränkungen der Pressefreiheit.“
Wie es in Brüssel heißt, aber auch von
der Regierung in Sofia, habe Erdoğan dem
VW-Konzern400MillionenEuroSubventi-
onen versprochen. Bulgarien habe auf-
grund der EU-Beihilferegeln nicht mithal-
ten können. Die Regeln würden aufgrund
eines Handelsabkommens jedoch auch für
dieTürkeigelten,stellendiekritischenEu-
ropaparlamentarier fest. Weber hat des-
halb die Europäische Kommission schrift-
lich gebeten zu untersuchen, ob die Türkei
gegen europäisches Recht verstoße. Der
Prüfauftrag dürfte aktuell bleiben. VW-
Aufsichtsrat Stephan Weil hat zu verste-
hen gegeben, dasses im Moment um einen
Aufschub der VW-Pläne in derTürkei geht,
keinekompletteAbsage:„DieVerhandlun-
gen sind zu dem Vorhaben nach wie vor
nicht final abgeschlossen.“ Er hoffe, dass
sichdieVerhältnisseinderTürkeinormali-
sierten. max hägler

Mit Sicherheit unsicher


Mosambik wählt – frei entscheiden können die Menschen nicht


von christiane schlötzer
und paul-anton krüger

Ankara – Sollte es US-Sanktionen gegen
die Türkei geben, werde Ankara dies Wa-
shington mit gleicher Münze heimzahlen.
Sohattedietürkische Regierung vorTagen
gedroht. Am Dienstag aber blieb eine har-
sche Antwort aus Ankara erst einmal aus,
nachdem US-Präsident Donald Trump an-
gekündigt hatte, Gespräche mit der Türkei
übereinHandelsabkommenmiteinemVo-
lumen von 100Milliarden Dollar würden
gestopptunddieZölleauftürkischen Stahl
auf 50 Prozent angehoben. Solche Sonder-
zölle der USA hatten im Sommer 2018 die
Lira in den Keller gestürzt. Sie waren da-
mals von Trump aus Protest gegen die In-
haftierung einesamerikanischen Priesters
verhängtund nachdessenFreilassungwie-
der aufgehoben worden.
Die USA bemühen sich nach dem um-
strittenen Rückzug ihrer Truppen aus
Nordsyrien um Schadensbegrenzung und
fordern einen sofortigen Stopp des türki-
schen Vormarsches in der Region. „Die
USAwerdendieInvasion derTürkeiinSyri-
en nicht länger tolerieren. Wir fordern die
Türkei auf, sich zurückzuziehen, die Ge-
waltzubeendenundandenVerhandlungs-
tisch zu kommen“, sagte Vizepräsident
MikePenceamMontagnacheinemTelefo-

nat Trumps mit dem türkischen Präsiden-
ten Recep Tayyip Erdoğan.
Sanktionenwurdenauch gegenVerteidi-
gungsministerHulusiAkar,Energieminis-
ter Fatih Dönmez sowie Innenminister Sü-
leyman Soylu verhängt. Sollten sie Vermö-
genin den USA haben, wird es eingefroren.
Den Republikanern im Außenpolitischen
Ausschuss des US-Repräsentantenhauses
reicht dies nicht aus. Die geplanten Straf-
maßnahmengingennichtweitgenug,„um
dieTürkeifür ihreungeheuerlichenVerge-
heninSyrienzubestrafen“,erklärtedasBü-
ro des Abgeordneten Mike McCaul.
AuchInvestorenbewertetendieSanktio-
nen als eher leicht. Da sich die Strafmaß-
nahmennichtaufdenBanken-undFinanz-
markt erstrecken, zogen Aktien, Anleihen
und die Lira sogar wieder an. Ein Dämpfer
kamunterdessenvonVolkswagen:DerAu-
tokonzernverschobausSorgeüberdie„ak-
tuellenEntwicklungen“dieendgültigeEnt-
scheidungüber denBau eines Werks inder
Nähe von Izmir, eine Investition, die beide
Seiten bereits groß gefeiert hatten. Italien
schloss sich anderen europäischen Län-
dern, darunter Deutschland an, die den
Waffenexport in die Türkei einschränken.
AmMontagwarendieletzten US-Solda-
ten aus Manbij abgezogen; sie übergaben
die Grenzstadt im Nordwesten Syriens an
Truppen des syrischen Regimes und Russ-

lands. Russische Einheiten übernahmen
das Feldlager der Amerikaner, Videos da-
vonveröffentlichtenMitarbeitereinerrus-
sischen Sicherheitsfirma im Internet. Das
VerteidigungsministeriuminMoskaukün-
digte an, russische Militärpolizisten wür-
den in Manbij zwischen den Fronten der
türkischen und der syrischen Streitkräfte
patrouillieren – ein Signal, dass Russland
das Vakuum auszufüllen gedenkt, das
durch den US-Abzug entstanden ist. Mit
derTürkeiverbündetesyrischeMilizenwa-
ren auf die Stadt vorgerückt und lieferten
sich Gefechte mit der syrischen Armee.

Der Syrien-Sondergesandte des Kreml,
Alexander Lawrentiew stellte klar, die ge-
samte syrische Grenze müsse von Trup-
pendes Regimesvon PräsidentBaschar al-
Assad kontrolliert werden. Russland lehne
die Präsenz türkischer Truppen auf syri-
schem Territorium ab. Die Militäroperati-
on der Türkei bezeichnete er als „inakzep-
tabel“,diebislangschärfsteKritikausMos-
kau. Die Kämpfe in anderen Gebieten ent-
lang der Grenze dauerten ungeachtet der
Forderungen nach einer Waffenruhe an.

Die Kurdenmiliz YPG meldete, sie habe die
Grenzstadt Ras al-Ain zurückerobert.
Unterdessen gehen Polizei und Justiz in
der Türkei immer härter gegen Kritiker
der Offensive vor. Vier Bürgermeister der
prokurdischen Partei HDP aus Distrikten
nahe der Grenze zu Syrien und dem Irak
wurden festgenommen – wegen „Terror-
verdacht“. Der HDP-Abgeordnete Mithat
Sancar sagte derSüddeutschen Zeitung:
„ZielderMilitäroperationistes,dieOpposi-
tion zum Schweigen zu bringen.“ Nach den
Kommunalwahlen habe es mit den Erfol-
gen der Opposition in vielen Großstädten
eine„Hoffnungaufeine Alternative“zuEr-
doğangegeben.Diewollediesernunzerstö-
ren, sagte Sancar, der Vize-Präsident des
Parlaments in Ankara ist und Abgeordne-
ter der Stadt Mardin, die im Grenzgebiet
liegt. Mit Ausnahme der HDP unterstütz-
ten alle großen Parlamentsparteien bis-
lang die Militäroffensive in Nordsyrien.
Vorsichtige Distanzierungen aber gibt
es bereits. Der Chef der größten Oppositi-
onspartei, der säkularen CHP, Kemal
Kılıçradoğlu, kritisierte am Dienstag im
Parlament, dass Erdoğan von „Eroberun-
gen“inNordsyrienspreche.Wennmandas
Wort „Krieg“ verwende, müsse man schon
den Staatsanwalt fürchten, sagte
Kılıçdaroğlu. Nationalisten wiederum ha-
ben bereits ein Verbot der HDP gefordert.

Washington – Der ehemalige Sicherheits-
berater von Donald Trump, John Bolton,
war offenbar extrem verärgert darüber,
dass einige Vertraute des US-Präsidenten
versucht haben, die Ukraine zu Ermittlun-
gen gegen den demokratischen Präsident-
schaftsbewerber Joe Biden zu drängen.
Das sagte Medienberichten zufolge Fiona
Hill,diefrüherfürEuropaundRusslandzu-
ständige Mitarbeiterin im US-Sicherheits-
rat, am Montag in einer geschlossenen Sit-
zung vor dem Kongress aus. Bolton habe
sich vor allem über Trumps persönlichen
Anwalt Rudy Giuliani aufgeregt, der eine
treibende Kraft hinter den Bemühungen
war, Kiew zu Ermittlungen zu bewegen.
Der Sicherheitsberater habe Giuliani als
„Handgranate“bezeichnet,die„allesindie
Luft sprengen wird“, sagte Hill den Berich-
ten zufolge aus.
HillisteinevonmehrerenMitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern der US-Regierung,
die derzeit im Zuge der Impeachment-
Ermittlungen gegen Trump von diversen
AusschüssendesAbgeordnetenhausesver-
nommen werden. Die Demokraten werfen
dem Präsidenten vor, die ukrainische Re-
gierung systematisch unter Druck gesetzt
zuhaben,damitdiesestaatsanwaltlicheEr-
mittlungen gegen Biden und dessen Sohn
Hunteraufnimmt.DieseErmittlungensoll-
ten belegen, dass Joe und Hunter Biden in
korrupte Vorgänge in der Ukraine verwi-
ckelt waren, als der Vater amerikanischer
VizepräsidentwarundderSohnAufsichts-
ratsmitglied in einer ukrainischen Gasfir-
ma.GiulianijagtdieserVerschwörungsthe-
orie, für die es keine Belege gibt, schon seit
Monaten nach. Trump glaubt offenbar
ebenfalls an die Vorwürfe. Zumindest hat
er seinen Kollegen Wolodimir Selenskij im
Sommer in einem Telefonat persönlich
gebeten, gegen die Bidens ermitteln zu
lassen.
Nach Ansicht der Demokraten wollte
der Präsident dadurch Biden schaden. Er
ist ein aussichtsreicher Bewerber für die
demokratische Präsidentschaftskandida-
tur.DaskannalsVerstoßgegendieWahlge-
setze der USA gewertet werden. DieDemo-
kraten haben daher ein Amtsenthebungs-
verfahren gegen Trump begonnen.
Nach Angaben Hills war Bolton erbost
darüber, dass Giuliani und der amerikani-
sche Botschafter bei der EU, Gordon Sond-
land, unter Umgehung der offiziellen au-
ßenpolitischen Entscheidungsprozesse
und diplomatischen Kanäle mit der Ukrai-
neverhandelthaben.Boltonhabesieange-
wiesen, das dem Justiziar des Sicherheits-
rats zu melden, sagte Hill. Er spiele keine
Rolle bei dem „Drogendeal“, den Giuliani
und Sondland ausheckten, ließ Bolton von
Hill an den Justiziar ausrichten. Sondland
ist kein Karrierediplomat, sondern ein Un-
ternehmer,dervielGeldanTrumpgespen-
det hat und mit dem Botschafterposten in
Brüssel belohnt wurde.
Die Aussage Hills belegt nicht nur er-
neut, dass es aus dem Umfeld von Trump
koordinierte Bemühungen gab, die Ukrai-
ne zu Ermittlungen gegen Biden zu bewe-
gen. Sondern auch, dass einigen Mitarbei-
tern im Weißen Haus klar war, wie unge-
wöhnlichundpotenziellillegal dieseBemü-
hungen waren. hubert wetzel

Putin setzt seine Militärmacht ein,
wo sie größte Wirkung verspricht.
In Syrien tut er das rücksichtlos

VW vertagt Entscheidung


über Werk in der Türkei


DEFGH Nr. 239, Mittwoch, 16. Oktober 2019 (^) POLITIK 7
Punktlandung mit Falke
Russlands Präsident will am Golf Geschäfte anknüpfen, und derzeit lassen die USA ihm auch politisch Raum in der Region
Weggegangen, Platz gefangen
Mit Sanktionen will US-Präsident Trump den Stopp der türkischen Offensive in Nordsyrien erzwingen.
Doch der Abzug seiner Truppen hat längst Fakten geschaffen. Russland gedenkt das Vakuum zu füllen
Der „Drogendeal“
mit der Ukraine

Ex-Berater Bolton warnte Trump,
von Kiew Ermittlungen zu fordern
Eine Syrerin ist mit ihrem Kind in die nordsyrische Stadt Tal Tamr geflohen, heraus aus der Kampfzone in Ras al-Ain an der Grenze zur Türkei. FOTO: DELIL SOULEIMAN/AFP
Hier entlang: Wähler in Mosambik regis-
trieren sich für die Abstimmung. FOTO: AFP
Es geht um Öl, Waffen, Gerste und Einfluss: Wladimir Putin und der saudische Kron-
prinz Mohammed bin Salman in Riad. FOTO: ALEXEY NIKOLSKY/SPUTNIK/AFP
Schon vor Beginn
der Abstimmung kommt
es zu Unregelmäßigkeiten
Präsident Erdoğan soll
400 Millionen Euro Subventionen
in Aussicht gestellt haben
Die Militäroperation der Türkei
bezeichnete der Sondergesandte
des Kreml als „inakzeptabel“

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