Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 20.10.2019

(Barré) #1

12 leben FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. OKTOBER 2019, NR. 42


D


er Weg zur zukünftigen
Hauptstadt führt über eine
löchrige Landstraße. Ab und
an rauschen Mopedfahrer vor-
bei. Sie ziehen kleine Staubwolken hin-
ter sich her. Sand dringt durch die Fens-
terspalten ins Auto herein. Der Ort Pena-
jam liegt im Südosten Borneos, der dritt-
größten Insel der Welt, deren Territori-
um sich die Länder Malaysia, Brunei
und Indonesien teilen. Der indonesische
Teil heißt Kalimantan. Hier wechseln
sich Hügel, die mit dichtem Gestrüpp
und knorrigen Bäumen bewachsen sind,
mit Palmöl- und Kautschukplantagen
ab. Am Wegesrand beladen Arbeiter
Lastwagen mit den Früchten der Ölpal-
men, um sie zur Weiterverarbeitung in
die Mühle zu bringen. Es sind nur knapp
70 Kilometer bis zu dem Ort, von dem
aus irgendwann das Inselreich mit 266
Millionen Einwohnern regiert werden
soll. Aber es wirkt hier wie der Eingang
in eine vergessene Welt.
Man stelle sich vor, die Bundeshaupt-
stadt würde von Berlin in den Thüringer
Wald verlegt werden. Das ist in etwa der
Plan, den sich die indonesische Regie-
rung ausgedacht hat. Schon im kommen-
den Jahr sollen die Bauarbeiten beginnen.
Für das Jahr 2024 ist die erste Phase des
Umzugs angekündigt. Es ist ein riesiges
Vorhaben, das der Regierung zufolge 33
Milliarden Dollar verschlingen wird. Prä-
sident Joko Widodo liefert für den Um-
zug mehrere Gründe: Er soll die 30-Mil-
lionen-Metropolregion Jakarta entlasten,
die mit Luftverschmutzung, Verkehrskol-
laps und einem absinkenden Boden zu
kämpfen hat. Die neue Region ist außer-
dem weniger von Naturkatastrophen wie
Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrü-
chen bedroht. Nicht zuletzt markiert das
Gebiet in Kalimantan in etwa den geogra-
phischen Mittelpunkt des Staats mit
17 000 Inseln.
Den ungefähren Standort für die
neue Hauptstadt hat der Präsident
schon bekanntgegeben. Er liegt in der
Provinz Ostkalimantan auf der Fläche
der Distrikte Penajam Paser Utara und
Kutai Kartanegara. Recherchen dieser
Zeitung haben ergeben, dass die Kapita-
le mit höchster Wahrscheinlichkeit in
dem Bezirk Sepaku gebaut wird. Dort
besitzt der Staat ein Grundstück von
mehr als 160 000 Hektar. Das ent-
spricht fast der anvisierten Größe von
180 000 Hektar für die neue Haupt-
stadt. Das Land wird von dem Unter-
nehmen PT Itci Hutani Manunggol ge-
nutzt, das wiederum den Papier- und
Holzkonzern April beliefert. Der Kon-
zern, der einem steinreichen indonesi-
schen Geschäftsmann gehört, wurde in
der Vergangenheit für seine Rolle bei
der Zerstörung von Regenwald kriti-
siert. Auf dem Gelände werden derzeit
noch Akazien und Eukalyptus zur Pa-
pierherstellung angebaut.

Als wir uns dem Ort nähern, ändert
sich plötzlich die Landschaft. Zunächst
führt der Weg minutenlang an einer Mo-
nokultur mit dünnen Eukalyptusbäumen
vorbei. Wie Fahnenmasten sehen sie aus:
hoch, dünn und weitgehend kahl bis auf
ein paar Blätter an der Spitze. Dann öff-
net sich der Blick auf ein Gebiet, das erst
vor kurzem gerodet wurde. Baumreste
liegen auf einer Mondlandschaft verteilt.
Lastwagen, auf deren Ladeflächen die
dünnen Stämme geladen sind, rattern
über eine Sandpiste. Am Eingang zur
Plantage halten ein paar Uniformierte

Wache. Gegenüber liegt ein kleiner La-
den, der Zigaretten, Süßigkeiten und In-
stantnudeln verkauft. „Ich glaube, dass
dort das Areal für die neue Hauptstadt
liegt. Diese Seite hier gehört den Leu-
ten. Aber da drüben gehört alles der Re-
gierung“, sagt Tri Handayani, die Besit-
zerin des Ladens.
Die Frau stammt aus der auf der Insel
Java gelegenen Stadt Solo, in der Präsi-
dent Widodo einst Bürgermeister war.
Sie freut sich über das Megaprojekt vor
ihrer Tür. „Es bringt Menschen hierher.
Wir bekommen einen ordentlichen
Stromanschluss, Internet und eine neue
Straße. Bis jetzt bricht das Mobilfunksi-
gnal immer wieder ab.“ Das Leben sei
nicht einfach, hier „in der Mitte von Nir-
gendwo“. Vor ein paar Jahren seien ihre
Kinder an Malaria erkrankt. „Aber wir ha-
ben unser Land. Auf Java hatten wir nur
unser Haus, nichts weiter.“ Nun könnten
die Anwohner auch noch von steigenden
Grundstückspreisen profitieren. Mit 30
Hektar Land in ihrem Besitz gehören sie
und ihr Mann zu denjenigen, die mehr
als die meisten hier besitzen. „Wenn der
Preis stimmt, dann würde ich verkaufen.
Wenn nicht, dann warten wir ab“, sagt
Handayani.
Von ihrem Laden aus geht es an den
Wächtern vorbei in die Plantage hinein.

Es ist über Kilometer hinweg eine trauri-
ge Erdlandschaft, unterbrochen durch
grüne Inseln, auf denen noch Eukalyp-
tus und einige Akazien stehen. Außer-
dem steht dort ein etwa 20 Meter hoher
Turm. Das gelbe Gebäude wurde nach
dem ehemaligen Vizepräsidenten
Sudharmono benannt, der ihn in den
neunziger Jahren eröffnet haben soll.
Eine Zeitlang galt der Politiker als po-
tentieller Nachfolger des damaligen Dik-
tators, Präsident Suharto. Der Turm ist
in verschnörkeltem Stil mit mehreren
Plattformen gebaut. Er dient dazu, das
Geschehen auf der Plantage zu überwa-
chen und frühzeitig Waldbrände zu ent-
decken. Von oben lässt sich ein großes
Areal überblicken. Auch Balikpapan, das
Wirtschaftszentrum der Region, ist in
der Ferne zu sehen.
Ansonsten sind über Kilometer und
Kilometer hinweg nur Plantagen und
Wälder zu sehen. Es ist klar, warum das
Gebiet als neuer Standort für die Haupt-
stadt Vorteile hat. Es müssen keine An-
wohner umgesiedelt und entschädigt wer-
den. Aufgrund der bestehenden Mono-
kultur ist der Schaden für die Natur über-
schaubar. Allerdings gibt ein Mitarbeiter
zu, dass auch hier Gibbon-Affen, Malai-
enbären und eine kleine Hirschart leben.
Auch Orang-Utans verlaufen sich mal
auf die Plantage. Sie werden eingefangen
und an anderen Orten wieder freigelas-
sen. Die Tierwelt auf Borneo ist immer
noch einzigartig. Doch der Primärwald,
der noch in den fünfziger Jahren die ge-
samte Insel bedeckte, ist in den vergange-
nen Jahrzehnten fast verschwunden. Er
wurde durch Holzschlag und Brandro-
dung zerstört.
Die Befürchtung, dass die Natur we-
gen der neuen Hauptstadt weiter leiden
wird, versucht die Regierung mit viel
Mühe zu entkräften. Der zuständige Mi-
nister für Nationale Entwicklungspla-
nung, Bambang Brodjonegoro, sagte
kürzlich dieser Zeitung, er stelle sich

eine „intelligente Waldstadt“ vor. Rund
die Hälfte des Stadtgebiets werde aus
Grünflächen bestehen. Außerdem solle
am Rand der neuen Hauptstadt auch ein
Rehabilitationszentrum für Orang-
Utans entstehen. Der Minister hatte
ebenfalls den Turm bestiegen. Dabei be-
richtete er der lokalen Presse, dass zu-
nächst ein Gebiet von 6000 bis 7000
Hektar für den Bau der Regierungsge-
bäude ausgezeichnet werde. Darin soll
auch der Staatspalast für den Präsidenten
liegen. Das Regierungsviertel soll am
Ende rund 40 000 Hektar umfassen.
Einheimische Journalisten haben den
Sudharmono-Turm schon zum „Kilome-
ter null“ umgetauft. Damit ist gemeint,
dass an diesem Ort der Bau der Haupt-
stadt beginnen soll. „Wir benutzen den
Begriff nicht“, sagt der Mitarbeiter des
Plantagenbetreibers, Hindris Jawananda.
Regierung und Unternehmen wollen der-
zeit noch offenlassen, wo genau der erste
Spatenstich im kommenden Jahr gesetzt
wird. „Unser Management operiert der-
zeit noch wie immer“, sagt Jawananda.
Auf der anderen Seite kann es der Regie-
rung mit dem Umzug nicht schnell ge-
nug gehen. Die erste Phase sieht vor,
dass zunächst rund 200 000 Regierungs-
mitarbeiter, Verwaltungsbeamte und Par-
lamentarier nach Ostkalimantan umzie-
hen. Insgesamt werde die Stadt später
wohl 1,5 Millionen Menschen beherber-
gen, sagte der Minister.
Dass hier eine solche Großstadt entste-
hen soll, erscheint derzeit noch unvor-
stellbar. Von der Plantage geht es weiter
in eine Gegend, in der die Besiedlung zu-
nächst etwas dichter wird. Ein Bauer, Us-
man, sitzt mit seiner Mutter Baniyah auf
der Veranda seines Hauses. Die beiden
gehören zu der indigenen Bevölkerung
der Orang Pasir. „Dies hier ist der Bo-
den unserer Ahnen. Ich hätte nie ge-
dacht, dass hier einmal die Hauptstadt
entstehen könnte“, sagt Usman. Er habe
davon gehört, dass sein Dorf Bumi Hara-

pan ebenfalls für die neue Hauptstadt in
Betracht gezogen werde. „Ich habe Be-
denken, dass wir marginalisiert werden,
wie die Menschen in Jakarta“, sagt er.
Der Bauer meint damit vor allem die-
jenigen, die in den Slums der Megastadt
leben, ohne Recht auf das Land, auf
dem sie wohnen. Sie sind häufig von
Umsiedlung bedroht. Der Besitz des ei-
genen Grund und Bodens gibt den Men-
schen Sicherheit. Usman baut auf den
zwei bis drei Hektar Land, die er be-
sitzt, Palmöl und Kautschuk an. Mit der
Ankündigung, dass die Hauptstadt nun
hier gebaut werden soll, ist der Wert des
Landes sprunghaft angestiegen. So be-
richtet die Anwohnerin Ryni Alvina Am-
barita, dass ihr schon mehrfach Geld für
ihre vier Hektar Land angeboten wor-
den sei. „Es wurde immer mehr. Es be-
gann mit Angeboten von 250 Millionen
Rupiah (16 000 Euro) pro Hektar, dann
ging es hoch auf 500 Millionen (32 000
Euro), dann bis auf 1,5 Milliarden Rupi-
ah (96 000 Euro) für zwei Hektar
Land“, sagt die Krankenschwester, die
in einer nahe gelegenen Nachbarschafts-
klinik arbeitet.
Ihr Grundstück liegt auf einem Hügel
am Rand des Dorfes Tengin Baru, eines
Nachbardorfs von Bumi Harapan. Es
sind ruhige Siedlungen, in denen Hüh-
ner zwischen den Häusern herumlaufen.
„Dort drüben wird die Hauptstadt ge-
baut“, sagt die Krankenschwester und
deutet in Richtung der Eukalyptus-Plan-
tage am Horizont. Sie ist in dieser Regi-
on geboren, hat aber viele Jahre in Jakar-
ta gelebt. Nun freut sie sich, dass der Prä-
sident auch hierherziehen soll, wenn
auch wahrscheinlich erst zum Ende sei-
ner Amtszeit im Jahr 2024. Der Haupt-
stadtumzug bringe wirtschaftliche Ent-
wicklung mit sich, Schulen, Krankenhäu-
ser und einige Annehmlichkeiten. „Ich

freue mich darauf, mit meinen Kindern
in ein Einkaufszentrum zu gehen“, sagt
Ryni Alvina Ambarita.
Der Hügel mit ihrem Grundstück
liegt am Ende einer Straße, die auf bei-
den Seiten von kleinen Holzhäusern ge-
säumt ist. Diese Häuser gehören soge-
nannten Transmigranten. Das sind ehe-

malige Siedler, die unter der Suharto-
Diktatur seit den siebziger Jahren hier-
hergebracht worden waren. Damit soll-
te das überbevölkerte Java entlastet wer-
den. Die spärlich besiedelten Gebiete
sollten einen Entwicklungsschub be-
kommen. Die ehemaligen Transmigran-
ten machen die Mehrheit der Bevölke-
rung in Ostkalimantan aus. „Jeder be-
kam damals ein Häuschen, einen Hekt-
ar Land, Kochutensilien und Lebensmit-
tel für drei Monate“, sagt Subaigo, der
1975 als Junge mit seinen Eltern aus
dem javanischen Bayuwangi hierherge-
kommen ist.
Nun soll also ein ganzer Regierungs-
apparat hierherziehen. Dabei wird der
Wald auf dem Weg in den Ort Samboja
plötzlich dichter. Es geht an einer Kohle-
mine vorbei in ein großes Naturschutz-
gebiet. Eine Tierschutzorganisation be-
treibt in der Nähe ein Rehabilitations-
zentrum für Menschenaffen. Der umlie-
gende Wald ist in den vergangenen Jah-
ren aufgeforstet worden. Bei Samboja
läuft auch die Autobahn entlang, an der
schon seit einiger Zeit gebaut wird. Wie
ein breiter Fluss aus Beton bahnt sie
sich ihren Weg durch die Landschaft.
Sie soll die beiden Städte Balikpapan
und Samarinda miteinander verbinden.
Etwas weiter entfernt wird eine Brücke
über die Bucht von Balikpapan gebaut.
All das wird den Weg in die neue Haupt-
stadt deutlich verkürzen. Es wirkt so, als
habe auf Borneo eine neue Zeitrech-
nung begonnen.

Blick herab vom Sudharmono-Turm: Man stelle sich vor, die Bundeshauptstadt würde von Berlin in den Thüringer Wald verlegt. Das ist in etwa der Plan, den sich die indonesische Regierung ausgedacht hat. Fotos Till Fähnders

Der Bauer Subaigo ist 1975 mit seinen
Eltern als Transmigrant nach Ostka-
limantan gekommen.Damit sollte
das überbevölkerte Java entlastet wer-
den. Das Gebiet sollte einen Entwick-
lungsschub bekommen.

Der Bauer Usman gehört zu den Indi-
genen Orang Pasir in Ostkalimantan.
Er wohnt im Dorf Bumi Harapan,
das in Zukunft auch Teil der Haupt-
stadt sein könnte,und baut dort Palm-
öl und Kautschuk an.

Tri Handayani hat einen Laden ge-
genüber der Plantage.Sie freut sich
über das Megaprojekt. „Es bringt
Menschen hierher. Wir bekommen
einen ordentlichen Stromanschluss,
Internet und eine neue Straße.“

Die Krankenschwester Ryni Alvina
Ambarita besitzt Land nahe der zu-
künftigen Hauptstadt.Nun wollen es
viele Leute kaufen, und die Angebote
stiegen auf 1,5 Milliarden Rupiah
(96 000 Euro) für zwei Hektar.

Zwischen Dschungel, Palmöl und Malaria: Eine Reise an den Ort, an dem


Indonesien eine neue Hauptstadt aus dem Boden stampfen will.


Von Till Fähnders


Im grünen Nirgendwo


INDONESIEN

MALAYSIA

BRUNEI

Indischer Ozean

Jakarta

1000 km

Java Solo Bayuwangi

Sumatra

Kalimantan
Sulawesi

BORNBORNEOEO

50 km

Balikpapan

Samarinda

Penajam

Bumi Harapan

Ostkalimantan

Bezirk Sepaku

Gebiet, in dem die neue
Hauptstadt entstehen soll
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