Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 20.10.2019

(Barré) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. OKTOBER 2019, NR. 42 leben 13


N


och ist Mackenzie Davis ein
Geheimtipp. Aber das wird
sich mit dem Start von „Ter-
minator 6: Dark Fate“ schnell
ändern. Sie gehört zu einer neuen Gene-
ration von Filmheldinnen, die bewusst
nicht dem Klischee der Hollywood-Rol-
lenmuster entsprechen wollen. Zum In-
terview in einem Hotel in West Holly-
wood in der Nähe des Sunset Boulevard
erscheint die 1,78 Meter große kanadi-
sche Schauspielerin in kariertem Jackett
mit breiter Schulterpartie und einem
Kurzhaarschnitt, der ihre Androgynie be-
tont. In eigenartigem Kontrast dazu
trägt sie einen verwegenen Lidstrich, der
sich bis zu den Schläfen zieht. „Hallo,
ich bin Mackenzie“, stellt sie sich lässig
vor. Ein Name, den man sich merken
muss.


Als die ersten „Terminator“-Filme im
Kino liefen, waren Sie noch nicht ge-
boren oder zu jung. Wann haben sie
diese Filme zum ersten Mal gesehen?


Sechs Monate bevor ich für diese Rolle
vorgesprochen habe. Das war aber rei-
ner Zufall. Jemand hatte mir die ersten
beiden Teile als zwei Klassiker empfoh-
len, die man einfach kennen muss. Und
ich war überrascht, wie cool und visio-
när sie sind. Ich liebe Filme wie „Alien“
oder „Blade Runner“, die ihrer Zeit vor-
aus sind und sich mit politisch relevan-
ten Themen beschäftigen. „Blade Run-
ner“ hat mein Leben verändert. Meine
Eltern haben uns Kindern früher alle
möglichen Filme gezeigt, die für unser
Alter ungeeignet waren, aber nie den
„Terminator“.


Sind Sie mit Ihren Eltern ins Kino ge-
gangen?


Wir haben uns jeden Sonntag alle zu-
sammen einen Film im Fernsehen ange-
sehen. Das war ein Ritual. Und dazu ge-
hörte, dass meine Mutter einen Sonn-
tagsbraten machte. Mein Vater ist Eng-
länder, deswegen liebt er sonntags
seinen Braten.


Wer hat die Filme ausgesucht?


Immer meine Eltern.


Eine der ikonischen Szenen der „Ter-
minator“-Filme ist die, in der Arnold
Schwarzenegger zum ersten Mal in
die Vergangenheit reist und nackt auf
der Erde landet. Im neuen Film spie-
len Sie diese Szene als eine Art Hom-
mage.


Ich war fürchterlich aufgeregt. Eigent-
lich sollte sie gleich zu Beginn der Dreh-
arbeiten im Juni über die Bühne gehen,
wurde dann aber immer wieder verscho-
ben, was etwas nervenaufreibend war.
Schließlich haben wir sie dann ganz zum
Schluss im Oktober aufgenommen. Und
komischerweise war ich da dann ganz
entspannt, lief nackt über das Filmset
und habe mich mit den Mitarbeitern un-
terhalten. Ich war während der gesamten
Dreharbeiten auf einer extremen Pro-
tein-Diät, um abzunehmen und Muskeln
aufzubauen. Und ich wusste, dass ich an-
schließend wieder ganz normal essen
darf. Darauf habe ich mich so gefreut,
dass mir die Nacktszene ganz egal war.


Was haben Sie als Erstes gegessen?


Meine Trainerin ist Schwedin und hat
mir dieses Salzlakritz mitgebracht. Wäh-
rend der Diät durfte ich ein Stück pro
Woche. Jetzt weiß ich, wie Abhängig-
keit entsteht. Anschließend habe ich
mich so sehr mit Salzlakritz vollge-
stopft, dass ich es bis heute nicht mehr
angerührt habe.


Was hat Schwarzenegger Ihnen mit
auf den Weg gegeben?


Arnold ist sehr witzig und großzügig
mit seiner Zeit. Ich fand es erstaunlich
entspannt, mit ihm zu sprechen. Einen
Rat hat er mir nicht gegeben. Aber er
hat versucht, mich beim Training zu mo-
tivieren. Er war ganz begeistert von mei-
nen Bauchmuskeln und musste das dann
auch jedem erzählen: „Leute, ihr glaubt
es nicht. Das Mädchen hat einen ,Eight-
pack’.“ Das hat mich natürlich ange-
spornt. Bei der ganzen Quälerei im Fit-
nessstudio war das ein echter Lichtblick.


Welche Lieblingsfilme hatten Sie als
Jugendliche?
Den Fantasyfilm „Die Braut des Prin-
zen“ und Tim Burtons Horror-Komö-
die „Beetlejuice“. Die habe ich immer
wieder gesehen.


Wer wollten Sie sein, „Die Braut des
Prinzen“ oder „Beetlejuice“?


Der grausame Poltergeist und Bio-
exorzist „Beetlejuice“. Aber vor allen
Dingen habe ich mir die Filme immer
und immer wieder angesehen, weil es
immer etwas Neues zu entdecken gab.
Einige der Witze habe ich erst später
verstanden. Visuell war es einfach um-
werfend. Und ich fand es sehr inspirie-
rend. Ich habe schon immer gern Rol-
len gespielt, bereits als kleines Kind.
Aber das war ganz intuitiv, ohne den
konkreten Wunsch, Schauspielerin
werden zu wollen. Ich wusste gar nicht,
dass so ein Beruf existiert. Später habe
ich dann im Sommer „Schauspiel-
camps“ besucht und im Schultheater
mitgemacht. Und nach der Highschool
wollte ich auf die Schauspielschule. Mei-
ne Eltern hatten nur eine Bedingung:


Mach erst einen Abschluss an der Uni.
Und dann haben sie mir beides finan-
ziert. Was ich sehr großzügig finde.
Wie haben Sie den Konkurrenzkampf
im Filmgeschäft erlebt?
Ich war ehrlich gesagt etwas naiv. Ich
kam von der Schauspielschule, so nach
dem Motto: Hier bin ich, ich bin jetzt
bereit zum Spielen. Es gleicht einem
Wunder, dass ich heute überhaupt so et-
was wie eine Karriere habe. Man kann
meinen Optimismus durchaus als Wahn-
vorstellung bezeichnen. Ich wusste es
einfach nicht besser. Aber wahrschein-
lich ist es sogar einfacher, mit dem

Druck klarzukommen, wenn man völlig
unrealistische Vorstellungen von seiner
Zukunft im Filmgeschäft hat. Ich war ja
schon relativ alt, als ich anfing, mich
ernsthaft um Jobs zu bewerben. Mit
vierundzwanzig Jahren bist du in diesem
Geschäft spät dran.
Sie sind nach der Uni nach New York
gezogen. Wie haben Sie da den Kopf
über Wasser gehalten?
Das war eine gute Zeit. Meine Schwes-
ter lebte dort und eine meiner besten
Freundinnen. Ich werde manchmal ge-
fragt, wie ich dort als Schauspielschüle-
rin überlebt habe. Aber ich habe New

York nie als kalt und lebensbedrohlich
empfunden. Am schwierigsten war es,
Geld zu verdienen. Denn ich hatte als
Kanadierin ein Studentenvisum, mit
dem ich keine legalen Jobs bekommen
konnte. Das hieß, ich musste schwarz-
arbeiten. Da verdienst du zwar relativ
gutes Geld. Aber die Arbeitgeber behan-
deln dich wie Dreck, denn sie können
dich jederzeit rausschmeißen. Wenn du
dich beschwerst, sagen sie dir, dass du
dich verpissen kannst. Ich habe in eini-
gen Restaurants mit sehr gemeinen und
übergriffigen Männern gearbeitet.

Haben Sie sich dagegen gewehrt?

Wie gesagt, das war schwierig. Wenn du
dich wehrst, landest du wieder auf der
Straße. Und die Trinkgelder waren so
gut, dass ich versucht habe, die miesen
Begleiterscheinungen damit zu rechtferti-
gen. Und dann hatte ich dieses Empfin-
den von Stärke, diese Grausamkeit zu
überstehen. Wenn du jung bist, gehört
das irgendwie zum alltäglichen Kampf
dazu, oder? Du erlebst verschiedene For-
men von Missbrauch, denkst aber: Ich
lasse die nicht gewinnen. Natürlich bin
ich morgen zur nächsten Schicht wieder
am Start. Eigentlich ist es pervers. Und
mit etwas Abstand habe ich mich ge-
fragt, warum ich mir nicht etwas anderes
gesucht habe, statt für diesen schreckli-
chen Menschen zu arbeiten. Aber da-
mals gehörten üble Arbeitsbedingungen
und wie Abfall behandelt zu werden zu
dieser Mythologie, jung zu sein und in
New York zu leben.
Sie haben eine Zeit lang als Model ge-
arbeitet. Warum haben Sie aufge-
hört? Da hätten Sie es doch weit brin-
gen können.
Da liegen Sie völlig falsch. Ich war ein
sehr schlechtes Model. Gut, es gehört
zu meiner Biographie. Aber ich bin nie
in die höheren Ränge aufgestiegen. Ich
war dermaßen untalentiert, niemand
war spontan von mir begeistert.
Woran lag das?
Es klingt komisch, aber ich lasse mich
ungern fotografieren. Ich fühle mich da-
bei unwohl.
Das ist in Ihrem Beruf eindeutig ein
Handicap.

Heute ist es halbwegs cool, weil es zu
meinem Job gehört, dass eine Menge
Leute damit beschäftigt sind, mich gut
aussehen zu lassen. Deswegen existieren
nette Bilder von mir. Aber damals war
es meine Aufgabe, alles gut aussehen zu
lassen. Und wenn du das nicht kannst,
wirst du gefeuert. Ganz ehrlich? Ich hat-
te nicht viele Aufträge. Aber immerhin
konnte ich dadurch eine Weile in Paris
und London leben und hatte dann doch
insgesamt ein interessantes Jahr, auf das
ich jetzt zurückblicken kann. Obwohl
ich damals qualvoll einsam war und
mich jeden Tag gefragt habe, warum ich
mir das antue.

Ihre Eltern haben sich mit Haar-
pflegeprodukten selbständig gemacht,
die sie am Anfang im Keller ihrer
Wohnung produziert haben. Hätten
Sie da nicht einsteigen können?
Als sie damit anfingen, war ich zwei Jah-
re alt, also zu jung. Aber meine Schwes-
ter und ich fanden das unglaublich span-
nend. Wir sind oft zum Spielen runter-
gegangen. Und ich erinnere mich noch
sehr gut, wie meine Eltern ständig et-
was in Flaschen abgefüllt haben. Es ist
lustig, dass Sie danach fragen. Meine El-
tern sind mit der Produktion gerade
erst in eine größere Fabrik umgezogen.
Mir war selbst nicht bewusst, wie groß
das Unternehmen inzwischen geworden
ist. Meine Eltern haben die Produkte
zunächst als Hausierer verkauft. Die
neue Fabrik zu sehen hat mich sehr be-
rührt. Es ist erstaunlich, was man auf
die Beine stellen kann, wenn man ein-
fach einen Fuß vor den anderen setzt
und nicht stehenbleibt.
Haben Sie Ihnen damit eine pragmati-
sche Lebenseinstellung vorgelebt?
Unbedingt. Sie hatten ja am Anfang
noch nicht einmal wirklich Ahnung da-
von, was sie da machen. Selbst an den
Pumpen für die Spender an den Fla-
schen haben sie selbst herumgebastelt –
einfach unglaublich. Ich finde es sehr
motivierend zu sehen, was sie aus ihrem
Leben gemacht haben und wie sie Pro-
bleme angehen. Meine Schwester und
ich sind immer in dem Glauben erzo-
gen worden, dass nichts unmöglich ist,
wenn man es wirklich will. Sie müssen
sich vorstellen, mein Vater hat sich so-
gar selbst Chemie beigebracht, um For-
meln für die Produkte entwickeln zu
können.
Ganz ehrlich, benutzen Sie die Pflege-
produkte Ihrer Eltern?
Natürlich. Ich bin ihre aktivste Unter-
stützerin. Ich lebte in einer Phantasie-
welt, in der es Conditioner für lau gibt.
Mir ist erst kürzlich klargeworden, wie
teuer die Produkte sind!
Womit verdient Ihre Schwester ihren
Lebensunterhalt?
Sie ist eine mächtige, einflussreiche
Geschäftsfrau und arbeitet bei einer
Modefirma. Ich weiß nicht, wie ich ihre
Arbeit anders beschreiben soll. Sie
sitzt bei „lululemon“. Die stellen Sport-
und Yoga-Outfits her.
Sie haben einen sehr ausgefallenen
modischen Stil. Wer inspiriert Sie?
Ich habe mich in letzter Zeit oft mit
Lauren Hutton beschäftigt. Sie stand in
den 70ern und 80ern für diese Power-
Androgynie. Und ich liebe den Old-
School-Stil von Französinnen in der
Mode von Yves Saint Laurent. Die se-
hen so phantastisch selbstsicher aus.
Und ich mag Kleidung, in der ich mich
wie in einer bequemen Rüstung fühle,
die mich beschützt.

Sie haben einmal gesagt, Sie saßen –
im übertragenen Sinne – immer bei
den beliebten Kindern am Tisch,
fühlten sich aber immer wie die
Außenseiterin.
Das habe ich gesagt? Kann ich mir gar
nicht vorstellen.
Sie fühlen sich nicht wie eine Außen-
seiterin?
Doch, irgendwie schon. Aber ich mag
diese Formulierung nicht. Es klingt et-
was prätentiös. Ich frage mich allerdings
oft, wie sehr ich dazugehören und mich
anpassen möchte. Es ist schön, dass
man mich einlädt, dabei zu sein. Und
trotzdem beobachte ich viele Dinge, wie
das Filmgeschäft auch, weiterhin gern
aus der Perspektive der Außenseiterin.
Das ist eine Position, die ich selbst ge-
wählt habe. Ich kann und will es nicht
allen recht machen. Ein großer Teil
meiner Persönlichkeit tendiert dazu,
Einzelgängerin zu sein. Mein „Primal
Astrology“-Sternzeichen ist das des
Lamas. Das sagt eigentlich alles.
Was sind denn die Charakteristika ei-
nes Lamas?
Lamas sind sehr unabhängig und selb-
ständig. Gleichzeitig sind sie Lastentie-
re in einer Gemeinschaft und haben ei-
nen starken Sinn für Familie. Diese bei-
den Eigenschaften versuchen sie stän-
dig auszubalancieren. Sie lieben totale
Autonomie, brauchen aber trotzdem
die Familie, um zu überleben. Das sind
genau die beiden Pole, zwischen denen
ich lebe.
Die Fragen stellte Christian Aust.
„Terminator 6: Dark Fade“ läuft ab dem 24. Oktober in
denKinos.

Geboren 1987inVancouver;
Mutter Grafikdesignerin aus Süd-
afrika, Vater Friseur aus Liverpool.
Studiumin Montreal, Schauspiel-
unterricht am New Yorker
Neighbourhood Playhouse.
Erster größerer Filmauftritt
2013; seither in Filmen wie „Der
Marsianer – Rettet Mark Watney“
oder „Blade Runner 2049“ zu se-
hen; zudem in der Fernsehserie
„Halt and Catch Fire“.
In „Terminator 6: Dark Fade“
spielt sie „Grace“, eine Mischung
aus Mensch und Maschine.

Mackenzie Davis, 32, spielt im neuesten Film der „Terminator“-Reihe einen Cyborg,


wieeinst der Österreicher. Ein Gespräch über Diät und Sonntagsbraten, ihre Zeit als


Kellnerin und „sehr schlechtes Model“ – und was sie mit einem Lama gemein hat.


ZUR PERSON


„Arnold Schwarzenegger


war ganz begeistert von


meinen Bauchmuskeln“


„Ich frage mich oft, wie sehr ich dazugehören und mich anpassen möchte“: Davis im Juli in Hollywood. Fotos Intertopics, ddp

„Du denkst, ich lasse die nicht gewinnen“: Davis als Cyborg „Grace“ in „Terminator 6“.
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