FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. OKTOBER 2019, NR. 42 leben 15
E
xistentielle Fragen, die man
sich als Verbraucher nun so
stellt, lauten: Was genau esse
ich da eigentlich? Und: Womit creme
ich meine Haut ein? Und auch diese
hier: Was trage ich überhaupt auf der
Haut? Nicht, dass alles besser werden
würde: Die Bekleidungsindustrie
bleibt mit einem Anteil von gut 8 Pro-
zent der weltweiten CO2-Emissionen
eine der dreckigeren Branchen, die
der Umwelt zusetzen. Und wir Konsu-
menten machen es kaum besser, in-
dem 60 Prozent aller im Vorjahr her-
gestellten Produkte dann schon wie-
der auf dem Müll landen. Dennoch,
je mehr Menschen sich Gedanken dar-
über machen, was sie da tragen, umso
interessanter wird es auch für die
Mode, die ihr Fähnchen nach der
Laune der Konsumenten richten
muss, sich mit der eigenen Öko-Bi-
lanz zu beschäftigen.
Das schwedische Modelabel Asket,
das mit keinem geringeren Ziel an-
tritt, als mit wenigen Teilen den Klei-
derschrank revolutionieren zu wollen,
macht zu diesem Zweck jetzt Bekannt-
schaft mit den Schafen, deren Wolle
es für die Merino-Pullover braucht,
die man dann später auf der Haut
trägt.
A
uch an dieser Stelle geht es häu-
figer um den Look einer Frau
als um den eines Mannes. So
gibt es in dieser Woche etwa lauter
Outfit-Parallelen zwischen dem, was
die Herzogin von Cambridge jetzt
auf ihrer Pakistan-Reise trug, und je-
nen Kleidern, in denen Diana damals
auf ihren Besuchen in den neunziger
Jahren fotografiert wurde. So trug
Kate eine ähnliche hellblaue Tunika
wie damals Diana, darunter eine
leichte hellblaue Hose – ein Ensem-
ble, das an den traditionellen Dreitei-
ler namens Salwar Kamiz erinnerte.
Sie trug auch den gleichen Chitrali-
Hut wie damals Diana. Prinz Wil-
liam hielt sich indes meistens an
Hemd und Chino oder Anzug. Nicht
weiter erwähnenswert. Wäre da nicht
dieser Look am Montag zum Abend-
essen in Islamabad gewesen.
BRAUCH’ ICH DAS? VON JENNIFER WIEBKING
STEHT MIR DAS? VON JENNIFER WIEBKING
Herrenpullover, Asket, 90 Euro
Woher kommt die Wolle?Aus
Australien. Eine weitere Strecke
kann die Wolle bis Europa kaum zu-
rücklegen – was den CO2-Fußab-
druck sicher nicht verringert. Aber
Australien ist nun mal so etwas wie
das Heimatland der Merinowolle. Zu
Hause sind die Merinoschafe zum
Beispiel auf dem Bauernhof der
Smiths im Bundesstaat Victoria.
Prinz William, Islamabad, 15. 10.
Foto Hersteller
Foto Getty
Was für ein Weg!Asket hat eine
Weile daran gearbeitet, bis diese Ket-
te nachvollziehbar war. Für den Ver-
braucher ist es eine Erinnerung dar-
an, den Pullover aus dem Vorjahr
nicht so schnell wegzuwerfen.
Der Sherwani
Mit dem Frack kennt sich der britische Adel aus. Allzu weit
ist es von dort aus nicht bis zum Sherwani, der traditionellen
Jacke für offizielle Anlässe, die sich in der Zeit etablierte, als
Indien unter britischer Herrschaft stand. Den Sherwani be-
hielt man nach der Unabhängigkeit auch in Pakistan bei.
Und dann?Für Asket schicken die
Smiths die Wolle nach Tschechien
zum Reinigen und Kämmen. Von da
aus in die Spinnerei nach Lódz in Po-
len, dann nach Italien zum Färben
und Stricken, dann weiter zum Zu-
sammenstellen der Einzelteile nach
Tunesien.
Die Uhr
Auch Schuhe und
Hose folgen eher
östlichen Kleider-
regeln. Ganz an-
ders die Uhr.
Eine Omega Sea-
master, angeblich
eines der letzten
Geschenke von
seiner Mutter. Er
trägt sie immer-
zu, deshalb auch
zum Sherwani.
I
n Camelot braucht niemand einen
Regenmantel. Dort nämlich, Ri-
chard Burton hat es im gleichnami-
gen Musical 1960 am Broadway be-
sungen, darf es nur nachts regnen, und
die Wolken müssen sich am Morgen wie-
der verzogen haben. Selbst für den
Schneefall gibt es „eine gesetzlich verord-
nete Obergrenze“, und so ist am Hofe
König Arthurs das Klima „perfekt“. (Juli
und August? Dürfen „nicht zu heiß
sein“.) Ein Idealzustand vollkommener
Harmonie und nichts, was Menschen
dazu bringen würde, an sonnigen Tagen
in PVC-Mänteln durch die Innenstadt
zu laufen.
Ein nachhaltiges Argument für dieses
besondere Kleidungsstück zu finden ist
nicht leicht. Eine Marotte könnte man
den manischen Trend zum Regenmantel
nennen, einen weiteren Beweis für leere
Konsumlust; auf Shopping-Touren lasse
das Fashion-Item einem die Hände frei:
Solche Anmoderationen finden sich.
Wie ärgerlich es doch sei, wenn die Wet-
ter-App einem die Laune mit Regenwar-
nungen verdirbt. Und wie gut, wenn
man dann etwas zur Verteidigung gegen
das Wasser von oben habe!
Ehrlich gesagt: Für jemanden, der den
Regen liebt und der jedes Gespräch ei-
gentlich abbrechen möchte, wenn das
Gegenüber nach zwei Tagen Regen be-
reits anfängt, sich über das Wetter zu be-
klagen, ist es schwer, hier ruhig zu blei-
ben. Wozu überhaupt einen Regenman-
tel, möchte man zurückfragen. Sollte
man sich aus Freude über den Regen
und aus Solidarität mit den Bäumen
nicht mal nass regnen lassen?
Der einzige Regenschutz, den man
selbst jemals besaß, hatte mit einem Ur-
laub an der Nordsee zu tun. Die gelbe Sei-
te war für den Regen, die blaue für die
überschaubar langen Regenpausen. In ei-
ner Zeit, in der das Dürre-Monitoring
des Helmholtz-Zentrums keinen Sinn er-
geben hätte, schien das absolut vernünf-
tig. Nun haben sich die Dinge verändert,
und abgesehen von besorgniserregender
Trockenheit wäre unbedingt über das Plas-
tik zu sprechen, das zur Fertigung der was-
serundurchlässigen Outdoor-Kleidung nö-
tig ist. Die Mode muss verrückt geworden
sein, am Regenmantel festzuhalten. Was
findet sie bloß an ihm? Am besten, man
schaut nach und trifft Coco Chanel.
Ende der dreißiger Jahre hat sie der
Schauspielerin Michèle Morgan für ihre
Rolle der Nelly in „Hafen im Nebel“ ei-
nen durchsichtigen Regenmantel und
eine schwarze Baskenmütze empfohlen.
Dass der Mantel das Licht einfange, soll
sie ohne Zögern erklärt haben, und dass
die schwarze Mütze die wunderbaren
Augen der Schauspielerin betone. Es
klingt so einfach. In einer Hafenkneipe
trifft jene Nelly auf den desertierten Sol-
daten Jean (Jean Gabin). Sie sitzt, an die
Tischkante gelehnt, die Hände in den
Taschen ihres schimmernden Trench-
coats vergraben, mit dem Rücken zu
dem Mann, den sie lieben und der in ih-
ren Armen sterben wird. Provozierend
kühl ist dieser Auftritt, fremd und sehr
elegant. Nelly weiß um die Abgründe
der Welt; die Verfolger glauben, die jun-
ge Frau sei eine Beute.
Liebe, Verrat, bedrohte Unschuld:
Der Regenmantel führt in unsicheres Ge-
lände, und wer Angst hat, sich zu gru-
seln, sollte sich das Nachdenken über
ihn verkneifen. Es könnte immerhin
sein, dass er sich plötzlich im Reich der
Urängste wiederfindet und die ganze
Nacht kein Auge zubekommt. Da ist das
kleine Mädchen im roten Regenmantel
aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“,
das im elterlichen Garten ertrinkt. Da ist
Georgie in der Stephen-King-Verfil-
mung „Es“, der in seinem gelben Klep-
permantel seinem Papierboot nachrennt
und dem Bösen zum Opfer fällt. Der Re-
genmantel sollte die Kinder beschützen,
doch er konnte nichts ausrichten gegen
die Gefahr. Nein, der Regenmantel kann
nur bedingt helfen, und er hindert weder
den Horror noch das Drama der Liebe
daran, ins Schicksal einzugreifen.
Einen der berühmtesten Regenmäntel
besitzt, alle wissen es, Audrey Hepburn
alias Holly Golightly. In der Schlusssze-
ne von „Frühstück bei Tiffany“ läuft sie
durch den Regen, pitschnass das Haar.
Sie ruft nach der Katze, deren Verlust
nach so vielen Verlusten derjenige wäre,
der tatsächlich nicht mehr auszuhalten
wäre. Mit dem Regen aber kommt das
Lösende. Holly findet die Katze, und sie
wehrt sich nicht länger gegen das Glück,
das sich um wasserabweisende Grenzen
kein bisschen schert.
Wer mag, kann es für albern halten,
aber jeder Regenmantel hat mit einer Ge-
schichte der Grenze zu tun. Die Phanta-
sie liebt ihn deswegen umso mehr. So-
fort fängt sie an, Linien zu verändern
und Plots zu spinnen. Oder sie macht
sich Sorgen um den hellblauen Regen-
mantel von Alexa Chung: Kapuze, brei-
ter Gürtel, eine kleidsame Länge und ein
gewisser Schwung. Eigentlich hat er al-
les, was man sich wünschen kann. Viel-
leicht ist es ja gerade das. Ständig alles
richtig machen zu wollen führt zu Lange-
weile und Beliebigkeit. Die Handschrift
bleibt vage, und der arme hellblaue Man-
tel wird von seinem Kollegen aus der letz-
ten Fendi-Kollektion Karl Lagerfelds
haushoch geschlagen.
Mit einem kurzen und kräftigen Sech-
ziger-Jahre-Kragen, mit einer entspre-
chend dominanten Knopfleiste trifft die-
ser eine klare Entscheidung, und vor die
Wahl gestellt, ob er die Witterung abhal-
ten oder die Silhouette der Trägerin vor-
teilhaft betonen möchte, wird es dieser
sonnengelbe Kandidat mit dem Pragma-
tismus bestimmt nicht übertreiben. In
Gedanken zerrt man auf der Stelle einen
französischen Bistrotisch und den Tresen
einer italienischen Bar heran. Die Phan-
tasie ist beschäftigt.
Ähnlich bei Prada. Dort wird aller-
dings zum Thema Regen ein schwarzes,
eng tailliertes Mantel-Kleid geboten, das
Anmut und grazile Bescheidenheit ver-
mittelt. Fast glaubt man, eine Figur
durch den Regen huschen zu sehen.
Leichtfüßig und eilig. Was sie da drau-
ßen wohl sucht?
Vermutungen, Fragen, Gerüchte. Die
Frau im Regenmantel hat sie immer
schon provoziert. Eine Schreibklasse des
in den sechziger Jahren noch relativ jun-
gen amerikanischen Dichters und Eng-
lischprofessors George Garrett etwa soll
sich über eine ihrer Geschichten heftig in
die Haare bekommen haben. Woraufhin
Garrett der gesamten Klasse die Hausauf-
gabe gestellt haben soll, einen Text über
„The Girl in the Black Raincoat“ zu ver-
fassen. Auch der später sehr bedeutend ge-
wordene Literaturwissenschaftler Leslie
Fiedler kam der Aufforderung nach und
veröffentlichte 1966 vier „Akademische Pa-
rabeln“. Sie erzählen, wie sich die Vertre-
ter einer geisteswissenschaftlichen Fakul-
tät an der Schönheit einer 18 Jahre alten
Studentin abarbeiten. Angeblich trägt sie
unter dem Regenmantel nichts, und aus
dem Kurs über Dante hat sie sich nach
der zweiten Vorlesung verabschiedet; eine
Tatsache, die den Professor in seinem
Machtbewusstsein kränkt.
Noch viele Jahre danach geistert die-
ses erotische Gespenst als reiches, ver-
wöhntes Mädchen durch die Literatur-
Anthologien, fremd und unnahbar, eine
Männerphantasie, die inzwischen völlig
unlesbar geworden ist. Nicht dass Frauen
keine schwarzen und roten Regenmäntel
mehr tragen würden, im Gegenteil, sie
tun das momentan wieder sehr häufig.
Das Schweigen aber ist gebrochen, und
die Frau im Regenmantel führt selbst das
Wort. Abgesehen davon, dass sie im Au-
genblick wahrscheinlich einen transpa-
renten Regenschutz bevorzugt. Der
lenkt die Aufmerksamkeit auf die Kleider-
wahl und ist paradoxerweise diskreter als
das entsprechende Accessoire in Lack.
So oder so: Das Verhältnis zwischen
Körper, Welt und Wetter ist – wie sollte
es anders sein – für die Zeitgenossin
Mode offensichtlich akut. Da ist es klug,
ein paar ihrer Grenz-Phantasien und Re-
genmäntel-Antworten zu kennen: die un-
heimlichen (Vetements oder Kassl Editi-
ons), die arglos-optimistischen (Kate
Spade), die klassischen (Stutterheim in
Zusammenarbeit mit Marc Jacobs) – und
diejenigen, die nichts weiter im Sinn ha-
ben, als stundenlang durch den Wald zu
laufen, der nach zwei Dürre-Sommern
erbarmungswürdig aussieht und den
man jetzt, nachdem die Niederschlags-
mengen einmal nennenswert waren, zum
ersten Mal wieder erleichtert seufzen
hört. Ein Königreich für den Regen,
möchte man ausrufen, und – wenn es
sein muss – auch für seinen Mantel!
Berühmtester Vertreter seiner Zunft: Audrey Hepburn (und George Peppard) in der Schlussszene von „Frühstück bei Tiffany“. Foto Fotofinder
Das Tuk Tuk
Immerwieder
war in den vergan-
genen Monaten
die Rede von Si-
cherheitsbeden-
ken, wenn Harry
und Meghan un-
terwegs waren.
William und Kate
sind gelassener
und kommen in
Islamabad im bun-
ten Tuk Tuk an.
Plastik geht gar nicht,
derSommer war
trocken. Und was macht
die Mode? Kommt uns
mit dem Regenmantel.
Von Elisabeth Wagner
The
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