Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 20.10.2019

(Barré) #1

18 leben aktuell FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 20. OKTOBER 2019, NR. 42


WAAGERECHT: 1 Hilft Sanftdaumen
und Kleinfi ngern kraftlos kraftfahrend
kurvenkurbeln (12) 13 Was handfes-
tere Problemlösungsansätze in aller
Klimazielsetzung hätten sein & haben
können sollen müssen, gefälligst! (12)
14 Und 2130 kommen wir klimapo-
litisch auf einen, der aufsteigt – Stück
Trostpfl aster ... (3) 15 Von alters her
stadthafte Belagertstätte an Levante-
kante, streifenweise hamasheikleres
Brisanzgebiet (4) 16 Von Nintendo
da der Stern aufm Walk of Game –
von wegen Super-Fame! (5) 17 Ganz
gemäß dem, was Öltanker & Umwelt-
schützer außer dem Schluss-Er kurz
gemeinsam haben ... (2) 18 Odemlang
eben, mal eher retrospektiv – was die
Stenz-Liebe ausmacht?! (10) 22 Das
andere Alte, hatte Währungsgewichts-
wertschätzung in Alt-China ... (4)
24 Womit gewisser Paul so stadthaft
unter die Heiligen kam – in Südost-
brasil jedenfalls! (3) 25 Liebten mal
Hinseher als hörzuzu niedeliges Sta-
cheltier, steigt Bürstenschnittigen zu
Kopf (5) 27 Düsterautor mit L.A.’s
Confi dential-Adventure, hat was vom
Artifi ziellroyalen ... (6) 29 Was Tacos
mit Chipstick werden unter fettester
Käsehaube – von Sancho restlos ver-
putzt?! (6) 30 Mal ganz & gar keine
Umschreibung wär ja auch mal was –

was? (3) 32 Ist wer, dem geistige Ver-
dunkelungsgefahr droht, was Gebül-
dete ja ganz klar auf den Verwirrweg
bringt (9) 36 Kleine Zwischenmahl-
zeit gefällig? Dann knapp ran an den
Zementmörtel! (2) 37 Anna Zwotens,
die Fürstenbibliothekseröffnerin für

damals Jedermann auch als Frau (6)
38 First Lady of Song und Queen of
Jazz sowieso, bleibt in ihrer Gesamt-
konstellation einzigartig!!! (Vorn.; 4)
40 ... haben wir denn da, frug sich
mal der Yeti – den Messner etwa? (3)
41 Etwa Germanes heiligster Auer-

ochs? Oder doch seine unbeirrbare
Verfahrensweise? Beides! (2+2; 4)
43 Körpersprachtypischer Anbeter,
im Vorantrieb der Falthände erkenn-
bar ... (5) 44 Im Inneren des Insek-
ten-Topforschers steckt, was zu seiner
Mologie passt... (4) 45 Wo’s bluest &
rockt & countryt, darauf einen Jack
von Daniel – von dorten! (Abk.; 2)
46 Unseligen Angedenkens gewissen
Schwarzhemdenfascistas, gesegneter
gedacht Méxikos Reform-Juárez! (6)
50 Im Besprechungssprech Anglo-
philer one TOP of many (4) 51 Der,
wo ein Nehmer ist, ist, ist auch PC-
Inputter, mausert sich ausm Beige-
Ren!? (3+5; 8) 52 Wenn die Scham-
grenze schon am Hals beginnt, wird’s
wie genannt? (6) 53 Stand als Rick
casablancaklar zwischen Nazi, Vichy,
Anti nur auf der eigenen Seite ... (6)

SENKRECHT: 1 Haben Glaziologen
tiefsten Respekt vor ihrer Fallhöhe (7)
2 In jeder Wiederherstellung schon
implizierte Kaputtbedingung ... (4)
3 Zeigt mitwirkungsvoll dem größeren
Zahnrad die Zähne (6) 4 Ein Trost
aus dem Kinderwitz Nr. 612, wenn
mal so einer dir auf den Kopf macht:
Dass Kühe nicht fl iegen können! (5)
5 Bete kennt man, kann wurzelrot
sein – oder imperativ lat., ecce! (3)

6 Lütt Elizabeth, echt taylormade (3)
7 Prototypisch als Kalibrierhilfe in
fester Maßstäblichkeit, ausgedrückt
in Meta-Longituden ... (6) 8 Verhält
sich zu keine und Ahnung wie Hase
und Bartwitz, bezeichnenderweise (4)
9 Papageigeistert durch Südneusee-
land, wär unter Unkeartgenossen ja
eigentlich fehl am Platz!? (3) 10 Wo
der spanische Erbfolgekrieg vertrags-

beendet ward, goddank! (7) 11 Und
damit müssen sich Frager ablehnungs-
bescheiden, isso! (4) 12 Elitär erphi-
losophierbares Geheimniswissen um
Ominösreligiöses (6) 19 Betten so
fl ach so gerade und wärmen so ach
so eben ... (9) 20 Tand, Tand, ist das
Gebilde von Menschenhand, das bei
Fontane so verhext versank – worin
mal noch? (3) 21 Alea iacta est, das
kommt aus dem Lateinischen – und
aus ihm! (6) 23 Können ja auch als
Kinderentgelt gelten, für Nährungs-
mittel eben, sic! (8) 25 Und was für
Blüten hier Chinas Glücksspieltrieb

trieb & treibt! (5) 26 Wo nur Chuck
Norris, in Witz Nr. 837, ungestraft
ein Alt bestellen und von der Fortuna
schwärmen kann (5) 28 Ostfriesen-
teeverdünnung, bis sich die gute Stube
so-dreht ... (3) 31 Niederrheinisches
Legendenzentrum, Fränkisches Troja
und Nibelungsnsiegfrieds Herkunft –
aus dem Ex-Tann erbaut?! (6) 33 Wo
Neptun in der EU verheerend gern
Meeresspiegelglätte hätte (Abk.; 2)
34 Als Über- quasi Ubernachtungs-
macht, mit Argusaugen beargwöhnt,
behördlich! (6) 35 Nach Sa. mit dem
Wort zum So. dann mit dem Mord
am Folgeabend, hat Spurensuchen-
suchtpotenzial (6) 36 Und jeder in
natura in klein in Blätterwaldhaltge-
befunktion! (5) 39 Warum sollten
Handwerker dabei auch nicht zärt-
lich Hand anlegen, wenn er nun mal
erwerblich ihr täglich Brot ist? (4)
41 Wen die amor Platons außer Acht
lässt (4) 42 Globalgruppiert trupp-
weise vertraute Personen, allein im
Munitionsumgang ... (4) 47 Schon
manisch, wenn so was mutterseelen-
allein auf so’nem Eigentrip ist! (3)
48 Was, wenn das Glas nur halbvoll
ist, wär, kurz gesagt – schon in aller
Gernegrößerhaltung... (3) 49 Immer
drei Mal so vorweg wie bei jedweder
mater hintan, ecce?! (3) up.

AUFLÖSUNG DER
LETZTEN QUADRATORTUR
WAAGERECHT: 1 Interruption 12 lauthals (Anagramm
aus H-a-l-l-s-t-a-u) 13 Hasi 15 (Eiskunstlauf-)Lutz
+ (Alois) Lutz 16 („Ich bin zwei) Oeltanks“ 17 (Ana-
gramm aus H-a-i-e-n:) iahen 20 ureigen (in Mand-
sch-ureiGen-erationen) 23 Qual 24 „Edi“ (Editorial)
25 Narr (und Kappe) 27 unschicklich 31 (We-iter-es
enthält lat.) iter + ITER (Int. Thermonuclear Experimen-
tal Reactor) 32 e.g. (für exemplum gratia) 33 (Ana-
gramm aus F-e-h-l-e-r:) Helfer(syndrom) 34 (Alain)
Delon 36 Eule 38 (Anagramm aus f-a-r:) „Fra“ (von
frater) 39 (2x) einknicken 45 CE (für Kreis Celle, mit
Aller) 46 (med.) uterin 47 Hit 49 Alu(minium) + (ind.)
Alu 50 (2x) genannt 51 (in Pianissi-moDem-onstra-
tion:) Modem 52 Orange (mit „Marmalade“-Monopol)
53 (in Äsop-Fabel „Die) Ameise (und die Heuschrecke“)

SENKRECHT: 1 illiquide 2 (Nao oder) Nau (Anklang
an engl. now) 3 Tut(anchamun, Grab entdeckt von H.
Carter 1922) + („wie man wissen) tut“ 4 Etzel (wie in
Geschn-etzel-tem) 5 Rhône (als Anagramm O-h-r-e-n)
6 raeudige (Hunde) 7 (Jan) Ullrich 8 „pst!“ (und „Der
Rest ist Schweigen“) 9 (Anagramm aus H-i-a-t:) Thai
(als Küche) 10 Osker (in Myth-osker-ngruppe) 11 (der
schiff brüchige Uwe, Bruder von Ernsts Protagonisten)
„Nis (Randers“) 14 Angriff 18 (in „The Adventures of
Tom Sawyer“:) Aunt (Polly) 19 Hasel(nuss) 21 (2x)
Enkel 22 (sog.) Nahraeume 26 Allee 28 (der Rapper)
„Cro“ 29 Henning + (Sänger) Henning (May von „Annen-
MayKantereit“) 30 (trad.) Cercles 35 (pus lat.) Eiter
37 Uchta (in Ba-uchta-sche/Fl-uchta-uto) 40 Nena
(und drei Titel) 41 (2x) Kran 42 inne(halten) 43 (die
sog.) Kimm 44 (sog.) Nadi (Anagramm aus A-n-d-i)
46 (Victor Hugo wäre ital.) Ugo 48 (Zehe engl.) toe

■QUADRATORTUR 20.


Im Inneren des Insekten-


Topforschers steckt, was


zu seiner Mologie passt ...


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

13

14 15 16

17 18 19 20 21

22 23 24 25 26

27 28 29

30 31 32 33 34 35

36 37 38 39

40 41 42 43

44 45 46 47 48 49

50 51

52 53

E


s ist seltsam. Mit zunehmendem
Alter vergessen wir immer mehr
Dinge von essentieller Wichtig-
keit, während wir uns an Abseitiges er-
innern. InBuntezum Beispiel lasen wir
diese Woche, dass die Schauspielerin
Lauren Conrad einen Sohn bekommen
hat, sie und ihr Mann „freuen sich über
den kleinen Charlie Wolf “, und irgend-
wo in unserem Kopf klingelte da ein
Glöckchen. Eine Recherche in unse-
rem ausgelagerten Gedächtnis namens
Google ergab: Vor gut zwei Jahren, wir
erwähnten es in dieser Kolumne, hat
Conrads Kollegin Zooey Deschanel
ein Kind geboren und es Charlie Wolf
getauft. Und nicht nur das: Wir erfuh-
ren sogar die Reaktion von Mutter 1
auf die Namenswahl von Mutter 2. „Ich
glaube“, hat Deschanel einer Zeitung
gesagt, „sie wusste es nicht.“
Wirklich Gewissheit erlangen dürf-
te Zooey Deschanel vermutlich erst,
wenn Lauren Conrad auch eine Toch-
ter bekommt. Sollte diese dann auf den-
selben Namen getauft werden wie die
ältere Schwester des Deschanelschen
Charlie Wolf, dann wird sich Conrad
kaum damit herausreden können, von
nichts gewusst zu haben: Deschanels
Tochter heißt Elsie Otter.
Überaus hübsche Vornamen trägt
auch ein Paar, von demBunteebenfalls
erzählt, nämlich Hera Lind und Engel-
bert Lainer – die sich, als wäre das
nicht entzückend genug, auch noch
„Herzerl“ und „Engel“ nennen. Über-
haupt ist die Liebe zwischen Herzerl
und Engel so überwältigend, dass es
normal Liierte beschämen muss: „Ich
verstehe nicht, weshalb Paare streiten.
Streit ist etwas Entsetzliches und
macht so viel kaputt“, sagt Engel, und
Herzerl bestätigt: „Wir haben echt
noch nie gestritten.“ Wiederum Engel
erklärt: „Menschen, die unter Eifer-
sucht leiden, tun mir leid.“ Während
Herzerl beteuert: „Ich sage meinem
Engel so oft wie möglich, dass ich ihn
liebe.. .“ – „... und ich meinem Her-
zerl“, sekundiert Engel.
Hach, wir könnten noch Ewigkeiten
aus diesem Gespräch zitieren, stutzen
allerdings, als Engel sagt: „Finanzen
sollten getrennt sein. Wir sind beide
kein bisschen materiell eingestellt.“
Schön, aber wenn sie kein bisschen ma-
teriell eingestellt sind, könnten sie
dann nicht doch ein gemeinsames Kon-
to haben? Oder fürchten sie etwa, dass
es dann zu Streit und Eifersucht kom-
men könnte und es zwischen Engel
und Herzerl plötzlich ganz viel Ge-
quengel und Herzschmerzerl gäbe?
Die Kosenamen von Andy Borg und
„seiner Birgit“, wie sie in der Herzpres-
se stets heißt, kennen wir nicht, doch
auch sie führen eine Musterbeziehung:
„Nicht einen Tag waren sie getrennt,
seit Andy Borg und seine Birgit (48)
1999 geheiratet haben“, weißDas golde-
ne Blatt. „Wenn man einen Menschen
lieb hat, wenn man einfach so Gänse-
haut bekommt, völlig ohne Grund,
dann kann man schnell selbst auf den
Gedanken kommen: Ach, das wäre
doch schön, ich bringe ihr eine Blume
mit“, sagt Borg, und das hat er so aller-
liebst formuliert, dass auch wir sofort
Gänsehaut kriegen. Könnte aber auch
sein, dass es hier im Büro etwas zieht.

„Wir verbrachten das erste Jahr 24
Stunden am Tag gemeinsam“, erinnert
sich wiederum Linda Thompson in
Buntean die fünf Jahre, die sie an der
Seite Elvis Presleys verbrachte. „Doch
nach einem Jahr meinte er, ich kann
doch ruhig mal meine Familie besu-
chen. Diese Chance nahm er wahr.“
Heißt: Er hat sie betrogen – und inso-
fern tun seine Birgit und Andy Borg
gut daran, den anderen auch nach
zwanzig Jahren keine Minute aus den
Augen zu lassen. Bei einem weiteren
Vorfall überraschte Thompson ihren
Liebsten mit der hauseigenen Kranken-
schwester: „Elvis sagte, er sei einge-
schlafen und hätte das gar nicht richtig
mitbekommen. Alle Frauen seien hin-
ter ihm her.“ Ich war mit einer ande-
ren im Bett, hab’ aber die ganze Zeit
geschlafen: Diese Argumentation wür-
de man uns Nicht-Elvissen kaum
durchgehen lassen. Aber hinter uns
sind ja auch nicht alle Frauen her.
Anders sieht es womöglich bei Hu-
bertus Meyer-Burckhardt aus, denn
kein anderer als der Talkmaster ist die
„Versuchung“ in der Freizeitrevue-
Schlagzeile „Barbara Schöneberger –
Pikantes Doppelleben – Die Versu-
chung wartet schon in Hamburg“. Das
Heft enthüllt: „Alle zwei Wochen steht
das Paar gemeinsam vor der Kamera,
schon Tage vorher reist Barbara aus
Berlin an, um sich mit Hubertus – sa-
gen wir: auf die Sendung vorzuberei-
ten.“ Sehr lässig gesetzt, dieses „sagen
wir“, ebenso wie das „Soso“, welches
das Blatt nach Meyer-Burckhardts Zi-
tat druckt, Schöneberger und er kom-
munizierten „auch ohne Worte“. Lei-
der lässt Schöneberger inBuntealle pi-
kanten Vorstellungen verpuffen: „Das
Geheimnis unseres eheähnlichen Ver-
hältnisses: Wir sehen uns nur alle zwei

Wochen und haben dann keinen Sex.“
Tatsächlich also wie in einer Ehe, nur
dass man sich dort häufiger sieht.
Ohne Worte verständigen konnten
sich übrigens auch Elvis und Linda
Thompson: „Seine Lippen waren wie
zwei Marshmallows. Seine Küsse wa-
ren weich und süß“, sagt sie. Während
Küsse mit Schlauchbootlippen ja meist
nach Gummi schmecken und welche
mit Wurstlippen deftig und nach Senf.
Apropos: Koch Tim Raue schmäht
einen Fast-Food-Klassiker. „So eine
Currywurst hat doch nahezu kein
Fleisch mehr in sich. Das grenzt an
Körperverletzung“, klagt er in Bild.
Eine gute Nachricht ist dies freilich für
Vegetarier: Sie können jetzt wieder gu-
ten Gewissens eine Currywurst essen.

HERZBLATT-GESCHICHTEN VON JÖRG THOMANN


Lippen so weich wie


Marshmallows


D


aslange, rote Haus in der kur-
zen Sackgasse hat zwei Stock-
werke und vier Hausnum-
mern; die Haustüren liegen
eng beieinander. Hinter einer dieser Tü-
ren im niederländischen Hasselt wohnt
bis heute Sandra S., und sie hat in dieser
Woche in vielen Interviews immer dassel-
be erzählt über diese Familie, die da jahre-
lang direkt neben ihr gelebt hat – und die
in diesen Tagen für Aufregung in ganz
Holland und weit darüber hinaus sorgt.
Die Kinder, so die Nachbarin, hätten
nie auf der Straße gespielt, nur hinter
dem Haus; dort habe es ausgesehen
„wie im Dschungel“. Ihre Tochter sei
manchmal zum Spielen drüben gewe-
sen; im Haus sei alles aus Holz gewesen.
Ein sehr enges Verhältnis habe die Fami-
lie nebenan zu einem Mann namens Jo-
sef gehabt, der eine Wohnung weiter leb-
te. „Es gab sogar eine Tür zwischen ih-
ren Häusern, so dass sie nicht durch die
Front gehen mussten“, sagte S. dem
österreichischen „Kurier“. Ein halbes
Jahr nach dem Tod der Mutter im Jahr
2004 sei die Familie weggezogen.
Josef, so heißt auch ein aus Österreich
stammender, 58 Jahre alter Mann, der
mittlerweile in Haft sitzt; er ist der Mie-
ter eines Bauernhofs in der 25 Kilometer
entfernten Ortschaft Ruinerwold – auf
dem der Vater sowie sechs seiner Kin-
der, vier Töchter und zwei Söhne, seit
2010 völlig isoliert gelebt haben sollen.
Der Vater sitzt ebenfalls in Haft; die bei-
den Männer werden der Freiheitsberau-
bung, Misshandlung und Geldwäsche
verdächtigt.
Ans Tageslicht war die Geschichte –
oder Teile davon – gekommen, alsam ver-
gangenen Sonntag ein 25 Jahre alter
Mann plötzlich in einer Kneipe in Rui-
nerwold auftauchte und um Hilfe bat:
wie sich herausstellen sollte, das älteste
der Kinder, die neun Jahre lang versteckt
gehalten wurden. Der 27 Jahre alte Bar-
keeper Chris Westerbeek erinnert sich:
„Gegen zehn Uhr abends kam ein ver-
wirrter Mann herein.“ Er sei etwa 1,
Meter groß gewesen, habe lange Haare
und einen Bart gehabt. „Man hat in sei-
nem Gesicht gesehen, dass etwas nicht
stimmt. Irgendwann hat er gesagt, dass
er nicht mehr nach Hause kann und Hil-
fe braucht. Da habe ich die Polizei geru-
fen.“ Die fand in dem verlassen wirken-
den Bauernhof hinter einem Schrank
eine Treppe, die in einen abgeschotteten
Raum führte. Dort lebten der Mann und
seine Kinder.
Von der Kneipe aus dauert es im Auto
etwa zehn Minuten bis zu dem Hof.
Über eine schmale Straße fährt man vor-
bei an Kühen, Schweinen und Schafen,
die Häuser werden weniger, irgendwann
versperrt ein Sicherheitsmann den Weg.
Hinter ihm haben sich am Donnerstag
Journalisten aus halb Europa versammelt,
Kameras sind auf das Grundstück gerich-
tet, das hinter einem kleinen Fluss und
vielen Bäumen liegt und gerade wieder
von der Polizei durchsucht wird.
Einer der Nachbarn läuft wenig später
durch seinen Garten, er hat den Mieter
Josef B. in den vergangenen Jahren oft ge-

grüßt, wenn der mit seinem Auto zu dem
Hof fuhr. „Er kam fast täglich. Ich dach-
te, er renoviert und zieht irgendwann
ein“, sagt der Nachbar. „Er wollte offen-
sichtlich seine Ruhe haben.“ Gewundert
habe ihn das nicht. „Viele Leute ziehen
her, weil sie ihre Ruhe haben wollen.
Aber eigentlich kennen wir uns alle gut,
insofern war das schon ungewöhnlich.
Wenn ich einen Hammer brauche, gehe
ich zu meinen Nachbarn.“
Einen Hammer hätte ihm wahrschein-
lich auch Josef B. geben können, wenn er
den Kontakt zu den Nachbarn nicht so
gemieden hätte. Bis zuletzt soll der Öster-
reicher als Tischler im wenige Kilometer
entfernten Meppel gearbeitet haben. In
seiner Werkstatt hatte er sich laut der
„Bild“-Zeitung eine „Mini-Wohnung
samt Kochnische“ gezimmert. Einer sei-
ner Auftraggeber sagte demnach, dass Jo-
sef B. sich immer um 15 Uhr verabschie-
det habe, um „im Garten zu arbeiten“.
Vier Stunden später sei er wiedergekom-
men und habe bis in die Nacht an seinen
Holzkonstruktionen gearbeitet. Wenn er
mal geredet habe, soll er über die Regie-
rung geschimpft oder gesagt haben, dass
man „zurück zur Natur“ müsse. Unange-
nehm sei er nur durch sein ungepflegtes
Äußeres aufgefallen.
Gearbeitet hat Josef B. früher wohl
auch in einem Geschäft in Zwartsluis, das
von der Polizei am Mittwoch durchsucht
wurde. Die Kleinstadt liegt etwa 17 Kilo-
meter von dem Bauernhof entfernt; bis
vor etwa zehn Jahren wurde in dem La-
den Holzspielzeug verkauft. Die Firma,
die dahinterstand, hatte laut dem Maga-
zin „Spiegel“ der verdächtige Vater 2004
angemeldet; 2005 habe Josef B. im Nach-
barort Meppel eine Firma mit fast demsel-
ben Namen gegründet. Auch der Unter-
nehmenszweck sei ähnlich gewesen; un-
ter anderem gab Josef B. an, Möbel und
Holzspielzeug herzustellen.
Bis 2008 arbeiteten die Männer wohl
zusammen, dann wurden kurz hinterein-
ander beide Firmen geschlossen. Das Ge-
schäft in Zwartsluis steht seitdem leer. An-
wohner dort haben den Vater ebenfalls

als einen Mann in Erinnerung, der viele
Kinder gehabt und kaum mit den Nach-
barn gesprochen habe. Josef B. gründete
2009 in Meppel noch mal eine neue Fir-
ma, wieder baute er seinen Angaben zu-
folge Möbel.
Was in den Jahren danach auf dem
Hof genau passierte, ist ein Rätsel. Als
die Polizei am späten Donnerstagabend
Journalisten in ihr Hochhaus in der nie-
derländischen Gemeinde Assen lud, konn-
te eine Sprecherin immerhin ein paar Fra-
gen beantworten: „Der zweite Verdächti-
ge ist 67 Jahre alt und wurde auf dem Hof
gefunden. Die anderen sechs Personen
sollen seine Kinder sein; sie sind zwi-
schen 18 und 25 Jahre alt.“ Bei den Behör-
den waren sie nie gemeldet: „Wir haben
Grund zu der Annahme, dass sie nicht
freiwillig in dem Haus geblieben sind.“
Der Vater werde der Freiheitsberaubung
und der Misshandlung verdächtigt, weil
er ihnen möglicherweise ärztliche Versor-
gung vorenthalten habe. Die Kinder sol-
len das Gelände seit 2010 nie verlassen
und auch keine Schule besucht haben. Sie
könnten aber niederländisch sprechen
und schreiben. Jetzt würden sie von Psy-
chologen und Sozialpädagogen betreut,
sagte die Sprecherin. „Viele Dinge sind
neu für diese Menschen.“ Auch dass ihr
Vater verhaftet wurde, sei für sie nicht ein-
fach gewesen.
Auf dem Hof fanden die Ermittler
eine große Summe Bargeld. Da die Her-
kunft nicht bekannt ist, werden der Vater
und Josef B. der Geldwäsche verdächtigt.
Bei der weiteren Durchsuchung des Bau-
ernhofes wurde am Samstag ein „Geld-
hund“ eingesetzt, der versteckte Geld-
scheine finden kann. Es wurde aber kein
weiteres Geld gefunden, sagte ein Spre-
cher der Staatsanwaltschaft. Außerdem
teilte er noch mit, dass der Vater bei den
Behörden vor zehn Jahren seine Auswan-
derung gemeldet und sich aus der nieder-
ländischen Einwohnermeldeliste habe
streichen lassen.
Die Ermittler untersuchen, ob eine Sek-
tenzugehörigkeit Ursache für die Lebens-
situation auf dem Hof ist. Die sogenannte

Moon-Sekte bestätigte, dass der Vater Mit-
te der achtziger Jahre kurz Mitglied der
Bewegung war. Der niederländischen Zei-
tung „AD“ sagte ein Sprecher der „Verei-
nigungskirche“: „Ich habe von älteren Mit-
gliedern gehört, dass der Vater eine sehr ri-
tuelle Person war und eine Gruppe mit sei-
ner Familie gegründet hat. Aber unsere Vi-
sion ist nicht, auf einem Bauernhof zu le-
ben und sich vor der Außenwelt zu verste-
cken.“
Zu Wort meldeten sich auch andere
Verwandte des Vaters: In einer Erklärung,
die von „Brüdern, Schwestern und einem
Sohn“ unterschrieben wurde, hieß es, dass
der Mann in den Achtzigern den Kontakt
zur restlichen Familie abgebrochen habe.
Die drei ältesten seiner insgesamt eigent-
lich neun Kinder – an die sich auch San-
dra S., die Nachbarin ausHasselt, erin-
nert – seien kurz vor dem Verschwinden
zu anderen Verwandten geflohen und
wüssten nicht, was danach passiert sei.
Mysteriös sind auch die Social-Media-
Beiträge, die der 25 Jahre alte Sohn veröf-
fentlicht haben soll, bevor er am Sonntag
in der Kneipe auftauchte. In Beiträgen
präsentierte sich der Mann im vergange-
nen Sommer mal meditierend auf einer
Wiese, ein anderes Mal vor einem Lap-
top. Nach einem Leben in Gefangen-
schaft hört sich das nicht an. Es ist bisher
aber auch nicht bestätigt, dass der Ac-
count wirklich von dem Sohn betrieben
wurde.
In Ruinerwold kehrte am Freitag lang-
sam wieder Ruhe ein. Henrik Boverhof
ist 75 Jahre alt, er bittet zum Gespräch
in seine gemütliche Wohnung an der
Hauptstraße. Ja, auch er habe Josef B.
manchmal gesehen, wenn er zum Fi-
schen rausgefahren sei. „Er hat nett ge-
grüßt, das war’s“, sagt er. „Niemand
hier im Dorf hat etwas davon mitbekom-
men. Es ist schon Wahnsinn.“ Ob er „ge-
schockt und ohnmächtig“ ist, wie der
Bürgermeister die Stimmung im Ort be-
schrieben hat? „Nein, das nicht“, sagt
Boverhof. „Aber es tut mir leid für die
Kinder. Und ich will wissen, was da wirk-
lich passiert ist.“

Eheähnliches Verhältnis: Schöneberger
und Meyer-Burckhardt Foto dpa

Vor einer Woche tauchte
ein verwirrter junger Mann
im niederländischen
Ruinerwold auf. Sein Fall,
und der seiner Familie, stellt
Ermittler vor ein Rätsel.

Von Sebastian Eder


Er hat nett gegrüßt, das war’s


Bauernhof in Ruinerwold: Die 18 bis 25 Jahre alten sechs „Kinder“, die hier lebten, sollen den Bauernhof seit 2010 nicht verlassen haben. Foto dpa
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