Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.10.2019

(Michael S) #1

SEITE 28·SAMSTAG, 26. OKTOBER 2019·NR. 249 Finanzen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


pik. FRANKFURT, 25. Oktober. Um 11
Uhr am ersten Weihnachtstag gehen in
Deutschland die Öfen an. Dann werden
die Gänse, Enten oder vegetarischen Auf-
läufe gebraten. Und die Energieversorger
wissen, dass die Nachfrage steigt. Früher
war das alles planbar, da kam der Strom
aus Kraftwerken, die dauerhaft liefen –
und die zusätzlichen Mengen konnten zu-
gekauft werden. Doch die Zeiten haben
sich gewandelt, weil Strom inzwischen zu
gut 40 Prozent aus erneuerbaren Quellen
erzeugt wird. Sie lassen sich nicht so zu-
verlässig steuern wie herkömmliche Kraft-
werke. „Es wird permanent nachgeregelt,
weil die Produktion wetterabhängig ist“,
sagt Steffen Köhler, operativer Vorstand
der EEX European Energy Exchange.
Dieser Wandel ist relevant für die Fi-
nanzmärkte, denn Energieversorger müs-
sen sich gegen Wetterunbill heute absi-
chern, denn die Produktion von Solar-
strom kann durch Wolken beeinträchtigt
werden. Der Windpark steht still, wenn
kein Lüftchen bläst. „Strom ist das neue
Öl“, sei schon von den Mineralölkonzer-
nen zu hören, führte Köhler am Donners-
tagabend auf einer Veranstaltung der nie-
derländischen Bank ABN Amro in Frank-
furt aus. „E-Mobilität ist in aller Munde.
Wir werden zubauen müssen, der Markt
rechnet mit einem Preisanstieg“, sagt er.
Es gebe immer mehr Anwendungsbeispie-
le dafür, dass sich Marktteilnehmer durch
Wetterderivate absichern, ergänzte Mike
Rinker, Rechtsspezialist der Fondsgesell-
schaft Union Investment: Neben Energie-
versorgern seien vor allem Landwirte in
hohem Maße abhängig. Durch das Wetter
seien in den vergangenen drei Jahren wirt-
schaftliche Schäden in Höhe von 595 Mil-
liarden Euro entstanden. Davon aber sei-
en nur 7 Prozent versichert. Auch aus die-
ser Ecke sei also Wachstum zu erwarten.
„Das schlägt sich auf den Wert des Unter-
nehmens nieder“, sagt Rinker.
Die Versicherungswirtschaft sichert
ihre Kunden in großem Umfang gegen
Wetterfolgen ab. Doch auf dem Feld der
Derivate ist sie inzwischen zurückhalten-
der unterwegs. „Wir haben Wetterderiva-
te mit parametrischem Trigger angeboten


  • also unabhängig vom Schaden. Die ha-
    ben nicht so abgehoben“, sagte Roland
    Vogel, Finanzvorstand der Hannover
    Rück, auf der Veranstaltung. Sein Unter-
    nehmen war 1998 aber an einer der ers-
    ten erfolgreichen Transaktionen einer Na-
    turkatastrophenanleihe (Catbond) betei-
    ligt. Diese Anlageklasse war fünf Jahre
    vorher geschaffen worden, weil Rückversi-
    cherer nach dem außergewöhnlich scha-
    denreichen Hurrikan Andrew zusätzliche
    Kapazität für solche Schäden schaffen


wollten. Inzwischen ist dieser Verbrie-
fungsmarkt (ILS, Insurance Linked Secu-
rities) zu einer relevanten Konkurrenz
für die Branche geworden. „Wetter ist un-
ser Geschäft“, sagt Vogel. Erst wenn in ei-
nem Land ein großer Schaden eintrete,
entstünden für die Rückversicherer neue
Wachstumschancen.
So sei Thailand im Jahr 2011 auf einen
Schlag zum bedeutenden Markt gewor-
den, als Überschwemmungen wochen-
lang die Zulieferketten durch einen Man-
gel an Chips lahmlegten. Während Rück-
versicherer in diesen Märkten ohne Scha-
denerfahrungen das versicherbare Feld
ausdehnen, bleiben die Catbond-Anleger
und andere alternative Investoren auf den
angestammten Märkten mit langjährigen
Schadenerfahrungen. „ILS konzentriert
sich auf gut modellierte Felder, damit sich
der Investor auf etwas stützen kann“, sagt

Vogel. Das sind vor allem Sturmrisiken in
Florida, Erdbeben in Kalifornien und Tai-
fune und Erdbeben in Japan.
In den vergangenen Jahren waren Rück-
versicherungs-Verbriefungen eine attrak-
tive Anlageklasse. Im Jahr 2018 etwa
brachten sie eine durchschnittliche Rendi-
te von 7 Prozent ein – etwas mehr als Ak-
tien, mit Anleihen ließen sich dagegen we-
niger als 5 Prozent verdienen, rechnete
Stefan Materne vor, Rückversicherungs-
Professor der Technischen Hochschule in
Köln. Die ILS-Anleger lassen sich nicht
abschütteln – auch nicht nach den Schä-
den der vergangenen Jahre. „Jetzt aber
werden die Investoren nervös“, sagt Ma-
terne. Denn 2018 und 2019 waren zusam-
mengenommen schadenträchtiger als je-
des andere Zwillingsjahr zuvor. Und der
Taifun Jebi habe sich aus einem banalen
Grund nicht kalkulieren lassen: Der
Wind blies aus der falschen Richtung und
konnte nicht adäquat gemessen werden.
„ILS ist eine neue Assetklasse“, sagt Vo-
gel. „Wenn ich vernünftig mit ihr umge-
he, ist das kein Casino.“

MOSKAU, 25. Oktober (dpa-AFX).
Die russische Notenbank hat ihren
Leitzins deutlich gesenkt. Der Leitzins
werde um 0,5 Prozentpunkte auf 6,5
Prozent reduziert, teilte die Notenbank
am Freitag in Moskau mit. 18 der von
der Nachrichtenagentur Bloomberg be-
fragten Volkswirte hatten den Schritt
erwartet, während 22 eine kleinere
Zinssenkung prognostiziert hatten.
Dies ist die vierte Zinssenkung im lau-
fenden Jahr.
Die Notenbank erwäge weitere Zins-
senkungen auf den nächsten Sitzun-
gen, heißt es in einer Mitteilung der No-
tenbank. Der Preisauftrieb schwäche
sich stärker als erwartet ab. Die Inflati-
onsrate war im Oktober unter 4 Pro-
zent gefallen. Die russische Notenbank
strebt eine Rate von 4 Prozent an. Zu-
dem befinden sich auch die amerikani-
sche Notenbank Federal Reserve (Fed)
und die Europäische Zentralbank
(EZB) auf Lockerungskurs, was
Schwellenländern wie Russland mehr
Spielraum gibt.

Mit dem Wetter Geld verdienen


Derivate und Verbriefungenwerden immer relevanter


FRANKFURT, 25. Oktober (Reu-
ters). Die Europäische Zentralbank
(EZB) und die chinesische Notenbank
haben ihr milliardenschweres Devi-
sen-Tausch-Abkommen verlängert.
Die gegenseitige Devisenkreditlinie
gelte zu unveränderten Bedingungen
für weitere drei Jahre bis zum 8. Okto-
ber 2022, teilten die Euro-Wächter am
Freitag in Frankfurt mit. Die EZB hat-
te im Oktober 2013 mit Chinas Noten-
bank PBoC eine Vereinbarung getrof-
fen, die sogenannte Währungs-Swap-
Geschäfte mit einem maximalen Volu-
men von 350 Milliarden Renminbi und
45 Milliarden Euro ermöglichen soll.
Damit wollen sie die Versorgung der
Banken in den beiden Währungsgebie-
ten mit der jeweiligen Auslandswäh-
rung sicherstellen. Die EZB kann da-
mit im Ernstfall auf plötzliche und zeit-
weise Verwerfungen am Markt für die
chinesische Währung reagieren. Hin-
ter dem Abkommen steht laut EZB der
wachsende Handel zwischen China
und der Eurozone.

fne. FRANKFURT, 25. Oktober. Ob
Sportwagen, Gemälde oder Schmuck: Lu-
xusgüter haben ihren Preis. Und der
nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Neu-
estes Beispiel ist Whisky. Hier wurde die-
se Woche wieder einmal ein neuer Re-
kord erzielt: Für eine einzige Flasche ei-
nes 60 Jahre alten Macallan 1926 Single
Malt aus Schottland wurden 1,5 Millio-
nen Pfund gezahlt – also rund 1,74 Millio-
nen Euro. Bislang war die teuerste Fla-
sche 1,2 Millionen Pfund wert – diese wur-
de vor elf Monaten versteigert. Damals
wechselte eine Flasche Macallan 1926
aus demselben Fass für 1,2 Millionen
Pfund den Besitzer. Zuvor wurde, eben-
falls wieder ein Macallan, für 848 750
Pfund verkauft. Zum Vergleich: Noch im
Jahr 2014 lag der höchste für einen Whis-
ky jemals erzielte Preis bei rund 470 000
Euro. Eine Flasche dieses Macallan koste-
te im Jahr 2007 sogar nur 75 000 Dollar.
Der Preis für Whisky steigt seit Jahren
stark an. Das geht aus mehreren Indizes
hervor. Über die vergangenen zehn Jahre
haben sich die teuersten Whiskysorten
um 540 Prozent verteuert, lässt sich dem
Knight Frank Rare Whisky 100 Index ent-
nehmen, der die Preisentwicklung der
100 seltensten Whiskys miteinander ver-
gleicht. Der Vergleich der 50 seltensten
Whiskys ergibt sogar ein Plus von 765 Pro-
zent in zehn Jahren – ums“Je seltener,
umso wertvoller“ ist momentan die Devi-
se. Zum Vergleich: Der deutsche Aktienin-
dex Dax gewann in diesem Zeitraum le-
diglich rund 140 Prozent. Dieses Jahr wur-
den die teuersten Whiskysorten aller-
dings nur rund 23 Prozent teurer. Andy
Simpson, der sich für diesen Index verant-
wortlich zeigt, kennt für den vergleichs-
weise moderaten Anstieg die Gründe:
Ein starker Preisverfall für Whiskys der
Sorte Macallan, gekoppelt mit einem ver-


gleichbar großen Angebot, habe den In-
dex etwas zum Stottern gebracht. Macal-
lan ist deswegen so wichtig, weil die Mar-
ke sich bewusst auf absolute Luxusspiri-
tuosen spezialisiert hat – was auch schon
die Rangliste der drei teuersten Whiskys
zeigt. „Im Jahr 2019 rechnen wir aber mit
einem deutlich besseren Resultat“, sagt
Simpson.
Ein Grund für den Höhenflug der Prei-
se ist vor allem die stark steigende Nach-
frage aus Asien. Auch wenn der neueste
Käufer nicht bekanntgegeben wurde, so
spricht doch vieles dafür. Dort wachsen
die Vermögen schnell, viele Superreiche
wohnen in China, Japan oder Singapur.
Europäische Luxusgüter genießen einen
Kultstatus. Beispiel Whisky: Es gebe ein
„riesiges Interesse an Whisky“, sagt Ri-
chard Harvey vom Auktionshaus Bon-
hams. „Überall im Fernen Osten werden
Whiskybars eröffnet.“ Ein Drittel bis 40
Prozent aller Verkäufe des Auktionshau-
ses gingen in diese Region. Auch unab-
hängig von der asiatischen Nachfrage
wird Whisky immer beliebter: Dazu gehö-
ren schottische Sorten wie Dalmore und
Port Ellen, aber auch japanische aus den
Destillerien von Karuizawa und Yamaza-
ki.
Die nun versteigerte Flasche ist Teil ei-
ner Kollektion, die aus 460 Whiskyfla-
schen und neun Whiskyfässern besteht.
Die Sammlung zählt nach Angaben des
Auktionshauses Sotheby‘s zu den wert-
vollsten der Welt und gehörte einem
Whisky-Enthusiasten aus den Vereinig-
ten Staaten. Die Flasche aus dem Macal-
lan-Fass Nummer 263 bezeichnete das
Auktionshaus als „Heiligen Gral“ des
Whiskys.
Was macht diesen nun so teuer? Das Al-
ter und der Wert von Whisky werden
nach der Zeit bestimmt, die dieser im
Fass gereift ist. Der nun verkaufte Macal-
lan wurde zum Beispiel im Jahr 1926 ge-
brannt und 1986 in Flaschen abgefüllt –
übrigens wie alle der drei teuersten Whis-
kys. Der nächste Punkt, mit dem der Ma-
callan punkten kann, ist die Seltenheit:
zwölf Flaschen wurde ein Etikett vom ita-
lienischen Künstler Valerio Adami gege-
ben. Weitere zwölf Flaschen wurden mit
einem Etikett von Peter Blake verschö-
nert, der auch das „Sgt. Pepper“-Album
der Beatles gestaltete. Zwei Flaschen wur-
den privat direkt verkauft. Und weitere
14 Flaschen gehören zu der nun verkauf-
ten „Fine and Rare“-Serie. Wie viele es da-
von noch gibt, ist unbekannt. Drei der Fla-

schen befinden sich noch im Besitz der
Destillerie. Sechs sind in diesem Jahr wie-
deraufgetaucht. Eine ging bei dem gro-
ßen Erdbeben in Japan im Jahr 2011 zu
Bruch. Und eine weitere soll einfach ge-
trunken worden sein.

Und was macht diesen Whisky nun so
besonders? Tim Triptree vom Auktions-
haus Christie’s, der dort eigentlich der in-
ternationale Direktor für Wein ist, lobt
überschwänglich die Liebe zum Detail
der Destillerie Macallan: Sie produziere

ausschließlich außergewöhnlich ge-
schmackvolle Whiskys, so der Fachmann.
Ihre Liebe zum Detail sei unglaublich,
und sie sei von der Qualität ihrer Produk-
te besessen. „Sie fahren sogar in spani-
sche Wälder, um nach einer speziellen Ei-
che zu suchen, damit sie das bestmögliche
Holz für ihre Fässer bekommen“, erzählt
er. Das sei entscheidend dafür, dass die
Whiskys nach 60 Jahren des Reifens nach
solch hochkonzentrierten, reichen und
vollmundigen Aromen schmeckten. Die
Farbe sei nach so langer Zeit im Holzfass
bernsteinfarben mit etwas Mahagoni.
Und der Geschmack? „Er ist unglaub-
lich komplex“, so Triptree. Der Ge-
schmack sei so konzentriert und er habe
so viele Aromen, dass er sich vorstellen
könne, dass er jedes Mal im Glas anders
schmecken und riechen würde. „Er
schmeckt nach Gewürzen des Waldes, ein
paar Vanilletöne sind drin und nussige Ei-
genschaften, Zimt, Weihnachtskuchen –
alle möglichen Aromen“, sagt Triptree.
Was er selbst mit so einem Whisky ma-
chen würde? „Er wurde produziert, um ge-
trunken und genossen zu werden“, so
Triptree – obwohl es ein ziemlich teures
Vergnügen wäre.
Und sonst? Auch Wein verkauft sich
sehr gut im Moment. In den vergangenen
zehn Jahren stieg der entsprechende In-
dex um 142 Prozent, in den vergangenen
zwölf Monaten immerhin noch um 9 Pro-
zent. „Guter Rotwein aus Burgund hat
den Index angetrieben, war aber auch für
die größten Kursstürze verantwortlich“,
sagt Nick Martin, der den Wine-Owners-
Index zusammenstellt. „Das reflektiert
die Volatilität von ,Blue-Chip-Herstel-
lern‘ wie Rousseau und Domaine de la Ro-
manée Conti, die schwindelerregende Hö-
hen erreicht.“ Spezialisierte Weingüter
hätten mehr Probleme, so sei der Burgun-
der-Index in diesem Jahr um 10 Prozent
gefallen – sei aber immer noch über zehn
Jahre mit 191 Prozent im Plus.
Wein wird allerdings anders bewertet
als Whisky: Der Wert von Wein wird nach
dem Jahr der Ernte der Traube bestimmt.
Die Flaschen werden für gewöhnlich 16
bis 24 Monate nach der Ernte abge-
füllt – das heißt, der alte Wein steckt in ei-
nem fast ebenso alten Gefäß. Der inoffi-
ziell teuerste Wein der Welt wurde im
Jahr 2000 für 424 000 Euro ersteigert. Es
ist ein Screaming Eagle Cabernet Sauvi-
gnon, Jahrgang 1992, für eine 6-Liter-
Weinflasche. Da er aber auf einer Wohltä-
tigkeitsauktion ersteigert wurde, fließt er
nicht in die offiziellen Ranglisten mit ein.

EZB verlängert


Abkommen mit China


Russische


Notenbank senkt


Leitzins deutlich


1,7 Millionen Euro für eine Flasche Whisky


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Nicht immer scheint die Sonne. Foto dpa


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Preise sind in den


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