Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.10.2019

(Michael S) #1

SEITE 4·SAMSTAG, 26. OKTOBER 2019·NR. 249 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


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bub.BERLIN, 25. Oktober. Bundesjus-
tizministerin Christine Lambrecht
(SPD) will bis zum Ende des Jahres ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen, um Kinder-
rechte im Grundgesetz zu verankern.
Am Freitag präsentierte sie den Ab-
schlussbericht einer Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe. 25 Vertreter aus den Res-
sorts Justiz und Familie hatten im Juni
des vergangenen Jahres ihre Arbeit auf-
genommen. SPD und Union hatten im
Koalitionsvertrag vereinbart, Kinder-
rechte im Grundgesetz zu verankern.
„Kinder haben besondere Bedürfnis-
se, sie brauchen unseren besonderen
Schutz“, sagte Lambrecht am Freitag.
Zwar fielen Kinder auch jetzt schon un-
ter die im Grundgesetz verankerten
Grundrechte, allerdings seien ihre spezi-
fischen Bedürfnisse nicht berücksichtigt.
„Kinder sind keine kleinen Erwachse-
nen“, so Lambrecht. „Wir wollen verdeut-
lichen, welchen hohen Stellenwert Kin-
der und ihre Rechte für uns haben.“ Das
Bundesverfassungsgericht habe wieder-
holt auf die besondere Schutzwürdigkeit
von Kindern hingewiesen. Dies solle
jetzt auch in der Verfassung als der
Werteordnung der Gesellschaft abgebil-
det werden. Aus einem Kindergrund-
recht selbst lassen sich allerdings unmit-
telbar keine Rechte ableiten, weder ein
Anspruch auf eine Kindergrundsiche-
rung noch ein Wahlrecht ab der Geburt.
Hier besteht ein Gestaltungsspielraum
des Gesetzgebers, der sich allerdings zu
neuen Initiativen zum Kindeswohl ermu-
tigt fühlen könnte, sobald Kinderrechte
im Grundgesetz verankert sind.
Bei der Grundgesetzänderung gehe es
nicht darum, dem Staat größeren Ein-
fluss auf das Eltern-Kind-Verhältnis zu
geben, sagte Lambrecht. Insbesondere in


der Union gibt es die Befürchtung, dass
eine stärkere Betonung der Kinderrechte
die Rechte der Eltern beschneiden kön-
ne. Elternrechte und die Elternverant-
wortung würden nicht beeinträchtigt,
sagte hingegen Lambrecht. Allerdings
sind Kinder insbesondere dann auf
Schutz angewiesen, wenn sie von ihren
eigenen Eltern misshandelt werden. So
verhielt es sich etwa im Staufener Miss-
brauchsfall, der vor zwei Jahren für Ent-
setzen sorgte, weil eine Frau gemeinsam
mit ihrem Lebensgefährten ihren Sohn
und ein Mädchen mehrfach vergewaltigt
und gegen Geld an pädokriminelle Män-
ner vermittelt hatte. Die zuständigen Be-
hörden und Gerichte hatten die Gefah-
renlage für die Kinder falsch einge-
schätzt, was wohl auch daran lag, dass
die Kinder nicht angehört wurden. Eine
Verankerung im Grundgesetz, so die
Hoffnung, würde dazu führen, dass Ge-
richte und Behörden die Kinder vor ih-
ren Entscheidungen anhören, beteiligen
und ihre Rechte berücksichtigen.
Das Kindergrundrecht soll in Artikel
6, dem Familiengrundrecht, als zusätzli-
cher Absatz aufgenommen werden. Um-
stritten ist noch die konkrete Formulie-
rung. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe
hat drei Vorschläge unterbreitet. In allen
Varianten geht es um das Recht der Kin-
der auf Achtung und Schutz seiner
Grundrechte. Unterschiede bestehen in
der Frage, inwiefern das Kindeswohl bei
staatlichen Handlungen berücksichtigt
werden muss. Die erste Variante sieht
vor, dass das Kindeswohl „angemessen“
zu berücksichtigen ist, die zweite spricht
von „wesentlich“, die dritte von „vorran-
gig“. Welche der Varianten umgesetzt
wird oder ob es eine vierte wird, daran ar-
beitet jetzt das Bundesjustizministerium.

FRANKFURT, 25. Oktober


A


ls es um die Zukunft Brandenburgs
geht, blickt Dietmar Woidke erst
mal zurück. Der Ministerpräsident
erinnert daran, wie die Brandenburger vor
30 Jahren die Wende meisterten. Sie hät-
ten damals großen Mut bewiesen. Da wird
am Freitagmittag im Raum der Landes-
pressekonferenz in Potsdam schnell klar,
dass Woidke eine große Geschichte erzäh-
len will: Denn Mut hätten auch die Ver-
handler von SPD, CDU und Grünen bewie-
sen, als sie sich auf den Weg machten,
eine Koalition zu bilden. „Die Geschichte
des Mutes wollen wir als Koalition für un-
ser Land weiterschreiben“, sagte der SPD-
Mann Woidke unbescheiden.
Nüchtern bis heiter gestimmt sitzen die
drei Chefverhandler der „Koalition der
Mitte“ nebeneinander. Dabei tragen in
den Verhandlungen SPD und CDU histo-
risch schlechte Wahlergebnisse noch im-

mer mit sich. Die Grünen waren hingegen
einer der wenigen Gewinner der Wahl.
Das Vertrauen zwischen den ungleichen
Partnern sei über die acht Wochen, die
seit der Wahl vergangen sind, gewachsen,
betonen alle. Der CDU-Mann Michael
Stübgen wirkt äußerst gut gelaunt. Immer-
hin wird die CDU mitregieren, sie hat so-
gar das Justiz- und das Innenministerium
rausverhandelt. Woidke, der lange selbst
Innenminister in Brandenburg war, sagte,
es sei ihm schwergefallen, das Innenminis-
terium abzugeben, auch wenn es nun in gu-
ten Hände liege. Stübgen wird es dem Ver-
nehmen nach führen. Er sagt, im Koaliti-
onsvertrag stünden jetzt ein paar Sachen,
die er nicht reingeschrieben hätte. Dafür
stünden aber auch CDU-Forderungen
drin, die die anderen nicht gebraucht hät-
ten. Die SPD bekommt fünf Ministerien,
die CDU drei, die Grünen zwei. Es wird
sich zeigen, ob die Koalitionäre einander
Erfolge auch werden gönnen können.
Die Koalition versucht, aus der Schwä-
che an Kohärenz eine Tugend zu machen.
Sie betont unentwegt, dass diese Kenia-
Koalition „unzeitgemäß gewordene Ge-
gensätze“ überwinden will. Es sei an der
Zeit, die „Ziele von Freiheit und Sicher-
heit, von sozialem Fortschritt und gesell-
schaftlicher Stabilität, von Heimatverbun-
denheit und Weltoffenheit, von Vielfalt
und Zusammenhalt, von ökonomischer
Vernunft und ökologischer Nachhaltig-
keit“ zusammenzubringen.
Konkret bedeutet das, dass sich die Ko-
alitionäre zu einem „starken Staat“ beken-
nen. Es soll mehr Polizisten, Richter und
Staatsanwälte geben. Ein schwieriger
Punkt ist der Umgang mit der Lausitz.

SPD, CDU und Grüne haben sich darauf
geeinigt, dass es dort keine neuen Tage-
baue mehr geben soll. Überhaupt habe die
Klimapolitik eine herausgehobene Bedeu-
tung bei der Regierungsarbeit, sagte Ursu-
la Nonnemacher, Grünen-Verhandlerin
und designierte Ministerin für Gesund-
heit, Pflege und Soziales. Die Lausitz-Re-
gelung war allerdings die Minimalforde-
rung der Grünen. Die Koalition folgt nun
lediglich den Empfehlungen der Kohle-
kommission, was auch bedeutet, dass der
Kohleausstieg bis spätestens 2038 erfol-
gen muss, bei entsprechenden Rahmenbe-
dingungen aber auch schon 2035 möglich
ist. Bis spätestens 2050 soll Brandenburg
klimaneutral sein, die Koalition will „zü-
gig“ einen Klimaplan aufstellen.
Die drei Parteien planen außerdem mas-
sive Investitionen. Es soll ein sogenannter
Zukunftsinvestitionsfonds mit einem Son-
dervermögen von einer Milliarde Euro auf-
gelegt werden. Das Geld soll für Projekte
der Regionalentwicklung, des Klimaschut-
zes und der Infrastruktur verwendet wer-
den. 2022 soll das vorletzte Kita-Jahr bei-
tragsfrei sein, zwei Jahre später sollen
dann die Gebühren für die gesamte Kin-
dergartenzeit entfallen.
CDU und Grüne werden nun zum Koali-
tionsvertrag jeweils noch einen Mitglie-
derentscheid abhalten, bei der SPD wer-
den die Delegierten auf einem Sonderpar-
teitag entscheiden. Die wirklich hohen
Hürden sind aber schon genommen wor-
den, als vor allem die Basis der Grünen
für die Sondierung des Bündnisses mit
CDU und SPD gewonnen wurde. Ende No-
vember könnte Woidke dann von den Ab-
geordneten zum Ministerpräsidenten wie-
dergewählt werden.

ELMAU, 25. Oktober. Unter den Mi-
nisterpräsidenten der Bundesländer
steigt die Chance auf Einmütigkeit,
wenn es bei der Jahreskonferenz gutes
Essen gibt. So war es offenbar auf
Schloss Elmau nahe Garmisch-Parten-
kirchen. Oder wenn es gegen den Bund
geht. Im Moment sorgen sie sich von
Bayern bis Schleswig-Holstein, dass
der Bund das Klimapaket nutzen könn-
te, um die finanzielle Ausstattung zu
seinen Gunsten zu verändern. In einer
einstimmig beschlossenen Erklärung
wird beklagt, dass „die für das Klima-
schutzprogramm eingepreisten Ein-
nahmen grundsätzlich ausschließlich
beim Bund verbleiben“ sollten. Zu-
gleich, so hoben der bayerische Minis-
terpräsident Markus Söder (CSU) und
der Erste Bürgermeister von Hamburg,
Peter Tschentscher (SPD), hervor, gin-
gen Ländern und Kommunen in den
kommenden vier Jahren 2,5 Milliarden
Euro verloren, etwa durch die Senkung
der Mehrwertsteuer auf Bahntickets.
Im Übrigen, so fügten die Vertreter
von B- und A-Ländern hinzu, unter-
nähmen Länder und Kommunen
selbst erhebliche Anstrengungen im
Klimaschutz, was auch sehr viel Geld
koste. Es bedürfe einer „angemesse-
nen Lastenverteilung“, so heißt es in
der gemeinsamen Erklärung. Mindes-
tens verlangen die Länder „eine voll-
ständige Kompensation“ der Minder-
einnahmen.
Die Länder konnten sich außerdem
darauf verständigen, die Neigung des
Bundes zu weiterer Zentralisierung zu
beklagen. Auch da geht es nicht zuletzt
ums Geld. Sie pochen auf einen „aufga-
bengerechten Anteil am Steueraufkom-
men als eigene Finanzmittel“, so, wie
es im Grundgesetz vorgesehen sei.
Was künftig vermieden werden soll:
dass der Bund die Länder mit zeitlich
befristetenAnschubfinanzierungen kö-
dert – als Beispiel wurde der „Pakt für
den Rechtsstaat“ zur besseren Ausstat-
tung von Polizei und Justiz genannt –
und dies für die Aneignung von Steue-
rungs- und Kontrollrechten nutzt,
während die Länder schauen müssen,
wie sie die unbefristeten Aufgaben
schultern.
Woran auch Schweinsbraten und
Kaiserschmarrn nichts ändern konn-
ten, war der Dissens in der Bildungspo-
litik. Zwar gab es ein gemeinsames Be-
kenntnis zum Bildungsföderalismus;
die Bayern und die Baden-Württember-
ger blieben aber bei ihrer Ablehnung
des „Nationalen Bildungsrats“, auf den
sich die große Koalition im Bund ei-
gentlich schon geeinigt hatte und der
Vorschläge für mehr Qualität und Ver-
gleichbarkeit im Bildungswesen vorle-
gen sollte. Die Südländer fürchten, sie
könnten dadurch auf das aus ihrer
Sicht niedrigere Niveau anderer Län-
der heruntergezogen werden. Umge-
kehrt sperrten sich die A-Länder ge-
gen die Initiative von Bayern, Baden-
Württemberg und Nordrhein-Westfa-
len für einen „Föderalismus der zwei
Geschwindigkeiten“. (tifr.)

bub.BERLIN, 25. Oktober. Die Zuschlä-
ge für Beamte werden deutlich erhöht,
um die Attraktivität des Bundes als
Dienstherr zu steigern. Das hat der Bun-
destag am Freitag mit breiter Mehrheit be-
schlossen. Gerade in Mangelbereichen
wie der IT ist es für den Bund mit seiner
festen Besoldungsstruktur zunehmend
eine Herausforderung, Fachkräfte anzu-
werben. Daher wird die Besoldung künf-
tig flexibilisiert. In Mangelbereichen
kann eine bis zu 30-prozentige Prämie bis
zu zwölf Jahren gewährtwerden. Drohen-
de Abwanderung von Fachkräften kann
der Bund künftig zudem mit einer Binde-
prämie abwehren.
Zudem bekommen Bundespolizisten,
Soldaten und sonstige Beamte für beson-
dere Einsätze im Ausland mehr Geld. Ge-
meint sind damit etwa Ausbildungsmissio-
nen in Krisenländern oder humanitäre
Einsätze. Wer schon länger im Dienst ist
und die höchste Erfahrungsstufe erreicht
hat, soll pro Einsatztag einen Netto-Zu-
schlag von 145 Euro bekommen. Besonde-
re zeitliche Belastungen von Soldaten wer-
den künftig pauschal mit 91 Euro pro Tag

brutto vergütet. Auch die Stellenzulagen
werden erhöht: Die Polizeizulage steigt
um 40 Prozent auf 190 Euro. Im mariti-
men Bereich von Bundespolizei, Zoll, Bun-
deswehr und Wasserstraßen-/Schifffahrts-
verwaltung werden die Erschwerniszula-
gen mit der Stellenzulage zusammenge-
fasst und ebenfalls um 40 Prozent auf 136
bis 350 Euro erhöht. Im Sicherheitsbe-
reich werden Stellenzulagen für die Nach-
richtendienste und im Bundesamt für Si-
cherheit in der Informationstechnik deut-
lich erhöht. Überdies werden für den
Bund neue Stellenzulagen für zentrale
und sicherheitskritische IT-Bereiche einge-
führt, etwa für die Zentrale Stelle für Infor-
mationstechnik im Sicherheitsbereich.
Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) sagte, die Neuregelung trage „we-
sentlich dazu bei, den Bund als attrakti-
ven Arbeitgeber wettbewerbsfähig zu hal-
ten“. „Wir stärken die Gesamtheit des öf-
fentlichen Dienstes: Polizei, Nachrichten-
dienste, Zoll, Bundeswehr und die allge-
meine Verwaltung. Zudem erhöhen wir
die Besoldungsgerechtigkeit und bauen
Bürokratie ab.“

elo.BERLIN, 25. Oktober. Nach der CSU
wird sich im nächsten Monat auch die
CDU auf einem Parteitag damit auseinan-
dersetzen, wie mehr Frauen in Ämter und
Mandate kommen können. Die CDU-
Frauen-Union hat dazu zwei Anträge für
das Treffen Ende November in Leipzig
vorgelegt. In diesen wird unter anderem
gefordert, bei der Auswahl der für die
CDU so wichtigen Wahlkreiskandidaten
mehr Frauen zu berücksichtigen.
Zu diesem Zweck soll das Statut der
CDU dahin gehend geändert werden,
dass die Vorstände der entscheidungsbe-
rechtigten Organisationseinheiten bei Di-
rektkandidaturen „auf eine insgesamt
gleichmäßige und ausgewogene Beteili-
gung von Frauen und Männern bei den ge-
nannten Mandaten auf allen parlamenta-
rischen Ebenen in ihrem Einflussbereich
hinzuwirken haben“, heißt es in einem
der Anträge. Da die CDU viele Direkt-
mandate gewinnt, ist das noch wichtiger
als die Berücksichtigung von Frauen auf
den Listen. Zu diesen heißt es in dem An-
trag, das Frauenquorum im Parteistatut
sei so zu ändern, dass unter zwei aufeinan-

derfolgenden Listenplätzen jeweils min-
destens eine Frau vorzuschlagen sei. In ei-
nem zweiten Antrag fordert die CDU-
Frauen-Union, dass der CDU-Generalse-
kretär jährlich berichte, wie hoch der
Frauenanteil in öffentlichen Wahlämtern
und Mandaten ist. Der CSU-Vorsitzende
Markus Söder konnte seine Pläne für eine
verpflichtende Frauenquote auf dem Par-
teitag am vorigen Wochenende nur in ab-
geschwächter Form durchsetzen.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stif-
tung veröffentlichte kürzlich eine reprä-
sentative Studie, derzufolge 78 Prozent
der Wahlberechtigten dafür seien, dass
Frauen mehr verantwortungsvolle Positio-
nen übernähmen. Vor allem Frauen
wünschten sich mehr Frauen (83 Pro-
zent), während die Zustimmung der Män-
ner mit 72 Prozent etwas zurückhaltender
ausfalle, heißt es in der Studie. Die Mei-
nungen der Grünen-Anhänger und der
Anhänger der AfD stünden sich diametral
entgegen. Mit 87 Prozent ist die Zustim-
mung bei den Grünen-Anhängern am
höchsten und mit 57 Prozent bei den An-
hängern der AfD am niedrigsten.

HAMBURG, 25 Oktober.Es ist nicht
so, dass Bruno D. sich gar nicht erin-
nern könnte. Er ist jetzt 93 Jahre alt,
und 17 Jahre war er jung, als er 1944 als
Wachmann ins Konzentrationslager
Stutthof nahe Danzig geschickt wurde.
Im Hamburger Prozess antwortet Bru-
no D. als Angeklagter meist geduldig
auf die Fragen der Richterin zu dieser
Zeit. Dass er hin und wieder doch sagt,
dass er sich nicht erinnern könne, muss
man also nicht unbedingt erstaunlich
finden. Viel erstaunlicher ist aber, was
Bruno D. alles nie gewusst und bespro-
chen haben will. Zum Beispiel, was ge-
nau in der Gaskammer passiert ist. Und
warum die Menschen, die dort hineinge-
führt worden waren, erst schrien und es
ein paar Minuten später ruhig wurde.
Freitag war der vierte Verhandlungs-
tag im Prozess gegen den früheren SS-
Wachmann Bruno D. und der zweite,
an dem er ausführlich aussagte über sei-
ne Zeit in Stutthof. Mitte 1944 wurde er
dorthin geschickt, da er für den Dienst
an der Front nicht tauglich war, und im
August – gegen seinen Willen, wie er
sagt – wurde er in die SS aufgenommen.
Von da an wachte Bruno D. auch auf
den Wachtürmen entlang der Außen-
zäune. Einer davon stand bei der Gas-
kammer, daneben war das Krematori-
um. Bruno D. ist in Hamburg der Beihil-
fe zum Mord in mindestens 5230 Fällen
angeklagt. Als Wachmann soll er dazu
beigetragen haben, dass die Tötungsma-
schine immer weiterlaufen konnte.
Bruno D. hat bestätigt, auf dem
Wachturm gestanden zu haben. Zu den
wichtigen Fragen, die der Prozess klä-
ren muss, gehört, was er gesehen und


gewusst hat. Und ob er etwas hätte an-
ders machen können. Am Freitag er-
zählt Bruno D. von seiner Ankunft im
Lager. Er sagt, es habe keinen Rund-
gang gegeben und keine Einweisung. Er
habe also gar nicht genau gewusst, wer
eigentlich genau dort festgehalten wor-
den sei. Es sei nur „gemunkelt“ worden,
dass es nicht nur Strafgefangene seien,
sondern auch Juden. Auch so gibt er an,
nicht viel über das Lager, seinen Zweck
und selbst seine eigenen Aufgaben und
Pflichten als Wachmann gewusst zu ha-
ben. Er habe mit seinen Kameraden
nicht über Politik gesprochen oder dar-
über, was im Lager passiert. Nur manch-
mal habe er bei deren Gesprächen et-
was mitbekommen. Das gilt auch für
die Existenz der Gaskammer, die er
vom Turm aus sehen konnte.
Bruno D. sagt: „Ich habe gesehen,
dass Leute reingeführt wurden in die
Gaskammer.“ Die Tür sei verschlossen
worden. Kurz danach habe er Schreie
und Gepolter vernommen. „Ich wusste
nicht, was mit den Leuten geschieht.“
Immer wieder fragt die Richterin nach.
Er habe nicht gewusst, dass die Men-
schen vergast worden seien, sagt er. Die
Richterin sagt: „Das können Sie mir
doch nicht erzählen.“ Er bleibt dabei.
Auch als er von dem Tag erzählt, an
dem Menschen einzeln aus der Gaskam-
mer in das Krematorium geführt wur-
den und nicht wieder herauskamen. Er
will nicht gewusst haben, warum. Sie
wurden erschossen. Die Anklage geht
davon aus, dass Bruno D. „teilweise bis
ins Detail“ Kenntnis gehabt hat von den
Vorgängen im Lager. Bis Mitte Dezem-
ber soll der Prozess gehen.

tifr.MÜNCHEN, 25. Oktober. Das Baye-
rische Landeskriminalamt sieht es als er-
wiesen an, dass Ali David S., als er am



  1. Juli 2016 neun Menschen am Münch-
    ner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) er-
    schoss – alle mit Migrationshintergrund
    oder Sinti –, aus einer „rechtsradikalen
    Gesinnung“ heraus handelte. Zwar sei
    bei der Tat von einem „Ursachen-/Motiv-
    bündel“ auszugehen. Dazu gehörte etwa
    die psychische Erkrankung des Täters,
    der sich schließlich selbst erschoss. Die
    Ermittlungen hätten aber ergeben, dass
    die Rache für das erlittene Mobbing
    durch Mitschüler mit deutscher, deutsch-


türkischer, polnischer, serbischer und
bosnisch-hercegovinischer Nationalität
„maßgeblich zu der Tat geführt hat“. Auf-
fällig sei der Hass des Täters, der die
deutsche und die iranische Staatsbürger-
schaft hatte, auf die Herkunftsländer sei-
ner Mitschüler gewesen. Es gebe Anhalts-
punkte, dass der Täter seine Opfer „auch
auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit und
Herkunft ausgesucht hat“. Man bewerte
die Tat als „politisch motivierte Gewalt-
kriminalität – rechts“. Ermittler hatten
die Tat zunächst als nicht politisch moti-
viert eingestuft, was zu heftiger Kritik ge-
führt hatte.

Beamte bekommen mehr Geld


Seehofer: Bund als Arbeitgeber wettbewerbsfähig halten


Kinderrechte ins Grundgesetz


Lambrecht: Bedürfnisse besonders berücksichtigen


CDU für höheren Frauenanteil


Frauen-Union legt Anträge für Parteitag vor


„Ich wusste nicht,


was mit den Leuten geschieht“


Prozess gegen SS-Wachmann / Von Matthias Wyssuwa


Der Zweck heiligt die Mitte


Gemeinsamer


Feind


Länder wollen finanziellen
Ausgleich vom Bund

Rechtsradikale Gesinnung gilt als erwiesen


Für die Herstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet.


InBrandenburg haben


sich drei sehr


unterschiedliche


Parteien schnell auf


einen Koalitionsvertrag


geeinigt. SPD, CDU


und Grüne wollen


„mutig“ sein.


Von Mona Jaeger


Einer überragt sie alle:Ministerpräsident Woidke (SPD) mit den Verhandlern von CDU und Grünen am Freitag in Potsdam Foto dpa

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