Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1

schleife in den Nachrichten zu laufen. Die


Bilder ähneln sich.


Als Gustav Schröder am 13. Mai 1939 mit

der „St. Louis“ in Hamburg ablegt, ahnen


weder er noch seine Passagiere, welch eine


Odyssee ihnen bevorsteht. Ziel der Reise


ist Havanna. Hier wollen die Juden Schutz


suchen vor dem Naziregime, das einige von


ihnen schon in Konzentrationslager ge-


schickt hatte. Alle Passagiere sind im Besitz


von Touristenvisa für Kuba.


Doch als Kapitän Schröder nach zwei


Wochen Überfahrt in Havanna einlaufen


will, verweigert die kubanische Regierung


dem Schiff der Hamburg-Amerika-Li-


nie (Hapag) die Einreise. Die meisten Visa


werden für ungültig erklärt, nur 22 deut-


sche Juden dürfen von Bord.


Die „St. Louis“ liegt nun in der Bucht von

Havanna und muss warten. Kapitän Schrö-


der verhandelt mit der Regierung, aber


es geht nicht voran. Vertröstungen, vage


Versprechungen, mehr kommt von kuba-


nischer Seite nicht. Die Ängste der Passa-


giere werden von Tag zu Tag größer. Warum


will man uns nicht? Warum werden wir wie


Aussätzige behandelt?


Ein Passagier versucht sich das Leben zu

nehmen, und Schröder hat alle Mühe, die


Menschen zu beruhigen und gleichzeitig


nach einer Lösung zu suchen.


Hier setzt der Fernsehfilm „Die Unge-


wollten“ an. Das Hoffen und Bangen der


Passagiere an Bord inszeniert Ben von Gra-


fenstein als beklemmendes Kammerspiel.


Da ist Martha Stern, dargestellt von Britta


Hammelstein, die ihrem Kind verspricht,


dass alles gut wird, obwohl sie selbst nicht


mehr daran glaubt. Da ist der Stewart Otto
Hendrich (Florian Panzner), ein strammer
Nazi, der die Juden verachtet und ihnen das
Leben so schwer wie möglich macht an
Bord der „St. Louis“. Und da ist der stille
Gustav Schröder (Ulrich Noethen), mehr
Diplomat als Kapitän, der funkt und Tele-
gramme schickt, um doch noch anlanden
zu dürfen und bloß nicht nach Deutsch-
land zurückkehren zu müssen.
Währenddessen spielt die Weltpolitik
verrückt. Nicht nur Kuba verschließt sich
den Flüchtlingen, auch die Vereinigten
Staaten und Kanada. Niemand will die
Juden, auch die Feinde Hitlers nicht.
US-Präsident Franklin D. Roosevelt ist im
Wahlkampf, sein Land leidet unter hoher
Arbeitslosigkeit, ein Schiff mit jüdischen
Flüchtlingen aufzunehmen hält er für das
falsche Signal. Auch Kanadas Premier-
minister William Lyon Mackenzie King
weist Schröders Anfrage zurück. In Euro-
pa zunächst ein ähnliches Bild, eine
Ablehnung folgt der anderen. Die Juden
sind heimatlos auf hoher See.
Der TV-Film „Die Ungewollten“ ist
Bildungsfernsehen im besten Sinne.
Geschickt werden historische Filmauf-
nahmen eingefügt, ohne dass dies den
Erzählfluss der Geschichte hemmen wür-
de. Ein Herzstück sind die Interviews mit
Zeitzeugen, wie zum Beispiel mit Phil
Freund, der als Junge an Bord der „St. Louis“
war und später in die USA auswanderte. Er
sagt: „Die Menschen waren völlig verzwei-
felt, weil die wussten, dass sie getötet wür-
den, wenn sie zurück nach Deutschland
müssen. Ob Hamburg, Bremerhaven oder
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