Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1
Schloss Marienlay,
Sitz des Guts
Reichsgraf von
Kesselstatt. Die
verstorbene Chefin
Annegret Reh-
Gartner erkämpfte,
dass der in Verruf
geratene Begriff
„lieblich“ durch
„feinherb“ ersetzt
werden durfte

te Innovation der Matronin war die Durch-
setzung des Begriffs „feinherb“.

Die Frau, die nicht lieblich sein wollte
Die Mosel war lange Zeit für ihre lieblichen
und zum Teil allzu süßlichen Weine ver-
schrien. Als man sich in der Region dem
Trend gemäß den trockenen Rieslingen zu-
wandte, begehrte Reh-Gartner auf. „Sie zog
vor Gericht, um eine Änderung im Wein-
baugesetz durchzusetzen“, sagt Steffen. „Es
ging ihr darum, manchen charakter-
starken Wein vom Ruch des Lieblichen zu
befreien.“ Nun also durfte Weine dessen
Restzuckgehalt oberhalb von „trocken“
liegt, aber noch trocken schmeckt, ganz
offiziell „feinherb“ heißen. Das klingt ein
wenig sektiererisch, für die Moselries linge
war es revolutionär.
Stolz führen Steffen und ihr Kollege, der
Önologe Wolfgang Mertes, durch die gi-
gantischen Räume, die sich in und unter
dem Schloss Marienlay erstrecken. Auch
das gehört zum Erbe der verstorbenen
Chefin: ein völlig neues Kelterhaus, das an-
geblich „zurzeit modernste Europas“. Fünf
Millionen Euro hat man investiert. „Und

trotzdem bleiben wir am Ende von der
Natur abhängig und vom Handwerk“, sagt
Mertes, der Entscheidungen treffen muss,
die für das Gelingen ganzer Jahrgänge
maßgeblich sind. Etwa ab wann geerntet
wird. „Als Kellermeister hat man einen Job,
der mit dem eines Fußballtrainers ver-
gleichbar ist: Alle wissen am besten, wie
man es hätte machen sollen.“
Mona Steffen und Michael Weber ge-
hören zu einer neuen Generation des
Weinbaus, die sich aufmacht, mit letzten
überkommenen Traditionen zu brechen.
„Lange Zeit galt der Ellenbogen als einer
der wichtigsten Körperteile der Weinbau-
ern“, sagt Steffen. „Mein Großvater wäre lie-
ber verdurstet, als den Wein eines anderen
Winzers zu trinken.“ Ihre Generation sei die
erste, die den Zusammenhalt und eine völ-
lig neue Kollegialität versucht. Gelernt hat
man das auch bei Auslandsaufenthalten,
die längst zur Ausbildung gehören.
Vermutlich bedarf es dieser internatio-
nalen Gelassenheit, um sich auch auf man-
che gute alte Idee wieder einzulassen. Im
Falle des Kesselstatt-Teams ist es die Rück-
besinnung auf die drei Flüsse, die das Wein-
baugebiet insgesamt ausmachen. Zuguns-
ten der Vermarktbarkeit hatte man Saar
und Ruwer von den Etiketten verbannt und
unisono zu Moselweinen erklärt. Nun dür-
fen die vernachlässigten Geschwister zu-
rückkehren. Dahinter steckt nicht nur die
Abstammung der Akteure – Steffen ist an
der Saar und Mertes an der Ruwer aufge-
wachsen. „Uns kommt keiner hier raus,
ohne die unterschiedlichen Rieslinge von
den drei Flüssen verkostet zu haben“, sagt
sie und steckt ihre Nase tief in das Glas mit
Ruwerriesling. „Riechen Sie die Kühle?“
Sollte man Kühle riechen können?, fragt
man und tut es ihr gleich. Tatsächlich
scheint es aus dem Glas frisch herauszu-
wehen, so wie unten an dem Flüsschen,
als man es nach längerem Suchen hinter
Büschen entdeckt hat.
In einem Weingut direkt an der Schlei-
cher Moselinsel blickt eine Winzerin auf
ein altes Foto, das gerahmt in der Probier-
stube hängt. Es zeigt Sigrid Reh als junge
Weinkönigin, als sie noch für eine große
Kellerei als Chefsekretärin gearbeitet hat-
te. „Wein gehört immer schon zu unserem
Leben“, sagt Winfried Reh. Schon als Kind
sei er „für ein paar Groschen in die Wein-
berge gegangen und habe geholfen.“ Dann
wagten sie den Bruch mit der Konvention.
Wie das Paar ihr eigenes junges Weingut
anpackte, konnten wenige nachvollziehen.
Sie kauften sich bewusst in Lagen ein, die
allgemein als schwer bewirtschaftbar gal-
ten.„Die haben uns für verrückt erklärt,

merkwürdigen Käsegericht und glotzen
romantisch auf den Dom.
Nur 15 Kilometer von Trier entfernt,
residiert das alte Weingut im Schloss Ma-
rienlay bei Morscheid. Die Adelsfamilie
von Kesselstatt existiert noch, hat aber den
Betrieb in den Siebzigern verkauft. Zu den
heutigen Betreibern besteht Kontakt – vor
allem, wenn es um sensible Angelegenhei-
ten geht, wie das Design der Etiketten. „Mit
ihrem Wappen sind die Herrschaften na-
turgemäß sensibel“, sagt Mona Steffen, eine
von drei Geschäftsführerinnen. Für sie und
ihre beiden Kollegen Wolfgang Mertes und
Michael Weber gelten nicht die alten Rit-
ter, die das Weingut im 14. Jahrhundert als
Mundschenke des Kurfürsten begründe-
ten, als wichtigste Ahnen – sondern eine
moderne Frau: Annegret Reh-Gartner war
eine der Ersten, die ein bedeutendes Wein-
gut führte und den Weinbau bis heute
prägt. „Sie war eine Legende“, sagt Steffen,
die von Reh-Gartner ein Jahr vor deren
Krebstod 2016 ins Unternehmen geholt
worden war. „Liebevoll sagen die Leute,
dass sie einen so zusammenfalten konnte,
dass man ihr dankbar war.“ Die wichtigs- 4

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