Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1

der Ursprung der Umvolkungstheorie.


Die ist zwar falsch, aber: Das wird man


doch noch sagen dürfen.


Es ist erklärtes Ziel aller Rechtsextre-


misten, von rechten Kameradschaften


bis zu den Kameraden in der AfD, den


Bereich des Sagbaren immer weiter


auszudehnen. Das hat die Gesellschaft


sprachlich nach rechts verrückt. Selbst


Spitzenpolitiker benutzen Wortschöp-


fungen wie „Asyltourismus“ (Markus


Söder, CSU), „Anti-Abschiebe-Indus-


trie“ (Alexander Dobrindt, CSU) oder


„Kopftuchmädchen“, und „Messer-


männer“ (Alice Weidel, AfD). Wenn


Alexander Gauland den Nationalsozia-


lismus einen „Vogelschiss“ nennt oder


Björn Höcke eine „erinnerungspoliti-


sche Wende um 180 Grad“ fordert,


bringt das den durchschnittlichen


AfD-Wähler nicht gleich dazu, ein


Flüchtlingsheim anzugreifen. Und


doch bewirken Worte Taten.


Extremismusforscher erklären das


so: Man unterteile die Gesellschaft in


zehn Gruppen. Wenn die in der Mitte


einen Schritt nach rechts rücken, muss


die Gruppe daneben Platz machen und


auch um eins nach rechts. Und so wei-


ter. Die ganz außen, die mit ihren An-


sichten und ihrem Verhalten gerade


noch akzeptiert werden konnten, die


fallen aus dem Raster. Wenn im Bun-


destag schon so gesprochen wird, wie


früher nur auf Kameradschaftstreffen


nach dem fünften Bier, was bleibt


denen am rechten Rand dann noch zu


sagen? Sprachlich können sie nicht


mehr zulegen. Mehr Hass, mehr Belei-


digung, mehr Drohung geht nicht.


„Diese Gruppe ist inzwischen sehr ak-


tionsorientiert. Die wollen etwas tun“,


sagt Gewaltforscher Andreas Zick von


der Uni Bielefeld. Nach den Worten


kommen die Taten.


Aus „Das wird man doch noch sagen


dürfen!“ wird „Das wird man doch noch


machen dürfen!“ Auch bei den Taten


fängt man erst mal klein an. Die Terro-


risten der sächsischen „Gruppe Freital“


starteten nicht mit Bombenanschlä-


gen. Zuerst gingen sie im Bus auf Strei-


fe. Dann campierten sie vor dem Asyl-


bewerberheim. Dann zertrümmerten


sie mit Baseballschlägern das Auto, in


dem der Sohn des sächsischen SPD-


Vorsitzenden Martin Dulig saß. Erst


dann warfen sie Bomben.


Gleichzeitig beschimpften, beleidig-


ten und bedrohten sie Politiker der


Linken und der Grünen auf Facebook.


Ihr Profil entwickelte sich zu einem der


meistgeklickten in der gesamten Säch-


sischen Schweiz, zum digitalen Hass-


keller der Region.


Nicht nur die rechten Einzeltäter sind


in Internetforen aktiv. Auch die Grup-


pentäter nutzen die Plattformen für


ihr mentales Training. Mitunter besu-


chen sie dieselben Foren und treffen


dort den „Anon“ aus der Nachbarschaft.


Sie spielen dieselben Ballerspiele, gei-


len sich an denselben Mordvideos auf,


sie versuchen, sich gegenseitig zu über-


bieten in ihrem Judenhass.


Die Stimmung im braunen Netz ver-


schärft sich. Das spürt man nicht nur,


das kann man nachweisen. Im Auftrag


des Internetmagazins „Vice“ wurden


eine Million Beiträge des Forums


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