Der Stern - 17.10.2019

(Jacob Rumans) #1

In Deutschland ist es unrealistisch, in den USA unmög-


lich. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in der


amerikanischen Verfassung erheblich höher angesiedelt


als der Schutz vor Beleidigung und Hass. Noch 2017 hat


der Supreme Court explizit bekräftigt: Auch „Hate Speech“


wird durch das First Amendment, den Ersten Verfas-


sungszusatz, geschützt und wird nicht strafrechtlich ver-


folgt. Natürlich steht es den Plattformbetreibern frei,


Aufrufe zur Gewalt, Hasstiraden, Beleidigungen oder


Live-Videos von Terrorattacken wie in Halle durch ihre


Algorithmen zu löschen oder zu unterbinden. Gute Idee,


doch sie stört ihr Geschäftsmodell, mit möglichst vielen


Nutzern möglichst viel Geld zu verdienen.


Als Angela Merkel 1991 in Hoyerswerda erstmals scho-


ckiert war vom Ausmaß der rechten Gewalt, ging die Be-


drohung von grölenden Glatzen in Springerstiefeln aus,


einer leicht erkennbaren gesellschaftlichen Randgruppe.


Daraus ist eine weltweite Bewegung geworden, perfekt


vernetzt, ausgerüstet mit neuester Technik, angefeuert


vom mächtigsten Mann der Welt und von Volksvertre-


tern in allen deutschen Parlamenten. Vor gut einem Jahr


marschierten in Chemnitz zum ersten Mal die AfD, Pegi-


da und rechte Kameradschaften in Springerstiefeln


gemeinsam auf. Es war die Gründung der rechtsextremis-


tischen Einheitsfront. In der analogen Welt sind seitdem


alle Kräfte vereint. Der Anschlag von Halle zeigt, dass sich


in der digitalen Welt die Armee der Einzeltäter längst an-


geschlossen hat. Sie alle marschieren in dieselbe Rich-


tung: nach rechts. Und sie alle haben eines gemein:
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